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11. Kapitel.

Der Wirt ging und eilte, um so wenig wie möglich gesehen zu werden, mit raschen Schritten über die Gasse hinüber und trat in das Tor des großen Hauses. Dort erwartete ihn bereits der Hausmeister.

»Geht hinauf, Señor«, sagte dieser. »Die Zofe ist im Vorzimmer.«

Der Wirt folgte diesem Gebot und wurde von der Zofe nach einem Zimmer geführt, das wir bereits kennen. Es war dasjenige, in dem der Schwarze Gerard seine Zusammenkunft mit der Jugendgefährtin gehabt hatte.

Die Dame war Señorita Emilia, die schöne Verbündete von Juarez.

»Verzeiht, daß ich Euch störe, Señor!« sagte sie zu dem Wirt. – »Oh, Señorita, Ihr wißt ja, daß ich stets zu Eurer Verfügung stehe«, antwortete er. – »Ihr habt jetzt einen fremden Gast empfangen?« – »Ja.« – »Ist er ein Mexikaner?« – »Nein, Señorita. Er ist ein Jäger aus dem Norden.« – »Ah, ein Yankee!« – »Nein, sondern ein Deutscher.« – »Hat er Euch vielleicht seinen Namen genannt?« – »Nein. Ich habe, wie mir jetzt einfällt, ihn leider gar nicht danach gefragt.« – »Aber gesprochen habt Ihr mit ihm? Was will er in Chihuahua?« – »Er will Munition kaufen, vielleicht auch Kleidungsstücke.« – »Wie lange Zeit bleibt er hier?« – »Nur bis zum Abend.« – »Dann habe ich mich jedenfalls getäuscht!«

Da zwinkerte der Wirt verständnisinnig mit den Auge und sagte:

»Señorita, glaubt Ihr etwa, daß er einer der Unserigen ist?« – »Ja, ich dachte es.« – »Da irrt Ihr Euch allerdings. Ich habe ihn scharf ausgeforscht, aber vergebens. Dieser Mann ist entweder verschwiegen oder uns sehr gleichgültig.« – »Dennoch will ich sicher gehen. Fragt ihn doch einmal, ob er der Kleine André ist« – »Der Kleine André? Das läßt sich merken. Wer ist der Mann?« – »Ein Bote von Juarez, den ich erwarte.« – »Ah, klein ist dieses Männchen.« – »Allerdings, und auch die übrige Beschreibung, die man mir gemacht hat, stimmt. Ich sah ihn zufälligerweise kommen; darum schickte ich zu Euch.« – »Gut ich werde ihn also fragen. Und dann?« – »Wenn er es ist, muß ich baldigst mit ihm sprechen. In diesem Fall schickt ihn zu mir herüber.« – »Das werde ich besorgen. Habt Dir vielleicht noch einen Auftrag, Señorita?« – »Jetzt nicht. Adios, Señor!« – »Adios, Señorita.«

Der Wirt ging. Als er unten die Gasse erreichte, bemerkte er eine bedeutende Anzahl französischer Soldaten, die soeben im Begriff waren, sich in die einzelnen Häuser zu verteilen. Auch auf das seinige kam ein Unteroffizier zugeschritten. Derselbe hatte während seines Aufenthaltes in Mexiko gelernt, ein wenig spanisch zu radebrechen.

»Venta des Señors Montarios?« fragte er. – »Richtig, der Wirt bin ich.« – »Einquartierung!« – »Auf wie lange?« – »Wer weiß es!« – »Wohl jetzt erst angekommen?« – »Ja.« – »Wieviel Mann?« – »Genug, um die Provinz zu massakrieren. Oberst Laramel kommandiert.«

Der Wirt zog die Brauen zusammen, hielt jedoch an sich.

