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32. Kapitel.

Indem Cortejo noch so nachsann, hörte er in französischer Sprache die Worte:

»Immer toll, Rappe! Laß doch den Braunen gehen!«

Ein Franzose. Ah, das war gefährlich! Die Hoffnung Cortejos fiel wieder bis Null herab. Aber einige Zeit darauf erklang es abermals:

»Nur hinein ins Wasser! Drüben ist unsere Hütte und besseres Futter!«

Unsere Hütte? Der Mann wohnte also drüben am texanischen Ufer. Er war kein Feind, kein Franzose, kein Mexikaner. Cortejo beschloß, es zu wagen.

»Hallo!« rief er.

Es blieb alles ruhig, außer daß Cortejo es im Wasser plätschern hörte.

»Hallo!« wiederholte er dieses Mal lauter.

Und da ließ sich auch eine Antwort hören:

»Hallo! Wer ruft denn da am Land?« – »Ein Verunglückter, der Hilfe sucht!« – »Ein Verunglückter? Da darf man nicht zögern. Wo stecken Sie?« – »Hier!« – »Ja, wo ist das ›Hier‹? Geben Sie mir den Baum oder Strauch an; ich schwimme nämlich mit den Pferden im Wasser.« – »Ich kann das nicht angeben, denn ich bin blind.« – »Donnerwetter! Blind in dieser Wildnis? Das ist schlimm! Aber ich komme bereits. Rufen Sie noch einmal, damit ich mich nach Ihrer Stimme richten kann.« – »Hallo! Hallo!« – »Gut, jetzt weiß ich es. Na, Rappe, nimm wieder Land. Wir schwimmen später.«

Cortejo hörte ein Gestampfe von Hufen und die Tritte der Tiere, die sich ihm näherten. Dann sprang neben ihm ein Mann zu Boden.

»Mein Gott, Señor, wie sehen Sie aus?« rief derselbe. – »Schlecht, nicht wahr?« – »Zum Erbarmen! Wer sind Sie?« – »Davon später. Sagen Sie mir zunächst, wer Sie sind!« – »Eigentlich hätte ich das Recht, auf die Beantwortung meiner Frage zu dringen, da ich es bin, der Ihnen zu Hilfe kommt.« – »Sie haben recht. Aber ich kann nicht sehen, ich muß doppelt vorsichtig sein.« – »Gut, ich will das gelten lassen. Ich bin ein Jäger von drüben herüber.« – »Ein Texaner?« – Ja.« – »Wohl ein Yankee?« – Ja, aber französischer Abstammung.« – »Woher kommen Sie?« – »Von Coahuila.« – »Ah! Welcher Parteirichtung gehören Sie an?« – »Gar keiner.« – »Sie sagen die Wahrheit?« – »Ja, was kümmern mich die Parteihändel! Ich bin Mann für mich.« – »Wie heißen Sie?« – »Grandeprise.« – »Grandeprise? Ah, das ist ein höchst eigentümlicher Name.« – »Wenigstens ist er selten.« – »Und dennoch habe ich ihn bereits an verschiedenen Orten gehört. Haben Sie Verwandte?«

Das war dem Mann denn zu viel.

»Hört, Señor«, sagte er, »Sie scheinen wahrhaftig aus lauter Fragen zusammengesetzt zu sein. Ich denke aber, es würde besser sein, wir sähen einmal nach Ihren Augen, als daß wir uns mit solchen müßigen Erkundigungen beschäftigen.« – »Verzeihung, Señor Grandeprise! Sie haben recht. Sehen Sie mich einmal an.«

Der Mann bog sich zu ihm herab und erwiderte:

»Sagen Sie mir doch um Gottes willen, wie Sie zu dieser Blessur gekommen sind.« – »Man hat es förmlich darauf abgesehen, mich des Augenlichtes zu berauben.« – »Aber warum?« – »Aus politischer Mißgunst. Haben Sie einmal den Namen Cortejo gehört?« – »Ja. Sie meinen doch den sonderbaren Kerl, der das Bild seiner Tochter in alle Welt verschickt, weil er gedenkt, dadurch Präsident von Mexiko zu werden.« – »Ja, den meine ich. Was halten Sie von ihm?« – »Daß er der größte Esel ist, den es nur geben kann. Er wird überall ausgelacht«

Diese Worte gaben Cortejo einen Stich durch die Seele. Also hatte er so große Opfer gebracht, nur um sich unsterblich zu blamieren.

