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18. Kapitel.

Zu derselben Zeit hatte sich Oberst Laramel von dem Faustschlag erholt, der ihm von Sternau versetzt worden war. Die Besinnung war ihm zwar bereits längst zurückgekehrt, aber sein Gehirn war doch so erschüttert, daß er noch immer mit einer Art von Betäubung zu kämpfen hatte.

»Hätte ich diesen Kerl da!« zürnte er. »Ich ließe ihn totpeitschen!« – »Wir fangen ihn jedenfalls«, tröstete der Kommandant, »und dann soll er eine Strafe erhalten, deren Strenge Sie befriedigen wird.«

In diesem Augenblick wurde sehr höflich an die Tür geklopft, und als sie sich gleich darauf öffnete, erhoben sich alle die Herren vor Verwunderung von ihren Stühlen. Emilia war es, die eintrat.

»Señorita, Sie hier?« fragte der Kommandant »Zu so später Stunde?« – »Es ist allerdings jetzt nicht die gebräuchliche Besuchszeit«, antwortete sie; »aber die Pflicht gebietet mir, Sie dennoch aufzusuchen.« – »Die Pflicht? Das klingt sehr ernsthaft« – »Es ist auch sehr ernsthaft, Señores. Ich habe Ihnen Wichtiges mitzuteilen.« – »Nehmen Sie Platz und sprechen Sie.«

Der Kommandant bot Emilia einen Sessel an; sie aber wies denselben zurück und sagte:

»Verzeihen Sie, Señor, daß ich gar nicht erst Platz nehme. Wie Sie mich hier sehen, komme ich in höchster Eile, um Ihnen zu sagen, daß Sie von einer sehr großen Gefahr bedroht werden.«

Die höflich lächelnde Miene des Kommandanten verwandelte sich in eine sehr ernste.

»Von einer Gefahr? Welche könnte das sein?« – »Ich will Ihnen mit einem Wort sagen, daß Juarez im Anzug ist.« – »Ah! Das beruhigt mich!« antwortete er. – »Wie, das beruhigt Sie?« fragte sie erstaunt. – »Ja; ich dachte erst, Sie brächten uns eine viel schlimmere Nachricht.« – »Sie sehen mich ganz und gar überrascht. Ist dies nicht die allerschlimmste Nachricht, die Ihnen gebracht werden kann?« – »Nein. Übrigens bin ich auf diese Kunde bereits vorbereitet. Man sagte mir heute abend schon einmal, daß Juarez El Paso del Norte verlassen habe, um sich der Provinz Chihuahua wieder zu bemächtigen.« – »Nun, so sehen Sie, daß meine Warnung eine dringliche ist.« – »Nicht so sehr, wie Sie denken. Dieser Indianer, der sich einbildet, Präsident von Mexiko zu sein, ist uns nicht gefährlich.« – »Sie irren, Herr Oberst. Man sagte mir vorhin, daß Juarez Ihre Truppen geschlagen habe.« – »Das sagte man auch mir bereits«, antwortete er. – »Und Sie nehmen das mit einem Lächeln hin?« – »Ja, denn es ist eine Lüge, die man ausspricht, um mich zu schrecken.«

Der Kommandant glaubte zwar selbst nicht, daß es eine Lüge sei, aber wollte dies der Señorita gegenüber nicht eingestehen oder zugeben. Sie fuhr in dringlichem Ton fort:

»Ich bin überzeugt, daß es nicht eine Lüge, sondern die Wahrheit ist. Der Mann, der mir die Nachricht brachte, ist zuverlässig.« – »Wer ist er?« – »Sie wissen, daß ich überall meine Verbindungen habe; die mich befähigen, Ihnen nützlich zu sein. Unter diesen Leuten befindet sich auch ein mexikanischer Goldsucher. Er war in der letzten Zeit in Fort Guadeloupe und ist Zeuge des dort stattgehabten Kampfes gewesen.« – »Ah! Wo ist er jetzt?« – »In meiner Wohnung. Er traf heute abend bei mir ein.« – »Könnte man ihn vielleicht sehen und sprechen?« – »Ja; ich werde ihn morgen zu Ihnen schicken, wenn es dann noch Zeit ist.« – »Das klingt ja außerordentlich eilig.« – »Es ist auch Gefahr im Verzug. Der Mann ist von Fort Guadeloupe aus bis hierher in einer Tour geritten und sagt, daß Juarez ihm auf dem Fuß folge.« – »Das kann nur ein Goldsucher sagen. Juarez wird sich nicht in die Gefahr begeben, von uns gefangengenommen und erschossen zu werden.« – »Sie denken, er kommt in geringer Begleitung?« – »Es könnten sich ihm doch nur einige Abenteurer anschließen.« – »Da irren Sie wieder. Er hat mehrere hundert Apachen bei sich.« – »Pah! Mehrere tausend von ihnen wären nicht imstande, Chihuahua zu nehmen. Der Indianer ist unfähig, eine Stadt zu erobern, zumal eine Stadt von der Größe und Einwohnerzahl der unsrigen.« – »Aber beschleichen kann er sie.« – »Was will das sagen!« meinte der Kommandant unter einem geringschätzigen Achselzucken. – »Oh, wer gibt Ihnen Sicherheit, daß Juarez sich mit seinen Apachen nicht bereits in der Stadt befindet? Er hat zahlreiche Anhänger hier.«

Da nahm auch Oberst Laramel das Wort und sagte:

»Ihre Nachricht in Ehren, Señorita, aber wenn Juarez sich auch jetzt schon in der Stadt befände, so genügte ein Kommando von mir, und meine Rothosen putzten ihn mit seinen Anhängern hinweg.« – »Versucht es doch einmal!« klangen in diesem Moment lautgesprochene Worte von der Tür her. Unter derselben stand ein in mexikanische Tracht gekleideter Mann, dessen Gesicht die indianische Abkunft nicht verleugnen konnte. Sein Auge überflog blitzend die Gesellschaft und um seine Lippen spielte ein stolzes, selbstbewußtes Lächeln. – »Ah! Wer wagt es, einzutreten?« fragte der Kommandant »Wer sind Sie?« – »Ich bin Juarez, der Präsident von Mexiko«, antwortete der Mann einfach. – »Alle Teufel!« rief da Oberst Laramel, indem er den Degen zog. – »Ja, er ist es! Ich habe sein Bild gesehen. Nehmt ihn gefangen!« – »Wer hier Gefangener sein soll, habe ich zu bestimmen«, antwortete Juarez. »Señores; ergeben Sie sich freiwillig. Widerstand hilft nichts.« – »Unsinn! Ergreift ihn!«

Mit diesen Worten schritt Laramel auf Juarez zu. Dieser trat zur Seite, so daß man sehen konnte, was sich, während er unter der Türöffnung gestanden hatte, hinter ihm befand.

»Vorwärts!« gebot er.

Dieses Wort war kaum ausgesprochen, so hatte sich das Zimmer auch schon mit Apachen gefüllt. Sie quollen förmlich herein, und zwar mit einer Schnelligkeit, die ganz unbegreiflich erscheinen mußte. Ehe die Offiziere es sich nur versahen, befanden sie sich zwischen den Roten so zusammengedrückt, daß an eine Gegenwehr gar nicht zu denken war. Ein jeder von ihnen war von dem anderen im Nu abgeschnitten worden und befand sich zwischen vier oder fünf Rothäuten, die kurzen Prozeß mit ihm machten; ein jeder sah sich im Handumdrehen seiner Waffe beraubt und dann gebunden und geknebelt am Boden liegen.

»Señor Sternau!« rief jetzt Juarez.

Der Gerufene trat ein. Er hatte sich noch außerhalb des Zimmers befunden. Als Laramel ihn sah, bäumte er sich unter seinen Fesseln hoch auf und stieß durch die Nase ein Röcheln der Wut aus. Hätte er den Mund öffnen können, so wäre ihm gewiß ein grimmer Fluch entfahren.

»Lassen Sie mir zehn Mann«, sagte Juarez zu Sternau, »ich habe genug an ihnen, und begeben Sie sich mit den übrigen nach dem Wachtlokal, um die dort befindlichen Franzosen festzunehmen. Vorher aber wollen wir sehen, was mit diesem Mädchen zu tun sein wird.«

Er wandte sich darauf mit strenger Miene zu Emilia, die in die hinterste Ecke gedrängt worden war und von der größten Angst beherrscht wurde, und sagte:

»Ich habe einige Ihrer Worte gehört. Wer sind Sie?«

Emilia schwieg, scheinbar in tiefster Verlegenheit.