»Den Oberst kenne ich; er soll ein sehr – tapferer Mann sein, habe ich gehört.« – »Tapfer? Ah, jeder Franzose ist tapfer. Also mein Quartier, Señor.« – »Tretet in das Gastzimmer.« – »Habt Ihr kein separates Zimmer für mich?« – »Ihr werdet eins bekommen; bis dahin aber bitte ich, mit der großen Stube vorliebzunehmen.«

Der Franzose trat stolz und waffenklirrend ein. Er musterte den Raum; als er den kleinen Jäger bemerkte, warf er einen verächtlichen Blick auf ihn. Nachdem er in selbstbewußter Haltung auf einem Stuhl Platz genommen hatte, brachte der Wirt ihm ein Glas Pulque. Er kostete, spie das Gekostete sofort wieder aus und warf das Glas samt dem noch übrigen Inhalt zu Boden, daß es zerbrach.

»Fi donc!« rief er. »Welch ein Trank! Wirt, Wein!« – »Es ist keiner da, Señor«, entschuldigte sich der Wirt. – »So holt welchen«, befahl der Franzose. – »Das kann ich tun; aber erlaubt mir vorher eine Frage, Señor.« – »Welche? Rasch, ich habe Durst!« – »Wollt Ihr den Wein trinken als Einquartierung oder als Gast, der bezahlt?« – »Tausend Donner! Meint Ihr etwa, daß ich den Wein bezahlen soll?« – »Ja, das meine ich allerdings.« – »So wißt Ihr nicht, daß Ihr mich zu verpflegen habt?« – »Das weiß ich recht gut. Aber ebenso weiß ich, daß Wein nicht zu Eurer Verpflegung gehört. Ihr habt zu essen und zu trinken, was ich selbst esse und trinke.« – »Aber wenn ich Wein verlange!« – »So werdet Ihr ihn bekommen, sobald Ihr ihn bezahlt. Oder habt Ihr etwa eine Ahnung, wie teuer in Mexiko und zumal jetzt und hier in Chihuahua Wein ist?« – »Der Wein von Bordeaux oder von der Mosel ist billig.« – »Bordeaux bezahle ich hier für die Flasche fünfzehn Peseta oder fünfundsiebzig Franken. Wein von der Mosel ist gar nicht zu haben. Ihr wißt wohl gar nicht, daß selbst der Kaiser Maximilian vergebens nach einer Flasche Wein fragt?« – »Was geht mich Euer Maximilian an! Ich bin Franzose und trinke Wein. Zeigt mir mein Zimmer, und wenn ich keinen Wein bekomme, so werdet Ihr sehen!« – »Euer Zimmer ist eine Treppe hoch. Der Hausknecht ist jetzt oben. Geht hinauf und laßt es Euch zeigen. Wenn das Essen fertig ist, werde ich Euch rufen lassen. Wollt Ihr aber wirklich Wein von Bordeaux, so zahlt fünfundsiebzig Franken dafür.« – »Das wird sich finden.«

Mit diesen Worten schritt der weindurstige Vertreter der großen Nation zur Tür hinaus. Der Wirt machte eine Geste hinter ihm her und sagte:

»Der war abgeblitzt« – »Noch nicht«, antwortete André. »Ich bin überzeugt, daß ein Nachspiel kommt.« – »Ich werde es ruhig abwarten, doch sagt mir, wie heißt Ihr eigentlich?« – »Ich heiße Andreas Straubenberger.« – »An – dereas Str – rrr – rau ... der Teufel hole diese deutschen Namen! Kein Mensch kann sie aussprechen! Ich dachte, Ihr würdet anders heißen.« – »Anders? Wie denn?« – »André.« – »André? Hm, ja, so heißt man mich auch zuweilen. André und Andreas ist ganz dasselbe.« – »Sapperlot, so seid Ihr wohl gar der Kleine André?«

Jetzt war die Reihe des Erstaunens an dem kleinen Jäger.

