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34. Kapitel.

Als Sternau durch das Vorwerk schritt, saß der Steuermann auf der bereits erwähnten Bank des Hofes. Den Doktor erblickend, erhob er sich und zog grüßend den Südwester, den er auch dann zu tragen pflegte, wenn er sich in der Heimat befand. Sternau dankte durch das Abnehmen seines Hutes und blieb stehen, da er merkte, daß der andere mit ihm zu sprechen beabsichtigte.

»Verzeihung! Sind Sie der Doktor Sternau?« fragte Helmers. – »Ja«, lautete die Antwort. – »Haben Sie Zeit zu einer Mitteilung, die ich Ihnen notwendigerweise machen muß?« – »Ja. Sie sind gewiß der Steuermann Helmers, der Vater unseres kleinen Kurt?« – »Sie haben es erraten, Herr Doktor. Ich bin erst vor ganz kurzer Zeit hier angekommen.« – »Ist Ihre Angelegenheit eine ärztliche?« – »Nein. Sie betrifft Ihren Aufenthalt und Ihre Erlebnisse in Spanien!« – »Ah!« sagte Sternau verwundert. »Waren Sie in Spanien?« – »Nein, aber ich habe während meiner letzten Seereise zufälligerweise einiges erfahren, was Sie interessieren wird, wie ich annehmen muß.« – »Sie machen mich wirklich neugierig! Ich wollte jetzt einen kleinen Spaziergang machen, um mich zu erholen, aber wir haben ja hier frische Luft genug. Setzen wir uns also auf diese Bank.«

Sie nahmen beide nebeneinander Platz, und der Steuermann begann zu erzählen. Je weiter er in seinem Bericht kam, desto größer wurde die Aufmerksamkeit, mit der Sternau ihm zuhörte. Endlich sprang dieser auf und rief erregt:

»Herr, Sie glauben gar nicht, wie wichtig mir Ihre Mitteilungen sind. Also Sie sagten, daß sich wirklich ein Gefangener im Raum jenes Piratenschiffs befand?« – »Ja.« – »Daß dieser aus Rodriganda entfuhrt worden sei?« – »Ja.« – »Und daß ein gewisser Gasparino Cortejo seine Hand dabei im Spiel gehabt habe?« – »Ja.« – »Wie nannte man den Kapitän des Schiffs?« – »Henrico Landola. Sein Schiff ist ›La Pendola‹, was zu deutsche ›die Feder‹ heißt. Das Schiff hatte eine Maske angelegt. Ich wette um mein Leben, daß die ›Pendola' nichts anderes ist als das Raubschiff ›Lion‹, das die afrikanischen und ostamerikanischen Meere unsicher macht.« – »Mein Gott dann wäre ja dieser Henrico Landola kein anderer als Kapitän Grandeprise?« – »Gewiß, Herr Doktor. Es sollte mich freuen, wenn meine Mitteilungen Ihnen von einigem Nutzen sein könnten.« – »Von einigem Nutzen, sagen Sie? Oh, nicht bloß das, sondern von einer ganz außerordentlichen Wichtigkeit sind sie mir!« antwortete Sternau. Und dann fügte er nachsinnend hinzu: »Das stimmt ja ganz genau mit dem zusammen, war mir Garbilot im Gefängnis gesagt hat!« – »Garbilot?« fragte Helmers. »Jacques Garbilot vielleicht?« – »Ja. Kennen Sie ihn, Steuermann?« – »Oh, sehr gut. Er war ein tüchtiger Kerl. Als ich Schiffsjunge auf dem ›Entrebras‹ war, führte er als Matelot dieses Schiff. Später trafen wir wieder auf dem ›Country‹ zusammen. Dann ging er ab, man hörte sagen, daß er auf die schlimme Seite gefallen und unter die Piraten gegangen sei. Es sollte mir leid tun, wenn dies wahr gewesen wäre.« – »Es ist wahr gewesen, er hat es mir in seiner Todesstunde gestanden. Ich habe seine Beichte gehört, denn er befand sich mit mir in einer Gefängniszelle, in der er in meiner Gegenwart gestorben ist. Ich bin Ihnen sehr viel Dank schuldig für das, was Sie mir heute gesagt haben. Wissen Sie nicht wohin die ›Pendola‹ von Madeira aus gegangen ist?« – »Ich hörte, daß sie an Kapstadt anlegen wolle, aber bei einem Piraten darf man solche Angaben leicht bezweifeln. Sie werden ja wissen, daß diese Art von Schiffen keinen bestimmten Kurs einhält. Ein Seeräuber fährt nur dahin, wo er eine Beute erwarten kann.« – »Wäre es denn nicht von hier aus zu erfahren, wo die ›Pendola‹ angelegt hat oder gesehen worden ist?« – »O ja, aber eine solche Erkundigung ist mit bedeutenden Geldkosten verknüpft. Wenden Sie sich an das Auswärtige Amt nach Berlin und lassen Sie von dort aus bei den Konsuln anfragen. Sie werden Nachricht erhalten, obgleich eine ziemliche Zeit bis dahin vergehen wird.« – »Wenn ich nun bitte, diese Anfragen auf telegrafischem Weg zu tun?« – »So wird es schneller gehen, aber auch mehr Kosten verursachen. Aber ich setze den Fall, daß Sie erfahren, in welcher See sich die ›Pendola‹ befindet, was kann es Ihnen dann helfen?« – »Ich werde dieses Raubschiff aufsuchen.« – »Weshalb?« – »Um den Gefangenen zu befreien!« – »Ist Ihnen seine Freiheit so wertvoll?« – »Von ungeheurem Wert! Vielleicht erzähle ich Ihnen den Fall später ausführlich. Sagen Sie einmal: Stehen Sie jetzt im Engagement?« – »Nein.« – »Getrauen Sie sich, ein Schiff zu führen?« – »Das versteht sich!« – »Vielleicht eine kleine Dampfjacht?« – »Ja, wenn ich einen guten, zuverlässigen Maschinisten im Raum habe.« – »Würde es eine solche Jacht mit der ›Pendola‹ auf offener See aufnehmen können?« – »Alle Teufel, das ist keine leichte Frage! Sie müßte allerdings einige sehr brave Geschütze haben, fest gebaut sein und mit tapferen Jungs bemannt werden, die gut zu bewaffnen wären.« – »Also für möglich halten Sie es?« – »Unter den angegebenen Bedingungen, ja.« – »Wie teuer würde eine solche Jacht sein?« – »Hundertzwanzigtausend Mark ohne die Ausrüstung.« – »Könnte man eine gebrauchte zu kaufen bekommen?« – »Hm, wohl schwerlich. Dergleichen Fahrzeuge werden nur zum Privatgebrauch gebaut. Es sind Vergnügungsschiffe für Millionäre, und für so einen Geldmenschen wäre es geradezu eine Schande, seine Jacht zu verkaufen. Übrigens würde ein gebrauchtes Fahrzeug für Ihren Zweck wohl kaum etwas taugen. Sie müssen sich einen guten Seefisch nach Ihren eigenen Angaben bauen lassen. Auch die Ausrüstung würde nach diesen Angaben hergestellt werden müssen.« – »Wo baut man am besten?« – »Ich würde für die berühmten Werften zu Greenock am Clyde stimmen.« – »Also in Schottland!« – »Ja. Sie müßten in eigener Person hinreisen.« – Aber ich verstehe mich auf dieses Fach nicht gut genug. Hätten Sie Lust, mich zu begleiten im Fall, daß ich mich entschließe, Ihren Rat auszuführen?« – »Von Herzen gern, Herr Doktor!« – »Nun gut, so werde ich es mir überlegen. Meine Schwester, die Ihre Frau sehr lieb hat, fragte mich, ob ich nicht geneigt sei, Ihnen eine Summe vorzuschießen, die Sie in den Stand setzte, sich zur See selbständig zu machen. Bestelle ich mir eine Jacht, so sind Sie zwar nicht der Besitzer, aber doch der Kommandant derselben, und erreichen wir unseren Zweck, so werde ich gern bereit sein, auch weiter für Sie zu sorgen. Jetzt will ich noch ein wenig nach dem Wald gehen. Was Sie mir mitgeteilt haben, ist so ausführlich, daß ich der Einsamkeit bedarf, um es mir zurechtzulegen. Guten Abend, Steuermann!« – »Guten Abend, Herr Doktor!«

Die Herren reichten einander die Hände und trennten sich. Ein jeder von ihnen hatte die Überzeugung, daß ihre Schicksale von jetzt an, wenigstens für einige Zeit, miteinander verbunden seien.

