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14. Kapitel.

Der Diener führte André und Sternau die Treppe empor. Als sie in das Vorzimmer traten, in dem sich die Zofe befand, öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und Emilia erschien in derselben. Sie hatte die Schritte vernommen, und ihre Ungeduld trieb sie, den Kommenden entgegenzueilen.

André hatte Sternau den Vortritt gelassen; sie erblickte daher zunächst nur diesen letzteren. Als ihr Auge aber auf die hohe Gestalt mit dem männlich schönen, ernsten Gesicht und dem prächtigen, bis herab auf den Gürtel reichenden Bart fiel, blieb sie halb erstaunt und halb überwältigt stehen.

»Wer ist das?« fragte sie. »Wer kommt da? Ein Fremder?«

Sternau verbeugte sich leicht und antwortete:

»Ja, ein Fremder, Señorita; hier aber ist einer, der mich entschuldigen wird.«

Bei diesen Worten trat er zur Seite. Jetzt sah Emilia seinen Gefährten.

»Señor André!« rief sie da erfreut und tief aufatmend. »Willkommen, tausendmal willkommen. Tretet ein. Nur schnell herein zu mir.« – »Erlaubt zuvor, Euch diesen Herrn vorzustellen!« sagte er. »Es ist Señor Sternau, von dem ich Euch bereits gestern erzählt habe.« – »Señor Sternau? Ah, auch Ihr seid mir willkommen. Tretet ein!«

Emilia führte die Männer in das Zimmer, wo sie gestern André zweimal empfangen hatte. Dasselbe war viel heller erleuchtet als das Vorzimmer, und hier konnte man sich deutlich sehen.

Sternaus Auge ruhte bewundernd und wehmütig auf den beinahe unvergleichlichen Reizen dieses wunderschönen Mädchens. Sie aber erblickte ihn erst jetzt vollständig in seiner ganzen, mächtigen Erscheinung, die durch die reiche, mexikanische Tracht hervorgehoben wurde. Die helle Bewunderung leuchtete aus ihren Augen; doch beherrschte sie sich bald und bat ruhig:

»Nehmt Platz, Señores, und sagt, welche Botschaft Ihr mir bringt.« – »Es ist eine gute«, antwortete André, um ihre Besorgnis sogleich mit einem Mal zu zerstreuen. – »Gott sei Dank!« entgegnete sie, die Hände zusammenschlagend. »Also Juarez kommt?« – »Ja.« – »Wann?« – Jedenfalls noch vor der Exekution.« – »Hat er genug Leute bei sich?« – »Mehr als genug. Die Verurteilten sind gerettet.« – »Das haben sie Euch zu verdanken, Señor André. Denkt Euch, welche Todesangst, welche Schrecken und Qualen diese Ärmsten ausgestanden haben und noch ausstehen! Sie glauben, daß sie dem sicheren Tode entgegengehen, daß es keine Rettung gibt, daß sie still und heimtückisch hingemordet werden, ohne ihre Angelegenheiten ordnen, ja, ohne die Ihrigen noch sehen zu können. Aber ist es auch sicher, daß die Rettung kommen wird?« – »So sicher, als ich mich hier bei Euch befinde.« – »Weilte Juarez bereits auf dem Rendezvous?« – »Nein, ich mußte ihm entgegenreiten.« – »Wohl weit?« – »Es war eine ziemliche Strecke«, entgegnete der kleine Mann bescheiden.

Da aber ergriff Sternau, der noch nicht gesprochen hatte, das Wort und sagte:

»Ich muß Euch sagen, was unter dieser ziemlichen Strecke zu verstehen ist, schöne Señorita. Señor André traf uns am Rio Grande del Norte, also beinahe fünfzehn geographische Meilen von hier, und diese Strecke ist er in neun Stunden, meist bei Nacht, geritten, worauf er sie mit mir in elf Stunden nochmals zurückgelegt hat. Das ist eine fast übermenschliche Leistung. Als er uns erreichte, brach sein Pferd unter ihm zusammen. Er hat sich um die Verurteilten den größten Dank erworben. Ohne diese Leistung wären wir nicht imstande, Hilfe zu bringen.«

Emilia hatte den Sprecher ruhig angehört. Jetzt streckte sie André beide Hände entgegen.