»Donnerwetter, woher wißt Ihr, wie ich heiße?« fragte er überrascht – »Ihr seid es also wirklich?« – »Ja.« – »So habt Ihr mir also vorhin doch die Unwahrheit gesagt, als ich meinte, daß Ihr ein Anhänger von Juarez seid.« – »Was fällt Euch ein! Was habe ich mit Juarez zu schaffen?« – »Leugnet es nicht! Ich weiß es ganz genau.« – »Ihr werdet mir wohl zugeben, Señor, daß ich es am allerbesten wissen muß.« – »Und Ihr werdet mir wohl erlauben, anzunehmen, daß Ihr die Wahrheit nur deshalb nicht eingesteht weil Ihr glaubt, es konnte Euch schaden.« – »Nun, ist dieser Grund nicht ein sehr ernster und stichhaltiger?« – »Unter gewöhnlichen Umständen ja, hier bei mir aber nicht. Ich bin ein begeisterter Anhänger meines Vaterlandes und seines Präsidenten Juarez.« – »Das kann ein jeder sagen.« – »Jawohl! Ihr müßt dies bereits aus der Art und Weise sehen, wie ich vorhin den Franzosen behandelt habe, trotzdem derselbe mir gefährlich werden kann. Aber ich will Euch noch einen besseren Bescheid geben. Habt Ihr einmal von einer Señorita Emilia gehört?« – »Señorita Emilia? Es gibt jedenfalls viele Damen dieses Namens.« – »Aber nur eine einzige mit solchen Eigenschaften.« – »Bezeichnet sie näher.« – »Das ist schnell geschehen. Sie ist eine Freundin des Schwarzen Gerard.«

Da machte André eine Bewegung der Überraschung.

»Was ist mit dieser Emilia?« fragte er gespannt. – »Sagt erst, ob Ihr sie kennt.« – »Ich habe von ihr gehört.« – »Sie aber noch nicht gesehen?« – »Nein.« – »Nun gut, Ihr werdet sie sogleich zu sehen bekommen, Señor André.« – »Ah, wo?« – »In ihrer Wohnung. Ihr sollt zu ihr kommen.« – »Wohnt sie vielleicht gegenüber in dem großen Haus? Eine Dame stand auf dem Balkon, als ich ankam. Aber woher kennt sie mich?« – »Ich weiß es nicht. Tut mir den Gefallen und geht sogleich hinüber zu ihr.« – »Wie habe ich zu gehen?« – »Ihr werdet im Flur den Hausmeister finden, der Euch unterrichten wird.« – »Donnerwetter! Und in meiner alten Trapperkleidung hier!« – »Das tut nichts, Señor. Wenn Ihr ein Freund von Juarez seid, so werdet Ihr geehrt, selbst wenn Ihr in die schlechtesten Lumpen gekleidet wäret.« – »Nun, so will ich gehen.« – »Wollt Ihr nicht Eure Büchse und die anderen Waffen hierlassen?« – »Fällt mir nicht ein. Ein Westmann trennt sich von seinen Waffen nie.«

Mit diesen Worten warf der Kleine das Gewehr über die Schulter und ging.

Drüben traf er den Hausmeister, der ihn nach oben wies, wo er von der Zofe empfangen wurde, die ihn in dasselbe Zimmer brachte, in dem vorher der Wirt gewesen war. Als er Emilia erblickte, blieb er ganz erstaunt stehen, denn die Schönheit macht selbst auf den simpelsten Menschen Eindruck. Als sie sich erhob und nun in der ganzen Fülle ihrer Herrlichkeit vor ihm stand, rief er, sich ganz vergessend:

»Kreuzbataillon, Señorita, Ihr seid wahrhaftig ganz verteufelt schön.« – »So? Wirklich?« fragte sie lächelnd.

Der Ausspruch dieses einfachen Menschen war ihr ein größeres Kompliment als die geschnörkeltste Höflichkeit eines faden Salonhelden.

»Ja«, antwortete er. »So schön habe ich bei Gott noch kein Mädchen gesehen.« – »Das gilt mir mehr, als wenn es mir ein Graf oder General sagte. Nicht wahr, der Wirt von da drüben schickt Euch zu mir?« – »Ja.« – »So seid Ihr der Kleine André?« – »Der bin ich. Aber, Señorita, woher kennt Ihr mich?« – »Das soll Ihr sogleich hören. Habt nur zuvor die Güte, Euch niederzulassen.« – »Wenn Ihr dies befehlt, so muß ich gehorsam sein.«

André traf Anstalt, sich auf einen an der Tür stehenden Stuhl zu setzen.

