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41. Kapitel.

»Oh, gräme nie ein Menschenherz;
Der Gram geht bis aufs Blut,
Und all den Kummer, all den Schmerz
Machst du nie wieder gut!
Oh, mach', daß keine Träne hier
Ein Aug' um dich vergießt –
Weißt du, daß diese Träne dir
Ein schwerer Mahnruf ist?
Oh, sorge, daß kein Herzeleid
Du hier verschulden magst,
Es kommt die Stund', es kommt die Zeit,
Wo du es tief beklagst!«

Zarba, das Zigeunermädchen, war in einer Verkleidung als Knabe fast jeden Abend mit dem Haushofmeister zusammengetroffen. Sie war ihm ganz ergeben, sie erfüllte jeden seiner Wünsche, dessen Erfüllung überhaupt in ihrer Macht lag, und so hatte er mit ihr auch über den Liebestrank gesprochen. Als sie nun heute abend wieder unter vier Augen in seinem Zimmer beisammensaßen, fragte er:

»Hast du wegen des Liebestranks mit Mutter Kaschima gesprochen? Kann sie einen brauen?« – »Sie kann alles, sie kennt jede Blume und Pflanze, jeden Tee und jede Arznei, sie weiß Mittel gegen alle Krankheiten und Gebrechen, sie weiß auch, wie der Trank der Liebe zu machen ist.« – »Hat sie es dir gesagt?« – »Ja, sie hat kein Geheimnis vor mir.« – »Ah, so werde auch ich es erfahren?« – »Nein, ich darf es dir nicht sagen. Die Geheimnisse der Gitanos erben sich nur im Volk fort.« – »Närrchen«, sagte er liebkosend. »So kann ich den Trank aber doch wohl erhalten, wenn du mir das Rezept auch nicht sagst?« – »Vielleicht. Ich muß jedoch wissen, für wen er ist.« – »Das darf ich nicht sagen.« – »Ah, er ist für dich!« – »Nein, denn ich besitze ja deine Liebe!« – »Also wirklich für einen anderen! Wer ist es?« – »Ich darf ihn nicht nennen.« – »So kannst du den Trank auch nicht bekommen.« – »Du bist grausam!« zürnte er. – »Es ist die erste Bitte, die ich dir abschlage.« – »Hm! Wenn ich dir den Namen nenne, wirst du schweigen?« – »Ganz sicher.« – »Gut. Der Trank ist für den Herzog selbst.« – »Den Herzog?« meinte sie verwundert. »Und wer soll den Trank einnehmen?« – »Ich weiß es nicht. Der Herzog wollte mir es nicht sagen, und einen so hohen Herrn kann man nicht zwingen.«

Das war natürlich eine Lüge, aber Zarba glaubte sie und antwortete mit nachdenklicher Miene:

»Aber das Mittel ist nicht für immer. Es wirkt nur auf einige Stunden.« – »Wie muß man es nehmen?« – »Es sind Tropfen, die keine Farbe haben, aber ein wenig scharf schmecken. Man tut fünf davon in Wasser, Kaffee oder Tee, und in einer Stunde beginnt die Wirkung.« – »Also willst du mir das Mittel verschaffen?« – »Ja. Bis morgen?« – »Gut. Ich brauche es spätestens eine Stunde nach der Dämmerung. Wird es gehen?« – »Ja, du sollst es haben, aber wehe dir, wenn du es für dich selbst brauchen willst!«

Zarba hielt Wort. Am Abend des nächsten Tages, kurz nach der Dämmerung, erschien sie auf ihrem gewöhnlichen Weg und händigte dem Haushofmeister ein kleines Fläschchen ein.

»Hier!« sagte sie. »Es ist stark und wird helfen.« – »Wieviel kostet es?« – »Nichts.« – »Erwarte mich. Ich will es dem Herzog bringen.«

Cortejo ging. Der Herzog harrte seiner mit der allergrößten Spannung.

