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23. Kapitel.

Als Gräfin Rosa ihre Freundin in Pons der Diligence übergeben hatte, kehrte sie in Eile nach Rodriganda zurück. Es war ihr, als ob ihr etwas Schlimmes passieren könne, so lange sie sich nicht unter dem starken und energischen Schutz Sternaus befinde. Es lag wie eine Ahnung in ihr, daß ihr ein schweres Unglück bevorstehe. Darum befahl sie dem Kutscher, die Pferde ausgreifen zu lassen, die nun im schnellsten Galopp auf der Straße dahinflogen.

Als sie auf Rodriganda ankam und sich schnell umgekleidet hatte, stieg sie zunächst zum Kastellan empor. Sie fand die beiden braven Leute bei ihrem Lieblingsthema, das heißt im Gespräch über Doktor Sternau, begriffen.

»Ist er daheim?« fragte sie. – »Nein«, antwortete Alimpo. »Er ist ausgefahren, gnädige Condesa, meine Elvira sagt es auch.« – »Wohin?« – »Wir wissen es nicht«, meinte die Kastellanin. – »Hat er es euch nicht gesagt?« – »Leider nein.« – »Ist er allein fort?« – »Nein. Er fuhr in einer fremden Kutsche; mein Alimpo sagt es auch.« – »Und wem gehörte die Kutsche?« – »Dem Corregidor von Manresa.« – »Ah!« rief Rosa erschrocken und sogleich Unheil ahnend. – »Elvira, erzählt, wie es gewesen ist!« – »Das war so«, begann die Kastellanin. »Es kam eine Kutsche gefahren, aus welcher der Corregidor stieg. Er ging hinauf zu Señor Gasparino und dann zu Señor Sternau; nach kurzer Zeit fuhr er mit Señor Sternau fort.« – »Wohin?« – »Auf der Straße nach Manresa; mein Alimpo sagt es auch.« – »Gut! Alimpo, es sollen sofort zwei frische Pferde vorgespannt werden!« – »Ihr wollt wieder ausfahren, gnädige Condesa?« – »Höchstwahrscheinlich!«

Rosa ging, und zwar geradewegs nach dem Zimmer des Advokaten. Dieser saß bei seinen Akten. Die Gräfin war nur selten einmal bei ihm eingetreten, darum erstaunte er, sie jetzt bei sich zu sehen.

»Ah, Doña Rosa, Ihr kommt zur mir! Habt die Güte, Platz zu nehmen!« sagte er, sich erhebend und ihr einen Stuhl bietend. – »Ich werde mich nicht setzen«, entgegnete sie in energischer Eile. »Ich komme nur, um eine Frage zu tun. Habt Ihr Señor Sternau gesehen?« – »Jetzt nicht.« – »Er ist ausgefahren.« – »Ich weiß nichts davon.« – »Mit dem Corregidor von Manresa?« – »Ist mir unbekannt«, antwortete er, verwundert mit dem Kopf schüttelnd. – »So wißt Ihr gar nicht, daß der Corregidor in Rodriganda war?« – »Nein.« – »Auch nicht, daß er bei Euch gewesen ist?« – »Nein.« – »Ihr lügt, Señor!« rief Rosa leidenschaftlich. »Ihr lügt sogar unverschämt, Señor!« – »Condesa!« antwortete er in beinahe drohendem Ton. – »Ah, welchen Ton erlaubt Ihr Euch gegen mich! Ich werde jetzt zu dem Corregidor fahren und mich erkundigen. Finde ich, daß eine neue Teufelei angezettelt ist, bei der Ihr wieder die Hand im Spiel habt, so werde ich Euch das Handwerk legen, Euch und den beiden anderen. Adios.«

Rosa rauschte hinaus, während er vor Erstaunen über diese Energie ganz fassungslos zurückblieb und an das Fenster trat. Als er sie einsteigen und fortfahren sah, begab er sich sofort zu seiner Verbündeten, der frommen Schwester Clarissa. Auch diese hatte vom Fenster aus Rosa beobachtet.

