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39. Kapitel.

Am nächsten Morgen konnte man in den drei Blättern der Stadt Saragossa »El Diario de Zaragoza«, »El Imparcial« und »Saldubense« folgende Annonce lesen:

Gesucht

wird zum sofortigen Antritt bei hohem Gehalt und dauernder Stellung in einem feinen, hochadligen Haus eine Gouvernante von womöglich deutscher Abstammung. Adressen nimmt die Expedition dieses Blattes entgegen.«

Fräulein Wilhelmi erhielt die Zeitungen gewöhnlich erst gegen Mittag, wenn sie im Kontor nicht mehr gebraucht wurden. So war es auch heute.

Sie fand diese Annonce und richtete sofort ihre ganz Aufmerksamkeit auf dieselbe. Sie versuchte, sich ihre Lage zurechtzulegen, sie dachte daran, daß sie bei Salmonno nicht bleiben könne, und sah es schließlich als eine Fügung Gottes an, daß er ihr dieses Blatt mit der Annonce in die Hände gebracht habe. Bereits nach einer Stunde ging sie aus, um ihre Adresse versiegelt in der Expedition des »Diario de Zaragoza« niederzulegen.

Sie sprach über diesen Schritt mit keinem Menschen ein Wort und wartete mit großer Spannung auf den Erfolg desselben. Sie sollte ihn bereits am nächsten Tag bemerken. Es klopfte nämlich höflich an ihre Tür, und schon glaubte sie, daß es Sternau sei, als auf ihren Ruf nicht dieser, sondern ein reich galonnierter Diener hereintrat.

»Verzeihung!« sagte er mit einer tiefen Verbeugung. »Sie sind Señorita Wilhelmi?« – »Ja.« – »Ich diene im Palais Seiner Exzellenz des Herzogs von Olsunna und soll Sie fragen, zu welcher Zeit man Sie heute dort empfangen könnte.«

Sie errötete vor freudigem Schreck, fragte aber doch:

»In welcher Angelegenheit erwartet man mich dort?« – »Ich kann dies nicht sagen, Señorita, aber der Herr Haushofmeister deutete an, daß es sich um die Erledigung einer Annonce handelt.« – »Und Sie erwarten von mir die Angabe, wann ich mich vorstellen kann?« – »Allerdings.« – »Würde die Zeit um drei Uhr gut gewählt sein?« – »Ich bin überzeugt davon.« – »So bitte ich, mich Serenissimus zu empfehlen. Ich werde zu der angegebenen Zeit pünktlich erscheinen. Wo liegt das Palais?« – »Es ist Strada Domenica, Nummer zehn. Leben Sie wohl!«

Als der höfliche Mann verschwunden war, blieb die Gouvernante in einem Zustand zurück, der mit einem glücklichen Traum verglichen werden konnte. In das Haus eines Herzogs sollte sie eintreten! Und wie höflich war dieser Herzog gegen sie! Sie selbst hatte die Stunde zu bestimmen gehabt! Wie würde sich Salmonno ärgern! Was würde Sternau sagen! Welche Freude würden die Ihrigen empfinden, wenn sie in der Heimat diese Freudenbotschaft erhielten!

Sie konnte die angegebene Zeit kaum erwarten, und es hatte noch lange nicht drei Uhr geschlagen, als sie sich auf den Weg begab. Sie mußte einen Umweg einschlagen, um nicht zu früh zu kommen, aber als sie dann das große, prächtige Gebäude vor sich stehen sah, da kam sie sich so arm und klein und unwürdig vor, da hielt sie es für ganz unmöglich, Mitbewohnerin desselben werden zu können, da fragte sie sich, ob es denn nicht besser gewesen wäre, den braven Sternau erst um seinen wohlgemeinten Rat zu bitten.

Doch jetzt war es zu spät. Sie ahnte nicht, daß droben von einem der großen Fenster aus die Augen des Herzogs auf ihr ruhten. Sie trat ein.

Der Portier wies sie schweigend eine breite Marmortreppe hinauf, deren Seiten mit hohen Alabastervasen geschmückt waren, in denen herrliche exotische Gewächse leuchteten. Oben nahm sie derselbe Diener in Empfang, der heute bei ihr gewesen war, und führte sie in einen Salon, in dem die Werke großer Meister an den Wänden hingen und dessen Ausstattung den feinsten künstlerischen Geschmack verriet. Sie nahm Platz und wartete. Da öffnete sich die Portiere, und Cortejo trat ein.