»Nun, hast du Wort gehalten?« – »Ja. Hier ist es.« – »Gib her!« – »Wird es gelingen, Durchlaucht?« – »Ja, wenn das Mittel wirklich gut ist. Die Gouvernante sitzt im Musikzimmer, ich werde jetzt selbst in ihre Stube gehen und es ihr in die Milch gießen, von der sie jeden Abend ein Gläschen trinkt. Du gehst mit und paßt auf, daß ich nicht überrascht werde.«

Das treulose Vorhaben gelang. Als die Gouvernante nach einiger Zeit in ihr Zimmer zurückkehrte, trank sie die Milch und ging dann schlafen.

In der frühesten Morgenstunde des nächsten Tages klopfte es leise an die Tür des Zimmer, das Cortejo bewohnte.

Rasch öffnete dieser und erschrak, als ihm der Herzog mit leichenblassem Antlitz entgegentrat.

»Was ist geschehen?« fragte der Haushofmeister bestürzt. – »Etwas Schreckliches!« stöhnte der Herzog, indem er sich ganz fassungslos in einen Stuhl warf. – »Sie machen mir Angst Durchlaucht! Was gibt es denn?« – »Der Teufel hole diese Geschichte! Das wird einen fürchterlichen Spektakel geben! Cortejo, was mache ich nur?« – »Ja, weiß ich es? Sie haben mir ja noch gar nicht gesagt, um was es sich handelt. Hat das Mittel gewirkt?« – »Oh, nur zu gut! Aber dann ...« – »Dann?« – »Dann hat sie sich ein Messer in die Brust gestoßen.«

Cortejo schlug entsetzt die Hände zusammen.

»Heilige Madonna! Ist sie tot?« – »Nein, noch nicht; aber ihr Zimmer schwimmt im Blut. Sie ist ohnmächtig.« – »So muß schnell ein Arzt geholt werden, Exzellenz!« – »Wo denkst du hin! Es würde damit ja alles verraten sein. Sinne auf etwas anderes!« – »Ah, ich weiß etwas!« rief Cortejo erfreut. »Ich werde die Zigeunerin holen, die den Trank gebracht hat. Sie versteht es, Wunden zu behandeln. Soll ich sie rufen?« – »Schnell, schnell!« – »Zarba!«

Zarba, die gespannt zu erfahren, ob ihr Mittel gewirkt habe, sich schon in aller Frühe wieder zu Cortejo begeben hatte und sich augenblicklich im Nebenzimmer befand, von dem aus sie die Unterredung mit angehört hatte, trat herein. Der Herzog hatte erwartet, ein altes, häßliches Weib zu sehen, und war nicht wenig überrascht als er einen jungen, hübschen Knaben erblickte, dessen Kleidung Zarba auch heute angelegt hatte.

»Wer – wer ist das?« fragte er betreten. – »Die Zigeunerin«, antwortete Cortejo. – »Aber es ist doch ein Knabe!« sagte der Herzog. Dann aber überflog sein Auge mit einem schärferen Blick die Gestalt der vor ihm Stehenden, und nun erkannte er seinen Irrtum. »Ah, ist es möglich!« rief er. »Wahrhaftig ein Mädchen! Das ist also die ›alte‹ Zigeunerin, von der du sprachst?« – »Ja«, antwortete der Haushofmeister verlegen.

Der Herzog war inzwischen näher an das Mädchen herangetreten und fragte jetzt:

»Wie heißt du?« – »Zarba!« antwortete sie. – »Du bist es, die mir den Trank gebracht hat?« – »Ja!« – »Kannst du Krankheiten heilen?« – »Alle.« – »Auch Wunden?« – »Ja, wenn sie nicht sofort tödlich sind.« – »So folgt mir beide, aber leise. Es darf uns kein Mensch hören.«

Als sie das Zimmer der Gouvernante erreichten, lag diese auf dem Sofa. Ihre Augen waren geschlossen, und ihr Gesicht sah bleich aus wie das einer Toten. Auf der Diele erblickte man mehrere große Blutpfützen.

