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7. Kapitel.

Unterdessen hatte der eine der Mexikaner, die den Vaquero nach dem Keller gebracht hatten, eine Magd hinauf zu Josefa geschickt. Diese fand das Mädchen in der oben bereits erwähnten Stellung. Sie saß auf dem Stuhl, hatte die Stirn auf der Kante des Tisches liegen und hustete in einzelnen, schwachen Stößen Blut aus dem Mund.

»Um aller Heiligen willen, was ist mit Euch, Señorita?« fragte die Magd. »Ihr spuckt ja Blut. Seid Ihr verletzt?«

Josefa hob langsam den Kopf in die Höhe und erwiderte leise:

»Ich muß schreiben. Gib Kissen her.« – »Schreiben? Das geht unmöglich.« – »Es muß gehen.« – Aber man sagte mir, Ihr hättet mehrere Rippen gebrochen.« – »Wer sagte es?« – »Einer von den zweien, die dabeigewesen sind.«

Da fuhr sie langsam mit der Hand nach der Brust. Dann entfuhr ein Wehlaut ihrem Mund, ihr Gesicht wurde erst leichenblaß, dann blutrot, und nun hustete sie wieder so, daß das Blut ihr aus dem Mund floß.

»Seht Ihr es, Señorita, daß der Mann recht hatte?« rief das Mädchen. – »Hole ihn!«

Die Magd ging, und bald trat der ein, von dem sie soeben gesprochen hatte.

»Ihr sagtet vorhin, daß ich einige Rippen gebrochen hätte?« fragte ihn Josefa.

Man sah und hörte ihr an, daß ihr jede Silbe schwerfiel.

»Ja, Señorita«, antwortete er. – »Wißt Ihr, wo der nächste Arzt zu finden ist?« – »Vielleicht in Saltillo oder Castannela. Gewiß weiß ich es nicht.« – »Wie weit ist dies?« – »Einen und einen halben Tag und ebensolange wieder her, also drei Tage.« – »So lange kann ich nicht warten.« – »Ja, näher gibt es keinen Arzt.« – »Kennt Ihr alle Männer genau, die sich jetzt hier befinden?« – »Ich denke, so ziemlich alle.« – »Gibt es nicht zufälligerweise einen unter ihnen, der Arzt gewesen ist?«

Diese Frage war nicht so außerordentlich, als es einem Deutschen scheinen möchte. Da drüben in jenen Ländern spielt das Schicksal sonderbar mit dem Menschen.

»Arzt nicht, aber – Chirurg«, antwortete der Mann zögernd.

Er wollte das Wort Bader denn doch lieber nicht gebrauchen.

»Chirurg? Das ist ja, was ich nötig habe. Wer ist es?« – »Mein Kamerad, der vorhin mit bei Euch war.« – »Der den Vaquero hielt?« – »Ja.« – »Versteht er sich auf Rippenbrüche?« – »Oh, ausgezeichnet. Er hat schon als Lehrling Rippenbrüche geheilt.« – »So holt ihn herauf.«

Der Mann ging und brachte in kurzer Zeit seinen Kameraden herbei, der mit selbstbewußter Miene in das Zimmer trat.

Josefa hatte Mühe, sich auf dem Stuhl zu halten.

»Ihr seid Chirurg?« fragte sie ihn. – »Nein«, antwortete er. – »Dummkopf«, raunte ihm der andere zu. – »Was denn?« fragte sie. »Der da sagte, daß Ihr Chirurg wäret.« – »Chirurg nicht, sondern Bader bin ich, Señorita.« – »Bader? Das ist ja ein sehr großer Unterschied, denke ich.«

Der gute Mann sah ein, daß er einen Fehler gemacht hatte, und antwortete:

»Jawohl, Señorita. Nämlich die Chirurgen heilen die Bein- und Leistenbrüche, die Bader aber heilen die Rippen- und Wasserbrüche.«

Er glaubte, damit seinen Fehler wieder gutgemacht zu haben. Josefa litt zu große Schmerzen, als daß sie über diesen Unsinn nachgedacht hätte.

»Also Ihr versteht, mit Rippenbrüchen umzugehen? Ihr könnt sie einrichten, verbinden und kurieren?« – »Das meine ich.« – »So untersucht mich einmal genau.« – »Legt Euch in die Hängematte.« – »Schafft mich hin.«

Die beiden Männer griffen zu und legten Josefa in die Matte. Da sie nach Art des Landes nur leicht gekleidet war, so konnte die Untersuchung ohne große Schwierigkeiten vorgenommen werden. Sie biß die Zähne zusammen, mußte aber doch einige Male einen Schmerzensschrei ausstoßen.

Endlich war der Mann fertig. Er verstand von dem Bau und den Krankheiten des menschlichen Körpers nicht mehr, als jeder andere Abenteurer, dennoch aber gab er sich den Anschein eines Mannes der Wissenschaft.

