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40. Kapitel.

Noch in Grübeln versunken, wurde die Gouvernante von einem der Diener gestört, der ihr meldete, daß der Herzog Señorita Wilhelmi zu sprechen wünsche. Sie wurde von ihm nach dem Vorzimmer geleitet und trat in den eigentlichen Empfangsraum.

Dort saß der Herzog in einem kostbar geschnitzten Sessel, ein offenes Zeitungsblatt in der Hand.

Ja, das war die Gestalt des Persers!

Die Gouvernante verbeugte sich. Die Befangenheit, die man sonst wohl in Gegenwart so hochgestellter Persönlichkeiten empfindet, gab es bei ihr nicht. Sie fühlte, daß ein fester Mut ihr Herz erfüllte.

»Señorita Wilhelmi?« fragte der Herzog.

Sie verneigte sich bejahend.

»Mein Haushofmeister sagte mir bei meiner Rückkehr von einer Reise, daß er Sie als Erzieherin meiner Tochter engagiert habe ...«

Der Herzog hielt inne, als erwartete er von ihr eine untertänige Bemerkung. Er sollte allerdings eine Bemerkung hören, aber keine Untertänigkeit.

»Darf Ich fragen, wohin Serenissimus verreist waren?«

Er blickte im höchsten Grad überrascht empor. Das hatte noch kein Mensch gewagt.

»Warum?« fragte er scharf. – »Weil ich annehme, daß diese Reise nur bis in Ihre Gemächer gegangen ist.« – »Ah, mira! – Ah, siehe!« rief er. »Was soll das heißen?« – »Daß ich in Serenissimus jetzt jenen Perser wiedererkenne, der mir auf dem Karneval seine Huldigung darbrachte.«

Er war ganz starr vor Erstaunen. Er, ein Herzog, und sie, eine kleine, arme Gouvernante! Wie schrecklich, wie horribel, wie geradezu unmöglich! Sollte er leugnen? Nein!

»Señorita«, sagte er mit einem Blick, so hoheitsvoll, als ob er aus dem Himmel herabkomme, »haben Sie einmal gehört, daß Harun al Raschid durch Bagdad gegangen ist?« – »Ja.« – »Daß Friedrich der Große dasselbe getan hat?« – »Ja, aber nicht in Bagdad.«

Er überhörte die Berichtigung und fuhr fort:

»Ebenso Joseph der Zweite, Napoleon und alle bedeutenden Fürsten. Auch ich tat es am Tag des Karnevals. An einem solchen Tag fallen die Schranken.«

Sie verneigte sich. Ihr Gesicht war kalt und ruhig, es verriet nicht im geringsten den Gedanken, den sie hegte.

»Sie haben«, fuhr er fort, »die Ihnen angebotene Stellung angenommen, und ich bin überzeugt, daß Sie mein Vertrauen rechtfertigen werden. Den Lehr- und Stundenplan besprechen wir später. Für jetzt wollte ich Ihnen nur mein Vokation erteilen und Sie fragen, ob Sie mir vielleicht einen Wunsch vorzutragen haben.« – »Es gibt allerdings eine Bitte, die ich mir gestatten möchte.« – »Sprechen Sie!« – »Ich ersuche Durchlaucht um die Erlaubnis, die Zimmer, welche Mademoiselle Charoy bewohnt hat, beziehen zu können.« – »Warum?« – »Ich glaube, daß sowohl die Lage als auch die Ausstattung dieser Wohnung meiner Stellung angemessener ist.« – »So gefallen Ihnen Ihre jetzigen Zimmer nicht?« – »Ich bin solchen Glanz nicht gewöhnt. Die Eleganz dieser Wohnung blendet, und ihre Lage beängstigt mich.«

Der Herzog nagte an der Unterlippe, und seine Augen funkelten, aber er bezwang sich und sagte:

»Das ist Sache des Haushofmeisters. Wenden Sie sich an ihn. Haben Sie ein Weiteres?« – »Ich fühle mich gedrungen, Durchlaucht meinen Dank abzustatten dafür, daß ich in den Stand gesetzt worden bin, den Meinen eine Unterstützung in die Heimat zu senden. Ich werde mich eifrig bemühen, durch Treue im Amt mich dieser Gnade würdig zu machen.«

Seine Faust knitterte die Zeitung zu einem Ball zusammen, aber er beherrschte sich abermals und sagte möglichst gleichmütig:

»Ich hoffe es. Sie sind entlassen.«

Sie verbeugte sich und ging. Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, so sprang der Herzog mit wutverzerrten Zügen empor und ballte beide Fäuste.

