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4. Der Versucher

Auch Eduard Hauser hatte mit seinem Vater den Vortrag August Seidelmanns angehört.

»Was sagst du dazu, Vater?« fragte Eduard auf dem Heimweg.

»Ein rauschendes Wasser, das keine Mühle treibt. Es tut sehr geräuschvoll, aber es ist nichts nütze.«

»So denke auch ich. Der Redner hat mir nicht gefallen.«

»Er ist ein Heuchler. Er mag seine Predigten lieber seinem Bruder und seinem Neffen halten. Die allein sind schuld an unserm Elend. Hast du Geld in die Sammelbüchse gegeben?«

»Zehn Pfennig.«

»Ich auch. Er guckte einen so an und paßte einem so scharf auf die Finger, daß man es gar nicht wagen konnte, nichts oder nur zwei Pfennige zu geben. Und wir brauchen das Geld doch selber so nötig.«

»Gott wird helfen, Vater, wie er schon geholfen hat.«

»Was tust du heut abend? Gehst du noch zu Hofmanns hinüber?«

»Nein.«

»Warum nicht? Du bist doch sonst alle Abende drüben.«

»Hofmann sieht es nicht mehr gern.«

»Ja, er ist unfreundlich zu uns. Das habe ich schon bemerkt, als ich Kohlen und Holz von ihm borgte. Ich glaube auch zu wissen, weshalb. Er wird denken, daß du Absichten auf Engelchen hast.«

»Mag er denken, was er will!«

»Hat er denn nicht recht?«

»Nein.«

»Na, na! Angelika ist ein gutes, braves Mädchen. Wir haben sie alle gern und hätten nichts einzuwenden, wenn ihr beide später mal ein Paar werden wolltet. Oder hats etwas zwischen euch gegeben?«

»Bitte, Väter, quäl mich nicht! Erspar mir die Antwort! Es muß überwunden werden, und dann denke ich nicht mehr dran.«

»Aha! Sie mag dich nicht. Hat sie vielleicht einen andern? Nun, mein Junge, ich menge mich nicht in diese Angelegenheit. Mir tut's nur leid um eure Jugendfreundschaft. – Kommst du jetzt mit herein?«

Sie waren vor ihrem Häuschen angekommen.

»Nein, Vater. Ich gehe noch in den Wald.«

»In den Wald? Was hast du denn dort noch zu tun?« fragte der alte Hauser erstaunt.

»Ich hatte vergessen, daß Wunderlichs Schlitten noch bei uns steht. Will ihn hinausschaffen.«

»Heut abend noch? Dazu ist doch morgen am Tag noch Zeit.«

»Laß mich, Vater! Wenn ich mit mir allein bin, werde ich am besten fertig mit meinen Gedanken.«

»Wie du willst. Komm aber bald zurück! Im Wald ists gefährlich. – Denk an das Buschgespenst!«

*

Arndt war aus der Versammlung gradwegs nach der Försterei gegangen. Als sie beim Abendbrot saßen, fragte der alte Wunderlich nach dem Inhalt des Vortrags.

»Nichts Gescheites und nichts Zwingendes«, erklärte Arndt. »Ich glaube, es war nur auf Geldschneiderei abgesehn.«

»Möglich. Diesem Menschen ist alles zuzutrauen. Er hat wohl gar Geld gesammelt?«

»Gewiß.«

»Der Teufel soll den Kerl reiten, wenn er die armen Hungerleider um ihre Pfennige prellt! Ich hänge ihn lebend an den Beinen auf, mit dem Kopf in einen Ameisenhaufen!«

»Das würde Ihnen jetzt im Winter schwer werden«, lächelte der Gast.

»So warte ich den Sommer ab. Aber hängen soll er, wenn er etwa –«. Hier unterbrach sich der Förster. »Mann, wohin denn schon wieder?«

Arndt hatte sich erhoben.

»In meine Stube. Herr Vetter. Bekümmern Sie sich nicht um mich! Es ist möglich, daß ich noch einmal in den Wald gehe.«

Draußen auf dem Flur begegnete ihm Eduard, der dem Förster melden wollte, daß er den Schlitten zurückgebracht habe. Arndt dankte dem Gruß des jungen Mannes und stieg die Treppe hinauf.

