Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

18. Wettlauf mit dem Tod

Es dauerte einige Augenblicke, bis sich der Kommissar unten in der Finsternis zurechtfand. Dann entdeckte er Arndt, der einige Schritte weiter im Stollen stand und da irgendeinen Gegenstand beleuchtete.

»Was ist das?« fragte der Beamte.

»Ein leerer Hund. Ursprünglich haben wohl zwei hier gestanden, und das Buschgespenst hat den vordern benutzt, um so schnell wie möglich zu entfliehn.«

»Ah, daher das unterirdische Rollen!«

»Ja. Die Hunde stehn auf Schienen, und der Stollen geht, wie es scheint, auf dieser Seite leicht bergab. Die Fortsetzung des unterirdischen Ganges dort drüben brauchen wir vorläufig nicht zu untersuchen. Das Buschgespenst ist natürlich abwärts gefahren, weil der Hund da von selber läuft und allmählich sogar eine erhebliche Geschwindigkeit gewinnen kann!«

»O weh! Dann hat das Buschgespenst einen beträchtlichen Vorsprung.«

»Leider. Wir müssen ihm sofort nach.«

Arndt entfernte hastig die vordere Seite des Schienenwagens, die aus einer Schiebewand bestand, und setzte sich so in das kleine Fahrzeug, daß er mit den Beinen bremsen konnte, wenn der Hund etwa in ein zu gefährliches Rollen geriet. Außerdem fand er in dem Wägelchen auch noch einen eichenen Knüttel, der allem Anschein nach schon wiederholt zum Bremsen benutzt worden war.

Der Kommissar kauerte sich hinter ihn.

»Sitzen Sie fest?« fragte Arndt.

»Ja.«

»Dann los!«

Jetzt stieß Arndt mit den Füßen den Stein fort, der vor den Rädern lag. Der Hund setzte sich in Bewegung, erst langsam, dann schnell und immer schneller; schließlich glitt er mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes dahin.

Es war eine unheimliche Fahrt.

Die beiden Männer hatten über sich die niedrige, faulende Deckenverschalung, rechts und links die dunklen Wände, von denen beständig Wasser herabtropfte, und vor sich eine Finsternis, die von dem Licht der Laterne nur auf wenige Schritte erhellt wurde.

In dem engen Stollen dröhnten die Räder auf den Schienen so gewaltig, daß eine Verständigung durch Worte fast unmöglich wurde. Arndt überlegte, daß er in dieser Finsternis mit dem Wagen ins Verderben rasen konnte. Wenn das Buschgespenst nun Verbündete versteckt hielt in seinem unterirdischen Bereich? Wenn sie den tollkühnen Verfolgern einen Hinterhalt legten? Vielleicht lauerte da vorn in der gähnenden Dunkelheit schon der Tod!

Das alles bedachte der Detektiv in den wenigen Minuten des Dahinsausens. Aber er bremste nicht. In unverminderter Geschwindigkeit ließ er die tolle Jagd weitergehn. Er vertraute auf seinen guten Stern und hoffte, daß bald ein Punkt kommen würde, wo der Stollen kein Gefälle mehr hatte, wo also der Hund von selber langsamer zu laufen begann, so daß man wieder nach dem Buschgespenst Ausschau halten konnte. –

Der Verfolgte dagegen kannte den Gang genau. Er hatte ihn schon oft benutzt. Deshalb standen auch stets die zwei Hunde bereit. Der Stollen war ja dazu bestimmt, bei künftigen Pascherzügen eine große Rolle zu spielen. Er endete nämlich nicht bei dem Erdloch an der Gartenmauer des Müllers Wilhelmi, wie Arndt nun bereits festgestellt hatte, sondern er lief unter dem Keller der Roten Mühle hinweg bis fast zur böhmischen Grenze, wo er in einer halb verschütteten Höhle im Bergwald an die Oberwelt führte.

