Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

19. Die Fäden verknüpfen sich

Arndt, Wunderlich und der Kommissar gingen zunächst zur Mühle hinüber, um gemeinsam nach den gefangnen Paschern zu sehn, denn die Pläne des Detektivs hatten sich infolge der letzten Ereignisse geändert.

Während sie durch den Mühlgarten schritten, brachte der Förster eine Bemerkung vor, die ihm schon seit dem glücklichen Wiederfinden auf der Zunge lag.

»Herr Vetter«, begann er, »Sie werden jetzt eine große Überraschung erleben.«

»So?« stellte sich der Detektiv ahnungslos, obwohl er vermutete, was nun kommen würde. »Inwiefern?«

»Wir haben den gefangnen Schmugglern die Masken abgenommen und die Burschen genauer betrachtet. Sie werden staunen, wen wir da unter der Bande gefunden haben.«

»Nun?«

»Zwei alte Bekannte.«

»Zwei?« fragte Arndt, und diesmal war er ernstlich im unklaren. »Ich dachte, nur einen.«

Der Förster machte ein enttäuschtes Gesicht.

»Sie wissen wohl gar schon Bescheid? Herr Vetter, verderben Sie mir den Spaß nicht! Wer ist denn der eine, von dem Sie reden?«

»Der Geschäftsfreund des Buschgespenstes, der durch seine zehn Träger die Schmuggelwaren aus Böhmen herbringen ließ. Es ist der ehrenwerte Kaufmann Michalowski.«

»Sie haben ihn trotz der Maske erkannt, obwohl Sie ihn nie vorher selber gesehn haben? Das ist doch nicht möglich! Ich bin ja auch erst durch den Ring aufmerksam geworden, den er auch heute trug; er erinnerte mich sogleich an die Beschreibung, die uns der Ochsenwirt gab. Und dann war es auch ganz die Gestalt des Mannes, dem ich bis zum ›Blauen Stern‹ nachgegangen bin. Ich sagte dem Gefangnen also auf den Kopf zu, er sei Michalowski, und er – nun ja, er gab es zu. Das hatte freilich seine besondern Gründe.«

Arndt, der nicht ahnte, was inzwischen in der Mühle vorgegangen war, überhörte die letzte Bemerkung Wunderlichs.

»Und ich«, sagte er, »habe im voraus gewußt, welche Rolle der Mann spielt. Ich bin nämlich schon seit einiger Zeit dahintergekommen, wer das Buschgespenst ist ... oder besser die Buschgespenster!«

Hier brach Arndt ab. Sie waren jetzt bei der Mühle angelangt; der Müller Wilhelmi trat ihnen entgegen. Er war blaß und sichtlich erregt.

»Haben Sie das Buschgespenst gefangen?« lautete seine erste Erkundigung. Die Angst vor der Rache des Anführers der Pascher gab ihm diese Worte ein.

»Ich glaube, Ihnen versichern zu können, daß das Buschgespenst ein für allemal unschädlich gemacht ist«, erklärte Arndt. Er dachte an die furchtbare Entladung, deren Fernwirkung der Flüchtling im Stollen sicher nicht entgangen war. –

Rasch überflog er im Geist die Lage und winkte von der nächsten Doppelwache im Hof einen der Schutzleute herbei.

»Hallo! Mann!«

Er gab dem Beamten verstohlen die Weisung, unverzüglich zur Villa Seidelmann zu eilen und dort jeden Menschen, ob Mann, ob Frau, zu verhaften, der das Haus verlassen wolle.

Dann schritt er an dem Müller vorüber in den Flur und ließ sich den Vorratsraum öffnen, worin man jetzt alle Gefangnen untergebracht hatte, den ersten und den zweiten Trupp. Wilhelmi hielt sich im Hintergrund. Er hatte eine Laterne, die er in der Hand trug, einstweilen an den Kommissar abgegeben. Dazu brannte Arndts Blendlampe wieder. Auch sonst war der Raum, den die Polizisten bewachten, noch erleuchtet.