»Cortejo!« rief er.

Die Tür zu dem Nebengemach war nur angelehnt gewesen; sie ließ jetzt den Haushofmeister ein, den der Herzog dort postiert hatte, als Zeugen seines Triumphes.

»Was sagst du dazu?« fragte der letztere. – »Exzellenz, ich bin ganz fassungslos!« – »Ich auch, bei allen Teufeln, ich auch!« – »So eine kleine Person.« – »Noch nie, nie, nie ist mir so etwas Tolles geboten worden!«

Der Herzog ging mit weiten, dröhnenden Schritten im Gemach hin und her.

»Das war ja eine förmliche Blamage, diese Frage, wohin ich verreist gewesen sei. Also diese Gouvernante fühlt sich durch die Lage ihrer Wohnung beängstigt. Deutlicher konnte sie allerdings nicht sein. Aber das ist's ja eben, was sie mir nun zehnfach mehr wert macht als erst. Ich muß ihre Liebe erringen, Cortejo. hörst du? Ich muß! Woher aber mag sie das alles wissen?« – »Daß Durchlaucht nicht verreist waren?« – »Daß ich der Perser bin. Sie muß es mir gestehen. Oh, diese Deutschen scheinen Haare auf den Zähnen zu haben. Cortejo, du wirst sie auf keinen Fall ausquartieren. Ich gebe meine Zustimmung nicht«

Da klopfte es draußen an der Tür.

»Herein!« befahl der Herzog.

Ein Diener trat ein.

»Verzeihung. Señorita Wilhelmi wünscht den Herrn Haushofmeister sofort zu sehen.«

Cortejo blickte den Herzog fragend an, und als dieser zustimmend nickte, sagte er:

»Führen Sie die Dame nach meiner Wohnung.« – »Sie läßt den Herrn Haushofmeister zu sich bitten«, bemerkte der Diener. – »Ah! Hm. Gut, ich komme.«

Der Diener ging.

Als er sich entfernt hatte, lachte der Herzog laut auf.

»Köstlich! Der Herr Haushofmeister ist gezwungen, zu ihr zu gehen, anstatt sie zu ihm. Oh, diese Deutschen! Eine Spanierin, und wenn sie eine Fürstin wäre, würde ganz glücklich sein, das Wohlgefallen des Herzogs von Olsunna zu besitzen. Siehe, was sie will. Ich erwarte dich wieder.«

Als Cortejo zu der Deutschen kam, war sie beschäftigt, ihre Sachen wieder in die Koffer zu verpacken. Sie erhob sich aus ihrer gebückten Stellung und bat höflich:

»Entschuldigung, Herr Haushofmeister, daß ich nicht zu Ihnen kam! Aber das, was ich mit Ihnen zu reden habe, muß hier gesprochen werden.« – »Warum?« – »Weil es sich auf diese Zimmer bezieht.« – »Ich höre, Sie waren beim Serenissimus?« – »Ja, und er hat mich an Sie gewiesen, Señor.« – »In welcher Angelegenheit?« – »Ich bat, diese Zimmer mit der früheren Wohnung der Gouvernante vertauschen zu dürfen.« – »Das wird wohl nicht gehen, Señorita.« – »Darf ich den Grund erfahren?« – »Es ist bereits anderweit darüber verfügt.« – »So wird sich wohl an einem anderen Ort Raum für mich finden. Hier kann ich unmöglich wohnen.« – »Aber der Grund, der Grund?« fragte er ärgerlich. – »Der Grund ist sehr einfach. Hören Sie diese Bretterwand, an welche ich klopfe? Sehen Sie dieses kleine Loch in der Rosette? Und da draußen gibt es gar eine Tapetentür! Hier kann unmöglich eine Dame wohnen. Ich weiß jetzt genau, daß wir beide gestern hier durch dieses Loch beobachtet worden sind.« – »Aber da drüben wohnt ja doch nur Serenissimus, kein Mensch weiter.« – »Das ist gleich. Eine Dame wird sich selbst von einem Herzog nicht beobachten lassen. Ich bitte wirklich mit aller Energie um eine andere Wohnung, Herr Haushofmeister.« – »Es ist keine da.« – »So tut es mir leid, auf meine Stellung verzichten zu müssen.«

Sie ließ ihn stehen, wo er war, drehte sich um und fuhr fort, ihre Sachen einzupacken.

