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20. Kapitel.

Alfonzo erhob sich vom Boden. Er schäumte vor Wut, getraute sich aber nicht, diese an dem eisenstarken Deutschen auszulassen. Er war blamiert vor den vielen Leuten, die ihn als Herrn und Gebieter betrachten sollten, und wandte sich, vor Grimm zitternd, jetzt an den Alkalden, den er förmlich anbrüllte:

»Señor, an diesem Attentat seid nur Ihr allein schuld. Ich werde es Euch gedenken. Darauf verlaßt Euch!« – »Ich habe nur meine Pflicht getan!« entschuldigte sich der Beamte.

Er war ein gewöhnlicher Dorfbewohner, ein Untertan des Grafen. Er hatte nach dem Recht gehandelt, weil er unter dem Einfluß der körperlich und geistig mächtigen Persönlichkeit Sternaus stand. Dieser letztere hatte sich jetzt entfernt, und nun sank dem Mann dem jungen Grafen gegenüber der Mut, zumal auch der Notar das Wort ergriff, ihm entgegentrat und mit zürnender Miene die Frage aussprach:

»Señor, sagt einmal, ob Ihr mich kennt!« – »Ja«, antwortete er. – »Nun, wer bin ich?« – »Der Sachwalter Seiner Erlaucht« – »Gut Was heißt das, Sachwalter?« – »Ihr habt ihn schriftlich und rechtlich in allen Stücken zu vertreten.« – »Sehr schön! Nun ist aber mein Mandat noch keineswegs erloschen; was ich also tue, das ist gerade so, als ob es der Graf selbst tut. Wollt Ihr diesen Gitano wirklich unschuldigerweise verhaften?«

Der Alkalde befand sich in keiner geringen Verlegenheit; er schwieg. Da wandte sich Cortejo an den Zigeuner und sagte:

»Wir brauchen dich nicht mehr, du kannst gehen, und ich will denjenigen sehen, der dich zu halten wagt!«

Garbos Augen leuchteten vor Freude. Er machte eine tiefe Verneigung vor Cortejo und erwiderte:

»Señor, ich danke! Ich bin wirklich unschuldig!«

Er entfernte sich, ohne daß der Alkalde ihn zurückhielt. Jetzt wandte sich der Advokat an die Männer, die die Bahre zu tragen hatten, und gebot ihnen:

»Ihr geht da hinab, ladet den armen, gnädigen Herrn auf und tragt ihn nach dem Schloß. Wer sich weigert, der wird augenblicklich entlassen!«

Die Leute gehorchten ohne Widerrede, und die Furcht vor dem strengen Notar war so groß, daß die sämtlichen Auseinandersetzungen des Deutschen erfolglos blieben. Der Alkalde fügte sich schweigend, und es dauerte nicht lange, so setzte sich der Zug nach Rodriganda zu in Bewegung. Der Doktor aus Manresa ging in der Nähe der Leiche, wahrend Cortejo mit Alfonzo in einer solchen Entfernung hinter dem Zug herschritten, daß sie miteinander sprechen konnten, ohne gehört zu werden.

»Aber Sternau wird den Corregidor rufen«, sagte der letztere. – »Fürchtest du dich?« – »Nein. Aber er ist ein Mensch, dem alles zuzutrauen ist!« – »Ich werde mich nicht beugen!« – »Aber, wie kam er dazu, mir zu sagen, ich sei nicht der echte Sohn des Grafen Emanuel de Rodriganda?« – »Das weiß der Teufel!« – »Und wie kam er weiter dazu, zu behaupten, daß der wirkliche junge Graf in See gegangen seit?« – »Das weiß des Teufels Großmutter! Er ist ein ganz gefährlicher Halunke, den ich uns vom Hals schaffen muß. Er ist der einzige Gegner, den wir noch besitzen; er muß unschädlich gemacht werden, und zwar bald.« – »Und Rosa?« – »Pah! Sie ist ein Mädchen. Ich habe nicht gelernt, ein Weib zu fürchten!«

Auch die Bewohner von Rodriganda, die mit in der Schlucht gewesen waren, tauschten unterwegs ihre Bemerkungen aus. Sternau war beliebt, die anderen aber haßte oder fürchtete man. Ein jeder hatte die Worte des Deutschen gehört, und nun wurden leise Vermutungen ausgesprochen, die dem jungen Grafen keineswegs zur Ehre gereichten.