Das Buschgespenst hatte diese Reste eines längst vergessenen Erzbergwerks entdeckt und den Gang planmäßig von Schutt und Geröll befreit, hatte die Schienen gelegt und die Hunde beschafft und zuletzt das Abkommen mit dem Müller Wilhelmi über dessen Keller getroffen. Dieser Keller war von dem Stollen nur durch eine so dünne Decke getrennt, daß die Pascher Gefahr liefen, sich bei Benutzung des unterirdischen Ganges den Bewohnern der Roten Mühle zu verraten. Deshalb sollte Wilhelmis Keller zugeschüttet werden.

So sah es aus in der Unterwelt, durch die der Verfolgte seinen Weg nahm. Er fühlte sich hier vollkommen sicher, während er auf seinem Gefährt durch den dunklen Gang rollte, und es geschah ohne besondere Absicht, daß er sich einmal umwandte, nachdem er eine Strecke zurückgelegt hatte.

Er erschrak. Schimmerte da hinten nicht ein Licht? Oder spiegelten ihm das nur seine erregten Sinne vor? Zu hören vermochte er nichts, da das Schüttern und Tosen des eignen Gefährts alle andern Geräusche verschlang. Dann spähte er schärfer aus – ja, das war ein Licht! Es bewegte sich, zitterte, schwankte zur Seite, wurde verdeckt und blitzte wieder auf.

Sie verfolgen mich! schoß es ihm durch den Sinn, und gleich darauf zuckte ein andrer Gedanke in ihm auf: Aber sie sollen ins Verderben rennen!

Auch er führte einen Bremsknüttel bei sich; er stemmte ihn vor eines der Vorderräder, und bald kam der Hund zum Stehn.

Nun lauerte er wieder rückwärts.

»Da sind sie«, knurrte er. »Warte, du Schuft – dein letztes Stündlein hat geschlagen!«

Er lief den Ankommenden einige Schritte entgegen, riß einige Latten von der Verschalung des Stollens los und warf sie quer über die Schienen. Dann zog er sich wieder ins Dunkel zurück, dorthin, wo sein Förderwagen stand, den der Bremsknüttel einstweilen festhielt, so daß er auf der leicht geneigten Bahn nicht ins Rollen geraten konnte. Die Rechte des Verbrechers holte, da man ihm seinen abgeschossenen Revolver oben aus der Hand geschlagen hatte, einen zweiten hervor.

Die Verfolger rollten heran. Das Dröhnen der Räder wuchs in dem engen Stollen zu einem höllischen Lärm. Die Laterne schwankte an jeder Stelle, wo die Schienen verschraubt waren. Da – ein Stoß, ein Krach, ein Schrei – und gleich darauf drei, vier Schüsse aus dem Revolver des Buschgespenstes, deren Knall sich in dem Gang tausendfach brach, als hätte eine ganze Geschützbatterie gefeuert.

Noch während das Echo der Revolverschüsse durch den Stollen donnerte, entfernte das Buschgespenst den Bremsknüttel und schwang sich wieder auf seinen Wagen.

»In die Hölle mit euch!« schrie der Anführer der Pascher zurück und stieß ein höhnisches Lachen aus.

Dann ein Stoß, und schon sauste der Hund mit dem flüchtigen Verbrecher davon.

*

Der kleine Förderwagen, worin die Verfolger saßen, war durch den derben Anprall an das unvermutete Hindernis aus den Schienen gedrängt und seine Insassen waren herausgeschleudert worden. Arndt hatte gerade noch Geistesgegenwart genug gehabt, die Linke schützend vor die Blendlaterne zu halten, so daß sie nicht zerschellte. Dafür blutete er nun an der Hand. Außerdem schmerzten ihn die Glieder, mit denen er unsanft aufgeschlagen war.

Er hörte das Dröhnen der Schüsse, wovon glücklicherweise keiner getroffen hatte, hörte den höhnischen Ruf des Buschgespenstes und darauf das Rollen des davongleitenden Hundes. Zähneknirschend erkannte er, daß ihm der Verfolgte abermals entkam.

Im selben Augenblick war er schon wieder auf den Beinen und leuchtete um sich. So gewahrte er den Kommissar, der stöhnend am Boden lag, sich wie ein Erwachender mit der Rechten an den Kopf griff und sich endlich mühsam aufrichtete.