Es war wohl mehr als eine Stunde vergangen, als Sternau wieder zurückkehrte. Als er in das Krankenzimmer trat, fand er Rosa unter strömenden Tränen noch im Bett sitzend. Die Kastellanin saß bei ihr und weinte mit. Seine Mutter hatte ihren Platz am Fenster inne und kam bei seinem Eintritt sehr eilfertig auf ihn zu. Es mußte etwas ihr Unangenehmes geschehen sein. – »Wie gut, daß du kommst, Karl!« sagte sie. »Ich kann nicht Spanisch verstehen, aber ich vermute, daß Frau Elvira geschwatzt hat. Sie sprachen sehr viel und sehr lange miteinander, und ich vermochte es nicht, sie durch meine Bitten zum Schweigen zu bringen!«

Sternau wandte sich mit besorgten Blicken zu Rosa, diese aber bat ihn mit bewegter Stimme:

»Zürne uns nicht, mein Carlos! Die gute Elvira erzählte mir einiges, und da konnte ich es nicht länger aushalten, ich habe ihr alles abgefragt« – »Aber, mein Gott, das muß dir heute ja unendlich schädlich sein!« sagte er. – »Nein«, antwortete sie. »Die Gewißheit greift mich nicht so sehr an wie die Besorgnis, die ich vorher empfand.« – »So fühlst du dich nicht angegriffener als vorher?« – »Nein. Oh, ich bin stark, nachdem ich erfahren habe, was du gelitten hast, du sollst dich meiner nicht zu schämen haben. Ich werde mich bemühen, deiner wert zu sein. Mein Gott, mein guter Gott, so bin ich also wahnsinnig gewesen! Wirklich?« – »Ja, wahnsinnig infolge eines Gifts.« – »Welches mir Cortejo gab?« – »Ich vermute es.« – »Es war dasselbe Gift, das mein Vater erhielt?« – »Ja.« – »Wo befindet er sich? Du sagtest, daß er noch lebe.« – »Beruhige dich, mein Herz! Ich werde dir erzählen. Ich glaube nicht, daß unsere Elvira dir alles so sagen könnte, wie es eigentlich zu berichten ist. Da du einmal einiges weißt, sollst du nun auch alles erfahren, denn ich sehe, daß du wirklich stark genug bist, die Wahrheit zu hören.«

Sternau nahm bei Rosa Platz, und nun wurde der Abend der Besprechung jener Ereignisse gewidmet, die von so großem Einfluß auf das Schicksal der Familie de Rodriganda gewesen waren.

Am anderen Morgen, als Rosa vom Schlaf erwachte, fühlte sie sich so gekräftigt, daß sie aufstand und sich von Elvira ankleiden ließ; dann erlaubte sie Alimpo, zu ihr zu kommen.

Als derselbe in ihr Zimmer trat, stand sie inmitten desselben im Morgenkleid ebenso frisch und schön da, wie er sie auf Rodriganda gesehen hatte. Er eilte auf sie zu, sank vor Rührung vor ihr nieder und zog ihre beiden Hände an seine Lippen.

»Oh meine liebe, liebe, gnädige Condesa«, rief er mit überströmenden Tränen, »wie danke ich Gott, daß Sie gerettet sind!« – »Ich danke ihm nicht minder, daß ich nun wieder mit euch sprechen kann«, antwortete sie. – »Daran ist nur Señor Sternau schuld; nur er allein hat Euch wieder gesund gemacht!« – »Ich weiß es. Er hat mir auch erzählt, was ihr für ihn und mich getan habt. Habe Dank dafür, du Treuer du!« – »Oh, das ist nichts, das ist gar nichts«, versicherte er. »Wir würden Euch folgen bis an das äußerste Ende der Erde. Meine Elvira sagt das auch.« – »Ich werde nachsinnen, ob ich euch diese Aufopferung ein wenig vergelten kann. Aber, willst du nicht einmal zu Señor Sternau gehen und ihn fragen, ob ich einige Minuten lang Spazierengehen darf!« – »Sogleich, sogleich! Oh, unsere Condesa kann wieder sprechen und spazierengehen!«

Mit diesem Freudenruf sprang Alimpo in höchster Eilfertigkeit zur Tür hinaus und brachte bereits nach zwei Minuten den Arzt herein, der sich freute, die Patientin so wohlauf zu sehen, und ihr infolgedessen den Spaziergang unter seiner Begleitung erlaubte.


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