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16. Kapitel.

Unterdessen war Sternau mit dem alten Hausmeister durch einige Straßen gegangen, ohne daß sie von jemand beachtet worden wären. Es war dunkel, daß sie kaum gesehen werden konnten. Endlich gelangten sie an eine Tür, vor der der Hausmeister stehenblieb.

»Wir sind hier an der hinteren Seite des Stadthauses, Señor«, sagte er. – »Und dies ist wohl die Tür, an der Ihr mich erwarten werdet?« fragte Sternau. – »Ja. Bleibt kurze Zeit hier! Ich will mit meinem Bruder sprechen.«

Er verschwand um die Ecke, und Sternau blieb allein zurück. Es verging wohl eine Viertelstunde, ehe der Hausmeister zurückkehrte.

»Habt Ihr ihn getroffen?« fragte Sternau. – »Ja.« – »Aber er kommt nicht mit. Er hat es wohl vorgezogen, nicht auf unser Vorhaben einzugehen, jedenfalls weil es sowohl für ihn, als auch für uns gefährlich ist?« – »O nein, Señor. Er hat sofort mit tausend Freuden seine Zusage gegeben; er schlägt nur einen anderen Weg ein. Hört Ihr's? Jetzt endlich kommt er.«

Wirklich hörte man jetzt jenseits der Tür ein Geräusch, als wenn jemand eine Treppe herabgestiegen käme. Dann wurde leise ein Schlüssel in das Schloß gesteckt und die Tür geöffnet.

»Kommt herein«, flüsterte es.

Sofort trat Sternau ein, und der Hausmeister folgte. Nun wurde die Tür wieder verschlossen, und es kam ein Blendlaternchen zum Vorschein, das der Schließer unter seinem Gewand trug. Er ließ den Lichtschein auf Sternau fallen und sagte:

»Mein Bruder hat mir eine Botschaft gebracht, die ich kaum glauben kann. Ist es wahr, Señor, wirklich wahr, daß Benito Juarez in der Nähe ist?« – »Das ist allerdings wahr.« – »Er kommt nach Chihuahua?« – »Ja.« – »Ihr könnt das beschwören?« – »Mit dem besten Gewissen. Ich habe ihn noch heute vormittag gesprochen; ich eilte voraus, um sein Bote zu sein. Ihr werdet ihm vielleicht noch heute nacht dieses Haus hier öffnen.« – »So segne Euch die Heilige Jungfrau für ein jedes Wort, was Ihr jetzt sagtet. Ich aber will Euch zu Diensten sein, so viel und gut ich kann.« – »Ihr wißt, um was es sich handelt?« – »Ja. Mein Bruder hat es mir bereits mitgeteilt.« – »Stimmt Ihr seinem Plan bei?« – »Vollkommen. Während er Euch hier erwartet, gehe ich wieder diese Treppe empor. Kommt mit! Ich werde Euch den Weg zeigen.«

Der Hausmeister führte Sternau mit Hilfe des Laternchens die Treppe empor und durch vier Zimmer, bis sie vor einer Tür standen, an der er stehenblieb, um zu horchen.

»Es ist niemand draußen«, sagte er. »Blickt hinaus!«

Er öffnete dabei die Tür ein wenig, und Sternau sah nur einen spärlich erleuchteten Korridor, auf dem sich kein Mensch befand. Gegenüber lag auch eine Tür.

