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17. Kapitel.

Am Spätnachmittag desselben Tages kehrte der Notar Gasparino Cortejo von Barcelona zurück. Es begann bereits zu dunkeln, und er war kaum noch eine Stunde weit von Rodriganda entfernt, als er plötzlich sein Pferd anhielt, denn auf einem freien Waldplatz, über den die Straße führte, erblickte er eine Anzahl Hütten und Zelte, die um ein großes Feuer standen, über dem ein eiserner Kessel brodelte. Es herrschte ein reges Leben auf dem Platz, da die Zelte und Hütten ein Zigeunerlager bildeten.

»Sollte das Mutter Zarba sein?« fragte er sich, als er ein altes Weib erblickte, das hart neben dem Feuer hockte. »Das wäre ja ein sehr glückliches Zusammentreffen!«

Mittlerweile war auch er bemerkt worden, und im nächsten Augenblick wurde er von schreienden und lärmenden Männern, Burschen, Weibern und Kindern umringt.

»Soll ich Euch weissagen, Señor?« fragte ein Mädchen. – »Nein, ich kann es besser!« rief ein altes Weib. – »Herr, eine kleine Gabe!« brüllten fünf oder sechs Kinder, indem sie sich an Cortejos Pferd hingen.

Dieser lächelte nur auf den wüsten Lärm herab und nickte einem alten Burschen freundlich zu:

»Ist das nicht der wackere Garbo, der mich doch kennen sollte?« fragte er.

Der Angeredete trat näher und blickte dem Sprecher unter den breitrandigen Hut.

»Ah, Señor Cortejo!« rief er. »Willkommen! Ich erkannte Euch nicht sogleich; habt Ihr nicht ein Pfeifchen Tabak für einen armen Burschen?« – »Das und noch viel mehr, wenn du es dir verdienen willst!« – »Warum nicht! Ihr habt mir doch schon manch schönen Duro zu verdienen gegeben. Gibt es vielleicht etwas, Señor?« – »Möglich. Ist Mutter Zarba hier?« – »Ja. Sie sitzt dort am Feuer.« – »So will ich einmal absteigen. Haltet mein Pferd.«

Gasparino Cortejo stieg vom Pferd und begab sich an das Feuer. In dem Kessel kochten ein paar Hühner, ein Kaninchen, ein Kürbis und einige Heringe.

»Guten Abend!« grüßte er die Alte.

Diese rührte mit einem Stock in dem Kessel, blickte sich gar nicht nach ihm um und fragte:

»Wer ist's?« – »Ein alter Freund.« – »Wie heißt er?« – »Das wirst du sehen, wenn du dir ihn einmal anschaust. Oder ist die einstige Rose der Gitanos so stolz geworden, daß sie ihre alten Bewunderer nicht mehr anblicken will?«

Jetzt endlich drehte sich die Alte langsam um. Es ist schwer, ja fast unmöglich, die Jahre einer alten Zigeunerin zu erraten, ebenso konnte man auch das Alter dieses Weibes nicht bestimmen, aber das sah man noch heute: schön, sehr schön mußte sie in ihrer Jugend gewesen sein.

»Ah, Cortejo!« grüßte sie vertraut, indem sie sich mit dem Stock stützte, der ihr jetzt als Rührlöffel gedient hatte, und sich vom Boden erhob. Ihr Gewand bestand nur aus Fetzen, aber ihre Haltung war stolz und gebieterisch. – »Ihr lebt also noch, Señor?« fragte sie, den Advokaten mit ihren blitzenden Augen messend. »Ich dachte, Ihr wäret längst schon zum Teufel!« – »Ah«, lachte er, »ich sehe, daß du noch immer die Alte bist.« – »Zarba bleibt ewig, wie sie ist«, antwortete sie. – »Wie lange bis du hier?« fragte er. – »Hier? Seit Mittag erst.« – »Ich sah euch früh noch nicht. Aber sag, Zarba, sind wir noch die alten Freunde?« – »Ja«, antwortete sie mit einem lauernden Blick. »Oder haben wir uns etwa beleidigt?« – »Ich weiß nichts davon.« – »Ich auch nicht. Es müßte denn deswegen sein, daß Ihr uns das letzte Mal so schlecht bezahltet!« – »Du bist bei guter Laune, Alte«, lachte er. »Gasparino zahlt stets gut.« – »Ich weiß es«, nickte sie; »aber er verlangt auch rüstige und verschwiegene Arbeit.« – »Ja, wie zum Beispiel jetzt«, stimmte er bei. – »Ah, Ihr habt einen Auftrag?« – »Vielleicht, wenn wir einig werden. Wie sind jetzt eure Preise?« – »Hm, fast noch die alten«, antwortete sie. – »Ein Toter?« – »Tausend Duros.« – »Ein Verschwundener?« – »Fünfhundert Duros.« – »Eine Kasse, die ihr holt, ohne sie zu öffnen?« – »Fünfhundert.« – »Ein Junge oder ein Mädchen, euch zur Aufbewahrung übergeben?« – »Dreihundert« – »Ein Grab öffnen?« – »Hundert« – »Das sind allerdings die alten Preise. Seit wir uns nicht sahen, habe ich mit einem anderen hantieren müssen.« – »Ich weiß es«, nickte sie. »Mit dem Capitano. Seid Ihr zufrieden?« – »Nein. Ich wollte, ich hätte euch vor kurzer Zeit gehabt!« – »So versucht es doch jetzt« – »Wir wollen sehen. Also, ein Toter kostet tausend Duros?« – »Ja, ein Gewöhnlicher nämlich.« – »Und ein Ungewöhnlicher?« – »Da richte ich mich ganz nach dem Stand und Reichtum.« – »Ein Graf zum Beispiel?« – »Der Tausend! Ihr wollt doch nicht...«