Sie erhob sich und wechselte mit ihm eine tiefe, schweigsame Verbeugung. Er winkte ihr vornehm mit der Hand, wieder Platz zu nehmen, und setzte sich ihr gegenüber in einen Fauteuil.

»Sie wurden mir als Fräulein Wilhelmi gemeldet?« fragte er mit dem angenehmsten Ton seiner Stimme.

Sie verbeugte sich bejahend.

»Sie sind dieselbe Dame, die die Güte hatte, infolge unserer Annonce ihre Adresse anzugeben?«

Sie antwortete abermals durch bejahende Verbeugung.

»Sie werden mit Recht erwarten, von einem Glied der herzoglichen Familie empfangen zu werden, da es sich doch eigentlich um eine Familienangelegenheit von großer Wichtigkeit handelt«, fuhr Cortejo in verbindlicher Weise fort, »aber leider lebt Ihro Alteza, die Frau Herzogin, nicht mehr, und Serenissimus sind verreist. Darum wollen Sie es entschuldigen, daß ich, der ich nur der Haushofmeister bin, Ihren Empfang übernommen habe. Exzellenz jedoch haben mich ermächtigt mit Ihnen zu verhandeln, respektive auch endgültig abzuschließen. Sind Sie bereit meine Bitte um Beantwortung einiger Fragen zu erfüllen?« – »Ich stehe gern zu Diensten, Señor.«

Die Art und Weise, wie Cortejo sich gab, flößte ihr vollständiges Vertrauen ein.

»So sehe ich mich zunächst veranlaßt, eine sehr notwendige Bemerkung zu machen«, fuhr er fort. »Ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß ein Herzog, um eine Erzieherin seiner Tochter zu bekommen, denselben vulgären Weg betritt, den selbst die zu den unteren Schichten Gehörigen nur dann betreten, wenn sie sich ohne bessere Chancen sehen?«

Sie lächelte ein wenig und antwortete: »Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß mich dieser Umstand im ersten Augenblick einigermaßen befremdete. Dann aber sagte ich mir, daß ja wohl eine leicht erklärliche Ursache vorliegen könne, die selbst einen so hohen Herrn veranlaßt, den Weg der Annonce zu betreten.«

»Sie haben recht gehabt. Die Sache ist nämlich die, daß die bisherige Erzieherin wegen eines plötzlichen Todesfalls um ihre sofortige Entlassung bat. Um sie auf dem gewöhnlich von uns eingeschlagenen Weg zu ersetzen, hätte es die Zeit von einigen Monaten bedurft; da wir die liebe, kleine Prinzessin doch nicht so lange ohne mütterliche Beaufsichtigung lassen konnten, schlug ich vor, eine Annonce drucken zu lassen. Es haben sich mehrere Damen gemeldet, da wir jedoch eine Erzieherin deutscher Abkunft vorziehen, so sollte es mich freuen, wenn unsere Ansprüche sich gegenseitig ergänzen, Señorita!«

Cortejo sagte hier eine Lüge. Die bisherige Gouvernante war nicht wegen eines Todesfalls entlassen worden, sondern sie hatte wegen Fräulein Wilhelmi einen einstweiligen Urlaub auf unbestimmte Zeit erhalten und sollte später wieder eintreten. Ihr Gehalt ging fort.

»Ich hoffe nicht, daß meine Ansprüche Ihnen zu hoch erscheinen werden«, erwiderte Fräulein Wilhelmi. – »Ich bin überzeugt davon. Sie waren jetzt in einem hiesigen Engagement?« – »Ja, beim Bankier Salmonno.«

Der Haushofmeister gab sich Mühe, ein geringschätziges Lächeln zu unterdrücken, und sagte:

»Ich glaube kaum, daß sich eine Dame von Geist und Befähigung in der Familie eines solchen Mannes wohlbefinden kann.« – »Ich ziehe es in solchen Fällen vor, die Veranlassung zu Klagen zu übersehen.« – »Das ehrt Sie, Señorita! Wie lange waren Sie bei diesem Mann?« – »Ungefähr ein Jahr.« – »Und vorher?« – »Ich kam aus Deutschland hierher, meine Referenzen von dort stehen Ihnen augenblicklich zu Gebote, von Salmonno jedoch habe ich mir noch kein Zeugnis erbeten, da ich es vorzog, ihm von dem gegenwärtigen Schritt noch nichts mitzuteilen.«

Cortejo machte eine abwehrende Handbewegung und entgegnete freundlich:

