Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10. Kapitel.

»In deiner Liebe ruht mein Glauben,
Ruht all mein inniges Vertrau'n,
Will das Geschick dich mir auch rauben,
Ich werde doch den Himmel schau'n.

In deiner Liebe ruht mein Hoffen,
Ruht meiner Zukunft Heil und Licht.
Steht solch ein Paradies mir offen,
So tret' ich ein und zaud're nicht.

In deiner Liebe ruht mein Leben,
Ruht meine ganze Seligkeit.
O laß, o laß nach dir mich streben,
Und sei mein Eigen allezeit!«

Die Anwesenheit der beiden Gäste brachte in das einsame Leben auf Rodriganda etwas mehr Bewegung und Abwechslung.

Was den Grafen Emanuel betraf, so freute er sich, wenn die jungen Leute auf eine halbe Stunde sein Krankenzimmer teilten, um ihn zu erheitern. Er fühlte sich auf eine ganz unerklärliche Weise zu dem Leutnant hingezogen; auch das stille, sinnige Wesen der Engländerin mutete ihn sympathisch an, und der Umgang mit solchen Personen konnte gar nicht anders als von vorteilhafter Wirkung auf seinen angegriffenen Zustand sein.

Da die drei Ärzte Rodriganda verlassen hatten, so befand er sich unter der alleinigen Behandlung Sternaus, und die Kunst desselben hatte solche Erfolge, daß der Arzt bereits nach einigen Tagen erklärte, daß der Stein entfernt sei. Nachdem der angegriffene Körper sich gekräftigt habe, könne man daran denken, sich auch mit den erblindeten Augen zu beschäftigen.

Das war eine Botschaft, die alle Bewohner des Schlosses in Freude versetzte – die beiden Frommen und Alfonzo ausgenommen, die äußerlich Freude zeigten, innerlich aber zürnten und miteinander Pläne schmiedeten, die Heilung zu verhindern.

Es war eigentümlich, daß die regelmäßig im Park unternommenen Spaziergänge stets zu vieren begonnen wurden und doch zu zweien endeten. Wahrend der Graf auf der Veranda die balsamische Luft genoß, lustwandelten die anderen zwischen Blumen. Da fand sich dann stets der Arzt zu Rosa und der Leutnant zu Amy, ein Umstand, dessen sogar der Graf mit einem liebenswürdigen Scherz gedachte. Mariano fühlte, daß die Liebe mächtig in ihm emporflammte, so daß er sie unmöglich bewältigen konnte, und Amy sah in dem ritterlichen Jüngling die Verwirklichung ihres Ideales, ohne weiter und tiefer über die Gefühle nachzudenken, die ihr Herz beseelten.

So verging über eine Woche, ohne daß irgendein Ereignis von außen her das Stilleben unterbrochen hätte. Man las, man promenierte, man fuhr zuweilen aus, man musizierte, und überall zeigte sich Mariano als ein vollendeter Kavalier. Nur bei der Musik schloß er sich von jeder Beteiligung aus. Er gestand aufrichtig, daß er nicht Klavier spielen könne.

Es war eines Abends, zur Zeit der Dämmerung, der Arzt befand sich bei dem Grafen in dessen Zimmer, Rosa war mit dem Bruder ausgefahren, und der Leutnant hatte wieder, wie oft, in der Galerie vor dem Bild gestanden, das ihm so ähnlich war, da trat er aus der Galerie in die an dieselbe stoßende Bibliothek, in der es bereits ziemlich dunkel war, so daß er nicht bemerkte, daß Amy sich dort befand.

Sie hatte, in einer Fensternische sitzend, vorher in einem Buch gelesen und genoß jetzt die stille Dunkelstunde in jenem Hinträumen, für welche die Dämmerung so sehr geeignet ist. Als sie ihn eintreten hörte, verhielt sie sich ruhig, weil sie glaubte, daß er nur hindurchzugehen beabsichtige. Er aber tat dies nicht, sondern trat an eins der anderen Fenster und blickte hinaus in die Landschaft, von der das scheidende Tageslicht Abschied nahm.