Den Eintretenden bot sich ein seltsames Bild. In Reihen nebeneinander lagen hier die zehn Träger Michalowskis und die zehn Pascher des Buschgespenstes, alle streng gefesselt. Michalowski selber war in einer Ecke auf Stroh gebettet worden. Er sah totenbleich aus und atmete nur matt. Rock, Hose und Hemd hatte man ihm geöffnet. Um die linke Schulter trug er einen Verband, der bis zur Brust herabreichte. Aus dem Verband sickerte Blut.

»Der Mann stieß einen Warnungsschrei aus, als die zweite Schmugglerbande festgenommen werden sollte«, meldete einer der wachhabenden Beamten. »Da habe ich auf ihn geschossen. Die Verwundung ist leider schwer. Ich hatte nur ein ungewisses Ziel.«

Der Kommissar winkte ab. Arndt aber folgte einem Zeichen des Försters, der nach einer andern Ecke links vom Eingang deutete. Dort lag als letzter in der ersten Reihe der Gefangnen ein Mann in Joppe und Schaftstiefeln, dessen Augen in glühendem Haß auf den Detektiv gerichtet waren.

»Der Unteranführer des Paschertrupps!« sagte Wunderlich, jedes Wort bedeutungsvoll betonend. »Ist das nicht eine Überraschung?«

»So, so«, nickte Arndt ruhig und gelassen. »Deshalb also sprachen Sie von zwei alten Bekannten, und deshalb erklärte das Buschgespenst, es habe einen Aufseher bei seinen Leuten! Der Kaufmann Martin Seidelmann in eigner Person!«

Er trat an den Gefangnen heran.

»Die Rolle, die Sie hier in Hohenthal gespielt haben, ist aus, Herr Seidelmann. Sie werden nie mehr arme Weber ausnützen und knechten. Das Buschgespenst hat aufgehört, der Herr und Bedrücker der ganzen Gegend zu sein.«

»Lassen Sie mich in Ruhe, Sie Spitzel, Sie Spion, Sie Schleicher!« zischte Martin Seidelmann.

»Den Gefallen werde ich Ihnen bald tun. Nur fürchte ich, daß sich dann andre mit Ihnen beschäftigen, die von Amts wegen ein sehr ernstes Wort mit Ihnen zu reden haben. Meine Aufgabe war es nur, Sie und Ihre Mitschuldigen zu entlarven. Das ist mir nicht schwer geworden. Sie selber, Ihr Sohn und Ihr Bruder haben so viele Dummheiten begangen, daß es verhältnismäßig leicht war, Sie zu durchschauen. Denken Sie an Angelika Hofmann, an die Hausers, an den Vortragsabend und alles, was damit zusammenhängt, an den Zeichner Wilhelmi, an Ihren Freund Michalowski und seinen schäbigen Streich mit den angeblich hochwichtigen Papieren und den schwarzen Spitzen, an unsre Unterredung im Strohschuppen oben beim Bergwerk und ...«

Seidelmann bäumte sich auf in seinen Fesseln.

»Sie – Sie waren also der Mann ...?«

»Ganz recht. Ich war es, der Ihnen ein so glänzendes Geschäft versprach, um Sie zu fassen.«

Diese Erklärung war ebenso nötig, wie die Frage Seidelmanns berechtigt war, denn Arndt hatte bereits, als die Verfolgung im Stollen begann, die entstellende Brille und den falschen Bart abgenommen.

»Sie Schuft!« fuhr Seidelmann auf. »Sie Heuchler!«

»Schimpfen Sie immerhin! Es nützt Ihnen nichts. Jetzt kommt die Abrechnung. Sie werden Ihre Schuld mit dem Leben bezahlen, denn Sie sind nicht nur ein Betrüger, ein Schmuggler, ein Verführer ehrlicher Menschen, und was weiß ich noch, sondern auch ein Mörder. Wenn ein braver Grenzbeamter den schleichenden Paschern zum Opfer fiel, so war das Ihr Werk.«

»Beweise! Beweise!« brüllte Martin Seidelmann.