»Nein, dort nicht«, sagte sie. »Ihr sollt hier neben mir auf dem Diwan sitzen.«

»Señorita, ich? Dort auf der Seide, mit meinen alten Lederhosen?« – »Das versteht sich.« – »Nehmt es mir nicht übel, aber das paßt ganz und gar nicht zusammen.« – »Ihr werdet sehen, daß es ganz prächtig harmoniert.« – »Aber, von der Seide abgesehen – ich neben Euch.« – »Was ist da weiter?« – »Das fragt Ihr noch? Ich, der Andreas Straubenberger, neben Señorita Emilia? Das wäre doch ganz dasselbe, als ob man einen Kiebitz oder Wiedehopf neben einen Kolibri oder gar Paradiesvogel setzen wollte.« – »Versucht es nur einmal.« – »Oh, laßt mich lieber hier an der Tür. Denn dort neben Euch, da – da – da ...« – »Nun, was da?« – »Da kann ich mich nicht halten, da kann ich mich nicht retten.« – »Wieso?« – »Ich glaube bei Gott, ich werde verliebt bis über die Ohren!« platzte er heraus.

Da ließ Emilia ihr prächtiges, metallenes Lachen hören und sagte:

»Das ist ja durchaus nicht verboten. Es ist mir weit lieber und angenehmer, geliebt als gehaßt zu werden. Kommt in Gottes Namen näher.« – »Nun, so will ich es wagen.«

Damit trat Andreas langsam und zögernd näher, wischte mit den Händen über denjenigen Teil seiner alten Hosen, der mit der Seide in Berührung kommen sollte, und setzte sich so, daß er nur die Kante des Diwans berührte.

»Nein, so nicht, sondern ordentlich!« rief sie und faßte ihn an, zog ihn empor und drückte ihn tief in den weichen Sitz hinein. – »Donnerwetter!« rief er, halb emporspringend. »Hier geht man ja unter wie im Wasser. Ich glaube, auf diesem Sitz könnte man schwimmen lernen.« – »Habt keine Angst, Señor, ertrinken könnt Ihr nicht, was aber das Trinken anbelangt, so könnte gesorgt werden. Darf ich Euch etwas anbieten?« – »Hm«, schmunzelte er, »etwa Pulque?« – »Wie kommt Ihr auf dieses Getränk?« – »Ich habe mein Glas voll noch drüben in der Venta stehen.« – »Es schmeckt Euch nicht?« – »Oh, es schmeckte, aber wie. Ein Gemisch von Alaun, Süßholz, Aloe, Kupfervitriol, Salmiakgeist, Holunderbeeren und Seifenwasser würde wohl ähnlich schmecken.«

Sie lachte herzlich über dieses Rezept und erwiderte:

»Gab es denn nichts anderes?« – »Gar nichts als Wein, aber der war ja nicht zu bekommen.« – »Warum nicht?« – »Erstens ist er zu teuer, und zweitens sollte er bis zum Freudenfest aufgehoben werden.« – »Ah, ich kenne das. Der Wirt meint das Juarezfest, er ist ein treuer Anhänger des Präsidenten. Also Wein trinkt Ihr gern?« – »Sehr, Señorita. Ein Jäger bekommt von dieser Sorte Getränk so äußerst selten einen Schluck, daß man fast den Namen desselben vergessen möchte.« – »Nun, so wollen wir ein Fläschchen ...« – »Um Gottes willen!« fiel er ein. »Alles, nur dieses nicht, Señorita. Fünfundsiebzig Franken die Flasche.« – »Ja, er ist sehr teuer, aber beruhigt Euch. Er kostet mich keinen Pfennig. Er ist ein Geschenk.« – »Aber meinetwegen dürft Ihr doch keine Flasche anreißen. Ich bin nicht der Kerl danach.« – »Warum nicht? Ihr seid ein Anhänger von Juarez, also mein Freund, und für einen Freund hat man stets ein Fläschchen Wein zu Hause.« – »Hm, wenn es so ist, dann lasse ich mir allerdings die Freundschaft gefallen.«

Emilia schellte, und bald stand ein feuriger Tokaier vor ihnen. Sie schenkte ein, und André trank, langsam und nur leise nippend.