So vergingen einige Minuten in tiefer Stille, dann wandte er sich um, vielleicht um zu gehen, und sein Blick fiel dabei auf eine spanische Gitarre, die in der Nähe des Fensters an der Wand hing. Er nahm sie herab und fand, daß sie gestimmt sei. Rosa liebte dieses Instrument und hatte es am Nachmittag gespielt Er griff einige Akkorde und begann endlich einen spanischen Tanz, bei dessen rauschenden Klängen sich Amy unwillkürlich erhob.

Die Gitarre ist in Spanien ein sehr beliebtes Instrument; sie ist fast in jeder Familie zu finden, und man trifft nicht selten Leute, die eine wirkliche Virtuosität darauf erlangt haben. Auch Amy hatte solche Spieler gehört, so aber, wie der Leutnant, hatte noch keiner gespielt. Darum schlug sie, als das Spiel zu Ende war, die Hände zusammen und rief:

»Bravo! Señor! Das war ja ein Meisterstück! Und Sie sagen, daß Sie nicht spielen können!«

Er war anfangs erschrocken, trat aber doch näher und erwiderte:

»Ah, Señorita, ich wußte nicht, daß Sie anwesend waren. Übrigens habe ich nur gesagt, daß ich nicht Klavier zu spielen verstehe.« – »Aber warum ließen Sie uns nicht wissen, daß Sie ein solcher Künstler auf der Gitarre sind?« – »Weil ich meine eigene Ansicht über die Musik habe.« – »Und welche Ansicht ist dies, Señor?« – »Die Musik ist vorzugsweise die Kunst des Gefühls, des Herzens, und niemand gibt seine Gefühle gern der Öffentlichkeit preis. Ich kann ein Konzert anhören und mich daran erfreuen, aber ich kann nicht meine eigenen Gedanken spielen, um sie hören zu lassen.« – »So sprechen Sie von Ihren eigenen Kompositionen?« – »Ich habe niemals den Namen einer Note lernen mögen. Ich spiele, was mir meine eigene Phantasie eingibt, und das spiele ich nur für mich und nicht für andere.« – »Oh, Sie sind egoistisch. Singen Sie auch?« – »Ja. Was mir der Augenblick eingibt.« – »Sie sind also ein Improvisator! Und niemand darf Sie hören?« – »Gar niemand.« – »Auch – ich nicht, Señor?«

Er schwieg. Da trat sie nahe an ihn heran, legte ihm das kleine Händchen auf den Arm und versetzte:

»Ich möchte Ihnen etwas sagen, was ich sonst keinem sagen würde.« – »Bitte, sprechen Sie!«

Sie zögerte einige Augenblicke und entgegnete mit leiser Stimme:

»Sie können alles, Sie wissen alles; ich habe Sie beobachtet und bin stolz auf Sie gewesen. Aber eine Lücke fand ich doch, und das hat – ja, das hat mich geärgert.« – »Welche Lücke ist das, Señorita?« fragte er lächelnd. – »Sie waren nicht musikalisch. Ein Mann ohne Sinn für Töne kann kein Herz, kein Gemüt haben. Das ist es, was mich ärgerte. Ich wollte Sie so gern fehlerfrei sehen. Und nun ich jetzt bemerkte, daß ich mich geirrt habe, sagen Sie, daß niemand, gar niemand Sie hören dürfe! Señor, lassen Sie mich Ihre Vertraute sein, lassen Sie mich in dem Bild, das ich von Ihnen habe, jene Lücke ausfüllen, die mich so schmerzte!«

Mariano hätte bei diesen Worten laut aufjubeln mögen. Sie gestand ihm, daß sie sich so viel mit seinem Bild beschäftige; es hatte sie geärgert und geschmerzt, daß es etwas geben sollte, worin ihm andere überlegen seien; das machte ihn so glücklich, daß er antwortete:

»Nun wohl, Señorita, ich werde Ihnen etwas vorsingen. Aber was?« – »Was singen Sie am liebsten?« – »Nichts und alles. Ich lerne niemals ein Lied; ich improvisiere nur.« – »Nun, so singen Sie ein – Liebeslied.« – »Dann aber bin ich ja gezwungen, mir eine Dame zu denken, der ich diese Liebe und dieses Lied widme!« – »Natürlich!« meinte sie in heiterem Ton. – »Aber wenn ich nun keine solche Dame kenne?« – »Gibt es wirklich keine, der Sie ein Lied widmen könnten, Señor?«

Er schwieg eine Weile, endlich antwortete er:

»Ja, es gibt eine, und an diese will ich jetzt denken, wenn ich singe.«

Damit führte er sie zu dem Sessel, auf dem sie vorhin gesessen hatte, und schritt ganz in den Hintergrund des Raumes zurück, wo er sich auf einen Diwan niederließ. Dort herrschte bereits ein solches Dunkel, daß sie ihn nicht erkennen konnte.