»Die Beweise habe ich. Das wird sich vor Gericht zeigen. Wir wissen alles.«

»Nichts wissen Sie! Fragen Sie meinen Sohn! Er wird Ihnen die rechte Antwort auf Ihre Unverschämtheiten geben.«

Arndt zog die Stirn in Falten.

»Den wollte ich bereits fragen. Aber er flüchtete vor uns in der Maske des Buschgespenstes, in die er sich je nach Bedarf mit Ihnen zu teilen pflegte, in den alten Stollen, der nach Ihrem Haus führt, das weiß ich jetzt.«

»Er flüchtete!« Seidelmanns Stimme zitterte bei diesen Worten. »Ich habe den Donner der Sprengung gehört. Gott sei Dank, mein Sohn ist Ihnen entkommen!«

»Haben Sie es gehört, meine Herren?« wendete sich Arndt an seine Begleiter. »Sie sind Zeugen, daß Herr Seidelmann soeben ungewollt ein Geständnis abgelegt hat.«

»Geständnis oder nicht!« frohlockte der Gefangne. »Mein Sohn ist Ihnen entwischt! Nun ist alles gut.«

»Allerdings konnten wir ihn nicht fangen«, nickte Arndt mit ernster Miene. »Dafür aber ist er menschlichem Ermessen nach einem Gottesgericht verfallen – durch eigne Schuld. Er hat den Stollen gesprengt. Doch die Sprengung hat eine gewaltigere Wirkung und einen weit größeren Umfang gehabt, als er wohl beabsichtigt hatte. Der ganze Gottes-Segen-Schacht ist in Mitleidenschaft gezogen. Der Stollen muß mit stillgelegten Seitengängen des Bergwerks in Verbindung stehn. Da unten ist alles zu Bruch gegangen. Also ist mit Sicherheit anzunehmen, daß auch Ihr Sohn unter den Trümmern der niederbrechenden Erd- und Gesteinsmassen begraben liegt. Er wird schwerlich noch falsches Zeugnis ablegen können für seinen verbrecherischen Vater.«

Aus Martin Seidelmanns Gesicht wich auch der letzte Rest von Farbe. Seine Lippen bewegten sich. Er wollte sprechen, aber er brachte zunächst kein Wort heraus.

Arndt störte ihn nicht. Er hielt ihn nur fest mit den Augen in Bann. Dieser Mensch war ein Scheusal, ein Blutsauger, ein Peiniger grad der Ärmsten gewesen, die in seine Macht gegeben wurden. Doch er war immerhin ein Mensch und Vater eines Sohnes, den er wohl ebenso liebte wie das Raubtier seine Jungen. Deshalb hatte ihn der erfahrene Detektiv an dieser Stelle getroffen. Hier war er voraussichtlich verwundbar.

Und es zeigte sich, daß Arndts Berechnung stimmte. Während der Detektiv mit dem Kommissar und mit Wunderlich ernste, sprechende Blick austauschte, begann Seidelmann zu reden.

»Gottesgericht«, murmelte er. »Ja, ja, die Sprengung! – Ich habe immer gewarnt. Es war kein Fachmann dabei, als wir die Mine legten.«

»Wer hat sie gelegt?« fragte plötzlich der Kommissar dazwischen.

Seidelmann sah ihn mit einem fremden, ausdruckslosen Blick an. Doch er antwortete.

»Fritz und mein Bruder August und ich.«

»Sonst war niemand dabei?«

»Laube noch.«

»Aha, der Wächter vom Bergwerk!«

»Ja, der. Und dann Spengler.«

»Wer ist Spengler?«

»Sie kennen ihn doch. Der da drüben!«

Mit einer Kopfbewegung deutete Seidelmann, der jetzt ganz den Eindruck eines völlig gebrochnen Mannes machte, hinüber nach der Strohschütte, auf der Michalowski lag.

»Ich verstehe«, sagte in diesem Augenblick Arndt mehr zu seinen Gefährten als zu Seidelmann. »Michalowski ist ein angenommener Name. Der Mann heißt eigentlich Spengler.«

Dann wandte er sich wieder an Seidelmann.