»Antworten Sie!« fuhr er sie an. – »Man nennt mich Emilia«, entgegnete sie in jenem halblauten, heiseren Ton, der deutlich verriet, daß sie sich fürchtete. – »Señorita Emilia? Ah, dieser Name ist mir sehr wohl bekannt«, meinte Juarez, indem sein Blick befriedigt aufleuchtete. »Sie sind eine meiner größten Feindinnen. Sie haben mir mehr geschadet als eine ganze Brigade Franzosen. Ich werde mich beeilen, Sie unschädlich zu machen. Wo befindet sich Ihre Wohnung?« – »In der Strada del Emyrado.« – »Man wird diese Wohnung genau untersuchen. Findet sich Verdächtiges vor, so lasse ich Sie hängen wie den ersten besten Spion. Señor Sternau, nehmen Sie dieses Frauenzimmer mit. Es wird gebunden und in strenger Haft gehalten, bis ich weiter über dasselbe entscheide.«

Sternau nahm seinen Lasso und schlang und band ihn so um Emilia, daß es den Anschein hatte, als ob sie sehr fest gefesselt sei.

»Marsch hinaus!« gebot er ihr in rauhem Kommandoton.

Dabei stieß er sie zur Tür hinaus und winkte den Apachen, ihm zu folgen. Draußen aber nahm er ihr den Lasso sofort wieder ab und bat:

»Verzeihen Sie, Señorita. Ich mußte etwas barsch verfahren.« – »Ich hatte es nicht anders erwartet, Señor«, entgegnete sie. »Wie aber werden Sie nun über mich verfügen?« – »Sie sind natürlich frei.« – »So darf ich bei Ihnen bleiben?« – »Ich bitte Sie, davon abzusehen. Man weiß nicht, ob sich die, die wir jetzt überrumpeln wollen, zur Wehr setzen werden. Dort steht der Schließer. Lassen Sie sich von ihm in seine Wohnung geleiten, wo Sie bald erfahren werden, ob uns der Handstreich geglückt ist oder nicht.«

Emilia befolgte dieses Gebot, während Sternau sich nach dem Wachtlokal begab.

Dort hatte man keine Ahnung von dem, was eine Treppe höher geschehen war. Die Überrumpelung der Offiziere war eben mit einer solchen meisterhaften Schnelligkeit geschehen, daß keiner von ihnen hatte daran denken können, einen Hilferuf auszustoßen.

Die Leute saßen auf ihren Bänken, Kasernenwitze reißend, und erschraken nicht wenig, als sich plötzlich die Tür öffnete und dreißig Apachen hereinkamen, die sich im Nu der an den Wänden hängenden Gewehre bemächtigt hatten. Bei der Gurgel gepackt oder vor den Kopf geschlagen, wurden die Soldaten mit ungeheurer Geschwindigkeit widerstandslos gemacht und dann gebunden.

Hierauf ließ Sternau das Tor schließen, so daß alles, was in dem Stadthaus geschehen war und noch vor sich ging, unbemerkt bleiben konnte.

Oben hatte Juarez indessen mit dem Kommandanten eine ernsthafte Verhandlung eingeleitet. Diesem letzteren war der Knebel abgenommen worden, daß er sprechen und antworten konnte. Er durfte sich auf einen Stuhl setzen, während die anderen am Boden lagen. Juarez sagte zu ihm:

»Ich habe einen Teil Ihres Gespräches mit der Señorita belauscht und glaube, daß Sie Kommandant von Chihuahua sind. Ist das richtig?« – »Ja«, antwortete der Gefragte kurz. – »Gut, so werde ich mir eine kleine Auseinandersetzung erlauben.«

Da fiel jedoch der Kommandant schnell ein:

»Erwarten Sie nicht, daß ich ein Wort sage, bevor mir die Fesseln abgenommen worden sind. Es ist nirgends als bei Barbaren Gebrauch, Offiziere zu binden.« – »Sie haben sehr recht, Monsieur«, antwortete Juarez ruhig. »Die Franzosen haben meine Offiziere, unter denen sich sogar zwei Generäle befanden, gefesselt und ohne Recht erschossen, also ermordet; ich habe infolgedessen alle Veranlassung, diese große Nation als Barbaren zu betrachten und zu behandeln. Ein vernünftiger Mensch wird das einsehen und sich nicht im geringsten darüber beschweren.« – »Der Vergleich ist falsch. Diese Erschossenen waren Aufrührer.« – »Bin ich ein Aufrührer, wenn ich einen Menschen verjage, der sich in mein Haus, sei es mit Gewalt oder List, eindrängt, um mich um mein Eigentum zu bringen? Machen Sie sich nicht lächerlich! Es kann mir sehr gleichgültig sein, ob Sie mit mir sprechen wollen oder nicht. Ich hatte die Absicht, so schonend wie möglich zu verfahren, eben weil ich kein Franzose, kein Barbar bin. Wollen Sie die Betätigung dieser Absicht vereiteln, so haben Sie die Folgen zu tragen.« – »Ich furchte diese Folgen nicht!« knurrte der andere. – »Das ist eine höchst unglückliche Verblendung, Monsieur. Sie scheinen sich ganz und gar über meine Hilfsmittel und Ihre gegenwärtige Lage im unklaren zu befinden. Ich bin nicht so machtlos, wie Sie anzunehmen scheinen.« – »Ich antworte hierauf nicht, meine Truppen werden es tun.« – »Ihre Truppen? Pah; ich halte in diesem Augenblick Chihuahua umzingelt, so daß kein Mensch ohne meinen Willen aus- oder einpassieren kann. Die ganze Hauptwache und Sie alle befinden sich in meiner Gewalt. Die gegen mich ausgesandten Truppen sind geschlagen. Die Bürgerschaft von Chihuahua wird auf die Kunde von meiner Anwesenheit sich wie ein Mann erheben. Stehen Ihnen etwa Tausende zur Verfügung? Ihre paar hundert Mann werden in fünf Minuten von mir erdrückt sein. Prahlerei würde ganz vernunftlos sein. Jetzt frage ich Sie, ob Sie mit mir reden wollen oder nicht.« – »Ich kann Sie aber nicht als eine Person anerkennen, mit der ich unterhandeln darf.«

Die Brauen des Zapoteken zogen sich finster zusammen. Er entgegnete:

»Diese Bemerkung haben Sie bereits meinem Bevollmächtigten gemacht. Sie haben es sogar gewagt, ihm mit Gefangenschaft und Tod zu drohen. Sie haben gewagt, ihn und mich, den rechtmäßigen Beherrscher von Mexiko, als Banditen behandeln zu wollen. Und doch ist der Fall ein umgekehrter. Sie sind die Eindringlinge, Sie könnte ich Banditen nennen. Und wenn Sie mich als keine Ihnen politisch und rechtlich ebenbürtige Person anerkennen wollen, so habe ich Ihnen zu bemerken, daß ich es bin, der sich tief erniedrigt, sobald ich überhaupt mit Ihnen spreche und verkehre.« – »Ah!« rief der Kommandant. »Das müssen Sie beweisen.« – »Dieser Beweis fällt mir nicht schwer. Sie sind entehrt, vollständig entehrt.« – »Donnerwetter! Wäre ich nicht gebunden, so würde ich Ihnen zeigen, wie ein französischer Offizier eine solche Beleidigung straft.« – »Pah! Es kann von einer Beleidigung keine Rede sein. Der Schwarze Gerard hat Ihnen einen Faustschlag versetzt. Dies wäre bei einem Zivilisten ohne alle Folgen für sein Ansehen, ein Offizier aber wird dadurch entehrt. Gerard hat Ihnen sogar die Epauletten abgerissen, die größte und unheilbarste Schmach, die einem Offizier widerfahren kann. Sie sind dadurch infam geworden, und ich steige tief hernieder, wenn ich Sie überhaupt eines Blickes würdige. Mit Oberst Laramel ist es ganz ähnlich. Er ist von Señor Sternau mit der Faust niedergeschlagen worden. Ich habe allen Grund, überzeugt zu sein, daß ich mich gegenwärtig keineswegs in einer hochfeinen Gesellschaft befinde. Jetzt frage ich Sie abermals: Wollen Sie mit mir reden oder nicht?«

Der Offizier schwieg. Er fand kein Wort, die Erklärungen des Präsidenten zu entkräften; er fühlte, daß er von Gerard beschimpft worden sei.