In seinem Zimmer trat er, ohne Licht anzuzünden, ans Fenster und schaute hinaus in die schneehelle Landschaft. Plötzlich stutzte er, zog sich rasch ein wenig vom Fenster zurück und blickte aus sicherer Entfernung wieder hinaus.

Was er da draußen sah, war ganz dazu angetan, einen halbwegs furchtsamen Menschen gruseln zu machen. Zwischen den drei Tannen, bei denen der ermordete Grenzoffizier gelegen hatte, und dem nahen Waldsaum stand im Schnee eine weiße Gestalt, regungslos, stumm. Der Mond zeichnete ihren Schatten breit und massig ab.

Das ist das Buschgespenst! schoß es Arndt durch den Sinn. Jetzt heißt es handeln!

Er öffnete rasch einen Koffer, nahm ein Bettuch und einige Verkleidungsgegenstände hervor und huschte hinaus zur Treppe.

Flink eilte er hinab und durch die vordere Tür ins Freie. Draußen wickelte er sich in das weiße Bettuch und schlug dann einen weiten Bogen um das Forsthaus, in der Absicht, dem Gespenst in den Rücken zu kommen.

So gewann er den Wald, der hier ziemlich licht war. Als er sein Ziel erreicht hatte, nahm er das Tuch wieder ab, denn es sollte in der Hauptsache auf freiem Feld den gewünschten Schutz gegen Sicht gewähren. Hier gab es genug Büsche als Deckung, und das Tuch war ihm da nur hinderlich.

Jetzt duckte sich Arndt und schob sich vorsichtig weiter. Richtig, da tauchte vor ihm die weiße Gestalt auf, eine Säule im Schnee, ein rätselhaftes Etwas.

Aha, dachte Arndt, so sieht das Buschgespenst aus! Der Kerl scheint auf Hauser zu warten. Ich darf den Vermummten auf keinen Fall aus den Augen lassen. Will er mit Eduard reden, so tut er es sicher nicht in der Nähe des Forsthauses, sondern wird warten, bis Eduard heraustritt, und dann unter den Bäumen schnell neben der Straße her vorauseilen, um den Jungen zu überraschen. Ich werde trachten mitzukommen, denn ich muß hören, was das Buschgespenst mit dem jungen Hauser zu sprechen hat.

Arndts Vermutung erwies sich als richtig. Als Eduard nach einiger Zeit aus dem Forsthaus trat, kam Leben in die weiße Säule. Sie schob sich am Waldrand fort wie ein Mensch, der durch den Schnee watet. Arndt folgte unbemerkt, indem er hinter jedem Baum Deckung suchte.

Eduard Hauser hatte keine Ahnung, daß er beobachtet wurde. Er schritt anscheinend tief in Gedanken versunken die Straße hinab, bis ihn plötzlich ein lautes, barsches ›Halt!‹ aus seinem Sinnen aufschreckte.

Schon dieses ›Halt!‹ war geeignet, dem einsamen Wanderer Furcht einzuflößen, denn es ist nicht jedermanns Sache, sich in einer Mondnacht im Wald auf diese Weise überraschen zu lassen. Nun aber kam der Ruf von jener unheimlichen Gestalt, die genau so aus den Büschen hervortrat, wie sie der alte Gevatter den Hausers geschildert hatte. Sie schien fast überlebensgroß zu sein. Sie hatte menschliche Formen und doch wieder nicht. Und alles an ihr war weiß, selbst das Gesicht, in dem nur zwei dunkle Punkte, wohl die Augenhöhlen, zu erkennen waren und ein breiter, schwarzer Strich, dort, wo ein Mensch von Fleisch und Blut den Mund hat.

Eduard stand. Er hatte das Gefühl, als müsse ihm das Blut in den Adern gefrieren. Er schaute rechts, er schaute links. Sonst wagte er keine Bewegung. Und zu sprechen vermochte er gleich gar nicht. Er wartete einfach hilflos darauf, was das Buschgespenst nun wohl mit ihm beginnen würde.

»Was tust du hier?« kam die erste Frage von drüben.

»Ich gehe heim«, würgte Eduard mühsam hervor.