Jetzt gelangte man zu dem Schloß, und der Notar ließ die Leiche in das Gewölbe eines Nebengebäudes niederlegen, dann begab er sich auf sein Zimmer. Hier fanden sich Briefschaften vor, die während seiner Abwesenheit von der Post abgegeben worden waren. Er öffnete sie, um sie durchzugehen.

Die erste, die er zur Hand nahm, enthielt nur eine kurze Notiz. Kaum jedoch hatte er dieselbe überflogen, so nahm sein Angesicht zunächst einen überraschten und dann einen förmlich diabolischen Ausdruck an.

»Ah, wie herrlich sich das trifft!« rief er. »Ah, besser kann ich es mir ja gar nicht wünschen!«

Mit dem Brief in der Hand eilte er zu seiner frommen Verbündeten. Er fand dort Alfonzo, der beschäftigt war, ihr das Ereignis in der Bateria zu erzählen.

»Gasparino, ist das alles wahr, was ich höre?« fragte Clarissa. »Wir befinden uns in großer Gefahr?« – »Befanden, meinst du, nicht aber befinden«, antwortete er. – »Ich sehe keine Veranlassung zu einem so frohen Gesicht, wie du es zeigst«, bemerkte sie. – »Ich desto mehr«, antwortete er. – »Wieso?« – »Weil die Gefahr vorüber ist.« – »Wirklich?« fragte Alfonzo.

Der freudige Ton seiner Stimme war der beste Beweis, daß die Sorge nicht leicht auf ihm gelastet hatte.

»Hier, hier ist unsere Rettung!« frohlockte der Notar, den Brief in die Höhe haltend. – »Was ist es, Vater?« fragte Alfonzo. – »Eine Bemerkung des Bankiers in Barcelona. Ratet einmal, was sie enthält!« – »Wer soll raten! Sage es!« – »Der Graf hat diesem Sternau ein Honorar ausgezahlt.« – »Weiter gibt es nichts?« fragte die fromme Schwester enttäuscht. »Das ließ sich ja erwarten!« – »Aber er liefert ihn uns damit in die Hände!« – »Wieso?« – »Das Honorar wurde nicht bar, sondern per Anweisung ausgezahlt, und Sternau hat diese Anweisung dem Bankier geschickt, der die Summe nach Deutschland besorgen soll. Dieser hat es sofort getan und benachrichtigt den Grafen davon.«

Alfonzo schüttelte den Kopf.

»Ich begreife aber noch immer nicht«, meinte er, »wie diese Angelegenheit den Doktor uns in die Hände liefern soll. Erkläre dich deutlicher!« – »Die Höhe der Summe ist es, die ihm den Hals bricht. Da, lest einmal!«

Die beiden hatten kaum einen Blick auf das Papier geworfen, so brachen sie in einen Ausruf des Erstaunens aus.