»Bitte, Señorita, lassen Sie! Ich gehöre nicht zu den Pedanten, welche die Menschen nach ihren Zeugnissen beurteilen, ich habe reichliche Erfahrungen gemacht, wie wertlos oder wenigstens unsicher dieselben sind. Ich frage nicht nach Ihren Legitimationen, ich frage Sie selbst und werde dann genau wissen, welches Urteil ich mir über Sie zu bilden habe. In welcher Stadt Deutschlands sind Sie geboren?« – »In Köln.« – »Ihre Eltern waren?« – »Mein Vater war Lehrer. Er ist tot, und meine arme Mutter lebt von einer kärglichen Pension von fünfzig Talern.« – »Die Sie durch Ihr Gehalt zu vergrößern suchen?«

Sie errötete.

»Die Gehälter, die ich bisher bezog«, sagte sie, »waren leider nicht so hoch, daß es mir möglich gewesen wäre, hinreichende Ersparnisse zu machen.« – »Sie sprechen das Spanische ziemlich fehlerlos. Welcher Sprachen sind Sie sonst noch mächtig?« – »Des Englischen und Französischen. Auch Latein habe ich so viel getrieben, daß ich wenigstens einen Anfänger nebenbei mit unterstützen kann.« – »Und wie steht es mit der Musik?« – »Ich spiele Piano und singe sehr gern.« – »Ich habe nicht die Absicht, Sie zu examinieren, Señorita, werde Sie also nach den Wissenschaften gar nicht fragen...« – »Oh, bitte«, unterbrach sie ihn. »Ich trage mein Abgangszeugnis bei mir. Wenn Sie die Güte haben wollten, wenigstens in dieses einen Blick zu werden.« – »Ich bin des Deutschen nicht mächtig.« – »Es ist französisch und englisch abgefaßt.« – »So zeigen Sie her, wenn es Ihnen Beruhigung gewährt.«

Sie reichte ihm das Dokument hin. Er wollte es nur mit einem flüchtigen Blick überlaufen, nahm aber doch genauere Einsicht, da ihm die hohen Ziffern auffielen, die er erblickte. Dieses Mädchen hatte wahrhaftig in jedem Fach die Eins erhalten.

»Ah, das ist wirklich erstaunlich!« sagte er. »Solche Zeugnisse sind selten, Señorita, ich werde keine weitere Frage an Sie richten, sondern ich bitte Sie, mir einmal zu folgen, um sich die Räume zu besichtigen, die der Erzieherin zur Verfügung stehen.«

Sie erhoben sich beide.

Er gab ihr die Zeugnisse zurück und führte sie zunächst nach dem Kinderzimmer, wo sich die kleine Prinzeß unter der Aufsicht einer Bonne befand. Diese letztere warf einen gehässigen Blick auf die Deutsche, die einen freundlichen Gruß ausgesprochen hatte.

»Das ist Prinzeß Flora«, sagte Cortejo. »Prinzeß, begrüßen Sie diese Dame, die gekommen ist, Ihnen viel Gutes zu zeigen und zu lehren.«

Die Tochter des Herzogs war ein allerliebstes Kind, dem man sofort gut sein mußte.

»Sie sind wohl eine Gouvernante?« fragte sie, in Anbetracht ihrer drei Jahre mit einer überraschenden Verständigkeit.« – »Ja, meine liebe Doña Flora«, antwortete die Deutsche. – »Ich liebe die Gouvernanten nicht!« – »Schweigen Sie, Prinzeß!« gebot die Bonne in drohendem Ton. – »Und die Bonnen liebe ich auch nicht«, fügte die Kleine herzhaft hinzu. – »Warum?« fragte die Deutsche. – »Weil sie mich auch nicht lieben.«

Da kauerte sich die Gouvernante nieder, erfaßte die Händchen des Kindes und fragte:

»Würden Sie auch mich nicht lieben, Doña Florita?« – »Sie?« sagte das Kind nachdenklich. »Oh, Sie würde ich vielleicht gernhaben! Weil Sie mich so gut ansehen, weil Ihre Augen so freundlich sind, und weil Sie gleich Florita, anstatt Flora sagen, was die anderen gar nicht tun.« – »Ich möchte gern bei Ihnen bleiben, Florita«, sagte sie herzlich, das Kind näher an sich ziehend, »denn ich habe Sie lieb und wünsche, Sie immer recht gut und fröhlich zu sehen.«

Da schlang die Kleine die Ärmchen um den Hals der Gouvernante und fragte:

»Würden wir auch manchmal miteinander lachen?« – »Oh, sehr viele Male! Ich lache gern.« – »Ich auch, aber ich darf immer nicht. Ja, bitte, bleiben Sie da bei Ihrer kleinen Florita! Ich werde Papa sagen, daß ich Sie haben will.«

Die Bonne stand dabei mit einem höchst grimmigen Gesicht. Sie ärgerte sich darüber, daß diese Fremde die Liebe des Kindes im Flug gewann, wagte aber nicht, eine gehässige Bemerkung zu machen.