»Seht«, sagte der Schließer, »hinter jener Tür stecken die Offiziere. Dort hinein wird man Euch führen, und hier erwarte ich Euch. Müßt Ihr fliehen, so dreht Ihr drüben schnell den Schlüssel um und springt schnell hier herein. Ich trete hinaus, um später drüben zu öffnen. Ihr aber schließt hier alle Türen hinter Euch ab und verlaßt über die Treppe das Haus. Den Hauptschlüssel und die Laterne könnt Ihr meinem Bruder geben.« – »Schön!« entgegnete Sternau. »Das ist alles so deutlich, daß ein Kind es verstehen müßte. Wir können also beginnen? Nicht?« – »Ja. Aber eins bitte ich Euch, Señor. Nehmt Euch vor dem Schießen in acht.« – »Habt keine Sorge um mich.« – »Und verratet mich nicht, wenn es anders abläuft, als wir hoffen.« – »Ihr könnt Euch ganz und gar auf mich verlassen. Jetzt also werde ich gehen.« – »Geht in Gottes Namen.«

Sternau kehrte über die Treppe hinab zu dem Hausmeister zurück und schritt dann nach der anderen Seite des Hauses. Dort war das Tor geöffnet und der breite Flur erleuchtet. Posten standen nicht vor der Tür. Dies hatte man in Chihuahua für überflüssig gehalten. Im Flur befand sich die Tür des Wachtlokales offen, und als er vorüber wollte, trat ein Unteroffizier vor und fragte höflich:

»Verzeihung, Monsieur, wohin wollen Sie?«

Sternau machte den Eindruck eines seltenen und vornehmen Mannes.

»Ist der Kommandant zu sprechen?« fragte er. – »So spät?« – »Das ist für Sie gleichgültig! Ich frage, ob der Kommandant zu Hause ist!«

Diese Grobheit imponierte.

»Ja, Monsieur«, antwortete der Mann. – »Wollen Sie mich melden, Señor?« – »Gern. Welchen Namen soll ich nennen?« – »Doktor Sternau.«

Sternau sah keinen Grund, hier seinen guten Namen zu verheimlichen.

»Sehr wohl! Folgen Sie mir!«

Droben saßen die Herren bei einer Ananasbowle und trieben Politik nach Art der Franzosen, leicht und lustig, und bauten Kartenhausschlösser, die keinen Wert haben. Da trat der Unteroffizier ein und meldete:

»Draußen ist ein Herr, der den Herrn Kommandanten sprechen will.« – »So spät?« sagte der Erwähnte unwillig. – »Ich erlaubte mir, dies ebenso zu bemerken.« – »Was meinte da der Mann?« – »Er fuhr mich an, wie ein Hund die Katze.« – »Ah! Wer ist es?« – »Er nannte sich Doktor Sternau.« – »Ein deutscher Name. Es wird der Feldscher oder Chirurg einer der belgischen oder kaiserlichen Bataillone sein. Höchst unangenehm und langweilig; aber wir wollen ihm den Zutritt gestatten. Er mag hereinkommen.« – Eintreten!« schnarrte der Unteroffizier, das Zimmer verlassend.

Aller Augen richteten sich nach der Tür. Anstatt des erwarteten, untertänigen Pflastermannes trat eine hohe, herkulisch gebaute Figur ein, die in der reichsten mexikanischen Weise gekleidet war. Sternau sah wirklich gebieterisch aus.

»Guten Abend, meine Herren«, grüßte er, sich verbeugend.

Von dem Eindruck seiner Persönlichkeit ergriffen, erhoben sich die Offiziere und erwiderten seinen Gruß.

»Ich bin an den Herrn Kommandanten von Chihuahua adressiert.« – »Der bin ich«, sagte der Genannte. »Wollen Sie Platz nehmen? Vorher jedoch erlaube ich mir, Ihnen die Namen dieser Herren zu nennen.«

Sternau nickte bei jedem Namen leicht und vornehm mit dem Kopf; als aber Oberst Laramel genannt wurde, nahm er die Physiognomie und das Äußere desselben genauer in Augenschein. Dann setzte er sich nieder.

»Was verschafft mir die unerwartete Ehre, den Herrn Doktor bei mir zu sehen?« fragte der Kommandant. – »Ein ganz eigentümlicher Zufall, der mir ebenso unerwartet gekommen ist, wie Ihnen heute meine Gegenwart, Herr Kommandant«, antwortete Sternau. »Zunächst die Bemerkung, daß ich ein Deutscher bin.«

Der Offizier nickte kalt mit dem Kopf.