»Sie fährt wieder fort«, sagte sie. »Weißt du vielleicht wohin?« – »Ja. Nach Manresa zum Corregidor.« – »Ah! Was will sie da?« – »Sich erkundigen, wohin dieser Sternau ist.« – »Höre, Gasparino, auch sie beginnt gefährlich zu werden!« – »Ich sehe es und werde meine Maßregeln danach treffen. Weißt du nicht, auf welche Weise man ihr einige Tropfen beibringen könnte?« – »Es ginge schon, wenn ich die Tropfen hätte.« – »Wann?« – »Beim Abendtee.« – »Und wenn sie ihn auf ihrem Zimmer trinkt?« – »Sie trinkt stets nur eine Tasse, die ihr die Kastellanin bereitet. Laß mich nur sorgen!« – »Gut, du sollst die Tropfen haben!« – »Und mein Honorar?« fragte sie lauernd. Der Advokat machte eine ungeduldige Bewegung mit der Hand und antwortete:

»Nun ja, dein alter Wunsch soll erfüllt werden!« – »Sie tritt in mein Stift?« – »Ja, und zwar mit der Hälfte ihres Vermögens.« – »Mit der Hälfte nur? Was soll mit der anderen Hälfte geschehen?« – »Die bekomme ich. Alfonzo darf nicht verkürzt werden, folglich teilen wir beide uns in Rosas Vermögen.« – »Zugestanden! Also lasse mich die Tropfen bald haben!«

Der Advokat kehrte in sein Zimmer zurück, füllte ein kleines Flakon mit Wasser und träufelte zwei Tropfen des Giftes hinein. Nachdem er diese Verdünnung gut durchgeschüttelt hatte, brachte er sie zu Clarissa und erteilte ihr die nötige Instruktion, wie die Tropfen zu handhaben seien.

Unterdessen fuhr Rosa auf Manresa zu. Dort angekommen, ließ sie vor dem Haus des Corregidors halten. Die Frau desselben kam heraus und führte, erstaunt über den vornehmen Besuch, diesen in ihr bestes Zimmer.

»Ist der Señor zu sprechen?« fragte die Gräfin. – »Leider nein. Er ist nicht daheim.« – »Verreist?« – »Ja.« – »In Geschäften?« – »Jedenfalls, denn er ließ sich von vier bewaffneten Gendarmen begleiten.« – »Ah!« hauchte Rosa erbleichend. »Wohin ging die Reise?« – »Das weiß ich leider nicht. Der Señor ist in Beziehung auf Geschäftssachen sehr verschwiegen.« – »Und wissen Sie nicht wer oder was ihn zu dieser Reise veranlaßt haben könnte?« – »Jedenfalls Ihr gnädiger Bruder Don Alfonzo.« – »Alfonzo? War er hier?« – »Ja. Er kam geritten und hatte es sehr eilig. Mein Mann sandte sofort nach den Gendarmen.« – »Hat er nicht gesagt wann er zurückkehren wird?« – »Nein.« – »So werde ich morgen wiederkommen.«

Rosa ging. Sie hatte genug gehört, um zu wissen, daß etwas im Werk sei und kehrte im vollen Galopp nach Rodriganda zurück. Dort ließ sie den Bruder zu sich bitten. Dieser war von dem Notar verständigt worden und ging der Unterredung mit großer Ruhe entgegen.

»Du warst heute in Manresa?« fragte sie ihn. – »Ja«, antwortete er gleichgültig. – »In welcher Angelegenheit?« – »Mein Gott, in welcher Angelegenheit soll es gewesen sein! In der heutigen!« – »Was verstehst du unter der heutigen?« fragte sie scharf. – »Nun, das Auffinden der Leiche!« – »Ah! Ist das wahr?« – »Was sonst? Du kommst mir sehr sonderbar vor. Es scheint dich etwas aufgeregt zu haben.« – »Allerdings. Warum requirierte der Corregidor in deiner Angelegenheit vier Gendarmen?« – »Es soll sich doch noch herausgestellt haben, daß die Leiche in die Schlucht geworfen worden ist«, log Alfonzo mit dreister Miene. »Die Gendarmen sind hinter dem mutmaßlichen Täter her.«

Rosa ließ sich täuschen.

»Ha! Ist es so? Apropos, hast du Sternau gesehen?« – »Nein.« – »Ich suche ihn.« – »Ich niemals.« – »Es ist gut. Du kannst gehen!«

Alfonzo machte Rosa eine ironische Verbeugung und sagte:

»Der Graf Alfonzo de Rodriganda geruhen nicht, sich von allerhöchst seiner Schwester wie einen Domestiken verabschieden zu lassen. Ich werde bleiben!«

Sie blickte ihn erstaunt an.