Jetzt führte Cortejo die Gouvernante durch die weiteren Räume und endlich auch in die für sie bestimmte Wohnung, die aus drei Zimmern bestand. Die Gouvernante musterte die Einrichtung mit Erstaunen; es hätte eine Herzogin hier wohnen können. Sie fühlte sich von der hier überall hervortretenden Üppigkeit sehr unangenehm berührt, gab aber diesem Gefühl keinen Ausdruck.

»Nun sind wir mit unserem Rundgang zu Ende, Señorita«, sagte der Haushofmeister, »und wollen, wenn Sie erlauben, unsere Entscheidung treffen.« – »Ich stehe Ihnen zur Verfügung.«

Sie setzten sich beide nieder.

Die Deutsche ahnte nicht, daß das Gemach nur durch eine Tapetenwand von der Wohnung des Herzogs getrennt war und daß dieser hinter der Wand stand, um sie durch ein in der Tapetenzeichnung gut verborgenes Loch zu beobachten.

»Ich will Ihnen offen gestehen«, begann Cortejo, »daß ich Ihnen mein volles Vertrauen schenke. Besonders hat mich die Art und Weise, wie Sie sich sofort zur Prinzeß Flora stellten, angenehm berührt.« – »Die Prinzeß ist zu kalt und gemütlos behandelt worden. So ein Kind will mit dem Herzen genommen werden«, schaltete die Gouvernante ein. – »Sie werden das besser verstehen als Ihre Vorgängerinnen. Ich bin bereit, Sie zu engagieren, Señorita. Darf ich auch Ihre Meinung vernehmen?«

Sie errötete vor Freude und antwortete:

»Auch ich sage › ja‹ und bitte Gott, daß er mir Kräfte gebe, diesem guten Kind die Mutter möglichst zu ersetzen.«

Bei diesen Worten trat ihr eine Träne in das Auge. Auch Cortejo tat, als ob er sich gerührt fühle, und fragte:

»Welche pekuniären Ansprüche machen Sie?« – »Ich bitte, mir dasselbe zu gewähren, was meine Vorgängerinnen hatten.« – »Sie erhielten vierhundert Duros. Ich werde für Sie jedoch fünfhundert notieren, Señorita.«

Da schlug sie in ihrem Glück die Hände zusammen.

»Mein Gott, so viel? Oh, nun kann ich auch meine Mutter und Geschwister besser bedenken!«

Cortejo nickte ihr anerkennend zu. Er sah, daß sich das vordere Glied eines Fingers durch das Loch in der Tapete steckte. Er verstand dieses Zeichen und erklärte:

»Ich freue mich über die Anwendung, die Sie von Ihrem Gehalt zu machen gedenken. Ich begreife, daß die Veränderung, die Ihre Verhältnisse heute erleiden, Sie zu mancher unvorhergesehenen Ausgabe veranlassen wird, und bitte Sie daher um die Erlaubnis, aus der Privatschatulle des Herzogs eine Extraremuneration von zweihundert Duros anzunehmen. Ein Vierteljahresgehalt wird Ihnen außerdem pränumerando ausgehändigt werden.«

Sie fuhr empor und stand sprachlos vor Erstaunen da.

»Oh, mein Gott, ist das möglich?« rief sie endlich. »Das ist eine Seligkeit, wie ich sie noch nie empfunden habe. Señor, Sie wissen wohl nicht, was es heißt, arm zu sein; Sie machen nicht bloß mich, Sie machen auch die Meinen glücklich durch diese unverdiente Gnade. Ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen!« – »Nicht mir danken Sie; tun Sie das morgen, wenn Sie dem Herzog vorgestellt werden. Wann werden Sie antreten können?« – »Sobald Sie es wünschen, Señor.« – »Also morgen. Ich werde früh Ihre Effekten abholen lassen.« – »Und noch eine Frage«, sagte sie. »Welcher Art ist hier meine Stellung zur Dienerschaft?« – »Serenissimus sind Witwer, und danach richtet sich alles andere. Der Herzog speist stets auf seinem Zimmer, und wir anderen, auch Sie mit inbegriffen, tun dasselbe. Sie sind Erzieherin, aber nicht Dienerin, die Domestiken haben Ihnen zu gehorchen.« – »Ich danke Ihnen.« – »Haben Sie sonst noch eine Frage?« – »Für jetzt nicht. Sollte ich mich später in einer Ungewißheit befinden, so bitte ich Sie um die Erlaubnis, mich an Sie wenden zu dürfen.« – »Ich stehe Ihnen stets und gern zur Verfügung.«