»Ich erriet dies aus dem Klang Ihres Namens«, sagte er. – »Ich befand mich aus Gründen, die den Gegenstand nicht berühren und also nicht hierhergehören, längere Zeit in der Südsee. Ich hatte Veranlassung familiärer Art, von da nach Mexiko zu gehen, und schlug die Route ein, die sich gegen die Grenze von Neumexiko neigt.« – »Eh bien!« sagte der Franzose neugierig werdend. – »Während eines Rasttages hatte ich das unerwartete Vergnügen, einen Mann kennenzulernen, dessen Name mit der Geschichte von Mexiko sehr innig verbunden ist. Die Herren erraten vielleicht, wen ich meine?« – »Donnerwetter, jedenfalls Juarez!« rief Oberst Laramel aufspringend. »Habe ich richtig geraten?« – »Ja, Herr Oberst.« – »Famos! Endlich, endlich hört man etwas Genaues. Wo steckt er?« – »Ich bitte zunächst um die Erlaubnis, in meiner Einleitung fortfahren zu dürfen«, sagte Sternau im höflichsten Ton. – »Das hat Zeit. Beantworten Sie mir zunächst meine Frage. Das ist die Hauptsache.«

Diese Worte wurden in einer rücksichtslosen, fast groben Weise gesprochen, daß Sternau ihnen gar keine Beachtung schenkte. Er fuhr also fort:

»Ja, Juarez war es, den ich kennenlernte, und zwar während ...« – »Ich habe Sie gefragt, wo sich Juarez befindet!« rief, ihn unterbrechend, der Oberst Laramel in gebieterischem Ton.

Da drehte Sternau sich lächelnd zu ihm herum, aber in diesem Lächeln lag alles ausgedrückt, was einen Laramel beleidigen konnte, und sagte:

»Herr Oberst, Sie befinden sich nicht vor der Front einer Strafkompanie, sondern Sie sitzen vor einem Mann, der gewohnt ist zu sprechen, wie es ihm gefällt. Ich liebe nicht, unterbrochen zu werden; ist dies dennoch der Fall, so erfordert die Sitte, daß es in höflicher Weise geschieht. Finde ich diese Höflichkeit nicht, die doch bereits unter den gewöhnlichsten Straßenkehrern anzutreffen ist, so habe ich festzuhalten, daß ich nur kam, um mit dem Herrn Kommandanten zu sprechen.«

Das war eine Zurechtweisung, wie sie dem Obersten wohl noch nie geworden war. Er erhob sich und griff an seinen Degen.

»Monsieur, wollen Sie mich beleidigen?« rief er. – »Keineswegs«, antwortete Sternau ruhig. »Ich habe nur die Absicht gehabt, mir die einem jeden gebildeten Mann gebührende Rücksicht zu verschaffen.«

Der Kommandant mochte einen ernsten Auftritt befürchten und erwiderte:

»Das genügt jedenfalls. Der Herr Doktor hat erklärt, daß er den Herrn Obersten Laramel nicht beleidigen wollte, und den Herrn Obersten ersuche ich freundlichst, den Herrn Doktor aussprechen zu lassen. Somit ist alles gut. Bitte, fortzufahren.«

Diese Worte waren an Sternau gerichtet, und da sie in einem freundlichen Ton gesprochen waren, so verbeugte sich dieser höflich und fuhr fort:

»Ich sagte also, daß ich Benito Juarez kennenlernte. Es geschah dies während einer kleinen Exkursion, die er von Paso del Norte aus unternahm. Ich glaube nicht ein politisches Verbrechen zu begehen, wenn ich gestehe, daß ich ein lebhaftes Interesse für diesen Mann empfand, und ich hatte das Glück, diese Teilnahme in freundlichster Weise von ihm erwidert zu sehen.« – »Wollen Sie damit sagen, daß Sie ein Freund von Juarez sind?«

Diese Frage sprach der Kommandant in einem sehr ernsthaften Ton aus.