»Unverschämter!« – »Pah! Ich weiß nicht, was du gegen mich hast. Ist dies eine Einbildung oder ein wirklicher Widerwille? Ich vermisse die ruhige Zärtlichkeit, die man zwischen Geschwistern voraussetzt, und will mit einem Kuß den Anfang machen, diese Kluft zu überbrücken.«

Alfonzo näherte sich der Gräfin, um seine Worte wahr zu machen, und wollte den Arm um sie schlingen, sie aber holte aus und gab ihm einen schallenden Schlag ins Gesicht.

»Weiche von mir!« rief sie. »Ich hasse, ich verabscheue dich! Wenn ich es nicht bereits wüßte, so würde dein Verhalten es mich lehren!« – »Was?« fragte er zornig, die Hand an die getroffene Stelle legend. – »Daß du nicht mein Bruder, sondern ein Betrüger, ein elender Fälscher bist!« – »Oh, nicht dein Bruder? Was denn sonst?« – »Das wird sich zeigen, sobald Sternau zurückkehrt. Und kehrt er nicht zurück, so macht euch nur gefaßt auf eine Entlarvung, die das ganze Land in Zorn und Aufruhr versetzen soll.« – »So also ist es?« meinte er zischend. »Einen Betrüger, einen Fälscher nennst du mich! Die Ohrfeige nehme ich hin, denn du bist ein Weib, das andere aber sollst du mir teuer bezahlen müssen.«

Dann schritt er mit dem Trotz eines schlechten Menschen hinaus, der eine Niederlage zu rächen weiß, während Rosa zu der Kastellanin schickte, um nicht allein zu sein, sondern sich von ihr Gesellschaft leisten zu lassen.

»Haben Sie Señor Sternau gesehen, meine gnädige, liebe Condesa?« fragte diese sofort, als die Gräfin kam. – »Nein.« – »Ach, irgendwo muß er sein!« – »Er ist arretiert worden.«

Frau Elvira machte eine Bewegung des Schrecks und rief:

»Arretiert! Mein Gott! Weshalb?« – »Ich habe es nicht erfahren können.« – »Arretiert! Oh, heilige Madonna, diesen braven, guten Señor arretiert! Er hat gewiß nichts getan, gar nichts, denn er ist der beste und bravste Mann, den es geben kann. Und so fest und treu, so stolz und stark! Sie hätten ihn nur sehen sollen, als er draußen an der Bateria den Grafen Alfonzo packte und über den Abgrund hinaushielt. Das ist prächtig gewesen; mein Alimpo sagt es auch.« – »Davon weiß ich ja gar nichts. Er hat mir nur erzählt, wie er sich um die Leiche bemüht hat.« – »Ja, Señor Sternau prahlt nicht; er ist kein Aufschneider. Graf Alfonzo hat ihn schlagen wollen, da aber hat er es gemacht wie jener August der Starke von Sachsen, der den Trompeter vom Turm heraushielt, er hat den jungen Grafen gefaßt und über den Abgrund gehalten und ihn dann mit solcher Force über sich hinweggeworfen, daß er eine große Strecke fortgeschleudert wurde.«

Rosas Augen leuchteten vor Stolz.

»Er ist nicht zu besiegen!« sagte sie.»Das habe ich gesehen, als er im Park überfallen wurde. Er hätte es mit dreimal so viel Männern aufgenommen, als zugegen waren.« – »Ja, er hat sogar gesagt«, fügte Elvira zögernd hinzu, »daß Alfonzo erst beweisen solle, daß er der Sohn des Grafen Emanuel sei; mein Alimpo hat es auch gehört« – »Ach, er hat das gesagt? Da muß er allerdings ganz außerordentlich beleidigt worden sein.« – »Und die Leute alle haben sich schon längst so etwas gedacht. Der Señor Leutnant ...« – »Nun, was ist mit ihm?« fragte Rosa die Stockende. – »Er sah dem gnädigen Grafen so sehr ähnlich, hatte ganz dieselben Augen und ganz seine Stimme. Haben Sie das nicht auch bemerkt?« – »Ja, und der Vater, als er ihn erblickte, hielt ihn auch sofort für seinen Sohn.« – »Ob er es wohl sein mag?« fragte Elvira sehr angelegentlich. – »Señor Sternau glaubt es ganz bestimmt. Er weiß auch, daß man ihn auf ein Schiff entführt hat.« – »Entführt! Auf ein Schiff!« rief die Kastellanin, die Hände zusammenschlagend. – »Weshalb denn?« – »Damit er die Betrüger nicht entlarven kann. Aber davon können wir später sprechen, meine gute Elvira. Du sollst nämlich den ganzen Abend bei mir bleiben und mir auch meinen Tee besorgen.«