»Wissen Sie vielleicht, wo er sich befindet?« fragte er. – »Nein. Mir ist es ganz gleich, wo solche Kerle stecken. Wäre ich nicht ganz zufälligerweise Juarez begegnet, so wüßte ich auch nicht, wo er ist.« – »Ah, Sie sind Juarez begegnet! Wann?« – »Vor ganz kurzer Zeit hier im Wald.«

Das konnte Cortejo nicht glauben.

»Das ist ja unmöglich!« sagte er. »Wie sollte Juarez hier in den Wald kommen?« – »Wie? Nun, sehr einfach: zu Pferde. Ich habe sogar mit ihm gesprochen.« – »Aber er ist ja in Paso del Norte.« – »Wer sagt Ihnen denn das?« – »Einer, der es sehr genau weiß. Ein Engländer, der zu ihm will.« – »Ein Engländer, hm, wo haben Sie den getroffen?« – »Gestern nachmittag, hier am Fluß.« – »Alle Wetter! Es wird doch nicht etwa ... Beschreiben Sie ihn mir einmal.« – »Ein hagerer, langer Mann mit einer ungeheuren Nase, einem grauen Anzug, Regenschirm, Zylinderhut und außerdem mit einem Zwicker auf der Nase.« – »Ah, das war ein Engländer? Da irren Sie sich nun allerdings gewaltig.« – »Wer sollte es denn sein?« – »Das war Geierschnabel, der Jäger und Pfadfinder, aber kein Engländer.« – »Geierschnabel? Ich dächte, von diesem Manne hätte ich schon einmal sprechen gehört.« – »Er ist berühmt hier an der ganzen Grenze herum. Aber ich sage Ihnen noch einmal, wir wollen erst nach Ihren Augen sehen, dann können wir weitersprechen. Es wird notwendig sein, Sie zu verbinden. Haben Sie kein Tuch oder so etwas bei sich?« – »Ich hatte eins, aber es ist mir verloren gegangen.« – »Nun, so kann ich Ihnen das meinige geben. Wie ich sehe, ist Ihr rechtes Auge vollständig fort. Das linke ist vielleicht noch zu retten. Die Lider sind so dick geschwollen, daß man den eigentlichen Augapfel gar nicht sehen kann. Ich werde Sie verbinden.«

Grandeprise ging an das Wasser, tauchte sein Tuch in dasselbe und band es Cortejo um die Augen.

»So, das mag einstweilen genügen«, sagte er. »Ich kenne das indianische Wundkraut. Wir werden es suchen und finden, und dann sollen Sie sehen, wie schnell sich die Verletzung bessern wird. Ich werde Sie auf meinem Pferd über den Fluß bringen, und Sie können die Heilung bei mir in Ruhe abwarten.« – »Das geht nicht, Señor. Ich muß unbedingt zu den Meinen.« – »Wo sind sie?« – »Ist Ihnen vielleicht die Hacienda del Erina bekannt?« – »Die dem alten Pedro Arbellez gehört? Ja; ich bin einige Male dort eingekehrt.« – »Nun, dort befinden sich die Leute, die mich erwarten.« – »So sind Sie wohl gar ein Verwandter von Pedro Arbellez?«

Cortejo getraute sich nicht, die Wahrheit einzugestehen. Er antwortete:

»Ja, Arbellez ist ein sehr naher Verwandter von mir. Sind Sie vielleicht einmal droben auf Fort Guadeloupe gewesen, Señor?« – »Ja, Señor.« – »So kennen Sie wohl den alten Wirt Pirnero dort?« – »Der nur von Schwiegersöhnen spricht? Oh, den kenne ich sehr gut.« – »Er ist mein Verwandter ebenso wie Arbellez. Auch ich heiße Pirnero. Ich komme von ihm, ich wollte nach Comancho hinab und dann nach del Erina. Nicht weit von hier aber wurde ich von einer Bande Apachen aufgefangen und so zugerichtet, wie Sie mich hier gefunden haben.« – »Diese Hunde! Es wundert mich, daß sie Sie nicht getötet haben.« – »Oh, sie hatten es noch schlimmer mit mir im Sinn. Ich sollte langsam verschmachten oder mit vollem Wissen dem elenden Tode des Ertrinkens entgegengehen. Darum setzten sie mich, nachdem sie mich blind gemacht hatten, auf ein Floß und übergaben es den Wogen. Wäre ich hier nicht an das Land getrieben worden und hätte Gott nicht Sie mir zugeführt, so wäre ich verloren gewesen.« – »Ja, Gott schützt den Gerechten, Señor; diese Erfahrung habe ich stets gemacht. Hat er mich Ihnen gesandt, so werde ich Sie auch nicht verlassen. Übrigens weiß ich gar nicht, was diese Apachen hier am unteren Fluß wollen. Auch ich bin einem Trupp von ihnen begegnet, und da waren eben jener Geierschnabel und auch Juarez dabei.«

Juarez in der Nähe, das mußte Cortejo noch besorgter machen, als er es bereits so schon war. Darum fragte er:

»Haben Sie mit ihm gesprochen?« – »Ja.« – »Wissen Sie, was er hier wollte?« – »Nein.«

Cortejo wußte das sehr gut. Es verstand sich ja von selbst, daß Juarez nur gekommen sein konnte, um mit dem Lord zusammenzutreffen. Er meinte:

»Es ist sehr zu verwundern, daß Juarez sich hierher wagen kann.« – »Zu verwundern? Weshalb denn?« – »Nun, weil die Franzosen diesen Ort besetzt halten.« – »Da irren Sie sich sehr. Sie wissen wohl noch gar nicht, daß Juarez Chihuahua und Coahuila genommen hat?« – »Kein Wort weiß ich davon.«

Das hatte Cortejo allerdings nicht erwartet. Die Sorge um seine Sicherheit verdoppelte, nein, sie verzehnfachte sich. Befanden die beiden Provinzen sich wirklich in der Hand dieses Mannes, so war es Cortejo unmöglich, sich auf del Erina zu halten.