»Sind Sie verletzt?« fragte der Detektiv.

»Ein wenig, an der Stirn. Es ist nicht schlimm.« Der Beamte wischte sich mit dem Taschentuch ein Blutgerinnsel ab. Dann erhob er sich vollends. »Wollen uns nicht weiter um die Schramme kümmern! Sehn Sie, so! Ich binde das Taschentuch darüber. Und nun auf zur weitern Verfolgung! Dieser Schuft soll uns trotzdem nicht entwischen!«

Arndt war es lieb, einen Gefährten von solcher Tatkraft bei sich zu haben. Andernfalls hätte ihn der Mann nur gehindert. Er entdeckte die Latten auf den Schienen und entfernte sie. Dann hob er mit Hilfe des Kommissars den Hund wieder auf die Gleise.

»Der Wagen ist nicht beschädigt«, stellte er fest. »Ein Glück, daß diese Hunde so dauerhaft gebaut sind. Wir dürfen uns nicht aufhalten lassen! Weiter! Los!«

Auch das Gefährt der Verfolger setzte sich von neuem in Bewegung. Da die Bahn jetzt weniger abschüssig war, glitt es nur noch mit mäßiger Schnelligkeit davon. Wieder tropfte den Männern vom Gestein der Decke das Wasser ins Gesicht, wieder dröhnte der Gang unheimlich vom Rollen der Räder, wieder gähnte vor Blicken, die sich starr ins Dunkel bohrten, der offene Rachen der unbekannten Gefahr. –

Inzwischen hatte das Buschgespenst wiederum einen bedeutenden Vorsprung gewonnen; es näherte sich bereits seinem Ziel. Der Verbrecher frohlockte, denn er war überzeugt, daß die Verfolger bei dem Sturz schweren Schaden gelitten hätten; seine Kugeln mochten ihnen dann wohl noch den Rest gegeben haben.

Jetzt wurde die Bahn eben, der Hund kam langsam ins Stehen. Da sprang der Mann heraus und verharrte aufatmend neben dem kleinen Wagen.

Doch nicht lange, dann hob er lauschend den Kopf. Ihm war es, als liefe wieder ein Rollen durch den unterirdischen Gang.

Er blickte zurück und sah hinten bei einer Biegung des Stollens ein Lichtpünktchen auftauchen.

»Hölle und Teufel!« fluchte er halblaut. »Sind die Halunken denn immer noch auf meiner Spur?«

Nun packte ihn Angst. Wenn sie nicht bald zur Umkehr gezwungen wurden, mußten sie sein Geheimnis, den zweiten Ausgang des Stollens, entdecken.

Er lauschte abermals. Das Rollen wurde stärker, das Licht kam näher und näher.

Jetzt gab es keine andre Rettung, als die Mine springen zu lassen, die hier für den äußersten Notfall gelegt worden war. Wenn daraufhin das Gestein niederprasselte und den Gang verschüttete, dann sollte ihm jemand nachweisen, daß er hier unten spazierengefahren war! Und waren die Schurken hinter ihm auch dem Sturz aus dem Förderwagen und den Revolverkugeln entgangen, dem fallenden Gestein würden sie nicht entrinnen – es würde sie zerschmettern oder bei lebendigem Leib begraben.

Er tastete sich schnell weiter, bis er den Ort erreichte, wo in der Seitenwand eine lange Zündschnur verborgen war. Sie stand mit einer Sprengladung in Verbindung, die nach seiner Ansicht gerade ausreichte, den letzten Teil des Stollens zum Einsturz zu bringen und so eine unüberwindliche Trennungswand zwischen dem unterirdischen Gang und einem nach oben führenden Treppenschacht aufzurichten. –

Arndt und der Kommissar hatten keine Ahnung von dem drohenden Verhängnis, dem sie entgegenrollten. Sie merkten nur auf, weil sie spürten, daß sich ihr Wagen allmählich auslief.

»Der Gang wird eben«, schrie Arndt dem Beamten ins Ohr. »Wir müssen – halt, was steht da? – Achtung, festhalten!«

Wieder gab es einen Krach. Sie waren mit dem Hund zusammengestoßen, den der Verfolgte stehngelassen hatte. Aber der Anprall war infolge der verlangsamten Fahrt kaum zu spüren.

