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15. Kapitel.

Emilia blickte ihm nach, bis er hinter der Eingangstür verschwunden war. Dann wandte sie sich wieder zurück, wo der Kleine André saß.

»Welch ein schöner Mann!« rief sie bewundernd aus. – »Ja«, antwortete er neidlos, »ich habe nie einen ähnlichen gesehen.« – »Wenn er gefangen oder gar getötet würde!« – »Oh, habt um diesen keine Angst, Señorita. Der quetscht zehn Franzosen nur mit den Händen tot. Und bei dieser Stärke so gewandt! Er ist die ganze Strecke vom Rio Grande del Norte aus bis hierher mit mir in einem Atem geritten.« – »Aber Ihr habt den doppelten Weg gemacht, Señor«, sagte Emilia, jetzt nun auch an ihn denkend. »Seid Ihr denn nicht krank davon?« – »O nein, Señorita«, antwortete er. »Übrigens hat das gar nicht so viel zu bedeuten. Señor Sternau hat viel mehr Wesens davon gemacht, als es eigentlich wert ist. Mein Ritt ist gar nicht so etwas Großes.« – »Wirklich nicht?« fragte sie, seine Bescheidenheit bewundernd. – »Nein. Wenn so ein kleiner Kerl, wie ich bin, auf dem Pferd sitzt, so läuft das Tier ja, als ob es gar keinen zu tragen hätte. Man wird nur so nebenbei mit fortgeschleppt, das ist alles.« – »So, das ist alles! Hört, Señor, Ihr seid ein sonderbarer Kauz. Erstens seid Ihr gar nicht so klein, wie Ihr Euch macht, ich zum Beispiel bin höchstens um einen Zoll länger. Und zweitens weiß ich ganz genau, was Ihr geleistet habt. Wißt Ihr noch, was ich Euch versprochen habe?«

Der wetterfeste Jäger errötete wie eine Nähmamsell.

»Oh, Señorita, das war ja nur Euer Spaß«, erwiderte er. – »Nein, ich versichere Euch, daß es mein Ernst war.« – »Aber die Rettung ist ja noch gar nicht da!« – »Sie ist in der Nähe und wird sicher kommen. Mein Wort halte ich. Ihr sollt den versprochenen Lohn haben.«

Da wich André einen Schritt zurück, streckte die Hände vor und sagte:

»Ihr seid so außerordentlich lieb und gut, Señorita, aber ich darf eine solche Güte unmöglich annehmen.« – »Warum nicht?« fragt sie, auf ihn zutretend. – »Seht mich an und Euch dagegen.« – »Oh, das Kleid tut nichts, Señor; auf das Herz kommt es an. Und Euer Herz ist wohl besser und reiner als das meinige.«

Dabei streckte sie die Hand nach ihm aus, wie um die seinige zu erfassen, bis er abermals erschrocken einen Schritt zurückwich und rief:

»Mein Gott, Señorita!«

Unterwegs hatte er sich zugeschworen, daß er die drei Küsse erhalten müsse. Er hatte bei dem wilden Jagen Leben und Gesundheit gewagt; er hatte ein Pferd tot und das andere zu Schanden geritten. Und nun er das Ersehnte erhalten sollte, schien es ihm ganz unmöglich, es in Empfang zu nehmen.

»Wollt Ihr mich beleidigen?« fragte sie. – »O nein, gewiß nicht!« beteuerte er.

Da blickte sie ihn mit einem halb lustigen, halb forschenden Ausdruck an und fragte:

»Ah, Señor, Ihr habt wohl niemals geküßt?« – »Hol's der Teufel, niemals!« antwortete er. – »Auch diejenige nicht, wegen der Ihr Euch das Rattengift kauftet?« – »Auch die nicht!« – »Und seid auch nicht geküßt worden?« – »Von meiner Mutter einige Male, weiter wüßte ich niemand.« – »Drum ist Euch so angst und bange dabei!« lachte sie. »Jetzt werde ich Euch aber zeigen, daß es einem gar nicht angst zu werden braucht. Kommt doch einmal hierher auf diesen Stuhl!«

Sie faßte ihn bei beiden Händen und zog ihn nach einem Stuhl, auf den er sich setzen mußte. Er gehorchte dieses Mal ohne Widerstreben.

Ein freudiger Schreck durchzuckte ihn, und es war ihm wie im Traum, als das schöne Mädchen den vollen Arm um seinen Hals und seine Lippen weich und warm auf seinen Mund legte.

Es war ihm, als ob er träumte. Er hätte aufjauchzen mögen vor Wonne.

»So«, sagte Emilia. »Jetzt habe ich mein Wort gehalten. Seid Ihr zufrieden mit mir, Señor?« – »Oh, Señorita!« war alles, was er antworten konnte. – »Ich verstehe Euch«, erwiderte sie ernst. »Ihr seid glücklich, und das ist es, was ich wollte. Da man aber mit der Erfüllung eines Versprechens nicht so geizig sein darf, so sollt Ihr noch einen Kuß haben, freiwillig gegeben, und dann wollen wir von den Dingen sprechen, denen wir heute abend entgegengehen.«


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