»Wo warst du?«

»Im Forsthaus.«

»Ich höre, daß du die Wahrheit sagst, und das ist gut für dich. Eine Lüge oder auch nur eine Ausrede könnte dich das Leben kosten. Merke dir das! Ich bin das Buschgespenst. Und wer bist du?«

»Ich heiße Eduard Hauser.«

»Du arbeitest für Seidelmann?«

»Ich habe für das Geschäft gearbeitet, jetzt aber bin ich abgelohnt.«

»Schlimm für einen armen Teufel, wie du einer bist. Ich weiß, daß du dir Sorgen um die Zukunft machst. Du läufst nach Arbeit umher und findest keine. Wie wäre es, wenn ich dir einen Verdienst bieten könnte?«

Das war eine Wendung der seltsamen Unterhaltung, die Eduard nicht erwartet hatte. Soviel ihm bekannt war, kam von dem Buschgespenst nie etwas Gutes. Und nun bot es ihm plötzlich Hilfe an in seiner Not.

Diese Erwägungen ließen ein wenig die Scheu von ihm abfallen, die ihn bisher gelähmt hatte. Er machte unwillkürlich eine Bewegung mit der Hand und hob seine Stimme zu einem freudigen Ausruf.

»Wenn das wahr wäre!«

»Nun? Sprich weiter! Was wäre dann?«

»Dann würde ich jedem Menschen, der im Dorf Schlechtes über das Buschgespenst redet, entgegentreten und ihn einen Lügner heißen. Ich würde erzählen, daß das Buschgespenst ein guter Geist ist, der armen Menschen in ihrer Not beisteht.«

»So, so«, klang es in einem Ton zurück, der vermuten ließ, daß diesem Geist ein spöttisches Lächeln nicht fremd war. »Dann will ich einmal versuchen, wie weit deine Worte ernst zu nehmen sind, Eduard Hauser. Hör zu! Ich biete dir Verdienst. Komm zu uns!«

Die letzten drei Worte hallten wie ein Lockruf durch den verschneiten Winterwald. Komm zu uns! klang es wider in der Seele des jungen Menschen, der soeben so vertrauensvoll zu dem Buschgespenst gesprochen hatte. Aber seine zuversichtliche Freude war bereits gedämpft. Er fühlte plötzlich sein Herz klopfen in bangem Schreck. Und unsicher klang seine nächste Frage:

»Was heißt das: zu uns?«

»Narr, der du bist! Weißt du nicht, wessen Schutzherr das Buschgespenst ist?«

»Man sagt, daß es die Pascher, die Schmuggler beschützt.«

»Das ist richtig, Und nun beantworte mir meinen Vorschlag!«

Eduard ließ den Kopf auf die Brust sinken und schwieg. Bis ihn das Buschgespenst noch einmal mahnte, jetzt aber mit unheimlich drohender Stimme.

»Antworte, du Wicht!«

Da zuckte Eduard zusammen. Seine Finger, die starr waren vom Frost, schlossen sich zu Fäusten zusammen. Das war das äußere Widerspiel eines inneren Vorgangs. Der Bursche raffte sich auf, selbst dem allmächtigen Buschgespenst gegenüber festzubleiben und sich um keinen Preis vom rechten Weg ablocken zu lassen, und sollte es sein Leben kosten.

»Ich kann nicht«, stammelte er.

»Kannst nicht? Warum?«

»Weil – weil das Treiben der Pascher ungesetzlich ist.«

»Schwatzhans du! Was kümmert dich Recht oder Unrecht? Ich sage dir, daß dir eine Ehre widerfährt, indem dich das Buschgespenst unter die Schar seiner Leute aufnehmen will. Darüber zu entscheiden, ob der Staat ein Recht hat, die lebensnotwendigsten Dinge mit hohen Zöllen zu belegen, so daß sie immer teurer werden, das überlaß getrost andern! Außerdem dächte ich, das Wasser stände dir und den Deinen dicht genug an der Kehle, so daß du froh sein müßtest, wenn sich dir schöne Einnahmen bieten. Merk auf! Du sollst, wenn du zu uns kommst, an einem Tag so viel verdienen wie sonst mitunter in Wochen. Als Aufgeld biete ich dir auf der Stelle einen Zwanzigmarkschein. Sei kein Narr und schlag ein!«

Die weiße Gestalt machte eine Bewegung auf Eduard zu, als wollte sie von ihm einen Handschlag entgegennehmen. Der Bursche aber wich einen Schritt zurück.