Sie ging, und Cortejo führte sie bis zum Portal des Palais, wo er sie mit einer höflichen Verbeugung entließ. Sie schwebte mehr, als sie ging, nach Hause. Sie hatte einen Punkt, einen Halt im Leben gewonnen, wie sie vorher nicht einmal geträumt hatte.

Als sie im Haus des Bankiers nach ihrem Zimmer schritt, traf sie auf Sternau, der zufällig aus seiner Wohnung kam. Er blieb überrascht über den glücklichen Ausdruck ihres Angesichts stehen.

»Bitte, kommen Sie einmal!« bat sie.

Er folgte ihr, verwundert über diese Einladung.

In ihrem Zimmer angekommen, warf sie die Mantille, welche sie nach spanischer Sitte trug, auf einen Stuhl, atmete tief auf und fragte ihn:

»Raten Sie einmal, woher ich komme!« – »Geradewegs vom Himmel herab!« antwortete er. – »Weshalb sagen Sie das?« – »Weil Sie so verklärt aussehen.« – »Ja, ich bin glücklich, unendlich glücklich! Ich habe eine Stellung.« – »Ah!« – »Raten Sie, wo!« – »Wo? Das ist nicht zu erraten. Vielleicht ist es diejenige, die gestern im Blatt stand.« – »Ja, sie ist's!« – »Hm«, machte er mit zweifelhaftem Gesichtsausdruck. – »Warum dieses Gesicht und diese Interjektion?« – »Weil ich mir nicht denken kann, daß eine Stellung, die in allen drei Blättern dieser Stadt ausgeboten ist, eine so exzellente ist, daß man sich wie im Himmel fühlen muß.« – »Und doch ist's so. Oh, wenn Sie wüßten!« – »Vielleicht erfahre ich es«, sagte er, lächelnd über so viel Begeisterung. – »Welch ein Gehalt!« – »Wieviel?« fragte er. – »Fünfhundert Duros.« – »Das ist allerdings bedeutend, ja, das ist sogar Bedenken erregend.« – »Und zweihundert Duros Extraremuneration.« – »Der Tausend! Ist's wahr?« – »Natürlich!« jubelte sie.

Sternau hätte sie am liebsten umarmen mögen, so schön stand sie in ihrem Glück vor ihm, aber er zwang sich, kaltzubleiben; er wollte für sie denken und vorsichtig sein. – »Das ist ja überraschend; das ist ganz außerordentlich. Bei wem ist die Stelle?« – »Bei einem Herzog!« – »Ah. Das ist etwas anderes. Das wäre allerdings ein ungeahntes Glück für Sie. Welcher Herzog ist es, Fräulein Wilhelmi?« – »Der Herzog von Olsunna.« – »Der sein Palais hier in der Stadt hat?« – »Ja.«

Der Erzieher hatte auf einmal seine Miene vollständig geändert.

»Waren Sie dort?« fragte er. – »Ja.« – »Haben Sie den Herzog selbst gesprochen?« – »Nein.« – »Wen sonst?« – »Seinen Haushofmeister.« – »Hm!« – »Was haben Sie? Warum sind Sie auf einmal so ernst?« – »Fräulein Wilhelmi, es gibt Dinge, über die man am liebsten schweigt, die man aber doch zur Sprache bringen muß, wenn die Lage dazu zwingt.« – »Was haben Sie? Wozu diese ernste Einleitung?« – »Glauben Sie, daß ich es gut mit Ihnen meine?« – »Ich bin davon überzeugt.« – »Nun wohl, so werde ich aufrichtig mit Ihnen sprechen. Haben Sie den Herzog einmal gesehen?« – »Nein.« – »Ich aber sah ihn einige Male. Er ist von langer, starker, kraftstrotzender Gestalt.« – »Nun?« fragte sie. »Warum sagen Sie mir das? Ich werde das alles ja selbst sehen.«

Der Deutsche fuhr unbeirrt fort:

»Auch der Perser, den ich damals beim Karneval unter Ihrem Balkon von dem meinigen aus zufällig beobachtete und dem Sie eine so große Aufmerksamkeit widmeten, war hoch und stark gebaut. Er hatte die Larve bis zum Mund emporgeschoben, und so bemerkte ich, daß er einen starken, blonden Vollbart trug.«

Die Gouvernante errötete und erschrak jetzt wirklich.