»Nun, wie steht es denn?« – »Schlimm, sehr schlimm«, antwortet er. – »Wirklich?« fragte sie voller Angst – »Ja, es steht so schlimm, daß es Euer Tod sein würde, wenn Ihr Euch an einen Pfuscher wendetet. Davon rate ich Euch ab.« – »Nun, was seid Ihr denn da? Ein Pfuscher?« – »Pfui Teufel«, antwortete er stolz. – »Also ein erfahrener Bader?« – »Ja. Fragt nur den da, der weiß es. Der hat Kuren von mir gesehen, Kuren, daß sich einem die Haare sträuben würden.« – »Vor Angst und Schreck?« – »Unsinn! Vor Erstaunen und Bewunderung.« – »Nun also, wie steht es mit mir?« – »Das muß ich Euch erklären. Habt Ihr die Rippen studiert, Señorita?« – »Nein.« – »So muß ich Euch sagen, daß es dreierlei Rippen gibt; solche, die zusammenstoßen, das sind die verheirateten Rippen, solche, die nicht zusammenstoßen, das sind die unverheirateten Rippen, und solche, die nur zuweilen zusammenstoßen, das sind die Konkubinatsrippen. Eine jede Frau hat sechs verheiratete, fünf unverheiratete und vier Konkubinatsrippen auf jeder Seite, macht also zusammen dreißig Rippen vorn und dreißig Rippen hinten. Der Mann hat einige Konkubinatsrippen mehr und eine verheiratete weniger.« – »Wozu das alles?« – »Um Euren Zustand zu begreifen. Der Fußtritt hat eine sehr große Verwüstung bei Euch angerichtet Es sind nicht nur neun Rippen gebrochen, nämlich auf der linken Seite, sondern die gebrochenen und ungebrochenen sind vollständig untereinander geraten – verheiratete, unverheiratete und Konkubinatsrippen. Alles befindet sich bunt durcheinander. Darum stehen Sie so große Schmerzen aus. Das alles auseinanderzubringen, ist wahrhaftig nicht jedermanns Sache.« – »Werdet Ihr es fertigbringen?« – »Das versteht sich«, antwortete er, sich in die Brust werfend. – »Wie lange wird es dauern?« – »Vier bis fünf Stunden.«

Josefa wurde leichenblaß.

»Fünf Stunden«, hauchte sie, »das ist ja unerhört.« – »Unerhört? Bei neun Rippen? Wo denkt Ihr hin. Ich habe in Durango zugesehen, wie ein Kolleg nur drei gebrochene Rippen einrichtete, was bei ihm elf volle Stunden dauerte, und als die Patientin gesund war, stellte es sich heraus, daß er zwei von diesen Rippen so dumm eingerichtet hatte, daß sie zwei Fuß lang hinten zum Rücken hinausstanden.« – Aber die Schmerzen«, sagte sie bang. – »Pah, das tut nicht sehr weh, das ist ungefähr so, als wenn Euch ein ziemlich großer Floh sticht. Und tut es einmal weher, so ist es am besten, man beißt die Zähne zusammen und fällt in eine Ohnmacht. Werdet Ihr das können?« – »Ich denke.« – »Nun, so kann es wohl losgehen?« – »Halt. Zuvor eine Frage. Darf ich dann gleich schreiben?« – »Wo denkt Ihr hin. Es würden Euch ja alle neun zum Rücken hinausfahren, wie der Frau in Durango. Ihr müßt im Bett liegenbleiben.« – »Gut, so werde ich vorher schreiben.« – »Ist das so notwendig?« – »Ja.« – »Aber Ihr werdet dabei große Schmerzen ausstehen.« – »Das muß ich ertragen.« – »Ganz, wie Ihr wollt. Ich muß Euch aber sagen, daß ich mit diesen neun Rippen nicht allein fertig werden kann.« – »So braucht Dir also Hilfe?« fragte sie erschrocken. – »Ja.« – Aber woher diese nehmen?« – »Ist schon gefunden. Hier mein Kamerad.« – »Ist er denn auch Chirurg oder Bader?« – »Nein, das ist gar nicht notwendig. Ich brauche nur einen Mann, der aufpaßt, daß die verheirateten, unverheirateten und Konkubinatsrippen nicht wieder zusammenfahren, wenn ich sie auseinandergelesen habe. Er muß sie festhalten, bis ich eine nach der anderen eingerichtet habe.« – »Nun gut, er mag Euch helfen. Ich werde Euch rufen lassen, wenn ich Euch brauche. Schickt mir die Magd und noch eine zweite dazu.«

Die beiden Männer gingen. Unten sagte der Bader zum anderen:

»Habe ich das nicht gut gemacht?« – »Famos! Sind wirklich neun entzwei?« – »Unsinn; es sind nur sechs. Drei habe ich dazugelogen, um ein besseres Trinkgeld zu erhalten. Verstehst du mich?« – »Sehr gut. Du bist ein Schlaukopf. Aber war das mit den dreierlei Rippen auch wirklich wahr?« – »Hm, darüber bin ich noch selbst im Zweifel. Ich glaube, das hat mir einmal ein Spaßvogel aufgebunden, und nun habe ich es auch glücklich wieder abgeladen.« – »Und sie hat es geglaubt?« – »Ah, Weiber glauben alles, wenn sie ein paar Rippen gebrochen haben, sonst aber glauben sie verdammt wenig, das kann ich dir sagen.« – »Hm, das ist meine Erfahrung auch. Aber ich will nach den Mägden sehen, damit sie nicht so lange zu warten braucht.«