»Nein, nein, ich kann nicht! Lieber will ich sterben, als unter die Schmuggler gehn, lieber tot sein als ehrlos!«

»So, ehrlos nennst du das? Und das wagst du mir auch noch zu sagen? Höre, Bürschchen, das kann dir an den Kragen gehn! Oder – wenn du wirklich so tapfer bist, wie du vorgibst, und den Tod nicht fürchtest, so bestehn auch noch andre Mittel, dich gefügig zu machen. Wenn du nicht in meinen Vorschlag willigst, wird es ein Mädchen büßen müssen, das du verteufelt gern hast.«

»Ein – ein – Mädchen?«

»Ein sogenanntes Engelchen! Ich sage dir nochmals: Ich bin das allmächtige Buschgespenst! Mich kostet es nur einen Wink, so wird die schöne Angelika wegen deiner Halsstarrigkeit wirklich unter die Engel versetzt. Du verstehst doch, wie ich das meine?«

Dieser Hieb saß. Eduard zuckte zusammen. Jetzt war sein Widerstand beinahe gebrochen.

»Nur das nicht, nur das nicht!« begann er zu bitten.

»Dein Betteln nützt dir nichts!« schnitt ihm das Buschgespenst das Wort ab. Angst und Aberglauben des Jungen waren ihm gerade recht, und er nützte denn auch beides mit größter Unverforenheit aus. »Ich bin ein Geist, und ein Geist hat kein Herz. Ich verlange eine klare Entscheidung von dir: ja oder nein?«

»Ich – ich kann nicht!«

»Dann muß das Engelchen sterben.«

Ein Gedanke war in Eduard aufgezuckt. Er gab ihm Worte in seiner Verzweiflung.

»Dann wird Gott das Engelchen beschützen, und Gott ist mächtiger als das Buschgespenst.«

»Du bist ein Pfiffikus, mein Sohn«, kam es seltsam gemütlich zurück. »Ich sehe immer mehr ein, wie gut wir dich gebrauchen können. Glaube also nicht, daß du mir aus dem Garn kommst! Aber ich will dir Bedenkzeit lassen. Wir sprechen uns einmal wieder. Meine Drohung bleibt vorläufig bestehn. Angelika Hofmann ist in Lebensgefahr, wenn du dich bis zu unsrer nächsten Begegnung nicht für meinen Vorschlag entscheidest. Und nun noch eins: Ich verlange Schweigen von dir. Davon, daß du dem Buschgespenst im Wald begegnet bist, kannst du meinetwegen erzählen. Die Leute sollen wissen, daß ich immer dort bin, wo es nötig ist. Aber du darfst nicht über das plaudern, was wir miteinander gesprochen haben. Verstanden? Verrätst du davon auch nur einem einzigen Menschen etwas, so werde ich mich an dir und deinen Angehörigen rächen!«

»Nein, nein, ich werde schweigen!« versicherte Eduard hastig.

»Es liegt in deinem Vorteil, dieses Versprechen zu halten. Mach, daß du fortkommst!«

Eduard ging; zwei, drei Schritte tat er, dann begann er zu laufen und verschwand im Wald. Das Buschgespenst aber stand noch lange unbeweglich und streckte hinter ihm her gebieterisch den Arm aus.

Eduard aber hastete nach Hohenthal. Als er den Ort erreichte, war es noch immer nicht allzu spät am Abend. Er zögerte, gleich heimzugehn, denn er wußte, daß er doch noch nicht schlafen konnte. Die Begegnung mit dem Buschgespenst beschäftigte ihn mehr, als er sich eingestehn mochte, und so schlenderte er denn langsam die Gasse hinauf.

Da kam ihm ein Mädchen entgegen, und als es an ihm vorbeihuschen wollte, erkannte er Angelika, obgleich sie sich wegen der Kälte ein Tuch um den Kopf geschlungen hatte.

»Engelchen!« rief er halblaut.

»Was gibts?« fragte sie kurz. Dabei blieb sie zwar stehn, sah Eduard aber nicht an.

Er trat dicht an sie heran.