Zarba sprach nicht weiter, deutete jedoch mit der Hand hinter sich nach Rodriganda zu.

»Hm! Möglich!« antwortete er. – »Tot oder verschwinden?« – »Das ist noch unentschieden. Wie würde der Preis sein?« – »Das ist auch noch unentschieden«, lachte sie. »Wir kommen aus der Gegend...« – »Von Rodriganda her?« – »Ja.« – »War eins von euch auf dem Schloß?« – »Ja, ich selbst« – »Ah! Wie steht es dort? Gab es nichts Neues?« – »O doch, der Graf hat einen Anfall gehabt.« – »Was für einen?« – »Das konnte ich nicht erfahren, doch hieß es, daß ihn Doktor Sternau herstellen werde.« – »Das soll ihm schwerfallen.« – »Aha, ich ahne. Ihr scheint mit diesem Anfall sehr vertraut zu sein!« – »Pah! Merke dir einmal diesen Namen Sternau. Du wirst den Mann vielleicht bald kennenlernen. Hast du heute abend Zeit?« – »Ja.« – »Kannst du einmal nach dem Park kommen?« – »Gern. Nach welchem Ort?« – »An die große Korkeiche.« – »Die ich von früher her kenne? Gut ich komme!« – »Ich verlasse mich darauf. Mit Gott!«

Diese Unterredung hatte unter vier Augen stattgefunden, denn die Zigeuner respektierten ihre Anführerin, so daß sie dieselbe bei dergleichen Verhandlungen niemals zu belästigen wagten. Jetzt aber, als der Advokat wieder zu seinem Pferd zurückkehrte, drängte sich die ganze vagabundierende Gesellschaft an ihn heran. Er aber teilte seinen Tabak und seine Zigaretten aus, warf einige kleine Münzen unter die Kinder und ritt davon.

Das Zusammentreffen mit den Gitanos war ihm ein außerordentlich erwünschtes. Er hatte mit diesen Leuten, besonders aber mit ihrer Anführerin, bereits früher in Verbindung gestanden und hoffte, von ihrer jetzigen Gegenwart einen nicht geringen Nutzen zu ziehen.

Als er Rodriganda erreichte, herrschte dort wieder einmal eine tiefe Stille. Cortejo übergab sein Pferd einem Diener und ging darauf nach seinem Zimmer, verließ dasselbe aber sehr bald, um seine fromme Freundin aufzusuchen, von der er alles erfuhr, was geschehen war.

»Bei allen Teufeln!« fluchte er. »Dieser Sternau sitzt in jedem Sattel fest. Also den Schaum eines Gekitzelten verlangt er?« – »Ja.« – »Dann wird er den Grafen allerdings herstellen.« – »Ist dies das richtige Mittel?« – »Ja.« – »Er hat gehofft, daß der Graf, wenn ihm die Besinnung zurückkehrt, denjenigen kennen werde, dem er das Gift verdankt. Willst du nicht aufrichtig mit mir sein?« – »Pah!« antwortete er. »Ihr Weiber dürft nicht alles wissen. Aber, hm, ja, dieser Graf darf seine Besinnung eben nicht wiedererlangen!« – »Wie wolltest du dies anfangen?« – »Beim richtigen Zipfel!« antwortete er kurz und verließ seine Gefährtin, um, in seinem Zimmer angelangt, ruhelos auf und ab zu schreiten, bis er zu einem Anschlag kam, den er fest entschlossen war, ausführen zu lassen.

Einige Zeit vor Mitternacht kehrte der Reitknecht von Barcelona zurück, der dem Arzt die Nachricht brachte, daß das Schiff den Hafen heute verlassen habe. Nur wenige Minuten später schlich sich der Advokat hinaus nach dem Park. Er war heute um eine Erfahrung reicher geworden und benutzte diese, indem er sich bemühte, keine Spuren zurückzulassen. Er traf Zarba an der Eiche, seiner wartend. Sie versicherten sich erst, daß sie unbelauscht seien, und dann begannen sie ihr Gespräch, von dem das Wohl und Wehe der besten Menschen abhing.