»Absteigen! Hinter dem Wagen Deckung nehmen!« gebot Arndt. »Der Bursche könnte wieder schießen!«

Dabei tat er schon zwei Sprünge zurück und verdeckte das Licht der Laterne, um dem Feind kein Ziel zu bieten. Der Kommissar tastete sich zu ihm hin.

»Der Flüchtling hat hier den Wagen verlassen«, flüsterte Arndt. »Vorsicht!«

»Meinen Sie, daß das Buschgespenst hier in der Nähe steckt und uns auflauert?« flüsterte der Beamte.

»Möglich ist es. Darum riet ich, vorerst in Deckung zu gehn. Aber ich glaube nun schon eher, daß der Verbrecher die Flucht zu Fuß fortgesetzt hat. Sonst hätte er bereits wieder auf uns geschossen. Außerdem ist er wohl hier aus seinem Hund geklettert, weil der Stollen eben wurde. Da kam er nicht mehr vorwärts.«

»Dann sollten wir uns hier nicht länger verweilen, sondern die Verfolgung zu Fuß aufnehmen.«

»Dasselbe wollte ich eben vorschlagen. Versuchen wir es! Aber nochmals: Vorsicht, Vorsicht!«

Die beiden richteten sich behutsam auf. Arndt ließ ein wenig die Laterne leuchten. Sie horchten und spähten in den dunklen Stollen hinein, der vor ihnen lag. Nichts regte sich, kein Schuß fiel.

Nun schritten sie langsam voran. Da plötzlich packte Arndt den Kommissar am Arm und hielt ihn zurück.

»Da! Sehn Sie das Licht, den Funken?«

»Er klettert an der Wand hoch! Was ist das?«

Die Frage des Beamten war noch nicht ganz verklungen, da zerrte der Detektiv seinen Begleiter auch schon in wilder Hast rückwärts.

»Fort!« rief er. »Das ist eine brennende Zündschnur! Hier soll eine Sprengung stattfinden! Fort, sonst sind wir verloren!«

Jetzt liefen die beiden um ihr Leben, liefen wieder an den zwei Hunden vorbei und immer weiter in der Richtung, aus der sie gekommen waren. Sie stolperten über die Schienen. Sie stießen gegen die verschalten, tropfnassen Wände. Stumm bissen sie die Zähne aufeinander und schnellten sich in gewaltigen Sätzen fort. Sie wußten, hinter ihnen war der Tod, der Tod in grausig-tückischer Gestalt, um sie in seine Knochenarme zu schließen und langsam zu erwürgen.

Dann zerriß ein Donnerschlag die Luft; es war, als wollte die Erde bersten. Der Boden schwankte, und die Unterwelt schien in einem einzigen wilden Aufruhr zu sein. Über und neben den Flüchtenden krachten die Verschalungen; Felsbrocken polterten nieder. Erdreich brach nach.

Der Luftdruck hatte die beiden Männer, so wie sie nebeneinander liefen, zu Boden geschleudert.

»Verschüttet!« keuchte der Kommissar, als es ringsum wieder still geworden war.

»Ruhe!« mahnte Arndt. »Nur nicht den Kopf verlieren! Wir können ja noch atmen und sprechen. Ich spüre sogar einen leisen Luftzug. Auf mir liegt es freilich zentnerschwer. Können Sie sich bewegen?«

»Ein wenig.«

»Das genügt fürs erste. Lassen Sie meinen Arm los – so! Ich will versuchen, mich freizumachen.«

Arndt stemmte die Arme und Knie gegen den Boden und ruckte die Schultern mit aller Gewalt gegen die Verschalungsbretter, die über ihn weggestürzt waren und die Massen des Erdeinbruchs trugen.

Aber die Last bewegte sich nicht. Dem Detektiv wollte ein Grauen aufsteigen. Sollte sein Leben, sein Streben im Dienst der Gerechtigkeit so enden? Sollte er die Sonne nie wiedersehn und hier unten lebendig begraben sein?