»Ja, dies und nicht anderes will ich sagen«, antwortete Sternau furchtlos.

Da runzelte der Kommandant die Stirn.

»Sie scheinen eine große Aufrichtigkeit zu besitzen«, sagte er. – »Ich bin gewöhnt, Aufrichtigkeit als eine Tugend zu betrachten.« – »Das ist sie auch; aber diese Tugend kann unter gewissen Verhältnissen verhängnisvoll werden, sobald sie zur Unvorsichtigkeit wird.« – »Ich hoffe, bis jetzt noch nicht unvorsichtig geworden zu sein«, bemerkte Sternau unter einem gleichmütigen Lächeln.« – »O doch! Sie haben sich ja als ein Anhänger von Juarez legitimiert.« – »Davon weiß ich nichts. Es ist sehr leicht möglich, der persönliche Freund eines anderen zu sein, ohne gerade dessen politischen Grundsätzen zu huldigen. Gehen wir also in friedlicher Weise über diesen Punkt hinweg. Ich wiederhole, daß ich das Glück hatte, Juarez kennenzulernen und mir sein Vertrauen zu erwerben. Meine Anwesenheit ist ein Beweis für diese Behauptung, denn ich komme als Abgesandter des Zapoteken zu Ihnen.« – »Ah!« rief da der Kommandant erstaunt. »Als sein Abgesandter?« – »Ja.« – »Vielleicht gar als sein Bevollmächtigter?« – »Allerdings. Ich besitze die Vollmacht, mit Ihnen zu unterhandeln.«

Da stieß Oberst Laramel ein höhnisches, verächtliches Lachen aus, doch ohne ein Wort zu sagen. Sternau beachtete es nicht, und der Kommandant meinte:

»Ich schließe mich meinem Kameraden an, der durch sein Gelächter beweist, daß er Ihre Worte mehr als sonderbar findet. Glauben Sie wirklich, daß Juarez der Mann ist, mit dem ein Franzose unterhandeln würde?« – »Das glaube ich allerdings«, antwortete Sternau ruhig. – »Dann machen Sie sich freilich eines riesigen Irrtums schuldig. Es kann niemals einer Behörde einfallen, mit einem Majestätsverbrecher und Landesverräter zu unterhandeln. Das weiß ein jeder leidlich gebildeter Mann.« – »Ich schließe mich dieser Ansicht gern an, möchte aber doch fragen, ob Sie unter diesem Majestätsverbrecher und Landesverräter Juarez verstehen.« – »Natürlich«, antwortete der Kommandant erstaunt. – »Aus welchem Grund?« – »Er konspiriert gegen uns, er leistet uns bewaffneten Widerstand.« – »Eigentümlich«, meinte Sternau mit leisem Kopfschütteln. »Juarez hat ganz dieselbe Meinung von Ihnen.« – »Ah!« rief es ringsum aus aller Munde. – »Ja«, antwortete Sternau unerschrocken. »Juarez behauptet, noch Präsident zu sein. Er wurde von Mexiko an diesen Posten berufen und nicht wieder abberufen. Er behauptet, daß die Franzosen gegen ihn konspirieren und ihm bewaffneten Widerstand leisten. Er behauptet, daß ein Majestätsverbrecher doch immerhin ein politischer, nicht aber ein ehrloser Verbrecher sei, daß aber die Franzosen gewaltsam in Mexiko eingedrungen seien, wie es zum Beispiel Einbrecher in einem nicht hinreichend bewachten Haus tun würden.«

Da sprang Oberst Laramel auf, legte die Hand an den Degen und rief zornig dem Kommandanten zu:

»Herr Kamerad, wollen Sie sich diese Beleidigung gefallen lassen?«

Auch der Kommandant stand von seinem Sitz auf.