»Wie ist er?« – »Besser, viel besser als unser Pfälzer Gewächs.« – »Ah, Ihr seid aus der Rheinpfalz?« – »Ja, Señorita.« – »Nun, da mögt Ihr recht haben mit dem ›Gewächs‹. Ratet einmal, welche Sorte wir trinken.« – »Oh, ich verstehe mich verdammt wenig auf das, was man Sorten nennt.« – »Es ist Tokaier.« – Alle Teufel!« – Aus dem Keller des Kaisers.« – »Max?« fragte er erstaunt. – »Ja, des Kaisers Max. Wundert Euch nicht, daß sogar der Wein des Kaisers sich bis an diesen entlegenen Punkt verirrt. Diese Herren Franzosen wissen für sich zu sorgen. Max hat selbst große Not um eine Flasche guten Weins. Dieser Kaiser ist ein herzlieber, braver Mann, der sich zu seinem Unglück dem Kaiser Napoleon anvertraut hat. Napoleon ist ein Emporkömmling, und er wird ganz gewiß als ein solcher enden. Er hat vieles auf seinem Gewissen. Gebe Gott, daß er nicht auch noch diesen Kaiser Max von Mexiko darauf bekommt. Doch nun vor allen Dingen zu unserer Angelegenheit, Señor. Ich hörte, Ihr würdet Euch nur bis heute abend hier aufhalten?« – »Allerdings; ich muß wieder fort.« – »Warum so schnell?« – »Ich hoffe, man darf zu Euch mit vollem Vertrauen sprechen?« – »Natürlich. Wenigstens glaube ich, daß Ihr kein Mißtrauen gegen mich habt.« – »Nach dem, was mir Gerard sagte, seid Ihr sicherer als jede andere.« – »Ah, Ihr habt mit Gerard selbst gesprochen?« fragte Emilia erfreut. – »Ja. Er wäre an meiner Stelle gekommen, aber er mußte nach Fort Guadeloupe, um die Verteidigung dort zu übernehmen.« – »Ja. Juarez schätzt ihn hoch und schenkt ihm sein vollstes Vertrauen. Wie wird es mit dem Fort stehen? Habt Ihr noch nichts gehört?« – »Kein Wort. Ich bin jedoch vollständig überzeugt, daß die Franzosen abermals aufgerieben werden. Sie waren ja ahnungslos, das Fort verteidigt zu finden und gar mit Juarez und seinen Apachen zusammenzutreffen. Übrigens gibt es außerdem dort Leute, die so tapfer und kriegserfahren sind, daß ein einziger von ihnen zwanzig Franzosen aufwiegt.« – »Etwa weiße Jäger? Wer ist es?«

André erzählte Emilia nun sein letztes Zusammentreffen mit Sternau und seinen Begleitern. Sie hörte ihm aufmerksam zu und erwiderte dann:

»Hier scheint ja ein förmlicher Roman sich abzuspinnen.« – »Allerdings. Übrigens bin ich überzeugt, daß Sie diese Leute sehen werden, und deshalb wird nach meiner Berechnung Benito Juarez entweder bereits heute oder spätestens morgen mit seinen Leuten hier eintreffen.« – »Ah! So bald?« – Ja.« – »Habt Ihr ein sicheres Rendezvous verabredet?« – »Das versteht sich. Ich habe zwei Stunden am Flüßchen abwärts auf die Truppe zu warten.« – »Daß er bald kommt, ist mir lieb. Wißt Ihr schon, daß der Kommandant eine bedeutende Anzahl von Bürgern gefangengesetzt hat?« – »Der Wirt erzählte es mir.« – »Für diese Leute ist alles zu fürchten.« – »Ihr meint doch nicht etwa, daß sie sich in Todesgefahr befinden?« – »Gerade dies meine ich.« – »Ohne Recht und Gericht kann man doch nicht handeln.« – »Welcher Franzose hat in Mexiko nach dem Recht oder der Gerechtigkeit gefragt? Ich sage Euch, mein guter Señor André, daß ich fest glaube ...«