»Aber, Señorita, Sie werden doch nicht ernst machen?« fragte er ganz bestürzt. – »Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich in einer halben Stunde das Palais verlassen habe.« – »Sind Sie toll? Sie zwingen mich wahrhaftig, Ihretwegen Serenissimus um Rat zu fragen.« – »Tun Sie das, Señor. Aber wie gesagt, in einer halben Stunde würden Sie mich nicht mehr hier treffen.« – »Ich eile, ich werde Sie nicht so lange warten lassen.«

Er rannte fort. So energisch hatte er sich die Gouvernante denn doch nicht gedacht.

»Nun?« fragte der Herzog. – »Sie packt ein!« lautete die eilige Antwort. – »Sie packt ein? Was denn?« – »Ihre Sachen. Wenn sie keine andere Wohnung bekommt, hat sie in einer halben Stunde das Palais verlassen.« – »Ist das ihr Ernst?« – »Ihr völliger Ernst. Als ich ihr den Wunsch abschlug, sah sie mich gar nicht mehr an. Sie hat die Tapetentür bemerkt und auch das Loch in der Rosette, sie wird auf keinen Fall bleiben.« – »Was ist da zu tun?« – »Ich getraue mir da kaum einen Vorschlag zu machen, denn sie ist unberechenbar, wie es scheint« – »Es wird doch geraten sein, wir lassen ihr die gewöhnliche Wohnung der Gouvernanten.« – »Soll ich es ihr sagen?« – »Ja. Gehe schnell, denn sie ist wirklich imstande, das Palais zu verlassen, ehe du kommst.«

Der Haushofmeister kehrte zu ihr zurück; er fand sie beschäftigt einen der Koffer zu schließen.

»Señorita«, meldete er, »Serenissimus haben auf meine Vorstellung hin geruht Ihren Wunsch zu erfüllen. Sie werden also die Zimmer haben, die Demoiselle Charoy bewohnt hat« – »Ich danke. Kann ich sie sehen?« – »In fünf Minuten. Ich eile, den Schlüssel zu holen.«

In der angegebenen Zeit holte Cortejo sie ab, um ihr die Wohnung zu zeigen. Sie bestand aus drei kleinen Zimmern, die nach dem Garten hinaus lagen und zwar nicht fein, aber sehr wohnlich eingerichtet waren, und sie gefielen ihr besser als die Prachträume, in die man sie hatte einquartieren wollen.

»Ist Ihnen das gut genug?« fragte er. – »Ich bin vollkommen zufriedengestellt«, antwortete sie. »Darf ich erfahren, wer nebenan wohnt, Señor?« – »Rechts die Bonne, und links habe ich meine Räumlichkeiten.« – »Also ich kann diese Zimmer sofort beziehen?« – »Sofort« – »Haben Sie mir jetzt noch irgend etwas zu bemerken?« – »Für jetzt glaube ich nicht« – »Dann werde ich mich an Sie wenden, sobald ich Ihrer bedarf. Adieu, Herr Haushofmeister.«

Sie machte ihm eine Verbeugung, und er konnte nicht anders, er mußte sich verabschieden.

»Adieu, Señorita. Ich begreife in Ihrem Verhalten einiges nicht, hoffe aber, daß ich Sie späterhin besser verstehen werde als jetzt. Wir werden uns nach und nach wohl kennenlernen.«

Sie antwortete ihm nicht. Er trat mit einer höflichen Verneigung seines Kopfes ab und begab sich wieder zum Herzog.