»Allerdings nicht«, antwortete er. Und zu Sternau gewandt, fuhr er fort: »Sie haben uns mit Ihren Worten als gemeine Einbrecher bezeichnet?« – »Das fällt mir nicht ein«, entgegnete der Gefragte. »Sie bezeichneten Juarez mit einem Namen, den er ganz entschieden zurückweist, und ich gestattete mir darauf nur, Ihnen anzudeuten, in welcher Weise er den betreffenden Gegenstand beurteilt. Von meiner Meinung ist keine Rede gewesen.« – »Das wollen wir uns auch sehr verbitten. Ich betrachte Ihren Besuch als einen sehr nutzlosen und entschieden gefahrvollen. Nutzlos ist er für Juarez, da wir nicht mit ihm verhandeln, und gefahrvoll ist er für Sie, Monsieur.«

Sternau nahm eine ungläubige Miene an.

»Gefahrvoll für mich?« fragte er. »Inwiefern, Monsieur?« – »Weil Sie dabei Ihre Freiheit, ja, sogar Ihr Leben wagen.« – »Ah! Unmöglich!« – »Und doch! Juarez ist vogelfrei. Ich habe erst gestern den strengen Befehl erhalten, jeden seiner Anhänger als Banditen zu betrachten und zu behandeln, das heißt, ihn erschießen zu lassen.« – »Alle Teufel«, lachte Sternau, »so wird mir wohl das Vergnügen, von Ihnen auch als Bandit betrachtet zu werden?« – »Sie stehen sehr nahe an dieser Gefahr. Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß ich erstens einen Bevollmächtigten des Expräsidenten nicht als diplomatische Person anerkenne, und daß ich zweitens Sie als meinen Gefangenen festhalten werde.«

Da legte Sternau das eine Bein über das andere und antwortete ruhig:

»Über den zweiten Punkt wollen wir jetzt nicht rechten, dazu ist ja später noch Zeit. Was aber den ersten Punkt betrifft, so werde ich auf alle Fälle und trotz Ihrer Weigerung den mir gewordenen Auftrag ausrichten. Ich habe Ihnen nämlich zu sagen, daß ...«

Er wurde unterbrochen. Oberst Laramel trat nämlich einen Schritt näher und rief zornig:

»Halt! Kein Wort weiter! Jede Silbe wäre eine Beleidigung.«

Sternau zuckte die Achseln.

»Ich habe bereite gesagt, daß ich gekommen bin, um mit dem Kommandanten von Chihuahua, nicht aber mit einem anderen zu sprechen. Will man von einem Bevollmächtigen seitens Juarez nichts wissen, so kann es doch nichts schaden, einen Mann anzuhören, dessen Mitteilungen nur Nutzen bringen können.« – »Ihre Mitteilungen können mir nichts nutzen!« entgegnete der Kommandant streng. – »Sie könnten wenigstens weiteren und größeren Schaden verhüten, wenn sie allerdings auch nicht imstande sind, Geschehenes ungeschehen zu machen. Wollen Sie Juarez nicht als eine Person anerkennen, mit der Sie amtliche Verhandlungen pflegen, so wird er sich durch die Macht der Tatsachen Anerkennung verschaffen.« – »Welche Tatsachen sind das?« fragte der Kommandant spöttisch. »Meinen Sie etwa seine Flucht, seine Ohnmacht, seine Hilflosigkeit?« – »Flucht? Er ist nicht geflohen, er hat sich zurückgezogen. Ohnmacht? Nennen Sie einen Mann ohnmächtig, der alle Ihre Unternehmungen vereitelt?« – »Herr, wahren Sie Ihre Zunge!« brauste der Kommandant auf. »Ich weiß nicht, was Sie mit Ihrer Vereitelung meinen. Allerdings ist eine meiner Kompanien abgeschlachtet worden, aber es sind bereits Vorkehrungen getroffen, diesen Unfall zu rächen.« – »Glauben Sie, daß diese Rache Ihnen gelingen wird?« – »Unbedingt.« – »So sage ich Ihnen, daß jetzt Sie es sind, der sich eines gewaltigen Irrtums schuldig macht. Ihr Unternehmen ist nämlich bereits vollständig mißlungen.«

Der Offizier machte eine Bewegung des Schrecks.