*

Mehrere Stunden später, als es bereits dunkel geworden war, hielt ein einsamer Reiter am Rand des Waldes. Hier sprang er vom Pferd und führte dasselbe in das Dickicht hinein, wo er es anband. Dann schritt er auf das Schloß zu, stieg die Treppe empor und bat einen der Diener, ihn bei Señor Gasparino Cortejo anzumelden.

»Wer seid Ihr?« fragte der Diener. – »Ein Freund des Señor, der ihn überraschen will«, lautete die etwas barsche Antwort. Der Fremde wurde angemeldet und trat ein. Cortejo befand sich allein in seinem Zimmer.

»Ihr habt Euch als einen Freund von mir melden lassen?« fragte er den Ankömmling, den er nicht kannte. – »Ja.« – »Ich kenne Euch doch nicht.« – »Nicht? So werde ich nachhelfen.«

Der Mann nahm den falschen Bart vom Gesicht und die Perücke vom Kopf und wurde nun allerdings erkannt.

»Der Capitano!« rief Cortejo. – »Ja, der Capitano, der Euch eine Frage vorlegen will. Wo ist der Leutnant de Lautreville?« – »Weiß ich es!« – »Ihr wißt es! Ihr mögt andere täuschen, mich aber nicht. Der Leutnant ist verschwunden.« – »Das geht mich nichts an.« – »O viel, sehr viel! Ich habe mir unsere letzte Unterredung später überlegt. Ihr wolltet ihn getötet wissen, Ihr habt ihn erkannt.« – »Nicht ihn allein, sondern auch diesen deutschen Arzt. Warum habt Ihr Euer Wort nicht gehalten?« – »Weil ich erst wissen wollte, ob Ihr das Eurige bezüglich des Leutnants halten würdet.« – »Gut, spielen wir nicht Versteckens. Gebt Ihr zu, daß jener Leutnant der eigentliche Graf Alfonzo de Rodriganda war?« – »Ja.« – »Warum schicktet Ihr ihn hierher?« – »Das ist meine Sache.« – »Wußte er, wer er ist?« – »Nein. Wo ist er?« – »Tot.«

Der Räuber trat einen Schritt zurück; dabei entfiel ihm der Mantel, und nun bemerkte man die reiche Garnitur der Waffen, die in seinem Gürtel steckten.

»Tot!« rief er. »Ah, das werdet Ihr mir büßen.« – »Ich fürchte Euch nicht.« – »Ich werde aufdecken, was Ihr für ein Schurke seid!« – »Pah! Ihr selbst habt dann alles zu fürchten; denn Ihr waret ja mein Werkzeug.« – »Ich werde den Schein, den Ihr unterschriebt, beim Gericht deponieren. Ich brachte ihn mit, um den Leutnant gegen denselben auszuwechseln. Sagt, ob derselbe in Wirklichkeit tot ist.«

Über das Stößergesicht des Advokaten glitt ein blitzschnelles, freudiges Lächeln. Er antwortete:

»Ihr habt den Schein wirklich mit?« – »Ja. Ist der Leutnant tot?« – »Ich werde Euch den Brief zeigen, den ich in dieser Angelegenheit erhalten habe. Wartet ein wenig.«

Der Advokat trat in das anstoßende Gemach, wo er eine geladene Pistole und einen Brief zu sich nahm. »Er kommt mir gerade recht«, flüsterte er höhnisch in sich hinein. »Jetzt erhalte ich meine Unterschrift zurück und werde den gefährlichsten Zeugen los. Ich bin nun Sieger auf der ganzen Schlachtlinie!«

Dann kam er wieder zurück, den Brief in der Hand.

»Aber ich muß überzeugt sein, daß Ihr das Papier wirklich bei Euch habt«, sagte mit forschendem Blick auf den Räuber. – »Hier steckt es«, antwortete dieser, auf seine Brust klopfend. – »So lest!«

Cortejo reichte dem Capitano den Brief. Dieser öffnete das Schreiben und sah sofort, daß es ein ganz gewöhnlicher Geschäftsbrief war, der gar nichts den Leutnant Betreffendes enthielt. Als er, erstaunt über eine solche Täuschung, aufblickte, fiel sein Auge auf die Mündung einer auf ihn gerichteten Pistole.