»Sie wissen das genau, was Sie da sagen?« fragte er. – »Ich habe ja Juarez gesehen. Ich komme aus Coahuila, wo die Truppen, die er bei sich hat, bereits zu mehreren Tausenden zählen.« – »Mein Gott, wie schlimm!« entfuhr es Cortejo. – »Schlimm? Haben Sie von Juarez zu fürchten?« – »Ja. Ehe ich nach Fort Guadeloupe kam, war ich in El Paso del Norte, wo ich das Unglück hatte, mir Juarez zum Feind zu machen.« – »Wie ich ihn kenne, ist er weder rachsüchtig noch grausam.« – »Oh, es handelt sich hier nicht um Persönlichkeiten, sondern um politische Sachen.« – »Hm, so sind Sie der Anhänger einer anderen Partei?« – »Ja.« – »Dann müssen Sie sich allerdings in acht nehmen. Am besten ist es, Sie suchen einen Ort auf, der noch von den Franzosen besetzt ist.« – »Auch diese sind meine Feinde!« – »Das ist allerdings doppeltes Unglück. Aber Sie dauern mich. Was ich für Sie tun kann, das werde ich sehr gern tun.« – »Oh, wenn Sie mich nach del Erina bringen könnten.« – »Hm, das ist eine schlimme Geschichte. Der Weg ist weit, und Sie sind verwundet und blind. Auch dürfen Sie sich, wie es scheint, vor niemandem sehen lassen.« – »Ich werde Sie reich belohnen.« – »Sind Sie denn reich?« – »Ja.« – »Das läßt sich allerdings hören. Ich stehe zwar gern einem Hilfsbedürftigen bei, ohne zu fragen, was er ist, aber Sie nach der Hacienda del Erina zu bringen, das ist denn doch etwas Außergewöhnliches. Und wenn man sich etwas verdienen kann, so soll man nicht so dumm sein, es zurückzuweisen.« – »Gut! Wieviel fordern Sie, wenn Sie mich sicher und schnell nach der Hazienda bringen?« – »Wieviel bieten Sie?« – »Tausend Dollar. Ist das genug?« – »Tausend Dollar? Donnerwetter, da müssen Sie allerdings ein sehr reicher Mann sein. Ich gehe natürlich sofort darauf ein.« – »Wie lange werden wir brauchen, um hinzukommen?« – »Das läßt sich jetzt noch nicht sagen. Sind Sie ein guter Reiter?« – »Ja.« – »Nun, so kommt es noch darauf an, welche Hindernisse sich uns in den Weg legen.« – »Ich kann es nicht voraussehen. Sind Ihre Pferde gut?« – »Sie sind ganz leidlich, jetzt aber allerdings ermüdet.« – »Können wir unterwegs nicht andere bekommen?« – »Warum nicht? Pferdeherden gehören zu einer jeden Hazienda. Da können wir tauschen. Wollen wir aber ganz ehrlich sein, so kaufen wir. Ich habe so viel Geld bei mir, daß ich zwei Pferde bezahlen kann.« – »Oh, auch ich bin mit Geld versehen. Diese Apachen haben versäumt, es mir abzunehmen. Ich werde gerade so viel in Gold bei mir haben, wie ich Ihnen versprochen.« – »Das ist gut. Man weiß nicht, wann und wie man es gebrauchen kann.« – »Sie sind also bereit, mich zu geleiten?« – »Hm, was will man machen? Sie stecken in der Not, und ich helfe gern. Außerdem gibt es tausend Dollar zu verdienen. Ja, ich gehe mit.« – »Ich danke Ihnen. Erreichen wir die Hazienda glücklich, so kommt es mir auch noch auf eine besondere Gratifikation nicht an. Wann brechen wir auf?« – »Mir einerlei.« – »Sie müssen nicht erst nach Ihrer Wohnung hinüber?« – »Nein.« – »Das ist gut; ich besorge nämlich, daß diese Apachen das Ufer absuchen, um zu sehen, ob ihnen ihr Streich gelungen ist. Finden sie mich, so bin ich verloren.« – »Und ich mit, weil sie mich bei Ihnen treffen. Also sofort aufbrechen?« – »Ja.« – »Werden Sie aber bei Ihrem Zustand einen solchen Ritt vertragen können?« – »Man muß das abwarten.« – »Gut, so wollen wir auch keine Zeit verlieren. Forschen die Apachen nach, so finden sie ganz sicher unsere Fährte. Sie werden uns dann verfolgen. Darum schlage ich vor, die ganze Nacht hindurch zu reiten, damit wir einen tüchtigen Vorsprung erhalten. Morgen früh nehmen wir frische Pferde.«

Sie bestiegen die Tiere und ritten davon.

Cortejo fiel das Reiten außerordentlich schwer. Er fühlte jeden Schritt des Tieres in seinem verletzten Kopf, aber er wußte, daß in der Eile seine Rettung lag, und so biß er die Zähne zusammen und versuchte, die Schmerzen im stillen zu ertragen, was ihm allerdings nur schwer gelang.