»Ihr Schweigen scheint anzudeuten, daß Sie mir recht geben«, fuhr Juarez fort. »Übrigens kommt es hier gar nicht in Frage, wer von uns beiden verhandlungsfähig ist. Die Tatsachen haben zu sprechen. Sie befinden sich in meiner Gewalt, und Sie werden wohl tun, so lange Sie mein Gefangener sind von aller Selbstüberhebung und Selbstverherrlichung abzusehen. Sagen Sie mir also, ob das Dekret vom dritten Oktober in Ihre Hände gekommen ist!«

Der Kommandant sah ein, daß er sich im Nachteil befand und daß es besser sei, sich wenigstens scheinbar in das Unvermeidliche zu fügen.

»Ja«, antwortete er. – »Wer hat es Ihnen übermittelt?« – »Oberst Laramel.« – »In diesem Dekret sind die Republikaner als vogelfrei erklärt!« – »Ich kann es nicht leugnen.« – »Es war Ihnen der Befehl gegeben worden, uns als Banditen zu behandeln, uns zu erschießen, überhaupt zu töten?« – »So ist es.« – »Sie waren bereit, zu gehorchen?« – »Gehorsam ist die Pflicht des Soldaten.« – »Sie hatten sogar bereits den Befehl gegeben, meine treuen Anhänger, die sich in Ihrer Hand befinden, heute nacht erschießen zu lassen?« – »Donner! Woher wissen Sie das?« – »Das ist mein Geheimnis. Aber daß ich es überhaupt weiß, muß Ihnen ein sicheres Zeichen sein, daß Sie sich selbst auf Ihre eigenen Leute nicht verlassen können. Ich wäre einige Tage später hier eingetroffen, um jedoch die Armen vor dem unverdienten Tode zu retten, kam ich schon heute. Ich sandte Ihnen vorher meinen Bevollmächtigten. Sie haben ihn nicht nur als solchen abgewiesen, sondern ihm das Leben nehmen wollen. Hat er Ihnen gesagt, daß ich Repressalien gebrauchen will?« – »Allerdings.« – »Sie haben trotzdem bei Ihrem Verhalten verharrt Nun erkläre ich jeden Fremden, der mit der Waffe in der Hand in Mexiko eingedrungen ist, für einen Banditen. Mexiko schuldete an England, Spanien und Frankreich Summen. Ein Teil dieser Schuld war das Ergebnis eines raffinierten Schwindels. Man forderte dennoch Bezahlung. Das Land befand sich in Anarchie, und ich wurde durch die Stimme des Volkes zum Präsidenten erwählt. Ich nahm diese Würde an. Sie war sehr schwer, aber ich fühlte die Kraft in mir, die Wirren zu lösen. Es gelang. Ich brachte dem Land Frieden und Ruhe, bezahlte die Schulden regelmäßig; als ich mich jedoch weigerte, die Schwindelmillionen zu bezahlen, traten England, Frankreich und Spanien zusammen, um mich zur Zahlung zu zwingen. England und Spanien traten aber zurück, denn sie erkannten, daß ich recht hatte. Frankreich jedoch wollte sein Unrecht nicht eingestehen; es sandte seine Legionen, gegen welche ich augenblicklich zu schwach war; es borgte für seine Horden hunderte von Millionen Dollar zusammen, die wir bezahlen sollten und leider gezwungenerweise bezahlen müssen. Und nun der Mexikaner dies nicht dulden will, wird er zu einem Banditen gemacht, den man stranguliert. Ist denn aller Sinn für Recht und Gerechtigkeit in Euch erloschen? Kann eine fremde Stadt den Bürgermeister einer anderen absetzen? Kann ein französischer Regent, der sich selbst rechtlos auf den Thron geschwungen hat, einen amerikanischen Regenten absetzen? Nein! Niemals! Man kann der Macht der Roheit, der Gewalt der Waffen weichen, man kann seine Zeit abwarten, aber wer mir sagt, daß ich nicht mehr Präsident von Mexiko sei, der ist entweder unzurechnungsfähig oder er hat kein Gewissen und gehört zu den Räubern unseres rechtmäßigen Eigentums. Im alten Testament steht: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn!‹ Soll ich dieses Gesetz auf Sie anwenden, Señores? Soll ich die Toten rächen, die gefallen sind, seit Sie den Fuß in mein Land setzten? Soll ich die Unschuldigen rächen, die infolge dieses Dekrets ermordet worden sind? Soll ich den Inhalt des Dekrets auf seine Verfasser zurückfallen lassen? Soll ich Sie, Bazaine und den, welchen Sie den Kaiser von Mexiko nennen, sobald sie in meine Hand fallen, zur gerechten Vergeltung als Banditen behandeln und strangulieren oder erschießen lassen? Sie nennen sich Kinder eines Volkes, das an der Spitze der Zivilisation steht; mich aber nennen Sie den Indianer, den Zapoteken, die Rothaut. Sie, die Söhne der Zivilisation, säen Mord. Was werden Sie von dem Zapoteken ernten? Sie dauern mich. Ich schenke Ihnen mein Mitleid, denn die Selbstliebe und die Ruhmsucht haben Ihre Begriffe verwirrt, und Sie wanken am Gängelband eines Mannes, der einer der größten Schauspieler und Egoisten der Weltgeschichte ist. Aber die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Nicht das Jahrtausend, nicht dieses Jahrhundert und auch nicht dieses Jahrzehnt, sondern das gegenwärtige Jahr wird über Sie zu Gericht sitzen und Ihre Sucht nach Glorie, Ihre Selbstsucht, Ihre Mißachtung aller Gesetze und Rechte mit einem Urteil belegen, das den rothäutigen Zapoteken seinem Volk wiedergibt und den Völkern in das Gedächtnis rufen wird, daß Gott noch immer der Gerechte ist, der zu belohnen und zu bestrafen weiß. Werden Sie aber von der Weltgeschichte gerichtet, so brauche nicht ich Ihr Richter zu sein. Der Zapoteke steht vor den Mördern seines Volkes und den Verwüstern seines Landes. Wollen Sie meine Stimme hören, ist es gut, wenn nicht, wird meine Hand mit aller Schwere auf Ihnen ruhen. Ich bin jetzt Herr von Chihuahua. Wollen Sie mich als solchen anerkennen und sich nach dem Hauptquartier Bazaines zurückziehen, natürlich mit dem Versprechen, daß weder Sie, noch die hiesigen Truppen wieder gegen mich kämpfen werden, so gewähre ich Ihnen und den Ihrigen, nachdem die Soldaten entwaffnet worden sind, freien Abzug. Gehen Sie nicht darauf ein, so vernichte ich die Besatzung. Sie selbst aber werden nicht erschossen, sondern im Fluß ertränkt, und zwar zur Stunde und am Ort, wo die Bürger dieser Stadt erschossen werden sollten. Ich gebe Ihnen zehn Minuten Zeit, sich zu besprechen. Ich werde mich bis dahin zurückziehen und Ihre Knebel entfernen lassen; aber neben einem jeden steht ein Indianer mit dem Messer in der Hand. Wer mehr als halblaut redet oder gar einen Versuch wagt, sich zu befreien, der hat im nächsten Augenblick die Klinge in der Brust. Ich biete Ihnen die Hand zur Rettung und bitte Sie um Gottes willen, sie nicht zurückzuweisen. Denken Sie nicht, daß ich ein Jota von meiner Forderung abgehe. Trete ich wieder ein, so verlange ich ein kurzes Ja oder Nein; weiteres höre ich gar nicht an!«

Der Mann mit dem glühend patriotischen Herzen und dem eisernen Willen gab den Indianern einen Befehl. Sofort stand je einer von ihnen neben jedem Offizier, und mit der Linken dieselben von ihren Knebeln befreiend, zogen sie mit der Rechten die Messer, sie zum Stoß bereithaltend. Hierauf verließ Juarez das Zimmer und ging nach der Wachtstube. Dort lagen gegen dreißig Soldaten gefesselt am Boden.


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