»Habt Ihr Euch nach dem Befinden des Grafen erkundigt?« fragte Zarba. – »Ja. Er muß sterben.« – »Wie habe ich das zu verstehen? Muß er infolge seiner Krankheit sterben?« – »Nein. Durch euch.« – »Ah! Das wird sehr viel kosten.« – »Wieviel verlangst du?« Die Zigeunerin tat, als ob sie sich besinne, und erwiderte dann: »Wieviel bietet Ihr?« – »Ich biete nichts. Du hast zu fordern.« – »Die Bezahlung hängt von der Schwierigkeit der Arbeit ab.« – »Das weiß ich«, meinte der Advokat, »ich habe mir alles sehr reiflich überlegt. Don Emanuel muß zerschmettert werden.« – »Zerschmettert? Beim Himmel, das ist ein sonderbares Verlangen. Warum denn gerade das?« – »Weil er wahnsinnig ist.« – »Ah, ich verstehe! Er wird als Wahnsinniger bewacht; es gelingt ihm aber, seine Wächter zu täuschen; er entkommt und stürzt von irgendeinem Felsen. Ist es so richtig?« – »Gerade so denke ich es mir«, antwortete der Notar. – »Wie aber kommen wir zu ihm, wenn er bewacht wird?« – »Eigentliche Wächter hat er nicht. Nur der Arzt oder seine Tochter sind bei ihm. Sie befinden sich meist im Nebenzimmer. An die andere Seite des Krankenzimmers stößt die Bibliothek, zu der ich den Nachschlüssel besitze. Ich lasse euch ein, und das Weitere ist dann Sache deiner Leute.« – »Garbo wird sie anführen.« – »Er ist allerdings befähigt zu solchen Streichen. Also was kostet die Sache, wenn sie gelingt?« – »Zehntausend Duros.« – »Wie? Du bist zehntausendmal verrückt!« – »Señor, Ihr kennt mich! Ich bin teuer, aber ich arbeite gut und sorgfältig. Ferner müßt Ihr bedenken, welchen Wert der Tod des Grafen für Euch hat, Don Gasparino!« – »Hm! Und wie soll diese Summe bezahlt werden?« – »Ich hole sie mir von Euch erst nach gelungener Tat. Seht Ihr nun, daß ich ehrlich bin?« – »Ja, ja, du arbeitest allerdings anders, als der Capitano, der sich die Hälfte vorauszahlen läßt und dann den Auftrag nicht ausführt.« – »Er sollte sich schämen. Aber sagtet Ihr nicht, daß ich mir den Namen Sternau merken solle?« – »Ja.« – »Ist es der Arzt?« – »Kein anderer.« – »Was ist's mit ihm?« – »Auch er muß fort! Allerdings nicht sogleich, denn zwei Todesfälle würden zu auffallend sein.« – »Und wie soll er sterben?« – »Das werden wir später noch besprechen.« – »Also handelt es sich jetzt nur um Don Emanuel. Wann soll dies geschehen, Señor Cortejo?« – »Morgen.« – »Wo treffen wir uns?« – »Gerade hier wieder.« – »Zu welcher Stunde?« – »Auch gerade zu jetzigen Zeit, um Mitternacht. Bist du vielleicht selbst mit dabei?« – »Nein«, antwortete sie. »Solche Aufgaben sind nur für Männer. Ist Euch Garbo nicht sicher genug?« – »O ja.« – »So schlaft wohl, Señor!« – »Gute Nacht!«

Sie schieden. Der Advokat schlich sich nach dem Schloß zurück, das er auch unbemerkt erreichte, und die Zigeunerin suchte ihr Lager zu erreichen, aber nicht allein. Kaum hatte sich nämlich der Notar entfernt, so erhob sich hinter dem Stamm der Eiche eine dunkle Gestalt.

»Hast du alles gehört, Garbo?« fragte die Zigeunermutter. – »Ja, alles.« – »Also dieser Señor Sternau, unser Schützling, soll sterben!« höhnte sie. – »Hahaha!« lachte der Gitano in sich hinein. – »Und der Graf! Möchtest du ihn töten?« – »Nein, Zarba.« – »Aber zehntausend Duros!« – »Ich habe darüber nachgedacht...« flüsterte der Zigeuner geheimnisvoll. – »Ah, du hast einen Gedanken?« – »Einen vortrefflichen!« – »So laß ihn hören!« – »Als ich heute drüben in Loriba war, hörte ich, daß morgen der Bäcker begraben wird.« – »Ah! Ich verstehe bereits«, meinte die schlaue Alte. – »Den Bäcker graben wir aus...« – »Ziehen ihm die Kleidung des Grafen an...« – »Und stürzen ihn vom Felsen.« – »So wird es gehen, Garbo. Was aber tun wir mit dem Grafen?« – »Den verbergen wir. Er kann uns später eine große Summe Geldes einbringen.« – »Verbergen, ja; aber wo?« – »Bei meinem Freund Gabrillon auf dem Leuchtturm.« – »Wirklich, das geht! Da hinauf kommt kein Mensch, da wird ihn niemals jemand suchen.« – »Also du stimmst bei, Zarba?« – »Vollständig! Dieser Advokat Cortejo soll uns noch manche Summe zahlen müssen! Jetzt komm!«


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