»Bleibt's bei dem, was du gesagt hast? Gehst du wirklich auf den Ball?«

»Ja.«

»Gut, so gehe ich auch.«

»Zu dem Fest?« lachte sie. »Das ist ja nur für geladene Gäste.«

»Davon rede ich nicht. Unter die Pascher will ich gehn.«

Jetzt erschrak Angelika sichtlich. Im nächsten Augenblick aber sagte sie sich, daß es doch nur eine leere Drohung sei.

»Wie wolltest du denn das anfangen?« erkundigte sie sich.

»Sehr einfach. Ich habe eben die Ehre gehabt, mit dem Buschgespenst zu sprechen!«

»Mein Gott! Und es hat dir nichts getan?«

»Was soll es mir tun? Es ist sogar sehr nett gewesen gegen mich und hat mir viel Geld versprochen.«

»Das – das ist nicht möglich!«

»Es ist die volle Wahrheit. Ich könnte dir noch mehr erzählen, aber ich will nicht. Ich habe versprochen zu schweigen.«

Engelchen blickte nachdenklich vor sich hin. Die Sache war ihr nicht ganz geheuer. Endlich hob sie den Kopf.

»Und du? Was wirst du tun?«

»Ich werde brav bleiben und der Versuchung standhalten. Wenn du klug bist, machst du es ebenso.«

»Ich? Meinst du, ich würde je in Versuchung kommen zu schmuggeln?«

»Das nicht. Aber dein Bravsein wird auf die Probe gestellt werden – beim Maskenball.«

Das war von Eduard nicht böse gemeint. Engelchen jedoch vermerkte es übel. Sie wandte sich schnippisch ab.

»Gute Nacht!«

Eduard seufzte. Bedrückt ging er weiter.

Ich muß unbedingt auf den Ball, sagte er sich. Ich habe das Gefühl, daß sie dort in Gefahr schwebt. Koste es, was es wolle, ich muß das Engelchen beschützen!

*

Als das Buschgespenst am Straßenrand haltmachte, um Eduard Hauser zu stellen, hatte sich Arndt so weit wie möglich herangeschlichen. Hinter einem dichten Eichengebüsch, das die dürren Blätter noch trug, fand er das passende Versteck. Er war hier der unheimlichen weißen Gestalt so nahe, daß er jedes Wort der Unterhaltung verstand und den Rätselhaften genau betrachten konnte.

Dabei bestätigte es sich, daß Arndt einen Mann vor sich hatte, der vom Kopf bis zu den Fußen tatsächlich in ein Bettuch gehüllt war. Der Lauscher vermochte das alles deutlich zu sehn, weil der Mond schien und obendrein der Schnee glitzerte und leuchtete. Diesen Umstand nutzte Arndt sogleich aus; er prüfte die Zipfel des Tuchs und bemerkte in einer Ecke die beiden Buchstaben M. T.

Als die seltsame Unterredung dem Ende zuging, zog er sich schleunigst zurück. Eduard verschwand, und der Versucher sah ihm nach.

Es zuckte Franz Arndt in den Fingern. Jetzt hätte er den Unbekannten, der hier den Geist spielte, packen können. – Aber was hätte ihm das genützt? Hier galt es, eine ganze Verbrecherbande aufzuspüren und für immer unschädlich zu machen. Also mußte man erst alle ihre Schliche kennen lernen, und dazu gehörten Zeit und Geduld, vor allem noch gründliche Nachforschungen. Besser, er ließ das Buschgespenst einstweilen laufen und schlich ihm nach.

So folgte er denn dem Vermummten, der sich wieder in Bewegung setzte, immer tiefer in den Wald hinein und stellte fest, daß jener die Richtung nach der bewußten Eiche einschlug. Dort machte sich der Unbekannte am Stamm zu schaffen und eilte weiter.

Schnell huschte auch Arndt zur Eiche hinüber und untersuchte den Stamm in der Gegend, wo die Hände des Verhüllten umhergetastet hatten; aber er entdeckte nichts.

Durch diese Verzögerung gewann das Buschgespenst einen bedeutenden Vorsprung; es verließ, als Arndt die Verfolgung wieder aufnahm, eben den Wald und schritt auf ein einsam liegendes Gebäude zu, das wegen seiner Ziegelmauern die Rote Mühle genannt wurde. Im Freien nahm Arndt sein Bettuch wieder über und folgte dem Unbekannten in schnellem Lauf.