»Und Sie denken...?« stotterte sie. – »Daß der Herzog von Olsunna, der Sie als Erzieherin engagieren will, eben jener Perser ist. Ich überlasse es Ihnen, darüber nachzudenken. Am ersten Tag lernt man eine Dame kennen; am zweiten überlegt man es sich, wie sie zu gewinnen ist und trägt die Annonce in die Zeitungsexpedition, am dritten wird sie von ihr gelesen und beantwortet; am vierten wird sie unter Bedingungen engagiert, die so glänzend sind, daß sie Verdacht erregen müssen, und am fünften tritt die Dame ihre Stellung an. Sie treten morgen an?« – »Ja.« – »Nun, da haben Sie den rapiden Verlauf des Abenteuers vor Augen. Ich habe nicht das Recht, Ihnen eine Rat zu erteilen, aber ich habe die Pflicht zu warnen, und das tue ich hiermit.« – »Der Herzog ist ja gar nicht da. Er ist verreist Ich kann unmöglich glauben, daß eine fürstliche Persönlichkeit...«

Sie stockte errötend und fuhr nicht weiter fort, denn es klopfte soeben an die Tür, und es trat der Diener herein, den sie bereits zweimal gesehen hatte. Er verbeugte sich vor den beiden mit ausgesuchter Höflichkeit und meldete:

»Señorita, ich werde von Señor Cortejo, dem Haushofmeister des Herzogs von Olsunna, gesandt, Ihnen dieses Kuvert zu übergeben.« – »Warten Sie auf Antwort?« – »Nein. Leben Sie wohl.«

Er ging. Die Gouvernante erwartete, daß das Kuvert eine schriftliche Mitteilung enthalte, als sie es jedoch öffnete, fiel ihr eine Anzahl Banknoten in die Hand.

»Vierhundert Duros«, sagte Sternau, der mit den Augen auch gezählt hatte. – »Dreihundertfünfundzwanzig erwartete ich bloß«, meinte sie. »Ach, ich bin ja unendlich glücklich, meiner Mutter eine Summe schicken zu können!«

Er preßte die Lippen zusammen.

»Ich wünsche Ihnen von ganzen Herzen, daß Sie so glücklich bleiben. Hätte ich ein Recht dazu, so würde ich Sie bitten, dieses Geld einfach zurückzusenden.« – »Sie sehen zu schwarz, ich fürchte nichts!« – »So werden Sie also morgen dieses Haus verlassen und Ihren Ansprüchen an Salmonno entsagen?« – »Ja.« – »Sie haben noch Gehalt bei ihm zu stehen?« – »Gerade fünfzig Duros, außer dem, was ich für das angetretene Vierteljahr zu erhalten habe.« – »Wollen Sie mir erlauben, an Ihrer Stelle mit dem Bankier zu sprechen?« – »Ich bitte Sie darum, Herr Sternau! Ich scheue mich vor dieser Art Verhandlungen.« – »Ich werde sogleich zu ihm gehen.«

Sternau verließ das Zimmer. Draußen blieb er stehen und legte die Hand auf das Herz, er fühlte das erregte Klopfen desselben durch die Kleidung hindurch.

»Mein Gott, sie geht; sie ist verloren!« murmelte er. »Das Geld hat sie verblendet, und ich habe nicht genug Einfluß auf sie, um sie zu retten! Welch ein Jammer, welch eine Qual!«

»Nun, was haben Sie erreicht?« fragte die Gouvernante, als Sternau nach kurzer Zeit zurückkehrte. – »Mehr, als ich dachte. Hier haben Sie!«

Er legte ihr das Geld vor.

»Hundertfünfzig Duros!« rief sie staunend. »Wie haben Sie ihn dazu bringen können?« – »Er hat sich überlisten lassen«, lächelte er. »Bitte, unterzeichnen Sie diese beiden Reverse.« – »Wozu?« – »Wenn er hört, daß Sie sofort in eine neue Stellung gegangen sind, ist er imstande, das vorausbezahlte Gehalt wieder zurückzuverlangen. Hier aber erklärt er, daß er keinerlei Forderungen an Sie zu machen hat.«

Sie unterschrieb.