»Schach und matt! Stirb, Hund!« rief der Notar, darauf krachte ein Schuß, und der Räuber stürzte augenblicklich zu Boden. Die Kugel war ihm gerade in die Stirn gedrungen. Sofort verriegelte der Notar die Tür und riß dem Toten den Rock auf. Die Taschen waren leer. Auch die übrigen Kleidungsstücke enthielten nicht die Spureines Papiers. – »Betrogen!« murmelte der Notar. »Elend betrogen! Bei ihm war das Papier sicher. Wenn es seine Leute finden, so bin ich verloren!«

Jetzt ertönten Schritte auf dem Korridor. Man hatte den Schuß gehört und kam herbei, um nachzusehen, was vorgefallen sei. In fieberhafter Eile brachte der Advokat die Kleidung des Räubers wieder in Ordnung, riß ihm ein Pistol aus dem Gürtel, das er zu Boden legte, und öffnete die Tür.

»Hierher!« gebot er. »Ich bin überfallen worden.«

Die Dienerschaft stürzte herbei. Auch Graf Alfonzo, Schwester Clarissa und der Kastellan kamen.

»Seht diesen Menschen«, sagte Cortejo. »Er ließ sich als meinen Freund anmelden, und als wir allein waren, drohte er mit dem Tod, wenn ich ihm nicht mein Geld aushändige. Ich tat, als ob ich es ihm geben wolle, griff aber nicht nach dem Geld, sondern nach der Pistole und schoß ihn nieder.« – »O Gott, ein Räuber, ein richtiger Räuber!« rief Clarissa entsetzt. »Seht hier die Perücke und den falschen Bart. Aber Gott hat ihn gefällt durch einen Stärkeren, als er war, und ihn in seinen Sünden zu sich genommen. Er wird für seine Missetaten büßen müssen in alle Ewigkeit!« – »Durchsucht ihn, aber genau!« gebot Cortejo in der Hoffnung, auf diese Weise das Schreiben doch noch in die Hände zu bekommen, wenn es sich unerwarteterweise irgendwo vorfinden sollte. Aber es wurde nichts gefunden als die Waffen und eine gefüllte Börse. – »Schafft ihn hinunter in eines der Gewölbe; ich werde morgen Anzeige machen. Dieses Zimmer wird natürlich sofort gereinigt.«

Man folgte seiner Anordnung. – Als die Dienerschaft sich entfernt hatte und die drei allein waren, fragte Alfonzo:

»Kanntest du ihn?« – »Nein.« – »Hm, es war möglich, daß es dein ›Capitano‹ war, von dem du zuweilen sprichst. Ich dachte, in diesem Fall hättest du ein kleines Renkontre mit ihm gehabt und dich von ihm befreit.« – »Ich kenne ihn nicht. Aber wie ist es, trinken wir heute den Tee mit Rosa?« – »Nein«, antwortete Clarissa. »Sie trinkt ihn bereits auf ihrem Zimmer.«

Aus denn Ton, in dem diese Worte gesprochen waren, und dem Blick, der dieselben begleitete, ersah der Notar, daß die Tropfen in den Tee gekommen seien.

Als der Schuß fiel, saß Rosa mit der Kastellanin im Gespräch beisammen. Die letztere hatte soeben den Tee aus der Küche geholt und der Gräfin serviert. Da erscholl über ihnen ein lauter Knall.

»Was war das?« rief Elvira. – »Ein Schuß!« antwortete Rosa. »Was ist vorgefallen? Ich werde gehen, nachzusehen.« – »O nein, nein, meine teure Condesa. Bleiben Sie. Es gibt hier täglich immer neues und größeres Unglück; ich lasse Sie nicht fort!« – »Aber wer soll mir etwas tun? Der Schuß fiel, wie es scheint, in der Wohnung Cortejos. Hörst du die Schritte und die Stimmen?« – »Ja, aber wir bleiben. Mein Alimpo ist sehr ruhig; er wird hingehen, um zu sehen, was es ist, und es uns melden.«

Diese Voraussage erwies sich als richtig, denn der Kastellan kam wirklich bald und meldete, daß der Notar von einem Räuber überfallen worden sei, denselben aber erschossen habe. Dieser Gegenstand bildete das Objekt des abendlichen Gesprächs. Als dann Rosa ihren Tee getrunken hatte, erklärte sie, schlafen gehen zu wollen, da sie von all der Aufregung des heutigen Tages ein schmerzliches Brennen im Kopf fühle, und legte sich zur Ruhe.