Sie hatten gerade die baufällige Gartenmauer hinter der Mühle erreicht, als der Unheimliche plötzlich verschwunden war. Arndt strengte seine Augen vergebens an. Er dachte daran, sich an die Fährte des Vermummten zu halten, aber auch das führte nicht zum Ziel, denn hier gab es ringsum viele Fußspuren, die vermutlich von Bewohnern der Mühle herrührten.

Ärgerlich trat der Verfolger hinter eine Buschecke dicht bei der lückenhaften Gartenmauer, nahm das Bettuch ab und knöpfte es unter die Jacke. Dann schritt er kurz entschlossen dem Dorf zu. Er wollte sich die Stelle merken, wo ihm das Buschgespenst so plötzlich entwischt war. Mehr ließ sich jetzt nicht tun.

Als er einige Zeit später die Dorfstraße ein Stück entlanggegangen war, traf er auf Eduard Hauser, der seinen Weg nicht querfeldein genommen und darum mehr Zeit bis hierher gebraucht hatte. Höflich grüßend wollte der Bursche an Arndt vorüber, der aber blieb stehn und bot ihm die Hand.

»Nun, wie stehts daheim? Haben Sie Wort gehalten und geschwiegen, wie ich von Ihnen forderte?«

»Ja, Herr. Nur der Vater weiß, woher das Geld stammt.«

»Und er hat sich darüber gefreut?«

»Ach, so sehr!«

»Da konnten Sie freilich auf ein Anerbieten verzichten, das zwar verlockend, aber durchaus nicht einwandfrei war.«

Eduard wußte nicht, wie er sich diese Worte deuten sollte. Er sah den Fremden verständnislos an.

»Ich? Wieso?«

Arndt lächelte. Er gab seine Antwort so, als hätte er etwas ganz Nebensächliches oder etwas Selbstverständliches vorzubringen.

»Ich sah Sie draußen im Gespräch mit einem Mann. Er bot Ihnen ein Handgeld von zwanzig Mark, Sie aber schlugen es aus.«

Eduard trat erschrocken einen Schritt zurück und maß Arndt mit ängstlichen Blicken.

»Sind Sie allwissend?« stammelte er.

»Nein, aber ich habe gute Ohren.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Und es ist doch alles so einfach. Ich habe Sie belauscht.«

»Mich und das – das Buschgespenst?«

»Sagen wir, Sie und den vermummten Halunken, der Sie zum Paschen verführen wollte.«

»Herr«, stotterte Eduard, »jetzt weiß ich nicht, ob ich mich vor Ihnen fürchten soll oder ...«

»Fürchten?« unterbrach ihn Arndt. »Weshalb denn, mein Lieber? Ich will Ihnen anvertrauen, daß ich hier umherschleiche, weil ich das Buschgespenst fangen will.«

»Fangen? Sie? Ah? So sind Sie einer von der Polizei?«

»Richtig geraten! Ich gebe das zu, weil ich weiß, daß Sie schweigen werden. Sie haben es abgeschlagen, von dem Verbrecher Handgeld zu nehmen. Gut, so will ich einmal sehn, ob Sie auch mir einen ähnlichen Antrag ablehnen werden. Wollen Sie sich fünfhundert Mark verdienen?«

»Fünf ... hundert Mark? Die soll ich mir verdienen? Schneit es denn plötzlich Geld? Oder ist Hohenthal verrückt geworden? – Ich glaube, ich träume das alles nur!«

»Nicht doch«, belehrte ihn Arndt. »Ich sagte schon, daß ich das Buschgespenst fangen will; aber nicht nur den Anführer der Pascher, sondern auch alle seine Spießgesellen. Wenn Sie mir dabei helfen und wir haben Erfolg, zahle ich Ihnen eine Belohnung von fünfhundert Mark.«

Eduard ließ einen tiefen Seufzer hören.