Eine Viertelstunde später saß Josefa, von Kissen unterstützt und von den zwei Mägden gehalten, vor dem Tisch und schrieb. Es ging nur langsam, und es war viel, was sie schrieb. Endlich war sie fertig und schickte die Mädchen fort, zugleich ließ sie einen der Unteranführer rufen und fragte ihn:

»Hat Euch mein Vater seine Route mitgeteilt?« – »Ja, im geheimen, Señorita«, antwortete er. – »Ihr würdet ihn also treffen, wenn ich Euch ihm nachschickte?« – »Sicher.« – »Wann?« – »Er reitet schnell. Vier Tage würde ich brauchen.« – »Wenn Ihr ihn von jetzt an in vier Tagen erreicht und ihm diesen Brief übergebt, erhaltet Ihr dreihundert Duros ausgezahlt. Wollt Ihr diese Botschaft übernehmen?« – »Ja«, antwortete der Mann, indem sein Gesicht strahlte. – »Aber mein Vater braucht noch mehr Leute. Könnten wir fünfzig Mann entbehren?« – »Ja, ganz gut.« – »So nehmt fünfzig wohlbewaffnete Männer mit. Ihr werdet später erfahren, weshalb. Nur so viel kann ich Euch sagen, daß es einen Zug gilt, der Euch Auszeichnung und gute Beute bringen wird. Diesen Brief aber gebt ja in keine anderen Hände, als in die meines Vaters.«

Der Brief lautete wie folgt:

 

»Lieber Vater!

Ich habe kurz nach deinem Wegritt höchst Wichtiges erfahren. Ein alter Vaquero, derjenige, den Arbellez nach Fort Guadeloupe geschickt hatte, kam zurück, wurde festgehalten und von mir verhört. Es gelang mir, ihm folgendes zu entlocken:

Henrico Landola hat ein falsches Spiel mit uns getrieben. Keiner unserer Feinde ist tot sie leben alle noch. Sie wurden auf einer wüsten Insel ausgesetzt von der sie sich jetzt gerettet haben. Gegenwärtig befinden sie sich in Fort Guadeloupe, um unter Juarez' Schutz gegen uns loszubrechen. Es sind: Sternau, Mariano, Graf Ferdinando, die beiden Helmers, Büffelstirn, Bärenherz, Emma Arbellez und Karja. Graf Ferdinando bleibt auf dem Fort, weil er verwundet ist; er wird unter Apachenbedeckung später den anderen nachreiten. Diese sind mit Juarez nach Chihuahua aufgebrochen, von wo sie dann nach Coahuila gehen werden, um auch dieses zu erobern.

Juarez hat vier Kompanien Franzosen vernichtet und ebenso viele Komantschen. Östlich von Coahuila, am Zusammenfluß des Sabinaflusses mit dem anderen Arm, wollen sie Lord und Amy Lindsay treffen.

Du weißt nun, wie die Sachen stehen, und wirst dir selbst sagen, was geschehen muß. Sie müssen natürlich alle sterben, sonst sind wir verloren. Triff deine Maßregeln schnell, ich sende dir zu diesem Zweck noch fünfzig Männer nach.

Handle schleunigst, daß du bald zurückkehren kannst. Ich bedarf deiner, denn ich habe neun Rippen gebrochen, die mir jener Vaquero eingetreten hat, aus Rache, daß ich ihn überlistet und ausgehorcht habe.

Deine Josefa.«

 

Noch vor Abend sprengte die Truppe von fünfzig Mann zum Tor der Hazienda hinaus. Der Anführer trug den Brief wohlverwahrt bei sich.

Um dieselbe Zeit lag Josefa auf einem über den Boden ausgebreiteten Teppich. Die Operation hatte begonnen. Während der eine Mexikaner sie mit seinen Fäusten hielt, arbeitete der andere an ihren sechzig Rippen in einer Weise herum, daß ihr der blutige Schaum vor dem Mund stand.

Man hörte in der ganzen Hazienda ihr Schmerzgeschrei, das einem tierischen Gebrüll ähnlicher klang, als menschlichen Wehlauten. Man wollte bei ihr eintreten, um zu sehen, ob das nicht zu ändern sei, aber die beiden Operateure hatten von innen die Tür verschlossen und ließen keinen Menschen ein.

Erst nach mehreren Stunden hörte das Brüllen auf, und wer an der Tür horchte, konnte ein halblautes, ununterbrochenes Wimmern vernehmen. Die Tochter Cortejos litt unsägliche Schmerzen. In diesem Augenblick hätte sie den Tod willkommen geheißen. Und doch ahnte sie nicht, daß sie diese Schmerzen nun stets empfinden werde als Begleiter für das ihr noch zugemessene Leben. Die Rache des gerechten Richters hatte mit heute begonnen.


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