Als sie den Urwald hinter sich und die offene Prärie vor sich hatten, sprach der Jäger, ihn mit besorgten Blicken musternd:

»Sie leiden Schmerzen, Señor Pirnero?« – Ja«, antwortete der Gefragte. – »Wollen wir ein wenig ausruhen?« – »Nein. Nur vorwärts.« – »Gut Jetzt sind wir Trab geritten, das erschüttert natürlich Ihr Gehirn. Da wir aber nun die freie Savanne vor uns haben, können wir galoppieren. Das wird Ihnen weniger weh tun.«

Grandeprise hatte recht. Cortejo konnte den Galopp viel besser vertragen. Zwar brannten ihm die Augenwunden, und er fieberte, aber bei jedem Wasser, an das sie kamen, wurde das Tuch von neuem genäßt, und kurz vor Einbruch des Abends gelang es dem Jäger, das gesuchte Wundkraut zu finden. Er steckte einen Vorrat davon zu sich und kaute einige Stengel der Blätter, um sie Cortejo auf die Verletzungen zu legen. Es währte auch gar nicht lange, so fühlte dieser die lindernde Wirkung derselben.

Sie ritten die ganze Nacht hindurch. Am Morgen waren die Pferde so ermüdet, daß sie anhalten mußten. Cortejo war so angegriffen, daß er fast aus dem Sattel fiel. Ohne das Wundkraut hätte er sich nicht halten können.

Sie lagerten an einem kleinen Buschwerk. In der Ferne waren die Gebäude einer Meierei zu sehen.

»Da drüben liegt eine Hazienda«, sagte Grandeprise. »Soll ich hinübergehen und Pferde holen, während Sie sich ausruhen?« – »Ja. Aber Señor, werden Sie auch wiederkommen?«

Nur die äußerste Angst konnte ihm diese Frage auf die Lippen legen.

»Halten Sie mich für einen Schuft?« antwortete Grandeprise. »Ich habe Ihnen mein Wort gegeben, und ich bin nicht gewohnt, es zu brechen.« – »So gehen Sie. Werden Sie die Pferde einfangen, ohne zu fragen?« – »Man könnte es wagen, aber ich meine, daß es besser ist, ich spreche mit den Leuten. Ich nehme die unsrigen mit und vertausche sie. Auf diese Weise werde ich wenig daraufzugeben haben. Die Sättel und das Zaumzeug lasse ich Ihnen hier. Das mag Sie zugleich überzeugen, daß ich sicher wiederkomme.«

Der Jäger nahm den Pferden das Lederzeug ab und ritt davon.

Cortejo fühlte sich heute bereits viel sicherer als gestern. War er ja doch der allernächsten und größten Gefahr entgangen. Auch schien es ihm, als ob er sich auf Grandeprise verlassen könne. Dieser Jäger hatte ein zwar rauhes, aber gerades und aufrichtiges Wesen. Der Kranke fiel, als der Hufschlag verklungen war und ringsum tiefe Stille herrschte, in einen Schlummer, der sehr lange gedauert haben mußte, denn als er erwachte, hörte er Hufgestampfe neben sich. Grandeprise war also bereits zurückgekehrt.