»Wieso? Was wissen Sie von meinem Unternehmen?« – »Oh, Juarez war bereits längst von demselben unterrichtet und hatte seine Vorkehrungen getroffen. Der Angriff auf Fort Guadeloupe hat allerdings stattgefunden, aber er ist abgeschlagen worden.«

Da sprangen auch sämtliche Offiziere auf, die bisher noch gesessen hatten.

»Unmöglich!« rief der Oberst. »Wer hat ihn abgeschlagen?« – Juarez.« – »So befand er sich in Guadeloupe?« – »Er begab sich dorthin, sobald er von Ihrer Absicht unterrichtet wurde.« – »Sie wissen das genau?« – »Ich befand mich bei ihm.« – »Sie waren bei dem Angriff zugegen?« – »Ja.« – »Nun, dann wird der Erfolg des Expräsidenten nur ein augenblicklicher und kurzer gewesen sein. Wir haben es nicht erreicht, ihn zu überraschen, aber meine tapferen Truppen werden dennoch das Fort nehmen und ihn, wenn nicht fangen, so doch wenigstens aus demselben vertreiben.« – »Ich muß Ihnen leider sagen, daß dies nicht geschehen wird.« – »Warum nicht?« – »Weil Sie keine Truppen mehr haben.«

Der Kommandant erbleichte.

»Wie meinen Sie das?« fragte er stockend. – »Ihre Truppen sind vollständig vernichtet.« – »Herr, beabsichtigen Sie etwa, mir eine Falle zu stellen, eine Schlinge zu legen?« – »Nein, sondern ich sage Ihnen die Wahrheit. Von Ihren Truppen, Franzosen sowie auch Komantschen, lebt nur noch ein einziger Mann, und dieser liegt skalpiert in einem Haus in Guadeloupe.«

Einige Augenblicke lang herrschte tiefes Schweigen, dann rief Oberst Laramel:

»Das ist eine Lüge, eine ganze abscheuliche Lüge!«

Sternau würdigte ihn keines Blickes, sagte aber zum Kommandanten:

»Ich bitte, mich gegen derartige Beleidigungen in Schutz zu nehmen, sonst bin ich gezwungen, zur Selbsthilfe zu greifen.« – »Eine Lüge!« wiederholte Laramel wütend. »Dieser Mensch ist ein Lügner!«

Er hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, so lag er auch bereits regungslos am Boden. Sternau hatte sich blitzschnell erhoben und ihm die Faust so an den Kopf geschlagen, daß er zusammenbrach.

Der Schreck über diese Tat machte alle momentan starr, dann faßte sich der Kommandant zuerst und rief drohend:

»Monsieur, was wagen Sie! Sie schlagen einen französischen Regimentskommandeur nieder? Wissen Sie, daß wir das mit dem Tode bestrafen?«

Sternau warf den Kopf stolz zurück und antwortete:

»Pah, ich habe noch ganz andere Kerle niedergeschlagen. Und ich sage Ihnen, daß ich auch jeden zweiten, dritten, fünften und zehnten niederschlagen werde, der es wagen sollte, mich in ähnlicher Weise zu beleidigen.« – »Ah, Sie haben noch dazu die Frechheit, zu drohen?« rief der Kommandant, indem sein Auge aufflammte. »Ich werde Sie sofort festnehmen lassen.«

Damit tat er einen Schritt nach der Tür.

»Bleiben Sie!« rief da Sternau in gebieterischem Ton

Der Offizier hielt in seiner Bewegung inne und starrte Sternau an.