Sein Wille stand auf gegen diese Vorstellung. Er erneuerte unablässig den Versuch, sich zu befreien. Seine Muskeln waren zum Zerreißen gespannt, und die Adern drohten zu platzen; seine Brust keuchte. Da bog sich eines der Verschalungsbretter nach oben ein wenig durch; mit der Kraft der Verzweiflung stieß Arndt nach – ein Rieseln erst wie von abrollendem Erdreich, dann ein Poltern wie von Steinen – er packte die faulenden Hölzer, und sie ließen sich ohne besondre Mühe beiseiteräumen.

Nach einer Weile knieten die beiden Verschütteten nebeneinander und schoben den letzten Rest des Gerölls aus dem Weg. »Gott sei Dank!« sagte Arndt tief aufatmend. »Wir scheinen grad an der Grenze des Stolleneinbruchs gewesen zu sein. Wären wir nicht so rasch geflohen, wären wir lebendig begraben. Weiter zurück jetzt!«

»Ja, zurück!« wiederholte der Kommissar, ebenfalls erleichtert. »Wir müssen vor allem trachten, wieder ans Tageslicht zu kommen.«

»Ich hoffe, daß es uns gelingt. Der Schlag ist vermutlich bei den Hunden geschehn. Daraus ist zu schließen, daß dort die Zerstörung viel größer ist als nach dem Einstieg zu. Rettung finden wir also nur, wenn wir umkehren.«

»Und was halten Sie nun von der ganzen Sache?«

»Das ist nicht schwer zu erraten«, meinte Arndt. »Das Buschgespenst hat eine Zündschnur angebrannt und absichtlich eine Entladung herbeigeführt. Der Verbrecher war auf eine Verfolgung hier in der Unterwelt vorbereitet. Er glaubt uns jetzt verschüttet tief unter der Erde. Hoffentlich ist er uns nicht für immer entwischt.«

Sie krochen auf dem Geröll zurück, womit die Sohle des Ganges noch weithin bedeckt war. Es ging langsam; aber es war möglich.

»Brrrr!« meinte der Kommissar, der hinter Arndt herlief, nach einer Weile. »Riechen Sie etwas?«

»Das scheint Grubengas zu sein. Wer weiß, was für ein Unglück die Entladung angerichtet hat. Ich muß die Laterne auslöschen.«

»Dann sind wir im Finstern, und das Gas holt uns ein.«

»Andernfalls entzündet es sich an meinem Licht, und es gibt ein neues Unheil. Kommen Sie vorwärts! Und wenn wir uns das Fleisch von den Knien und Händen schinden! Es geht ums Leben!«

Der Geruch wurde stärker und durchdringender. Die beiden Männer arbeiteten sich mit Aufbietung aller Kräfte voran. Plötzlich brach der Kommissar ächzend zusammen.

»Ich kann nicht mehr!«

»Auf!« mahnte Arndt. »Auf, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!«

Nur ein Stöhnen antwortete.

»Reißen Sie sich zusammen!« brüllte Arndt ihn an. »Das Geröll nimmt schon ab! Hier, Gott sei Dank – ich fühle bereits die Schienen!«

Er griff nach hinten und zog den Gefährten hoch und mit sich fort.

»So! Hier können Sie wieder grad auf den Füßen stehn!«

Taumelnd ließ der Halbbetäubte alles mit sich geschehn. Mechanisch bewegte er die Beine, und der Wettlauf mit dem Tod nahm seinen Fortgang.

Arndt hatte den Kommissar beim Hosenbund gepackt und stieß ihn mit halbgebeugtem Arm vor sich her. Der Ermattete wäre ohne diese Anwendung derber Gewalt einfach zurückgeblieben und dem Gas zum Opfer gefallen. Seine Kräfte waren durch die Anstrengungen bei der Verfolgung, bei dem doppelten Sturz, dem Zubruchgehn der Strecke und der damit verknüpften seelischen Erregung vollkommen aufgezehrt worden. Auch dem Detektiv zitterten die Knie, aber er biß die Zähne zusammen und hielt durch.

Endlich wurde die Luft besser.