»Ich rate Ihnen, gehn Sie weiter in sich und bereiten Sie sich auf ein umfassendes Geständnis vor! Vielleicht kann das Ihre Lage erleichtern.«

Seidelmann warf einen seltsamen Blick auf seinen Ankläger. Es spiegelte sich darin der letzte Rest gebrochenen Widerstandes.

»Meinetwegen«, seufzte er, »da schon so viel verloren ist, kann ich auch gestehn.«

»So sagen Sie uns vor allem erst, weshalb Sie den Keller der Roten Mühle zuschütten wollten!«

»Weil der Stollen dicht darunter hinläuft und zur Grenze führt. Wir planten, die Warenzüge in Zukunft durch den Gang zu leiten. Dabei hätte uns leicht jemand von dem Keller aus hören können.«

»So, so. Ich merke, daß Sie die Wahrheit sagen, und werde jetzt vor allem nachsehn, was aus Ihrem Sohn geworden ist.«

Seidelmanns Züge belebten sich wieder.

»Ja«, drängte er, »sehn Sie nach! Und ... geben Sie mir Bescheid! Ich – kann diese Ungewißheit nicht ertragen!«

Arndt nickte nur. Dann winkte er den andern mit den Augen. Sie verließen den Raum und traten wieder hinaus auf den Flur.

»Ich gehe jetzt erst zum Bergwerk«, erklärte Arndt. »Es liegt an unserm Weg. Wir wollen zu erfahren trachten, wie es dort steht. Unser nächstes Ziel ist dann Seidelmanns Wohnung. Von da muß ein Gang hinabführen an das andre Ende des Stollens, wo uns der junge Seidelmann entkommen ist. Wahrscheinlich zweigt dort auch die Verbindung zum Bergwerk ab, durch die vorhin die unglückselige Entladung weitergetragen wurde. Wir nehmen vom Hüttenwerk Arbeiter mit, soweit sie dort entbehrlich sind. Ich erwarte bestimmt, daß wir Fritz Seidelmann etwa am Ausgang des Stollens verschüttet finden. Oder auch nicht finden. Es ist ebensogut denkbar, daß er unter dem Geröll für immer begraben liegt. Unversehrt entkommen ist er keinesfalls. Hätte ich das annehmen müssen, so wäre es ja von mir ein unverzeihlicher Leichtsinn gewesen, mich hier auch nur eine Minute zu verweilen. Ich habe aber für alle Fälle vorhin im Hof einem Polizeibeamten die Weisung gegeben, das Haus Seidelmann zu bewachen und jeden festzunehmen, der etwa das Grundstück verlassen will.«

Er reichte dem Müller zum vorläufigen Abschied die Hand. Der Mann war von der Tatsache, daß man den Kaufmann Martin Seidelmann und dessen Sohn Fritz als das Buschgespenst entlarvt hatte, so erschüttert, daß er kein Wort sprach. Der Kommissar winkte drei von seinen Leuten herbei, die ihn begleiten sollten. Auch Wunderlich schloß sich dem Trupp an.

Der Förster war nicht weniger betroffen von der ungeheuerlichen Entdeckung über die Familie Seidelmann als der Müller. Aber er war aus anderm Holz geschnitzt. Er mußte sich vom Herzen reden, was ihn bewegte, und so sprach er denn auf dem Gang zum Bergwerk eifrig auf Arndt ein.

»Wer hätte das gedacht!« begann er. »Hinter der Maske des Buschgespenstes hat der Seidelmann gesteckt! Jetzt verstehe ich auch Ihre Bemerkung von den zwei Buschgespenstern. Vater und Sohn haben einander bei diesem Spiel abgelöst. Und der Rentner?«

»War der Mitverschworene, der dritte im Bunde.«

»Alle Wetter! Jetzt wird es Tag! – Aber nicht nur in meinem Kopf! Herr Kommissar!« Schmunzelnd machte sich der Alte an den Beamten heran. »Nichts für ungut! Ich möchte mir nur die Frage erlauben, wie es nun mit unserm Eduard Hauser steht.«

Der Kommissar nahm die kleine Bosheit mit einem Lächeln hin.