»Ich möchte schon mittun, aber ich fürchte, ich werde die fünfhundert Mark nie verdienen.«

»Warum nicht?«

»Herr, ich bitte Sie, wer nimmt es mit dem Buschgespenst auf?«

»Ach was, Gespenst! Der Kerl, der Sie im Wald anhielt, war ein Mensch von Fleisch und Blut. Es gibt keine Gespenster.«

»Seit meiner Begegnung mit dem Buschgespenst sind mir auch Zweifel gekommen, daß es ein Geist ist. Doch wird der Schurke wohl kaum zu fassen sein.«

»Wir werden sehn. Die Hauptsache ist jetzt, daß Sie sich mir als Helfer verpflichten.«

»Mit Freuden!«

»Gut, abgemacht! Damit Sie sich nicht anderweit zu binden brauchen und immer zu meiner Verfügung sein können, werde ich Ihnen jede Woche dreißig Mark auszahlen.«

»Dreißig? – Wöchentlich?«

»Ja, dreißig Mark!«

»Dreißig Mark?« wiederholte Eduard ungläubig. Eine solche Summe für sieben Tage erschien ihm märchenhaft hoch. »Was habe ich denn dafür zu tun?«

»Zunächst nichts. Überlegen Sie sich, wie wir etwas über das Buschgespenst erfahren können. Wir müssen vor allem wissen, wer der geheimnisvolle Schutzgeist der Pascher ist. Sobald Sie einen guten Gedanken haben, kommen Sie zu mir in die Försterei.«

»Darf der Förster davon wissen?«

»Er ja, sonst keiner! Ich habe vorläufig nur in der Stadt noch einen Vertrauensmann. Verschwiegenheit, das ist die erste Bedingung, die ich stelle. Reden Sie mit dem Förster über die geheimen Abmachungen, die wir getroffen haben, damit ich hier in der Gegend unerkannt bleibe, während es notwendig ist, daß wir untereinander uns jederzeit hinter die Maske schauen. Diese Abmachungen gelten auch für Sie. Und sodann suchen Sie zu erfahren, wessen Name hier im Ort mit den Buchstaben M. und T. beginnt.«

»Steht das im Zusammenhang mit dem Buschgespenst?«

»Ja. Weiter verlange ich in allen Angelegenheiten unbedingte Aufrichtigkeit von Ihnen.«

»Darauf können Sie sich verlassen«, beteuerte Eduard, und in seinem Eifer kam dem gutherzigen Burschen ein Einfall. »Dafür will ich Ihnen sogleich einen Beweis liefern. Ich will Ihnen verraten, daß ich am Dienstag zum – Maskenball gehen muß.«

»Zum Maskenball?« fragte Arndt verwundert. »Und Sie müssen? Warum müssen Sie?«

»Um – um – um einem Mädchen zu helfen.«

»Ah! Sieh da! Es handelt sich wohl um Ihre Nachbarin Angelika Hofmann? Förster Wunderlich hat mir von dem hübschen Mädchen erzählt, und jener Halunke da draußen nannte ja auch ihren Namen.«

»Ja. Sie ist zum Ball eingeladen. Das ›Kasino‹ aus der Nachbarstadt veranstaltet nämlich übermorgen in der Schenke ein Maskenfest. Ein Mitglied, das seinen Namen nicht verriet, hat Engelchen – ich meine Angelika Hofmann – dazu aufgefordert und ihr sogar ein italienisches Kostüm geschickt.«

»Ich verstehe«, lächelte Arndt. »Sie haben das Engelchen gern. Die Sache gefällt Ihnen nicht, denn Sie sind nicht dabei. Der andre könnte Ihnen da ins Gehege kommen. Na ja, wenn wir ehrlich miteinander reden wollen, dürfen wir kein Blatt vor den Mund nehmen. Nun wollen Sie sich als Maske bei dem Fest einschmuggeln, um – na, sagen wir – das Engelchen zu beschützen.«

Eduard senkte den Kopf. Er schämte sich ein wenig.

»Ja, so ist es.«

»Ich will mich nicht in Ihre Herzensangelegenheiten drängen«, fuhr Arndt fort, da Eduard seinem Blick auswich. »Tun Sie nur, was Ihnen Herz und Verstand eingeben – hören Sie? Nicht allein Ihr Herz, sondern auch Ihr Verstand! Hier haben Sie die dreißig Mark für die erste Woche, und hier sind noch fünf für den Maskenball! – Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen und guten Erfolg!«

Er drückte ihm das Geld in die Hand und entzog sich schnell allen Dankesäußerungen.


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