Am anderen Morgen kam das Kammermädchen der Condesa in höchster Aufregung zu der Kastellanin und bat diese weinend:

»Meine gute Frau Elvira, kommen Sie doch schnell mit zur Condesa. Es ist etwas mit ihr passiert. Sie muß krank sein.« – »Heilige Madonna, ist es wahr? Sie klagte bereits gestern abend über Kopfschmerzen. Ich komme!«

Elvira ließ alles liegen und folgte der Zofe. Als sie in Rosas Schlafzimmer trat, kniete diese vor dem Bett und schien zu beten, hatte ein wachsbleiches Antlitz und sah wie eine Statue aus.

»Liebe Condesa, stehen Sie doch auf.« bat das Mädchen.

Rosa bewegte sich nicht.

»Sehen Sie«, klagte das Mädchen, »so fand ich sie, als ich kam, um sie zu wecken. Ich hob sie auf und setzte sie auf den Stuhl, aber immer wieder kniet sie nieder. Helfen Sie mir!«

Die Frauen faßten die Gräfin an und zogen sie empor; kaum aber hatten sie dieselbe auf den Diwan gesetzt, so glitt sie wieder herab und faltete die Hände, als ob sie abermals beten wolle.

»Ja, sie ist krank, sie ist sehr krank!« schluchzte die Kastellanin. »Wenn doch nur Señor Sternau hier wäre! Sie scheint ganz ohne Besinnung zu sein.« – »Was ist zu tun? Was tun wir, Señora Elvira?« fragte die Zofe, gleichfalls weinend. – »Ja, ich weiß es nicht. Mein Gott, ich kann nichts tun, als meinen Alimpo fragen. Holen Sie ihn!«

Das Mädchen rannte fort und brachte den Kastellan herbei, der ein erschrockenes Aussehen hatte. Die Kranke kniete mit halb geschlossenen Augen und gefalteten Händen vor dem Diwan, und auch als der Kastellan sie wieder aufrecht setzen half, sank sie sogleich in ihre betende Lage zurück.

»Legt sie ins Bett und macht kalte Umschläge; das wird vielleicht helfen«, gebot er mit Tränen in den Augen den beiden Frauen und entfernte sich dann, während sie seinen Worten folgten, betrübt. Draußen traf er die fromme Schwester, die lauernd in der Nähe verweilt hatte.

»Waren Sie bei der Gräfin?« fragte sie. – »Ja.« – »So ist sie bereits munter?« – »Sie ist krank«, antwortete er. – »Was fehlt ihr?« – »Ich weiß es nicht.« – »So muß ich sie besuchen, um ihr Gottes Wort zu bringen, den besten Trost der Leidenden.«

Clarissa ging in das Zimmer der Condesa, kam aber bereits nach einer Minute wieder herausgeschossen und flog förmlich nach der Wohnung des Notars. Als dieser sie in so heftiger Weise eintreten sah, fragte er.

»Nun? Gelungen, ich sehe es dir an.« – »Ja, sie ist verrückt.« – »Was tut sie?« – »Sie betet.« – »Ah, sonderbar. Laut?« – »Nein. Wenn man sie stellt oder setzt oder legt, so bleibt sie nicht in dieser Stellung, sondern kniet und faltet die Hände, als wolle sie beten. Dabei aber bewegt sie weder die Lippen noch ein anderes Glied. Es ist sicher, daß ihr kein Rest des Verstandes geblieben ist.« – »Ah, der Wahnsinn ist während des Gebets über sie gekommen, und nun hat sie nur noch den einen Gedanken des Betens. Ich werde sogleich die nötigen Schritte tun. Komm mit!«

Cortejo ging hierauf mit Clarissa nach Rosas Wohnung und erklärte der Zofe und der Kastellanin, daß die fromme Schwester die Pflege der kranken Gräfin übernehmen werde. Von jetzt an wurde jedermann von Rosa abgeschlossen. Man sah und hörte nichts mehr von ihr; sie war so gut wie gar nicht mehr vorhanden.


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