»Herr, sind Sie etwa wahnsinnig, sich dieses Tones zu bedienen?« rief er und zog den Degen, und auch die anderen entblößten ihre Klingen. – »Lassen Sie Ihre Waffen in Ruhe, meine Herren!« entgegnete Sternau. »Ich kam, um von Ihnen gehört zu werden, und ich werde mir Gehör verschaffen. Ihre Degen fürchte ich nicht. Wohl aber haben Sie meine Kugeln zu fürchten, die jedenfalls schneller und gefährlicher sind, als Ihre Klingen.«

Bei diesen Worten zog er zwei Revolver hervor und richtete die Mündungen derselben auf die Franzosen. Sein mächtiges Äußeres, sein blitzendes Auge und der gebieterische Ton seiner Stimme machten in diesem Augenblick einen Eindruck, dem keiner widerstehen konnte. Der Kommandant fuhr erschrocken zurück.

»Mensch, Sie wollen wirklich schießen?« fragte er. – »Ja. Ich gebe Ihnen mein Wort daß ich jedem sofort, auf der Stelle, eine Kugel geben werde, der Miene machen wird, mich anzugreifen oder nach Hilfe zu senden. Sie sind mit Ihren Degen bewaffnet, ich bin Ihnen also mit meinen Revolvern überlegen.«

Die Herren sahen die Wahrheit dieser Worte ein.

»Unerhört!« sagte der Kommandant den vorher drohend erhobenen Degen senkend. »Sie sehen doch jedenfalls ein, daß Sie verloren sind!« – »Noch nicht. Vielmehr habe ich die Ansicht, daß Sie selbst verloren sind, wenn Sie nicht meiner Aufforderung folgen, ruhig Platz zu nehmen.«

Sternau hatte dabei ein so drohendes, gebieterisches Aussehen, daß sämtliche Offiziere ganz unwillkürlich sich wieder niedersetzten.

»Sie bedrohen uns mit bewaffneter Hand?« knirschte der Kommandant. – »Allerdings.« – »Sie schlugen bereits einen von uns nieder!« – »Gewiß.« – »Man wird dies streng bestrafen.« – »Versuchen Sie dies. Vorher jedoch haben Sie die Güte, mich zu hören und mir zu antworten.« – »Reden Sie!«

Sternau hielt noch immer die Revolver zum Schuß bereit.

»Sie sprachen von einem Befehl, jeden Anhänger von Juarez als Banditen zu behandeln. Werden Sie diesem Befehl gehorchen?« – »Unbedingt.« – »So läßt Juarez Sie warnen. Er wird Repressalien gebrauchen.« – »Wir fürchten ihn nicht.« – »Er läßt Ihnen dennoch sagen, daß er auch jeden Franzosen, der in seine Hände fällt, als Bandit behandeln wird.« – »Er soll dies um Gottes willen nicht wagen.« – »Er wagt nicht mehr als Sie. Ferner habe ich Sie aufzufordern, Chihuahua augenblicklich mit Ihren Truppen zu verlassen.«

Der Kommandant stieß ein fast heiseres Gelächter aus.

»Das klingt ja possenhaft!« rief er. – »Ist aber doch sehr ernst gemeint. Juarez wird Sie ruhig abziehen lassen, wenn Sie seine Forderungen respektieren.«

Da erhob sich der Kommandant abermals.