»Den einen Revers behalten Sie, und den anderen bekommt Salmonno. Ihn habe ich überlistet, gegen Sie jedoch will ich ehrlich sein. Wollen Sie mir eine sehr große Bitte erfüllen?« – »Wenn ich kann, herzlich gern.« – »Sie haben vorhin eine Summe erhalten, die für Ihre gegenwärtigen Bedürfnisse ausreicht?« – »Allerdings, Herr Sternau.« – »Geben Sie mir diese hundertfünfzig Duros! Ich brauche sie sehr nötig und zahle sie Ihnen zurück, sobald es mir möglich ist oder sobald Sie diese Summe notwendig brauchen!«

Sie blickte ihn überrascht an. Er war der Mann nicht, der von ihr Geld borgen kam.

»Herr Sternau, brauchen Sie es wirklich?« – »Ja.« – »Ich will nicht fragen, wozu. Hier ist es. Fast ahne ich, warum Sie diese Bitte aussprechen!« – »Was wollen Sie, Fräulein Wilhelmi? Wir sind Landsleute und müssen einander helfen!«

Er gab sich alle Mühe, diese Worte in einem leichten Ton zu sprechen, aber es gelang ihm nicht, seine Stimme bebte, und in seinem Auge stieg ein dunkler, feuchter Schimmer auf. Sie fühlte sich doch ergriffen und streckte ihm die Hand entgegen.

»Ich weiß, daß Sie es gut meinen. Ich werde stets mit Achtung an Sie denken!« sagte sie. – »Wollen Sie sich meiner zuweilen erinnern?« – »Gern.« – »Und zu mir kommen, wenn Sie eines Freundes bedürfen?« – »Ich verspreche es Ihnen!« – »So lassen Sie uns gleich jetzt einander Lebewohl sagen!« – »Warum schon jetzt? Warum nicht erst morgen, wenn ich gehe, Herr Sternau?« – »Ich glaube nicht, daß ich morgen zu Hause sein werde. Nehmen Sie meine innigsten Wünsche mit in Ihr neues Wirken. Gott behüte Sie vor jeder Enttäuschung und wende das, was Sie mit so großem Vertrauen unternommen haben, zu Ihrem Besten. Leben Sie wohl!«

Er ergriff ihre Hände, zog dieselben an sein Herz und an seine Lippen und eilte rasch hinaus. Sie blieb zurück. Es war ein eigentümliches, banges Gefühl, das sie ergriff, fast wie Reue, daß sie zuerst ohne seinen Rat gehandelt und dann auch gegen seine Ansicht das viele Geld behalten hatte. Sie suchte dieses Gefühl zu beherrschen, aber es gelang ihr nicht, und der Abend, den sie als den letzten im Haus des Bankiers verlebte, war ein einsamer. Selbst die Nacht brachte ihr weder Schlaf noch Ruhe, und als sie sich am Morgen erhob, war es ihr, als ob ein großer Teil ihres Lebensmutes und Selbstvertrauens verlorengegangen sei.

Bereits am Vormittag kamen einige Bedienstete des Herzogs, um die Effekten der Gouvernante abzuholen, und kurze Zeit später hielt sogar ein Wagen vor der Tür, der für sie selbst bestimmt war. Sie hatte bereits vorher von Salmonno Abschied genommen und stieg ein. Dabei warf sie einen Blick nach oben, konnte aber von Sternau nichts bemerken. Aber als sie später sich noch einmal umdrehte, da sah sie ihn in gebrochener Haltung oben auf seinem Balkon stehen, auf demselben Balkon, von dem aus er sie gesehen hatte, als sie dem Perser die Busenschleife zuwarf. Dieser Wagen mit dem herzoglichen Wappen entführte ihm sein Lebensglück.

Als sie vor dem Palais ausstieg, wurde sie von dem Haushofmeister empfangen, der sie nach ihrer Wohnung geleitete und ihr eine weibliche Bedienung zuwies. Sie packte nun zunächst ihre Koffer aus und begab sich sodann in das Zimmer der kleinen Prinzessin, wo sie der dort anwesenden Bonne die Hand entgegenstreckte und sie bat:

»Lassen Sie uns Freunde sein, Señorita! Das Schicksal hat uns zusammengeführt, und nun gilt es, in Frieden und Eintracht nebeneinander zu wirken.«

Die Bonne war eine kleine, höchst erregbare Südfranzösin. Sie machte ein grimmiges Gesicht und tat, als ob sie die dargestreckte Hand gar nicht bemerke.