Es verging eine Weile, und sie ahnte, daß er jetzt an keine andere, als nur an sie allein denke. Nun hörte sie die Saiten klingen, leise und mild, dann stärker, in einzelnen Akkorden und Tönen, die sich suchten und schließlich zu einer Melodie zusammenfanden. Und jetzt hörte sie seine Stimme:

»In deiner Liebe ruht mein Glauben,
Ruht all mein inniges Vertrau'n.
Will das Geschick dich mir auch rauben,
Ich werde doch den Himmel schau'n,
In welchem deines Auges Sonne
Mich grüßt so klar, so hell, so rein,
Voll Prophezeiung süßer Wonne,
Daß du mein Eigen werdest sein.«

Als der erste Ton seines Liedes erschollen war, war Amy erschrocken zusammengezuckt. Das klang ja so süß, so unbeschreiblich mild, das konnte unmöglich die Stimme eines Mannes sein! So blieb es während des ganzes Verses. Nun aber leitete ein kurzes Zwischenspiel nach Moll hinüber, und es erklang lauter und bewegter die nächste Strophe:

»In deiner Liebe ruht mein Hoffen,
Ruht meiner Zukunft Heil und Licht.
Steht solch ein Paradies mir offen,
So tret' ich ein und zaud're nicht.
Das Leid und Weh vergang'ner Zeiten
Sinkt in Vergessenheit zurück.
Und Gottes Segen wird uns leiten
Zu dieses Lebens höchstem Glück.«

Jetzt leitete ein abermaliges Zwischenspiel nach der Durtonart zurück, die Akkorde wurden voller und kräftiger, die Melodie setzte sich aus festen, sicheren Tonmotiven zusammen, und auch die Stimme des Sängers erklang im vollen Brustton:

»In deiner Liebe ruht mein Leben,
Ruht meine ganze Seligkeit!
O laß, o laß nach dir mich streben,
Und sei mein Eigen allezeit.
Trau meines Herzens sich'rem Schlage
Und meines Pulses heil'ger Macht,
Du bist die Sonne meiner Tage,
Und ohne dich ist's um mich Nacht!«

Das Lied war verklungen, und lange Zeit herrschte in dem jetzt dunklen Raum das tiefste Schweigen. Dann aber kam Mariano langsam aus dem Hintergrund herbei, um das Instrument an seinen Platz zu hängen.

»Ist nun die böse Lücke verschwunden, Señorita?« fragte er. – »Oh, vollständig!« meinte sie. »Und dieses Lied gab es vorher nicht? Dieses Lied haben Sie erst jetzt gedichtet und improvisiert?« – »Ja.« – »Und die Melodie auch?« – »Ebenso.« – »Aber, Señor, da sind Sie ja ein wirklicher, ein wahrhaftiger Dichter! Darf ich nun nur eins noch erfahren? An wen war das Lied gerichtet?« – »An – Sie!«

Kaum war das Wort verklungen, so fühlte sie sich von ihm umschlungen, und er zog sie an sich, legte ihr die Hand auf das schöne Köpfchen und sagte:

»Gott segne Sie, Miß Amy! Ich liebe Sie unendlich, aber ich darf jetzt noch nicht davon sprechen. Doch später werde ich Sie in Mexiko oder in jedem anderen Winkel der Erde aufsuchen, um mir das Glück zu holen, das ich nur bei Ihnen finden kann!«

Ein langer, inniger Kuß glühte auf ihren Lippen, die sich nicht sträubten, und dann verließ er die Bibliothek. Sie hörte seine verhallenden Schritte und sank in den Stuhl, wo sie noch lange saß, vor Glück und Freude weinend und die glühenden Wangen in den Händen verbergend.