»Endlich wachen Sie auf!« sagte der Jäger, als er bemerkte, daß Cortejo sich zu regen begann. – »Habe ich lange geschlafen?« fragte dieser. – »Eine ganze Ewigkeit. Fast ist der Mittag nahe.« – »Wetter, so müssen wir aufbrechen!« – »Nur Geduld! Selbst wenn man uns verfolgen sollte, ist unser Vorsprung groß genug, um uns zu beruhigen.« – »Haben Sie Pferde?« – »Ja, ein Paar Prachttiere. Wir werden fliegen wie die Falken. Leider aber sind wir zu einem großen Umweg gezwungen.« – »Warum?« – »Denken Sie sich! Da ist in Reinosa eine Schar von über tausend Freiwilligen aus den Vereinigten Staaten gelandet. Sie wollen zu Juarez und haben alle Haziendas besetzt, die zwischen hier und Naria liegen. Wir müssen, um nicht auf sie zu treffen, bis zum Rio del Tigre hinab und um Monterney herum, so daß wir anstatt von Norden, von Osten her auf die Hazienda gelangen.« – »Das ist schlimm. Haben wir diese Leute wirklich so zu scheuen?« – »Gewiß, Señor. Kennt man Sie hierzulande persönlich?« – »Ja.« – »Nun, es ist anzunehmen, daß Juarez diesen Freischaren Truppen entgegensendet, um sie an sich zu ziehen. Unter diesen Truppen könnten Männer sein, die Sie kennen. Übrigens bestehen diese Freischaren aus lauter geschulten Jägern, die besser aufzupassen gewohnt sind als die Mexikaner. Es geht wirklich nicht anders. Ihre Sicherheit erfordert es, diesen Umweg zu machen.« – »Wieviel Zeit verlieren wir dadurch?« – »Zwei Tage.« – »Das ist viel, sehr viel! Wir müssen sofort aufbrechen.« – »Halt, nicht sofort! Ich habe Proviant mitgebracht. Wir wollen zunächst etwas essen. Sodann lege ich Ihnen neues Wundkraut auf, und dann können wir in den Sattel steigen. Wenn man im Begriff steht, volle Tage zu verlieren, so kommt es auf eine weitere halbe Stunde nicht an.«

Obgleich Cortejo sich sehr leidend fühlte, schmeckten ihm die mitgebrachten Tortillas – kleine Maiskuchen – recht gut. Der leere Magen erhielt Nahrung und hatte kaum die Arbeit des Verdauens begonnen, so war es dem Kranken, als ob eine ganz neue Kraft durch seinen Körper gehe. Dieses wohltuende Gefühl machte ihn zu einer kurzen Unterhaltung aufgelegt.

»Sie nahmen es mir gestern übel, als ich nach Ihrer Familie fragte?« begann er. – »Übelnehmen? O nein! In der Wildnis hat ein jeder das Recht, Auskunft zu verlangen, nur schien mir diese Auskunft nicht so notwendig zu sein, wie der Verband Ihrer Wunden.« – »So darf ich heute auf meine Fragen zurückkommen?« – »Ich habe nichts dagegen.« – »Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen sagte, Ihr Name sei mir bekannt?« – »Ja, ich erinnere mich.« – »Haben Sie vielleicht Verwandte, die noch leben?« – »Nein.« – Ah, so ist alles weitere Fragen nutzlos.« – »Warum?« – »Hätten Sie einen Verwandten, der Seemann ist, so würden Sie mein ...« – »Seemann?« unterbrach ihn der Jäger schnell. »Wie kommen Sie darauf?« – »Weil ich einen Seemann kenne, der Grandeprise heißt.« – »Lebt er noch?« – »Ja.« – »So ist es der nicht, den ich meine. Ich habe nämlich in Wirklichkeit einen Verwandten gehabt, der Seemann war.« – »Und auch Grandeprise hieß?« – »Nein. Er hieß anders, aber er legte sich diesen meinen Namen bei, um mich zu blamieren und um meinen moralischen Kredit zu bringen.« – »So läßt sich vermuten, daß er diesen Namen nicht mit Ehren trug?« – Allerdings. Er war Pirat – Seeräuber.« – »Donnerwetter!« rief Cortejo. »Was Sie sagen, Seeräuber?« – »Ja, Seeräuber, Sklavenhändler, alles mögliche.« – »Diente er an Bord eines Schiffes oder war er selbst Kapitän?« – »Er war Kapitän.« – »Wem gehörte das Schiff?« – »Wer weiß es.« – »Wie hieß das Schiff?« – »Der ›Lion‹ war sein Name.« – »Wirklich? Wirklich? Ah! So ist es doch der Mann, den ich meine.« – »Sie haben diesen Kapitän gekannt?« – Ja.« – »Im guten oder im bösen?« – »Wie man es nimmt«, antwortete Cortejo vorsichtigerweise. – »Hatte er nicht noch einen Beinamen?« fragte der Jäger. – »Ja. Er wurde der Schwarze Kapitän genannt« – »Wahrhaftig, Sie kennen ihn. Hatten Sie vielleicht auch eine Rechnung mit ihm auszugleichen, gerade so wie ich?«