»Nun, ist sie zufrieden?« fragte dieser. – »Sie scheint es zu sein, Durchlaucht. Aber das ist ein ganz verteufeltes Frauenzimmer, Durchlaucht.« – »Inwiefern?« – »Nun, Sie haben es ja selbst erfahren, und auch mich behandelte sie so von oben herab, als ob sie eine Königin sei und ich ihr geringster Diener. Ich glaube nicht, daß sie die Ehre anerkennen wird, von dem Herzog von Olsunna geliebt zu werden.« – »Das wird sich finden. Glaubst du an Liebestränke?« – »Nein.« – »Man spricht aber doch von Ärzten, Zigeunern, Hexen, Wahrsagern, die dergleichen Zaubertränke gegeben haben. Etwas muß doch daran sein.« – »Allerdings. Solche Tränke sind zu bekommen.« – »Bei wem?« – »Ich weiß das nicht. Soll ich mich vielleicht erkundigen?« – »Tue es, aber halte diese Angelegenheit geheim.«

Bereits am nächsten Tag trat Fräulein Wilhelmi ihren Beruf mit aller Energie an. Die Wünsche des Vaters wurden ihr durch den Haushofmeister übermittelt, die kleine Prinzessin fühlte eine innige, kindliche Zuneigung für sie, und auch die Bonne zeigte sich von Tag zu Tag freundlicher gestimmt.

So waren vierzehn Tage vergangen, als sie den Befehl erhielt, sich einer Spazierfahrt anzuschließen, die der Herzog mit der Prinzessin unternehmen wollte. Sie konnte nicht anders als gehorchen. Die Fahrt ging nur ein wenig hinaus vor die Stadt, der Herzog saß im Fond des Wagens, während sie mit der Prinzeß den Rücksitz eingenommen hatte. Als sie jedoch die Stadt hinter sich hatten, forderte er sie auf, sich neben ihn zu setzen. Es geschah dies mit einer Miene, die jeden Widerspruch abschnitt. Dann sagte er, als sie an seiner Seite saß:

»Señorita, ich ergreife die gegenwärtige Gelegenheit, Ihnen mitzuteilen, daß Sie sich meine vollständige Zufriedenheit erworben haben.« – »Das ist das Ziel, wonach ich strebe«, antwortete sie. – »Sie haben es verstanden, sich das Herz Ihrer Schülerin zu erobern«, fuhr er fort, »das ist bereits sehr viel. Vielleicht erringen Sie noch mehr, indem Sie machen, daß auch noch andere Herzen für Sie schlagen.«

Er wollte bei diesen Worten ihre Hand ergreifen und sie an seine Lippen drücken. Da rief die Gouvernante dem Kutscher zu und befahl ihm, sofort umzukehren.

Der Kutscher gehorchte, da er glaubte, daß die Gouvernante auf Befehl des Herzogs handle. Dieser letztere jedoch zog die Stirn in Falten, strich sich zornig den dichten Bart und meinte streng:

»Sie vergessen, was Sie sind!«

Sie lächelte ruhig und überlegen und antwortete:

»Ich glaube gerade im Gegenteil bewiesen zu haben, daß ich weiß, was ich bin. Aber, Exzellenz, ich sehe nicht ein, daß wir einen Wortwechsel nötig haben. Es ist mir die Erziehung von Prinzeß Flora übergeben worden, und ich werde meine Schuldigkeit tun, nicht weniger, aber auch nicht mehr.«

Sie schwieg, und auch er sagte kein Wort mehr. Aber als sie ausstiegen und dann auseinandergingen, traf sie aus seinem Auge ein Blick, der sie erbeben ließ.

Er war kaum auf seinem Zimmer angekommen, so ließ er den Haushofmeister rufen.

»Hast du dich nach dem Zaubertrank erkundigt?« fragte er erregt – »Ich habe allerdings Erkundigungen angestellt ...« – »Nun?« – »Es wird möglich sein, das Mittel herbeizuschaffen, aber das ist sehr teuer.« – »Sein Preis?« – »Fünfzig Duros.« – »Spitzbube.« – »Ich bekomme es nicht anders.« – »Von wem?« – »Von einer alten Zigeunerin.« – »Kann ich es heute haben?« – »Nein, so schnell nicht. Morgen, eine Stunde nach Verlauf der Dämmerung.« – »Gut, so verlasse ich mich darauf. Die fünfzig Duros sollst du haben, obgleich ich weiß, daß du nicht fünf bezahlst.«


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