»Ich danke Euch, Señor«, sagte sie, indem ihre Augen feucht schimmerten. »Ihr habt bewiesen, daß ein kleiner Mann ein großes Herz haben kann. Ich werde Euch dies niemals vergessen. Aber nun darf ich vielleicht fragen, welche Anstalten zur Rettung der Bedrängten getroffen werden müssen?«

Sternau antwortete:

»Zunächst sind wir vorausgeritten, um Euch zu sagen, daß die Hilfe naht. Das übrige muß sich aus den Umständen ergeben. Ist Euch der Platz genau bekannt, wo die Hinrichtung stattfinden soll?« – »Ja.« – »Wo liegt er?« – »Wenn Ihr von der Straße aus, durch die Ihr in die Stadt gekommen seid, dieselbe verlaßt und an der Stadtgrenze hin rechts nach dem Fluß geht, so macht dieser letztere eine Biegung, die einem Halbkreis gleicht. Das Feld also bildet an dieser Stelle des Flusses eine Art Halbinsel, und diese ist es, auf der die Leute erschossen werden sollen.« – »Ist der Fluß dort tief?« – »Tief und reißend. Daher beabsichtigen die Franzosen, die Leichen der Erschossenen in das Wasser zu werfen und sie fortschwemmen zu lassen.« – »Ist es wahr, was Señor André uns von dem Dekret erzählte?« – »Es ist die volle Wahrheit.« – »So ist für die Gefangenen keine Gnade, keine Nachsicht zu hoffen?« – »Nicht die mindeste, zumal Oberst Laramel anwesend ist.« – »Oberst Laramel? Welch ein Mann ist dieser Offizier?« – »Er ist berüchtigt wegen seiner Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit. Er findet ein Vergnügen an der Ermordung der Feinde; er gibt niemals Pardon und könnte mit Recht der Henker der Republikaner genannt werden.« – »Das genügt!«

Sternau sagte nur diese beiden Worte, aber aus seinem Ton klang etwas, was Emilia aufhorchen und fragen ließ:

»Wie meint Ihr das, Señor?« – »Ich meine, daß ich diesen Mann sehen und sprechen werde.« – »Natürlich nach dem Kampf, wenn er ihn überlebt?« – »Wahrscheinlich auch vor dem Kampf.« – »Das wird wohl unmöglich sein, Señor.« – »Warum? Wird er nicht beim Kommandanten zu treffen sein?« – »Gewiß. Ich hatte heute alle Ursache, mich genau zu informieren, und habe gehört, daß die sämtlichen Offiziere beim Kommandanten sitzen, um die Stunde der Hinrichtung bei ihm zu erwarten.« – »Ah, das ist gut! Ich werde sie also alle beisammen sehen.« – »Wie? Ihr wollt doch nicht hin?« fragte sie aufs heftigste erschrocken. – »Allerdings«, antwortete Sternau ruhig. – »Das dürft Ihr nicht! Ihr wäret ja verloren!« – »Das glaube ich nicht. Ich komme ja als Beauftragter von Juarez und darf also freies Geleit erwarten.« – »Ihr täuscht Euch, Señor! Man wird Euch sagen, daß Juarez ein Verräter sei und Ihr infolgedessen auch. Man wird Euch sagen, daß man weder mit Juarez, noch mit einem Vertreter von ihm unterhandelt, da er ein Republikaner, ein Bandit ist. Ihr liefert Euch selbst an das Messer.«

Da erhob Sternau sich von seinem Sitz, blickte an sich herab und fragte:

»Señorita, sehe ich etwa aus wie einer, nach dem man nur die Hand auszustrecken braucht, um ihn festnehmen und erschießen zu können?«

Emilias Blick ruhte mit aufrichtiger Bewunderung auf ihm, indem sie sagte:

»O nein! Ihr kommt mir vor, wie eine jener Gestalten, von denen uns die alten Heldensagen erzählen. Aber was ist der stärkste Riese gegen eine kleine, heimtückische Flinten- oder Pistolenkugel?« – »Solche Bedenken können mich nicht beeinflussen. Ich habe Juarez mein Wort gegeben, zum Kommandanten zu gehen, und werde es halten.« – »Aber man wird Euch festnehmen!« – »Ich werde mich wehren.« – »Man wird Euch erschießen!« – »Meine Freunde werden dies zu verhindern wissen.« – »Man wird Euch vielleicht sofort töten!« – »Meine Freunde werden mich rächen. Übrigens werden erst viele Feinde fallen, ehe es ihnen gelingt, mich zu töten!« – »So werdet Ihr zum mindesten unser Vorhaben, die Verurteilten zu befreien, verraten, Señor Sternau.« – »Habt keine Sorge! Ich werde nicht ein Wort darüber fallenlassen.« – »So wird man es aus Eurer bloßen Gegenwart erraten!« – »Desto besser; dann wird man die Hinrichtung unterlassen.« – »Man wird höchstens unterlassen, sie vor der Stadt zu vollziehen und anstatt dessen die Gefangenen in ihren Kerkern heimlich hinmorden.« – »Es werden sich auch hier Gegenmaßregeln finden lassen. Ich werde jetzt aufbrechen. Darf ich fragen, ob ich Euch später wieder aufsuchen kann?« – »Ich bitte Euch um alles dessen willen, was Euch heilig und teuer ist, bleibt zurück! Ihr geht wahrhaftig in den sicheren Tod!« – »Señorita, ein Mann muß unter allen Umständen sein Wort halten!«

Sternau sprach diese Worte so ernst und bestimmt, daß Emilia fühlte, daß an seinem Entschluß wirklich nichts zu ändern sei.

Darum sagte sie nach kurzem Nachdenken:

»Ich sehe, daß Ihr meine Bitte nicht erfüllen könnt; aber gewährt mir wenigstens einen kleinen Wunsch, den ich jetzt aussprechen werde.« – »Gern, wenn er der Erfüllung meines Wortes nicht zuwiderläuft.« – »Er ist derselben nicht entgegen; er ist sogar geeignet, dieser Erfüllung einen großen Teil der Gefahr zu benehmen.« – »So sprecht ihn aus.« – »Begebt Euch unter den Schutz eines Bekannten von mir!« – »Wer ist dieser Mann?« – »Es ist kein hochgestellter Herr; es ist nur der alte Schließer des Stadthauses.«

Sternau ahnte sofort, was sie beabsichtigte. Er antwortete: »Ist dieser Mann sicher und Euch ergeben?« – »Oh, er ist ein ehrliches, treues Gemüt«, meinte Emilia mit Wärme. »Er ist der Bruder meines Hausmeisters, ein unverbrüchlicher Anhänger des Präsidenten. Er sehnt den Augenblick herbei, wo Juarez Herr von Chihuahua ist, und wird gern alles tun, diesen Augenblick herbeizuführen. Er ist es auch, von dem ich gehört habe, daß die Offiziere beim Kommandanten sitzen.« – »Ihr denkt, er könnte mir sicheren Aus- und Eingang verschaffen?« – »Ja, gewiß. In seiner Hand befinden sich alle Schlüssel des großen Gebäudes.« – »Nun gut; es kann ja nichts schaden, wenn ich mit ihm spreche; aber dies müßte sehr bald geschehen, denn ich habe keine Zeit zu verlieren.« – »So erlaubt, daß ich vorher meinen Hausmeister rufen lasse, derselbe soll Euch begleiten, es ist der Bruder des Schließers.«

Emilia gab den bezüglichen Befehl, auf den der Alte sogleich kam.

Es wurde nun alles Nähere besprochen, und bald darauf verließ Sternau mit seinem Führer das Haus.


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