»Unmöglich!« rief Clarissa. – »Das ist ja ein Vermögen!« rief Alfonzo. – »Nicht wahr?« fragte Cortejo. »Ein fürstliches, nein, sogar ein wahrhaft königliches Honorar!« – »Das ist ja geradezu unglaublich!« meinte die fromme Schwester, die sehr geizig war. – »Ist es Zeit noch zu redressieren?« fragte Alfonzo. – »Also ihr haltet es für unglaublich?« fragte Cortejo. – »Ganz bestimmt!« erklärte die Dame. – »Ha«, meinte Alfonzo, »möglich ist es schon, wenn man sich alles richtig bedenkt und überlegt.« – »Ja, ich zweifle nicht im mindesten daran«, versetzte der Notar. »Das Augenlicht ist etwas wert, der Deutsche hatte den Grafen vollständig in seinem Netz; Don Emanuel war unendlich reich, und im ersten Augenblick des Glücks, wieder sehen zu können, wurde er verschwenderisch.« – »So dargestellt, ist es allerdings zu glauben«, meinte die fromme Clarissa bedächtig. – »Aber«, sagte Alfonzo, »ich begreife noch immer nicht ...« – »Du sollst es sofort hören. Der Graf war blind ...« – »Nun?« – »Er schrieb niemals ein Wort ...« – »Weiter.« – »Sämtliche schriftliche Arbeiten hatte nur ich allein zu besorgen. Selbst die Unterschrift war mir überlassen. Da kommt nun von seiner eigenen Hand die Anweisung ...« – »Ah, ich beginne zu begreifen!« rief Alfonzo. – »Von der ich nicht das geringste weiß.« – »Nicht? Wirklich nicht?« – »Nein; die auch in keinem der Bücher bemerkt worden ist.« – »Auch das nicht?« – »Nein. Ich habe seit Tagen vergessen, meine Einträge zu machen, und werde nachholen, daß mir der Graf befohlen hat dem Doktor Sternau tausend Duros Honorar auszuzahlen. Das ist ein Beweis gegen den Deutschen.« – »Herrlich!« rief Clarissa. »Der Herr hat dich mit großem Scharfsinn begnadigt, Gasparino. Wir werden endlich siegen.« – »Ich werde dies sofort besorgen. Du aber, Alfonzo, reitest schnell nach Manresa.« – »Was soll ich dort?« – »Pah! Du fragst noch? Anzeige machen natürlich und Polizei holen. Er muß noch heute arretiert werden.« – »Ich habe noch niemals etwas so gern getan wie das!« meinte Alfonzo. »Ich werde sofort reiten. Aber bist du auch sicher, daß es gelingt?« – »Es muß gelingen, es muß!« sagte der alte Schurke mit großer Bestimmtheit. »Ich stehe dafür!« – »Und Rosa! Wenn sie davon weiß? In diesem Fall würde sie ihm als Zeugin dienen.« – »Das ist allerdings ein Umstand, den wir berücksichtigen müssen. Ich werde sehen, was zu tun ist. Übrigens kommt es uns ja gar nicht darauf an, das Geld zurückzuerhalten und diesen Deutschen wegen Fälschung bestrafen zu lassen; es genügt vollständig, daß er für den Augenblick unschädlich gemacht wird. Und dafür wird mein Freund, der Corregidor, sorgen.« – »Ah, du denkst, daß der Deutsche nicht nach Manresa, sondern nach Barcelona geschafft wird?« – »Freilich, da es sich um einen so hohen Betrag handelt. Während du nach Manresa reitest, werde ich den Brief für den Corregidor schreiben. Der Deutsche sitzt gefangen; der Graf wird begraben, du trittst das Erbe an und stellst dich bei Hofe vor, und sollte Rosa uns Schwierigkeiten bereiten, so gibt es ein sehr gutes Mittel, sie gefügig zu machen.« – »Welches?« – »Wir stecken sie in das Stift, dessen treue Vorsteherin hier deine gute Mutter ist.« – »Ah, das wird schwerwerden!« meinte Schwester Clarissa. »Sie wird sich weigern. Ein verlorenes Schäflein läßt sich niemals gern von dem guten Hirten ergreifen, um gerettet zu werden.« – »Sie wird sich nicht weigern. Es gibt ein ausgezeichnetes Mittel, allen Widerstand zu brechen.« – »Welches?« fragte Alfonzo. Der Advokat sah ihn bedeutungsvoll an und erwiderte: »Der Wahnsinn, wie bei dem Grafen.« – »Der Wahnsinn, ja, den Sternau heilen wird!« entgegnete der junge Mensch sarkastisch. – »Unsere fromme Stiftsdame würde dafür sorgen, daß kein Sternau Zutritt erhält! Also eile, mein Sohn; ich werde indessen die nötigen schriftlichen Arbeiten vornehmen und beendigen.«


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