Zarba trat sogleich zu ihr, um sie zu untersuchen. Dies dauerte nicht lange, dann nickte sie sehr ernst und nachdenklich mit dem Kopf und sagte:

»Sie ist nicht tot, aber sie will sterben. Einen Arzt dürft Ihr nicht holen. Ich bin schuld daran und werde bei ihr bleiben. Darf ich?« – »Ja«, nickte der Herzog. – »So hört, was ich um ihret-, um meinet- und um Euretwillen verordne: Jetzt verbinde ich sie einstweilen, sodann gehe ich, um Pflanzen zu suchen, die die Wunde heilen. Von da an pflege ich sie, bis sie wieder gesund ist, aber kein Mensch darf hier eintreten. Sie wird das Wundfieber bekommen, sie wird phantasieren; sie wird alles erzählen und uns verraten. Deshalb darf nur ich allein zu ihr. Oh, ich sehe jetzt erst ein, was ich begangen habe; es ist eine große, schwere Sünde, die ich gar nicht wiedergutmachen kann. Sie sind ein Teufel! Aber vergessen Sie nicht, daß der Tod dieser Señorita Ihnen viele Sorgen machen kann. Ihre Leiche müßte ärztlich untersucht werden, man fände den Messerstich und würde eine Untersuchung des Falles anstellen.«

Der Herzog sah die Zigeunerin, die in diesem Ton mit ihm zu sprechen wagte, verwundert an.

»Gut, tue, was du willst«, sagte er beklommen. »Cortejo mag für alles sorgen. Nur bitte ich, das Blut sorgfältig zu entfernen. Ihr habt den Trank verschafft, mich geht die Sache nichts mehr an!«

Er entfernte sich. Auch Zarba ging, nachdem sie die Verwundete verbunden hatte, und kehrte dann in ihrer Mädchenkleidung und mit den gesuchten Pflanzen zurück. Es hieß im Schloß, die Gouvernante habe ganz plötzlich einen Blutsturz bekommen und werde nun von der Zigeunerin, die dergleichen Krankheiten besser als ein Arzt zu behandeln verstehe, gepflegt.

Was im Krankenzimmer vorging, davon erfuhr kein Mensch ein Wort, nicht einmal Cortejo. Die Gouvernante hatte bei ihrem ersten Erwachen die Binde wieder aufreißen wollen, war aber von ihrer Pflegerin daran gehindert worden, und dann hatte sich zwischen beiden eine tiefe Zuneigung entwickelt, die einen großen, beruhigenden Einfluß auf die Gouvernante ausübte. Sie sprach kein Wort über jenen schrecklichen Abend, aber es kam auch kein Lächeln über ihre Lippen, das Leiden ihrer Seele war größer als das ihres Körpers; so kam es, daß mehr als drei Monate vergingen, ehe sie zum ersten Mal das Zimmer verlassen konnte.

Unterdessen war Zarba auch fernerhin mit Cortejo zusammengetroffen, denn sie liebte ihn mit aller Glut ihres südländisch veranlagten Herzens; aber es kamen die Augenblicke immer öfter, wo es ihr schien, als ob seine Liebe nicht mehr so innig sei wie früher. Es kam ihr vor, als sei sie in dem Palais, in dem sie jetzt, um die Gouvernante pflegen zu können, von dem Herzog einquartiert war, eine nur geduldete, von allen verachtete, zurückgesetzte Person. Sie betrachtete nach und nach die Anwendung ihres Mittels in dem einzig richtigen Licht und sie lernte immer mehr den Herzog zu verachten und dem Geliebten zu mißtrauen. Je größer ihre Zuneigung zu der Verwundeten wurde, desto höher schlug ihr das Gewissen, und eines Tages, als die Stimme desselben zu laut und mächtig ertönte, gestand sie der Gouvernante unter heißen Tränen den Sachverhalt und bat sie um Verzeihung. Bei dieser Gelegenheit erhielt sie über den Charakter Cortejos Aufklärungen, die ihr liebendes Herz mit Schrecken erfüllten.


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