Später hörte sie das Rasseln eines Wagens. Rosa kehrte mit ihrem Bruder zurück. Sie hatten unterwegs den Briefboten gefunden und von ihm mehrere Briefe und Zeitungen erhalten. Diese wurden an die Adressaten verteilt. Auch an den Advokaten fand sich ein Schreiben vor. Es trug den Poststempel Barcelona und lautete:

»Señor!

Soeben bin ich mit meiner ›Pendola‹ hier eingelaufen. Die Reise hat viel Geld gebracht. Ich erwarte Euch baldigst, denn ich möchte die Jahreszeit benutzen und bald wieder in See stechen.

Henrico Landola,
Seekapitän.«

Dieser Brief brachte einen sehr freudigen Eindruck auf den Advokaten hervor. Er ging sofort zu seiner Verbündeten, der Stiftsdame, und rief, als er kaum die Tür hinter sich geschlossen hatte:

»Clarissa, eine frohe Nachricht!«

Sie erhob sich aus der Chaiselongue, in der sie gesessen hatte, und meinte:

»Froh? Das läßt sich hören. Wir haben lange Zeit hindurch nur lauter Betrübnis erfahren müssen. Was ist es, was du bringst?« – »Landola ist da!« – »Der Seekapitän?« – »Ja, er ist glücklich in Barcelona eingelaufen und meldet mir, daß er gute Geschäfte gemacht habe.« – »Hat er auch Mexiko angelaufen?« – »Jedenfalls.« – »Er war in Afrika?« – »Ja, wie vorher.« – »Hat er vielleicht diesen alten Don Ferdinando de Rodriganda getroffen, den wir sterben ließen, damit Alfonzo ihn beerben konnte?« – »Ich weiß es nicht; ich werde es erst erfahren, wenn ich mit ihm spreche.« – »So gehst du nach Barcelona?« – »Nein, ich werde den Kapitän benachrichtigen, nach Rodriganda zu kommen. Unsere Stellung hier ist jetzt so sehr gefährdet, daß ich keinen Tag abkommen kann. Übrigens habe ich auch bereits das Zeichen erhalten, daß der Capitano hier ist. Er will mit mir sprechen.« – »Wann?« – »Wie gewöhnlich, gerade um Mitternacht.« – »Ah«, rief da die Stiftsdame, »da kommt mir ein Gedanke. Wir können jetzt erfahren, ob dieser Leutnant zu dem Capitano in Beziehung steht. Gehört er zu den Briganten, so wird der Capitano die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, mit ihm zu sprechen. Wir müssen ihn beobachten, ob er heute noch nach dem Park geht.« – »Das ist richtig! Dieser Einfall ist ganz vortrefflich!« – »Nicht wahr? Gott sorgt dafür, daß die Seinen nicht zu Schanden werden. Gehe hinab, mein Freund, und sieh nach, wo der Leutnant ist.« – »Ich werde zunächst nach seinem Diener sehen, denn es läßt sich ja denken, daß der Capitano sich an diesen wenden wird und nicht direkt an den Leutnant, was doch auffällig sein könnte.«

Cortejo ging und konnte keinen besseren Augenblick gewählt haben, denn gerade als er die Treppe niederstieg, kam der Husar sehr eilfertig dieselbe empor und verschwand in dem Zimmer des Leutnants.

»Ah, das ist genug«, murmelte der Advokat. »So einen Eifer legt man nur bei etwas Ungewöhnlichem an den Tag. Ich werde mich fortschleichen und aufpassen.«

Er trat durch das Portal und schritt die von zwei großen Laternen erleuchtete Freitreppe hinab. Zu beiden Seiten derselben gab es dichte Bosketts, in denen sich ein Mensch sehr leicht verbergen konnte. Gasparino Cortejo kroch zwischen die Büsche hinein und legte sich lang zur Erde nieder, so daß er nicht gesehen werden konnte.

Von hier aus war es ihm leicht, jede Person zu erkennen, die das Schloß nach derjenigen Seite, auf der der Park und der Wald lagen, verließ.


 << zurück weiter >>