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26. Kapitel.

Unterdessen hatten die beiden gräflichen Schlitten Manresa erreicht. Die Freude, die der Kastellan und die gute Elvira beim Anblick ihrer Herrin empfanden, läßt sich gar nicht beschreiben. Sie glaubten zwar, ihre Vorkehrungen vollständig getroffen zu haben, aber es gab noch dieses und jenes nachzuholen, und so wurde der Aufenthalt ein längerer, als Sternau wünschte.

»Für jetzt trage ich keine Sorge«, sagte er zum Pater, »aber später...!« – »Gerade für später darf es Euch nicht bange sein, Señor«, antwortete dieser. »Haben wir nur erst die Berge erreicht, dann laßt mich sorgen.« – »Wie weit geht Ihr mit?« – »Bis jenseits der Grenze.« – »So haben wir später Zeit zu Erklärungen, jetzt müssen wir eilen. Ich nehme die Gräfin und Elvira in meinen Schlitten; Alimpo fährt mit Euch. Vorwärts!«

Nachdem die braven Kastellansleute von ihrem Neffen Abschied genommen hatten, fuhr man ab. Die beiden Schlitten verließen im Norden gerade in demselben Augenblick die Stadt, als Alfonzo von Süden her in dieselbe einritt.

Die Pferde waren sehr gut, aber nach den Bergen zu wurde der Schnee immer höher, der Weg immer unfahrbarer und die Eile infolgedessen immer mäßiger. Man vermied so viel wie möglich die größeren bewohnten Orte, doch veranlaßte diese Vorsicht zu verschiedenen Umwegen. Gegen Abend waren die Pferde so ermüdet, daß man gezwungen war, in einem einsamen, an der Straße gelegenen Wirtshaus zu übernachten.

Bereits am nächsten Morgen in der Frühe wurde wieder angespannt Es war für Sternau eine traurige Fahrt, denn Rosa kannte ihn nicht, blieb gleichgültig gegen alles und betete nur in einem fort. Er gab sich ebenso wie Frau Elvira alle Mühe, die Aufmerksamkeit der Kranken auf irgendeinen bestimmten Gegenstand zu lenken, doch vergeblich. Es war ganz unmöglich, sie zur Erkenntnis der Gegenwart irgendeines anderen Dinges zu bringen.

Als der Mittag herannahte, befand man sich bereits mitten in den Pyrenäen.

Hier stand wieder ein einsames Einkehrhaus, und da die Pferde durch den tiefen Schnee bereits sehr ermüdet waren, so beschloß Sternau, eine kurze Weile zu halten. Die Reisenden stiegen also aus und traten in den engen, kahlen Raum, in dem der Wirt ihnen nichts weiter als einen riesigen Herd und ein Stücken trockenes, halb verschimmeltes Brot zu bieten vermochte. Zum Glück hatte die gute Frau Elvira vor der Abfahrt von Manresa dafür gesorgt, daß Mundvorrat nebst einigen Flaschen Wein in die Schlitten gepackt worden waren. Diesen Dingen wurde jetzt mit gutem Appetit zugesprochen.

Das in dem einsamen Haus befindliche Mobiliar bestand nur aus einigen rohen Holzstühlen und einer langen, rohen Tafel, an der bei dem Eintritt der Gäste neben dem Wirt ein Mann saß, der nicht eben ein vertrauenerweckendes Aussehen hatte. Er trug eine weite Lederhose, lederne Gamaschen, eine zerrissene Jacke, die anstatt der Knöpfe mit alten Kupfermünzen besetzt war, und einen vielfach abgegriffenen und zerknitterten Hut. In seinem Gürtel steckte zwischen zwei großen Pistolen ein langes Messer; zwischen seinen Knien lehnte ein altes Gewehr, und neben ihm saß einer jener großen bärenartigen Pyrenäenhunde, die es mit drei Männern aufnehmen.

Er zog sich vor den Reisenden in eine Ecke zurück, blickte aber erstaunt auf, als er jetzt den Pater eintreten sah, der sich etwas länger bei den Pferden verweilt hatte. Als dieser den Mann erblickte, gab er ihm ein geheimnisvolles Zeichen und ging wieder vor das Haus hinaus.

»Alle Wetter, Pater, woher kommst du mit diesen vornehmen Leuten?« fragte er. – »Von Manresa«, antwortete der Gefragte. – »Du fährst selbst einen Schlitten!« – »Wie du siehst.« – »Wohin geht der Weg?« – »Hinüber nach Faix.« – »Sind es Freunde?« – »Ja. Sie stehen unter meinem Schutz.« – »So mögen sie in Gottes Namen ziehen; nur hoffe ich, daß sie uns keinen Schaden machen werden.« – »Schaden? Wie wäre dies möglich?« – »Dadurch, daß sie uns entdecken und verraten. Wir warten auf einen Transport Ware von drüben herüber. Er soll gegen Abend hier vorüberkommen. Wir stecken zu dreißig Mann droben unter dem Dach. Wenn deine Begleiter etwas merken und es den Franzosen erzählen, so kommen wir um den Fang.« – »Trage keine Sorge! Sie werden nichts merken. Wir bleiben nur eine halbe Stunde.«

Diese Versicherung beruhigte den Räuber; er kehrte nach der Stube zurück und nahm in seiner Ecke wieder Platz. Er schien sich um die Reisenden nicht zu bekümmern, nahm aber ein Glas Wein, das Alimpo ihm reichte, mit dankbarer Miene an.