Sie verschnauften eine Weile, doch als Arndt merkte, daß die verderblichen Gase sie wieder einzuholen drohten, begann die entsetzliche Flucht von neuem.

Sie mochten etwa an der Stelle sein, wo sie von den Schienen geschleudert worden waren und das Buschgespenst auf sie geschossen hatte, da tauchte vor ihnen ein heller Schimmer auf.

»Licht, Licht!« keuchte der Kommissar. Man kommt, uns zu suchen!«

»Pst! Horchen Sie!«

Sie blieben lauschend stehn. Dumpf zwar, aber doch deutlich, hörten sie einen tiefen Baß, und gleichzeitig wurde eine hin und her pendelnde Laterne erkennbar.

»Arndt – Vetter Arndt!«

»Der Förster!« frohlockte der Angerufene. »Mein guter, alter Wunderlich! – Jetzt sind wir gerettet! Kommen Sie! Rasch!«

Die Freude und die neuerwachte Hoffnung gaben dem Kommissar die Kräfte wieder, und nun stürzten die beiden vereint vorwärts.

»Vetter Arndt!« rief es laut und immer lauter. »Vetter Arndt! Heiliger Nimrod, wenn sie dem ein Haar gekrümmt haben, dann dreh ich der ganzen Welt den Hals um!«

Eine Minute später lagen sich die Männer, die einander Vettern nannten, in den Armen. Arndt hatte dem Förster zwar gleich beide Hände entgegengestreckt, aber der Alte gab sich damit nicht zufrieden. Er riß den Detektiv, um den er so viel Angst ausgestanden hatte, mit einem kräftigen Ruck an sich und drückte ihn an seine Brust. Dabei schimmerte es verdächtig feucht in den Augen Wunderlichs.

Einige Polizeibeamte und Grenzer, die sich hinter dem Förster herandrängten, nahmen sich inzwischen des Kommissars an, den die Freude über die Rettung aus höchster Gefahr wunderbar neu belebte.

»Ists weit bis ins Freie?« war dann Arndts erste Frage.

»Gar nicht weit«, lachte Wunderlich. »Dahinten liegt der Ausgang aus diesem Mauseloch! Nur ein paar Minuten ists noch zu gehn.«

»Dann wollen wir uns beeilen. Aber fort mit dem Licht! Das Grubengas ist hinter uns!«

Der Förster erschrak heftig.

»Grubengas? Heiliger Himmel, da heißt's ausreißen!«

Sie stürmten fort, und schon nach kurzer Zeit erreichten sie das Steigeloch, worin jetzt eine Leiter stand. Auf ihr kletterten die Männer zutage, ohne sich vorläufig um die Fortführung des Stollens nach der andern Seite zu kümmern.

»Aber zum Teufel«, sprudelte jetzt der Förster los, »wo haben Sie denn nun das Buschgespenst?«

»Nachher!« wehrte Arndt ab. »Erst etwas andres: Wo sind die Schmuggler?«

»In der Mühle.«

»Alle?«

»Alle! Gebunden und gefesselt. Sie können nicht ausreißen; fünfzehn Mann halten bei ihnen Wache.«

»Und die andern?«

»Die sind zum Schacht gelaufen.«

»Was ist denn dort geschehn?«

»Das weiß man noch nicht genau. Es gab plötzlich einen Schlag, daß die Erde zitterte, und dann stieg vom Bergwerksgebäude eine feurige Lohe in die Luft. Der ganze Gottes-Segen-Schacht muß zerstört sein.«

Arndt stand erschüttert.

»Mein Gott, so weit hat die Entladung gewirkt?«

»Die armen Bergleute, die unter Tag waren!« sagte der Kommissar.

Der Detektiv aber schwieg. Er hatte geglaubt an der Oberwelt vor allem dem flüchtigen Buschgespenst nachsetzen zu müssen. Nun jedoch, da er von dem gewaltigen Ausmaß der Sprengung erfuhr, meinte er zu wissen, daß das nicht mehr nötig war, daß sich vielmehr der Verbrecher mit eigner Hand den Untergang bereitet hatte.


 << zurück weiter >>