»Beruhigen Sie sich! Ihr junger Freund ist unschuldig.«

»Und frei?«

»Kommt noch! Geduld!«

»Das Engelchen doch auch?«

»Fräulein Angelika Hofmann? Ihr Fall liegt zwar ein wenig anders, aber man wird es auch ihr nicht als strafbare Handlung anrechnen können, daß sie in der Erregung auf einen Verbrecher losging und ihn dabei verletzte.«

»Gott sei Dank!« atmete der Förster auf. »Nun wird es wieder eine Lust sein, in Hohenthal zu leben.«

Sie näherten sich jetzt dem Bergwerk, und ihre Reden verstummten vor den schlimmen Eindrücken, die ihnen hier entgegentraten.

Das Gelände des Kohlenbergswerks bot einen grauenerregenden Anblick. Alle Bewohner des Dorfs waren herbeigeeilt, höchstens die ganz kleinen Kinder ausgenommen und die Alten, die nicht mehr recht laufen konnten. Die Esse war eingestürzt und bildete einen wüsten Trümmerhaufen. Auch das Schachthaus und die Wohn- und Knappschaftsgebäude hatten arg gelitten. Statt des Schnees sah man ringsum nur Schutt und Ruß. Die Knappen der Freischicht waren angefahren, um zu sehn, wer von den Kameraden im Schacht noch zu retten sei. Die Steiger befanden sich in der Tiefe, und der Obersteiger leitete vom Förderhaus aus die Arbeiten.

»Sie wissen also genau«, fragte ihn soeben einer der Schutzleute, die von der Mühle herbeigekommen waren, »daß für heut keine Sprengung angeordnet war?«

»Ganz genau. Für heut und auch für die nächsten Tage nicht.«

»Es könnte aber doch vielleicht ...«

»Unmöglich! Ich habe ja die Sprengstoffe in Verwahrung.«

»Also waren Grubengase die Ursache der Entladung?«

»Nein. Es ist gesprengt worden.«

»Aber Sie sagen ja selber, daß nichts Derartiges befohlen worden sei.«

»Allerdings! Und dennoch hat eine Sprengung stattgefunden, und zwar nicht mit Pulver, sondern mit Dynamit! Unsereiner weiß das zu unterscheiden.«

»Aber dann ist mir unbegreiflich ...«

Arndt hatte diese Unterredung mit angehört.

»Bitte«, mischte sich der Detektiv in das Gespräch, »in dieser Angelegenheit glaube ich Bescheid zu wissen. Ich werde ...«

Er brach ab, denn man brachte soeben die ersten Opfer der frevelhaften Sprengung aus der Tiefe – verbrannt, zerrissen, manche fast unkenntlich. Frauen stießen gellende Schreie aus, und die Menge antwortete mit Jammern und Weinen. Der Obersteiger ließ den nächsten Umkreis der Schachtmündung absperren und die Menge zurückdrängen, um die nötige Ordnung aufrechterhalten zu können.

Arndt sah ein, daß er in dieser Stunde vor verschlossenen Ohren reden würde; er dachte deshalb an seine eigne Angelegenheit.

»Wir müssen uns noch des Wächters Laube versichern«, sagte er zu dem Kommissar. »Er ist Mitschuldiger und Vertrauter. Dann aber wollen wir uns endlich nach Seidelmanns Wohnung begeben!«

Man fand den Wächter nicht zu Haus. Also gab der Kommissar einigen seiner Leute den Befehl, nach ihm zu forschen und ihn gegebenenfalls festzunehmen.

Inzwischen wandte sich Arndt an Laubes Frau.

»Ihr Mann steht im Verdacht, ein Helfershelfer des Buschgespenstes zu sein. Wahrscheinlich sind Sie seine Mitschuldige. Ich sehe mich daher gezwungen, Sie verhaften zu lassen.«

Die Frau erschrak; sie zitterte am ganzen Leib.