So mochte die halbe Stunde fast vergangen sein, als man plötzlich draußen Pferdegetrappel und ein lautes, fröhliches Hallo hörte. Frau Elvira, die gerade vor dem kleinen, schmalen Fenster stand und hinausblickte, erbleichte, schlug vor Schreck die Hände zusammen und rief:

»Santa Madonna, die Gendarmen!«

Alimpo sprang hinzu und blickte hinaus; auch er machte ein Zeichen des höchsten Schrecks und meldete:

»Und der Corregidor ist dabei.« – »Welcher?« fragte Sternau. – »Der Corregidor von Manresa.« – »Ach! Der kommt mir gerade recht!« – »Oh, Señor, es ist keine Gegenwehr möglich. Es sind wohl gegen zwanzig Mann!«

Sternau überzeugte sich durch einen Blick von der Wahrheit dieser Worte und sagte entschlossen:

»Ich werde dennoch kämpfen!«

Da erhob sich der Fremde in der Ecke und versetzte:

»Habt keine Sorge, Señor! Ihr steht unter meinem Schutz!«

Sternau blickte erstaunt auf den Sprecher und fragte:

»Wer seid Ihr?« – »Euer Freund. Ihr habt mir Wein gegeben; ich werde Euch beschützen. Seht Ihr nicht, daß der Pater bereits verschwunden ist? Wir kennen uns. Er holt Hilfe. Bleibt ruhig sitzen und laßt mich machen!«

Alimpo hatte sich mit seiner Elvira in den äußersten Winkel des Gemaches zurückgezogen. Sternau setzte sich wieder nieder, hielt aber die Waffen bereit. Draußen waren unterdessen verschiedene Rufe erklungen, aus denen Sternau hörte, was er von den Angekommenen zu erwarten hatte.

»Das sind sie!« sagte eine Stimme. – »Ja, es sind die Schlitten und Pferde des Grafen!« fügte eine andere hinzu. – »Wir werden die Prämie verdienen«, jubelte ein dritter. – »Steigt ab! Hinein!« kommandierte ein vierter. Es war die Stimme des Corregidors von Manresa.

Jetzt wurde die Tür geöffnet, und einige Gendarmen traten ein, der Corregidor an der Spitze.

»Ah, Señor Sternau, da treffen wir Euch ja!« sagte er, als er den Arzt erblickte. – »Allerdings!« erwiderte dieser ruhig. – »Wie es scheint, hat es Euch in Barcelona nicht gefallen. Ihr seid entflohen, Señor. Das ist sehr schlimm für Euch. Außerdem habt Ihr bereits wieder einige neue Verbrechen begangen!« – »Welche denn?« – »Eine Entführung und einen Mord- und Raubüberfall gegen die Bewohner von Rodriganda.« – »Das klingt allerdings höchst gefährlich!« lächelte Sternau. – »Das ist es auch. Seht hier diese Handschellen! Ich muß Euch in Eisen legen und zurückbringen.« – »Versucht es einmal!« entgegnete Sternau, sich erhebend und zur Gegenwehr bereit.

Der Corregidor trat schnell und vorsichtig einen Schritt zurück und sagte:

»Ich warne Euch, Señor! Keine Gegenwehr! Hier stehe ich mit vier Gendarmen, und draußen vor dem Haus stehen weitere fünfzehn Mann. Ein Widerstand ist also vollständig unnütz!« – »Das glaube ich nicht!«

Diese Worte hatte der Mann in der Ecke gesprochen. Der Corregidor wandte sich erstaunt zu ihm:

»Wer seid Ihr?« – »Ein Freund dieser Herrschaften«, antwortete der Mann gleichgültig. – »Ah! So habt Ihr ihnen geholfen?« – »Nein, aber ich werde ihnen jetzt helfen.« – »So nehme ich auch Euch gefangen!« – »Oder ich Euch!« lachte der Fremde. – »Mich? fragte der Corregidor zornig. »Mensch, wage nicht, mit mir Spaß zu treiben!« – »Blickt Euch um!«

Der Corregidor sah sich um und fuhr erschrocken zurück. Auch seine vier Gendarmen traten unwillkürlich zur Seite, denn durch die weit offenstehende Tür ragten wenigstens zehn geladene Büchsenläufe herein, und im Vordergrund des Hausflurs sah man noch mehrere Männer stehen, die ihre Gewehre gegen die ganz ohne Deckung draußen bei den Schlitten haltenden Gendarmen hielten.