Emilia wurde in diesem Augenblick unterbrochen. Die Zofe trat herein und überbrachte ein in ein zierliches Kuvert eingeschlossenes Kärtchen, worauf sie sich wieder entfernte. Emilia öffnete den Umschlag und las die folgenden Worte:

 

»Teure Señorita!

Zu Ehren meines soeben hier eingetroffenen Kameraden, des Obersten Laramel und seines Offizierskorps, stehe ich im Begriff, heute abend eine glanzvolle Tertullia zu geben. Da zu derselben die hervorragendsten Sterne des hiesigen Damenhimmels geladen werden, so hege ich die beglückende Erwartung, daß Sie, als die Sonne dieses glänzenden Firmaments, von der jene Planeten ja erst ihr Licht erhalten, mir Ihre Gegenwart nicht versagen werden, zumal es der Oberst mit größter Ungeduld herbeisehnt, Sie kennenzulernen.

Der Kommandant.«

 

Emilia ließ ein unbeschreiblich stolzes, geringschätziges Lächeln über ihre schönen, vollen Lippen spielen. Dann fragte sie den neben ihr sitzenden Jäger:

»Könnt Ihr Französisch lesen?« – »Ja, so leidlich, Señorita«, antwortete er. »Mein Heimatort lag so nahe an der französischen Grenze, daß ich wenigstens diese Fertigkeit profitiert habe.« – »Nun, so lest!«

Emilia gab ihm die Karte, und er las sie.

»Donnerwetter«, sagte er dann. »Dieser Kerl von Kommandant hat aber recht, wenn er sagt, daß Ihr die Sonne seid!«

Bei diesen Worten blickte André dem schönen Weib mit so aufrichtiger, treuherziger Bewunderung in die Augen, daß es ihr unmöglich wurde, seinen Enthusiasmus zu belächeln. Vielmehr sagte sie sehr ernst:

»Ich weiß es, daß ich ungewöhnlich schön bin, Señor. Dies mag aus meinem Munde unsinnig klingen, aber ich sage Euch, daß gerade diese Schönheit stets mein Unglück gewesen ist.« – »Das ist ja gar nicht möglich.« – »Oh, wie Sie sich irren!« erwiderte sie jetzt beinahe traurig. – »Ich habe im Gegenteil stets geglaubt, daß die Schönheit eine Dame nur glücklich machen müsse. Ich kann nicht denken, daß ich unrecht habe.« – »Und dennoch irrt Ihr. Habt Ihr einmal geliebt, Señor?« – »Hm, ja! Das Ding, das damals hinter meinen Rippen rumorte, wird wohl die Liebe gewesen sein, anders ist es nicht gut möglich.« – »Und wurdet Ihr wiederbelebt?« – »Ich dachte es, aber der Kuckuck hole die Weiber und Mädchen! Ich bin bald eines anderen belehrt worden, und das hat mich in die weite Welt hinaufgetrieben.« – »Nun seht, so ist es mir gerade auch gegangen.«

Emilia hatte sich erhoben und schritt in sichtlicher Erregung im Zimmer hin und her. André folgte ihren Bewegungen mit glänzenden Augen und sagte:

»Wie, Ihr seid einst jemand wirklich gut gewesen, Señorita?« – »Ja«, antwortete sie kurz und rauh. – »Und dieser Kerl hat Euch einen Korb gegeben?« – »Ja.«

Da sprang André auf und rief:

»Da schlage doch sogleich das Wetter drein! Lebt dieser Urian vielleicht noch?« – »Allerdings.« – »Bitte, Señorita, so sagt mir seinen Namen, aber sogleich, sogleich, auf der Stelle, damit ich ihm eine Kugel durch den verrückten Schädel jagen kann. Wer Euch nicht liebt, wer Euch einen Korb gibt, der ist verrückt und hat es mit mir zu tun!«

Er hatte dabei seine Pistole gezogen und spannte den Hahn so, als ob er den Betreffenden vor sich habe. Dies entlockte Emilia doch ein leises Lächeln.