Die Frage sagte, daß der Jäger seinem Verwandten nicht freundlich gesinnt war, darum antwortete Cortejo frisch darauflos:

»Allerdings. Diese Rechnung ist heute noch nicht ausgeglichen.« – »Verzichten Sie darauf, sie ins gleiche zu bringen. Er lebt nicht mehr.« – »Wissen Sie das genau?« – »Seine Leiche habe ich nicht gesehen, aber er ist tot. Ich habe ihm nachgeforscht wie einer nur immer kann, Tag und Nacht, mit Haß und Rache im Herzen. Ich bin auf seiner Fährte gewesen jahrelang; aber sobald ich ankam, war er schon wieder fort. Endlich hörte die Spur auf, das Schiff war untergegangen und der Kapitän jedenfalls mit.«

Seine Stimme hatte auf einmal einen ganz anderen Klang angenommen. Die Worte wurden mehr zwischen den Zähnen herausgezischt als gesprochen.

»So haben Sie ihn gehaßt?« – »Ja, ich habe ihn so gehaßt, wie nur ein Mensch den anderen hassen kann.« – »Und doch war er Ihr Verwandter?« – »Oh, er war sogar mein – Bruder, das heißt, mein Stiefbruder.«

Die Aufmerksamkeit Cortejos steigerte sich.

»So müssen Sie Schreckliches mit ihm erlebt haben«, sagte er.

Der Jäger schwieg eine Weile; dann fuhr er fort:

»Er war ein Teufel. Von dem Tag an, an dem seine Mutter das Weib meines Vaters wurde, habe ich keinen glücklichen Augenblick mehr gehabt.« – »Seine Mutter war Witfrau?« – »Ja, und mein Vater Witwer. Sie müssen nämlich wissen, daß derselbe Pflanzer war; meine Mutter ist bereits bei meiner Geburt gestorben. Ich war zwanzig Jahre alt und hatte eine Braut, schön wie eine Huri und gut wie ein Engel. Da fiel es meinem Vater ein, wieder zu heiraten. Er hatte in New Orleans die Witwe eines Spaniers kennengelernt und brachte sie mir als zweite Mutter mit nach Hause.« – »Solche Sachen sind unangenehm!« – »Oh, es ging mich ja weiter nichts an. Mein Vater war sein eigener Herr und konnte tun, was ihm beliebte. Aber diese Spanierin hatte einen neunzehnjährigen Sohn, den sie mitbrachte. Was soll ich Ihnen das alles erzählen! Ich will Ihnen nur sagen, daß er meine Braut verführte und meinen Vater erschoß, den Verdacht aber auf mich zu bringen wußte. Ich wurde verurteilt, entkam aber mit Hilfe einiger Freunde. Was er beabsichtigt, das hatte er erreicht; er war der Besitzer der Pflanzung, die eigentlich mir gehörte. Aber das hielt nicht lange vor. Er verjubelte und verpraßte das Vermögen, und als der letzte Heller vergeudet war, sah er sich gezwungen, seinen früheren Beruf wieder aufzunehmen. Er war nämlich Seemann.« – »Sie versuchten nicht, sich zu rächen?« – »Konnte ich? Durfte ich es wagen, mich in die Heimat einzuschleichen? Es mußten Jahre vergehen, ehe mir der Bart gewachsen war und mein Aussehen sich so verändert hatte, daß ich hoffen durfte, nicht erkannt zu werden. Und als ich dann kam, war es zu spät, denn er befand sich bereits zur See. Ich war arm und mittellos, ich konnte es nicht machen wie ein Millionär, der sich hätte eine Yacht bauen lassen, um ihm nachzujagen. Aber ich ging in die Goldminen und war glücklich. In vier Jahren war ich wohlhabend, und nun begann ich meine Jagd, um den Mörder meines Vaters, den Verführer meiner Braut, den Zerstörer meines Glückes zu züchtigen.« – »Es gelang Ihnen nicht?« – »Nein. Ich war ihm immer auf der Ferse, aber ich erwischte ihn nicht. Mein Geld wurde alle, und ich war wieder arm, ohne mich gerächt zu haben; aber der, dem meine Rache galt, war auch seit jener Nacht verschwunden.« – »Warum nannte er sich denn Grandeprise?« – »Weil dies mein Name war. Alle Welt sollte denken, ich, der Entflohene, der verfluchte Vatermörder, sei der Schwarze Kapitän.« – »Teufel! Dieser Grandeprise ist selbst in seinen Verbrechen geistreich!« – »Sie nennen das geistreich? Ich nenne es teuflisch!« – »Wie war denn eigentlich sein Name?« – »Landola, Henrico Landola.« – »Alle Wetter! Ist Ihnen denn nicht einmal der Gedanke gekommen, daß er unter diesem seinen wirklichen Namen noch leben könne?« – »Nein.« – »Nehmen Sie es mir nicht übel, Señor. Dann sind Sie nicht der Mann dazu, den Schwarzen Kapitän zu fangen!« – »Glauben Sie etwa, daß er als Seeräuber seinen wahren Namen tragen wird?« – »Nein. Aber ist es denn nicht möglich, daß er von diesem schlimmen Handwerk gelassen hat? Wenn er unter einer ehrlicheren Flagge fährt, kann er auch seinen Namen tragen. Ich will es übrigens ebenso kurz machen wie Sie und Ihnen sagen, daß Ihr Stiefbruder noch lebt.« – »Heiliger Gott! Ist es wahr, Señor?« – »Ja.« – »Sie kennen ihn?« – »Oh, ich habe sehr viele Geschäfte mit ihm gemacht und hoffe, ihn bald wiederzusehen.« – »Unter dem Namen Henrico Landola?« – »Ja.«