»Aber bitte, was habe ich Ihnen getan?« fragte die Gouvernante. – »Ich mag Sie nicht!« lautete die trotzige Antwort. »Ich soll es nicht sagen, aber ich sage es doch! Sie haben meine Freundin verdrängt!« – »Wer ist diese Freundin?« – »Mademoiselle Charoy, die vorige Gouvernante.« – »Aber die habe ich ja nicht verdrängt!« – »Doch! Sie hat Ihnen weichen müssen!« – »Das ist nicht wahr! Sie ist eines plötzlichen Todesfalles wegen auf ihre eigene Bitte entlassen worden.« – »Ah, wer sagte das?« – »Der Herr Haushofmeister.« – »Dieser Lügner und Gleisner, dieser Cortejo? Hahaha! Und mir hat er streng verboten, Ihnen zu sagen, wie es eigentlich ist.« – »Nun, wie ist es eigentlich?« – »Er kam zu Mademoiselle Charoy und sagte ihr, daß man für kurze Zeit eine andere Dame als Gouvernante hier placieren werde; sie solle ihr Gehalt fortbeziehen und einstweilen zu ihren Eltern auf Urlaub gehen. Dann kamen Sie und erhielten sofort die Gemächer, die die verstorbene Herzogin bewohnt hat. Ihre Zimmer stoßen direkt an diejenigen des Herzogs. Warum quartierte man Sie nicht in die Gouvernantenwohnung ein? Oh, man weiß, was dies zu bedeuten hat!«

Die Gouvernante erbleichte. Es war ihr, als ob sie mit eiskaltem Wasser begossen werde. Sollte Sternau das Richtige geahnt haben? Sie nahm sich möglichst zusammen und antwortete:

»Bitte, sagen Sie mir Ihren Namen.« – »Man nennt mich hier Jeanette. Sagen Sie nicht Señorita zu mir. Ich bin eine Französin.« – »Nun wohl, Mademoiselle Jeanette, ich bitte Sie, mich einen Augenblick lang ruhig und ohne Bitterkeit anzuhören. Es tut mir leid, daß ich Ihr freundschaftliches Zusammensein mit Mademoiselle Charoy gestört habe, aber ich trage wirklich die Schuld nicht daran. Ich las im Blatt, daß eine Gouvernante gesucht werde; ich meldete mich und wurde engagiert, das ist alles.« – »Sie wußten nicht, wo die Stelle war?« – »Nein. Seien Sie aufrichtig gegen mich, damit ich mich so verhalten kann, daß ich mir Ihre Zufriedenheit und Freundschaft erwerbe. Können Sie mir sagen, wann der Herzog von seiner Reise zurückgekehrt ist?« – »Der Herzog? Von seiner Reise? Er war ja gar nicht verreist.« – »Nicht gestern, als ich hier war?« – »Nein, um diese Zeit hatte er sich in seine Gemächer zurückgezogen.« – »Mein Gott, so hat man mich belogen! Und noch eine Frage: Wo ist der Herzog am ersten Tag des Karnevals gewesen?« – »Das wissen wir nicht. Er ging als Maske fort.« – »Welche Maske trug er?« – »Er war als Perser gekleidet.« – »Ich danke Ihnen, Mademoiselle. Ich bin überzeugt, daß wir noch recht gute Freundinnen werden, denn Sie werden bald einsehen, daß Sie mich falsch beurteilt haben. Wo befindet sich unsere Prinzeß?« – »Sie ist um diese Zeit stets bei ihrem Papa.« – »Wann wird man sie sehen können?« – »In kurzer Zeit bereits.« – »So werde ich wiederkommen.«

Die Gouvernante begab sich in ihre Wohnung zurück. Alle ihre Begeisterung war verschwunden, von der Höhe des geträumten Glücks war sie gleich am ersten Tag heruntergestürzt. Was sollte sie tun? Das Palais verlassen? Das Geld zurückgeben, dessen größter Teil bereits unterwegs nach Deutschland war? Zu Sternau gehen und ihm eingestehen, daß er recht gehabt habe? Nein, und abermals nein. Noch konnte sie nichts beweisen. Sie wollte ihre Vorkehrungen treffen und dann das Weitere abwarten.

Zunächst untersuchte sie ihr Schlafzimmer und überzeugte sich durch Klopfen, daß die eine Seite desjenigen Zimmers, in dem sie gestern mit Cortejo gesessen hatte, aus einer dünnen Bretterwand bestand, die mit Tapete überkleidet war. Wie leicht war es, sie durch irgendeine Öffnung zu beobachten oder gar zu überfallen! Ihr Entschluß stand fest.


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