»Ich danke Euch, Señor«, sagte sie, ihm begütigend die Hand auf den Arm legend. »Ich sehe soeben, daß Ihr noch nicht geliebt habt.« – »Nicht? Ah, ich war ja ganz weg! Ich habe mich dieser famosen Liebe wegen mit meinem eigenen Bruder entzweit. Als sie mich nicht wollte, war ich so traurig, als ob ich ein ganzes Sargmagazin samt Totengräber und Leichenfrau im Leibe hätte. Und da sagt Ihr auch noch, ich wäre nicht verliebt gewesen? Da kennt Ihr die Liebe schlecht!« – »Nein, Ihr kennt sie nicht. Die wahre Liebe kann niemals zürnen.«

André zog die Augenbrauen empor und erwiderte:

»Hm, es ist wirklich etwas Wahres daran.« – »Nicht wahr? Habt Ihr das auch erfahren?« – »Ja. Erst war ich ganz fuchsteufelswild auf das Mädchen. Ich wollte es erschießen, aber ich hatte damals kein Gewehr. Dann wollte ich es ins Wasser stürzen, aber es war kein Teich in der Nähe. Sodann hatte ich es gern vergiftet, aber ich hatte nichts als einen Viertelbogen Fliegenpapier, das reichte nicht zu, und aufhängen, das war zu umständlich.«

Über das Gesicht Emilias flog ein halbunterdrücktes Lächeln. André sprach mit einer solchen Lebhaftigkeit, als ob er die Treulosigkeit seines Mädchens soeben erst erfahren hätte. Jetzt war er es, der im Zimmer auf- und niederschritt.

»Ich befand mich in einer unendlichen Wut in einem Jammer, gegen den der größte Katzenjammer die reine Lappalie ist«, fuhr er fort. »Ich wollte das Mädchen umbringen, da dies aber in keiner Weise klappte, so gab es kein Mittel, meinen Zorn zu kühlen, als mich selbst aus der Welt zu schaffen.« – »Ihr wolltet Euch töten?« lachte sie. – »Ja. Aber lacht nicht, Señorita. Mir war es damals nicht wie lachen. Ich ging darum in die Apotheke und kaufte mir für zwei Gulden Rattengift.« – »Pfui Teufel!« – »Rattengift oder Insektenpulver, das ist alles eins, wenn man einmal sterben will. Der Apotheker sah mich prüfend an und fragte mich, was ich mit dem Zeug wollte. Er mochte ahnen, was ich vorhatte. Ich sagte ihm, daß wir den Keller voll Ratten hätten, und darauf gab er mir für zwei Gulden Gift. Es war eine Tüte, so groß, daß eigentlich zwanzigtausend Ratten daran hätten sterben können. Nun ging ich nach Hause, aß das Zeug löffelweise und machte dabei mein Testament.« – »Wie schmeckte es?« – »Süß, wie jedes Rattengift. Nach dem letzten Löffel legte ich mich in das Bett und erwartete den Tod. Darüber schlief ich ein. Als ich erwachte, hatte ich Bauchweh, denn ich hatte mir den Magen gründlich verdorben. Der Apotheker hatte mir nämlich reinen, gestoßenen Zucker gegeben. Die zwei Gulden waren zum Teufel, aber ich nicht.« – »Seid froh!« sagte Emilia mit mühsam unterdrücktem Kichern. – »Froh? Das war ich damals nun allerdings nicht. Ich beschloß, in das Wasser zu springen, da konnte mich kein Apotheker betrügen.« – »Das ist wahr, aber Ihr sprangt nicht.« – »Oh, ich sprang doch!« – »Aber Ihr lebt ja noch.« – »Allerdings, aber was kann ich dafür? Ich holte sehr weit aus, um einen tüchtigen Sprung hinüber in das Wasser zu tun. Am Ufer standen Bäume. Ich blieb mit dem Fuß an einer Wurzel hängen und schlug mit dem Kopf so gewaltsam gegen einen Baumstamm, daß mir der Verstand abhanden kam. Als ich aufwachte, weiß Gott, da lag ich wieder im Bett. Man hatte mich gefunden und nach Hause geschafft. Einige Tage brummte mir der Kopf noch so gewaltig, daß ich das Bett hüten mußte. Als ich dann endlich aufstand, traf ich einen Bekannten, der in die weite Welt ging und mir so lange zuredete, bis ich mich ihm anschloß. Ihr seht also, Señorita, daß auch ich weiß, was Liebe ist. Jetzt würde es mich dauern, wenn ich damals das Mädchen erschossen und mich selbst vergiftet hätte.«