»Verhaften? Mich? Ich bin mein Leben lang ein anständiger Mensch gewesen und habe meinen Mann oft genug gewarnt!«

»Gewarnt? Wovor?«

Sie erkannte, daß sie zuviel gesagt hatte, und wollte nicht weiter antworten. Arndt aber ließ sie nicht wieder los und erzwang auf diese Weise vorläufig ein Teilgeständnis.

»Vor – vor dem Klingelzug«, bekannte die Frau stockend.

»Zeigen Sie uns diesen Klingelzug!«

Sie führte die Männer – der Kommissar war inzwischen wieder hinzugetreten – vor einen Wandschrank, an dessen Hinterwand eine Klingel angebracht war und daneben ein Klingelzug; beide standen aber nicht miteinander in Verbindung.

»Wohin führt der Klingelzug?« fragte Arndt. »Und woher kommt der Draht, der diese Klingel bewegt?«

»Das weiß ich nicht.«

»Bedauerlich für Sie, gute Frau«, mischte sich der Beamte ein. »Wir müssen Sie so lange einsperren, bis Sie es wieder wissen.«

Die Frau erbleichte. Man sah ihr an, daß ihre Angst wuchs.

»Ich bin ja nicht schuld daran«, stotterte sie.

»Das wird sich finden.«

»Ich habe gehört, daß eine Frau ihren Mann nicht anzuzeigen braucht«, versuchte sie sich jetzt herauszubeißen. »Sie braucht auch nicht gegen ihn vor Gericht auszusagen.«

»Ein bißchen anders liegt dieser Fall denn doch«, belehrte sie Arndt. »Hier geht es nicht nur um Pascherei, sondern auch um Mord und Totschlag. Und zwischen einer Frau, die ihren Mann nicht anzeigt, und einer, die die Mitschuldige ihres Mannes ist, verstehn Sie wohl, die sich zu seiner Hehlerin macht, ist ein großer Unterschied. Ich rate Ihnen, aufrichtig zu sein. Haben Sie Kinder?«

»Vier.«

»Nun, so denken Sie an diese Kinder, die mit dem Vater, der ins Gefängnis wandert, nicht auch noch die Mutter verlieren sollen! Reden Sie die Wahrheit! Ich will nicht hart sein; ich will auch annehmen, daß Sie keine unmittelbare Schuld tragen. Aber wohin dieser Klingelzug geht, das wissen Sie?«

»Ja«, gestand sie jetzt. »Er führt in das Arbeitszimmer des Herrn Seidelmann.«

»Ihr Mann und Seidelmann gaben sich gegenseitig Zeichen?«

»Ja.«

»Zu welchem Zweck?«

»Wenn Seidelmann einen Mann hierherbringen wollte, klingelte er vorher, und mein Mann klingelte, wenn fremde Männer zu ihm kamen, die mit – mit Seidelmann sprechen wollten.«

»Sagen wir: mit dem Buschgespenst! – Schon gut. Weiter! Wer waren diese Männer?«

»Ich kannte sie nicht. Sie kamen auch nur selten in die Stube.«

»Was wollten sie?«

»Das weiß ich nicht. Ich dachte mir nur, daß sie vielleicht Pascher seien. Aber ich durfte zu meinem Mann kein Wort darüber sagen, sonst wurde er fuchsteufelswild.«

»Schön. Ich glaube Ihnen; darum lasse ich Sie nicht festnehmen. Aber bleiben Sie zu Haus! Vielleicht haben wir noch mit Ihnen zu sprechen. Ein Fluchtversuch würde Ihnen schlecht bekommen.«

Die Männer verließen das Haus, um sich nun endlich nach Hohenthal in die Wohnung der Seidelmanns zu begeben. Der Kommissar erbat sich vom Obersteiger einige Arbeiter, die, mit Hacke und Schaufel bewaffnet, den Trupp begleiteten.


 << zurück weiter >>