»Nun?« fragte der Fremde. »Wie gefällt Euch das, mein tapferer Señor Corregidor? Ich sage Euch, daß ich die Gewehre meiner Leute gar nicht brauche, um Euch das Maul zu stopfen. Seht Euch diesen Hund an! Auf einen Wink von mir reißt er Euch und Euren vier Gendarmen die Gurgel auf. Hier in den Bergen wissen wir mit Leuten Eures Schlags umzugehen!« – »Mein Gott, wir sind verloren!« stammelte der Corregidor. – »Ja, das seid Ihr! Noch haben Eure Leute draußen keine Ahnung, was hier im Haus vorgeht. Es handelt sich um Euer Leben. Wollt Ihr gehorchen oder nicht?« – »Was soll ich tun?« fragte der Beamte kleinlaut. – »Befehlt Euren Leuten, die Waffen zu strecken und uns die Pferde zu übergeben!« – »Das – das geht nicht!« rief der Corregidor voller Angst. – »Es muß gehen! Meine Leute dort hören ein jedes Wort, das gesprochen wird. Ich zähle bis drei. Steht Ihr da noch nicht am Fenster, um den Befehl zu geben, so schießen sie Euch nieder. Wir sind dreißig Mann; es kann uns keiner entkommen. Also – eins – zwei – dr...«

Der Fremde hatte das Wort »drei« noch nicht ausgesprochen, so sprang der Corregidor an das Fenster, riß es auf und rief hinaus:

»Legt die Gewehre ab!«

Die Gendarmen hörten die Worte und blickten erstaunt herüber.

»Um Gottes willen, legt die Waffen ab!« wiederholte er. »Legt sie in die Schlitten!« – »Warum?« fragte draußen einer. – »Weil wir hier gefangen sind«, antwortete er. »Das ganze Haus steckt voller Briganten, die Euch niederschießen werden, wenn Ihr nicht gehorcht.«

Die Leute schienen diese Versicherung nicht glauben zu wollen, da aber wurde die Haustür von innen aufgestoßen, und wohl zwanzig Räuber drangen, ihnen die geladenen Büchsen entgegenhaltend, hervor.

»Ergebt Euch! Ergebt Euch!« bat der geängstigte Corregidor. – »Gegen freien Abzug?« fragte einer vorsichtig. – »Ja.«

Die Gendarmen, die wohl sahen, daß es nur eines Fingerdrucks der Räuber bedurfte, um zwanzig wohlgezielte Schüsse abzugeben, legten jetzt die Waffen ab, übergaben auch die Pferde und schlichen sich von dannen. Auch die vier in der Stube Befindlichen taten dasselbe; sie konnten ungehindert gehen. Als sich jedoch auch der Corregidor entfernen wollte, hielt ihn der Räuber zurück.

»Halt, mein Bursche!« sagte er. »Ich habe noch mit Euch zu reden.« – »Was denn noch?« – »Das werdet Ihr bald hören.« Und sich an Sternau wendend, fragte er: »Wie es scheint, seid Ihr mit diesem Señor Corregidor nicht zufrieden?« – »Allerdings nicht«, antwortete der Arzt – »Bloß weil er Euch jetzt fangen wollte? Oder habt Ihr noch etwas anderes gegen ihn?« – »Etwas noch ganz anderes. Er kam einst zu mir, um mich zu einer Dame abzuholen, brachte mich aber statt dessen nach Barcelona in das Gefängnis, wo ich mehrere Monate lang unschuldig eingeschlossen wurde.« – »Ah, das soll er büßen! Das ist Hinterlist. Zählt ihm fünfzig auf die Kehrseite.«

Der Corregidor wurde trotz seines Wehklagens gepackt und hinausgeschafft, und bald hörte man die kräftigen Hiebe und das laute Geschrei des Beamten, der wohl nicht gedacht hatte, daß er sich anstatt eines Gefangenen fünfzig Stockschläge holen würde. Als er den letzten erhalten hatte, hinkte er kläglich von dannen.

Jetzt erst trat der Pater wieder ein.

»Seht Ihr, Señor«, sagte er zu Sternau, »daß ich recht hatte, als ich Euch sagte, daß wir hier oben in den Bergen sicher sein würden?« – »Ihr seid mir ein Rätsel, aber ich danke Euch von ganzem Herzen!« antwortete der Deutsche. – »Vielleicht werdet Ihr dieses Rätsel noch lösen. Jetzt aber laßt uns aufbrechen, damit wir vor Abend noch über die Grenze kommen.«

Sternau wollte sich den wackeren Briganten dankbar erweisen, sie lehnten jedoch allen Dank und jede Gabe ganz entschieden ab. Sie hatten ja Waffen und Pferde gewonnen.

»Das war Hilfe gerade zur rechten Zeit«, sagte Alimpo beim Einsteigen. »Nicht wahr, meine Elvira?« – »Ja«, antwortete sie. »Glaubst du, daß der Corregidor in Manresa erzählen wird, daß er heute fünfzig Hiebe bekommen hat?« – »Nein. Ich werde es aber unserem Neffen schreiben, der soll es weitererzählen, meine liebe Elvira.«

Da sich die Pferde nun so ziemlich ausgeruht hatten, ging es mit frischen Kräften und erneuter Schnelligkeit vorwärts. Als Sternau den Briganten noch einen Abschied zurückwinkte, dachte er nicht, daß er nach Jahren sie abermals an derselben Stelle hier treffen werde.


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