Jetzt brach Emilia in ein helles Lachen aus.

»Ihr seht also, daß die Liebe keine Rache kennt«, sagte sie. – »Ja«, antwortete er sehr ernsthaft. »Es ist ganz dasselbe wie in Tharandts heiligen Hallen, dort kennt man die Rache auch nicht. Also wollen wir ihn leben lassen, der Euch einen Korb gegeben hat. Aber begreifen kann ich den Kerl nicht. Ich könnte für einen Händedruck, für ein freundliches Wort von Euch durchs Feuer gehen.«

Es war André sehr ernst mit dieser Versicherung, das sah Emilia ihm an. Darum reichte sie ihm ihr schönes, volles Händchen und sagte: »Ich danke Euch, Señor! Man weiß nicht, vielleicht wird einmal die Gelegenheit kommen, daß Ihr mir Eure Ergebenheit unumstößlich beweisen könnt.«

Der Jäger drückte, ganz hingerissen von ihrer Freundlichkeit, ihre Hand mit beiden Händen und erwiderte im überzeugendsten Ton:

»Oh, ich wollte, diese Gelegenheit käme jetzt gleich. Ich würde mein Leben für Euch geben.« – »Das fordere ich nicht. Das Leben eines braven Mannes ist viel wert. Darum bitte ich Euch auch, Euch zu schonen. Habt Ihr ein besonderes Zimmer da drüben in der Venta genommen?« – »Nein. Der Wirt hat mir eins angeboten.« – »So nehmt sein Anerbieten an, er meint es gut mit Euch. Am Abend werden jedenfalls viele Franzosen dort zusammenkommen, was nicht ohne Gefahr für Euch ist, wenn Ihr im allgemeinen Gastzimmer bleibt.« – »Oh, am Abend werde ich ja bereits fort sein.« – »Nein. Ihr werdet noch in Chihuahua sein.« – »Wieso?« – »Weil ich Euch ersuche, zu bleiben.« – »Ah, das ist etwas anderes. Aber wenn unterdessen Juarez kommt?« – »So bleibt Euch immer noch Zeit, während der Nacht zu ihm zu stoßen. Ihr habt diese Einladung gelesen. Ich werde zur Tertullia gehen, und es ahnt mir, daß ich dort etwas erfahren werde, was dem Präsidenten von großem Vorteil ist.« – »Jetzt begreife ich, warum ich bleiben soll. Wann kommt Ihr aber nach Hause?« – »Um Mitternacht.« – »Dann komme ich zu Euch?« – »Ja. Nachdem wir uns gesprochen haben, könnt Ihr die Stadt verlassen.« – »Gut, dabei mag es bleiben, Señorita.« – »Gibt es früher etwas Wichtiges, so werde ich es Euch sagen lassen. Auf jeden Fall aber werde ich schon kurz nach Mitternacht auf Euch warten. Adieu, Señor.« – »Adieu, Señorita.«

André nahm die Hand, welche Emilia ihm entgegenstreckte, und drückte einen Kuß darauf. Zu einer solchen Galanterie hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nicht verstiegen.


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