»Respektieren? Welche Ausdrücke wagen Sie zu gebrauchen!« rief er. »Sie sind ein verwegener Mensch, dessen Revolver mich für einen Augenblick überraschen konnte, aber ich bin französischer Offizier und fürchte Ihre Kugeln nicht. Ich werde Sie festnehmen lassen trotz Ihrer Revolver. Vorher aber will ich Ihnen meine Antwort geben.« – »Ich bin begierig, sie zu hören.« – »Ich sage Ihnen, daß ich den überkommenen Befehl auf das strengste erfüllen werde.« – »Das ist mir leid, zumeist um Ihrer selbst willen.« – »Pah! Ich werde bereits heute beginnen, meine Pflicht zu tun. Und wissen Sie, wer der erste ist, den ich noch diese Nacht als Bandit erschießen lasse?« – »Ich ahne es«, erwiderte Sternau lächelnd. »Sie meinen natürlich mich?« – »Allerdings. Sie sind mein Gefangener. Ergeben Sie sich freiwillig! Ihr erster Schuß wird vielleicht einen von uns töten, dann aber haben wir Sie fest, ehe Sie den zweiten abfeuern können.« – »Das zu beweisen dürfte Ihnen schwer gelingen, aber ich liebe es nicht, auf eine unnütze Weise Menschenblut zu vergießen, darum will ich meine Waffen wieder zu mir stecken.«

Mit diesen Worten schob Sternau die Revolver in die Tasche.

»Gut. Sie ergeben sich also?« – »O nein, das kann mir gar nicht einfallen.« – »Aber ich erkläre Ihnen, daß jeder Widerstand unnütz ist« – »Oh, es ist auch meine Absicht gar nicht, Ihnen Widerstand zu leisten. Ich wünsche nur, mich Ihnen zu empfehlen.«

Er machte eine tiefe, ironische Verbeugung und hatte dann mit drei raschen, weiten Schritten die Tür erreicht

»Halt! Faßt ihn! Haltet ihn fest!« rief der Kommandant und sprang selbst eiligst nach der Tür, aber als er sie erreichte, hatte sie sich bereits hinter Sternau wieder geschlossen.

»Er flieht! Er entkommt! Ihm nach!«

Unter diesen Rufen drängten sich die Herren Franzosen nach dem Ausgang, aber sie fanden zu ihrem Ärger die Tür verschlossen. Keiner dachte daran, ein Fenster zu öffnen, um einen Befehl hinabzurufen, sondern ein jeder vereinigte sich mit den anderen, um die Tür mit den Fäusten zu bearbeiten. Erst nach verhältnismäßig langer Zeit wurde sie geöffnet. Der alte Schließer stand draußen. Er machte ein ganz erstauntes Gesicht und sagte:

»Dios mio! Wer hat denn die Señores eingeschlossen?« – »Mensch, wo warst du denn jetzt?« fragte der Kommandant. – »Unten an der Tür, Señor«, antwortete der Gefragte. – »Hast du jemand das Haus verlassen sehen?« – »Ja, Señor.« – »Wer war es?« – »Der Fremde, der vorhin eintrat.« – »Du meinst den hohen, breiten Menschen in mexikanischer Tracht?« – »Ja, denselben.« – »Nach welcher Richtung ging er fort?« – »Er ging nicht, sondern er ritt.« – »Er ritt?« klang die erstaunte Frage. »Er hatte ein Pferd in der Nähe?« – »Ja, Señor. Ich stand am Tor. Er kam sehr schnell an mir vorübergeeilt und stieß, als er die Straße kaum erreicht hatte, einen Pfiff aus. Da hörte ich Pferdegetrappel. Ein Reiter, der noch ein lediges Pferd führte, kam herbei, er sprang rasch auf und ritt davon.« – »Ah, das hätten wir hören müssen.« – »Ich habe es ja selbst kaum gehört. Die Señores klopften hier so derb und stark an, daß anderes nur schwer zu vernehmen war.« – »Das mag sein. In welcher Richtung ritt er davon?« – »Nach links.« – »So wird er uns doch nicht entkommen. Es muß ihm sofort ein gut berittenes Piquet folgen. Wer will das übernehmen?«

Es meldeten sich mehrere der jüngeren Offiziere. Der Kommandant traf seine Wahl, und bald ritt der betreffende in Begleitung von zehn Kavalleristen in der angegebenen Richtung davon.


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