Der Jäger befand sich in einer großen Aufregung. Seine Augen hingen an Cortejos Lippen, um die Worte gleichsam abzulesen, ehe ihr Klang noch das Ohr erreichen konnte. Er ergriff dessen Hände und sagte:

»Sie hoffen wirklich, diesen Menschen wiederzutreffen?« – »Ja.« – »Sie sind nicht sein Freund, sondern sein Feind?« – »Ich war sein Freund, bin aber jetzt sein Feind. Er hat mich getäuscht und betrogen; er hat eine Aufgabe, die ich ihm erteilte, nicht wörtlich gelöst, sondern er ist dabei mit eigener Willkür verfahren und hat mir großen Schaden gemacht.« – »Sie wollen sich an ihm rächen?« fragte der Jäger. – »Ja.« – »Darf ich Ihr Verbündeter sein?« – »Wenn ich wüßte, daß ich Ihnen trauen darf.« – »Oh, Señor, geben Sie mir Gelegenheit, mit diesem Ungeheuer abzurechnen, und ich tue für Sie alles mögliche, was in menschlichen Kräften steht Ich habe förmlich geschmachtet nach Rache und Vergeltung. Wo gedenken Sie, diesen Landola wiederzutreffen?« – »Das ist jetzt noch unbestimmt. Vor allen Dingen kommt es darauf an, daß ich die Hazienda glücklich erreiche. Bin ich in Sicherheit, so kommt ganz gewiß die Stunde, in der ich Nachricht über ihn erhalte.« – »So lassen Sie uns aufbrechen. Die Pferde sind gesattelt. Vorher aber wollen wir nach Ihren Augen sehen.«

Der Jäger nahm Cortejo die Binde ab, und dieser bemerkte dabei zu seiner größten Freude, daß er, wenn auch jetzt noch spärlich, auf dem einen Auge sehen konnte. Er bekam abermals Wundkraut aufgelegt, und dann stiegen sie zu Pferde, um ihren Ritt fortzusetzen.


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