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Wertgefühle.

Wie selbstverständlich klingt das wenige, das ich über den Wertbegriff zu sagen habe; und doch widerspricht es den großen Worten, mit welchen namentlich von der Ethik und von der Ästhetik aus über die Absolutheit ihrer Werte geredet wird. In meiner Sprache könnte ich kurz sagen: Wert ist ein Begriff der substantivischen oder mythologischen Welt; wir haben aber in der psychologischen Wirklichkeitswelt sehr häufig, ja im Grunde unaufhörlich Gefühle, nach welchen uns Empfindungen und Handlungen, also Tatsachen der adjektivischen und der verbalen Welt wert erscheinen oder nicht. Ich werde jedoch einige Worte mehr brauchen, um den Glauben an absolute Werte zerstören zu helfen.

Ich habe schon gesagt (vgl. Art.  Schopenhauer IV), daß ein Begleitgefühl des Interesses sicherlich an jede unserer Wahrnehmungen geknüpft ist, wenn auch unter der Schwelle des Bewußtseins, weil wir ohne dieses begleitende Interesse unsere Aufmerksamkeit gar nicht auf den Sinneseindruck richten könnten. Sind nun die Wahrnehmungen Relationen der Welt zu unsern Sinnen, so sind diese Wertgefühle Relationen unserer Empfindungen zu unserem Willen, also Relationen von Relationen. Darum allein könnte man schon nur mit einem sehr schlechten Sprachgewissen von absoluten Werten reden. In der Nationalökonomie, wo der Wertbegriff bisher am gründlichsten behandelt worden ist, wird an seiner Relativität kaum mehr gezweifelt; man weiß aber auch da noch kaum, daß diese Relativität eine doppelte ist: unsicher ist der Maßstab, der angelegt werden muß, und unsicher ist die Hand, die ihn anlegt. In der Philosophie, zu welcher man ja die Ethik und Ästhetik rechnet, ist die Relativität des Wertbegriffs neuerdings deutlich ausgesprochen worden; am stärksten von Lotze und von Fechner. Es kann ja gar keine Werte an sich geben, es gibt immer nur Werte für uns. Aber Kant hat mit seiner Lehre, daß Personen Selbstzwecke seien und darum einen absoluten Wert besitzen, doch bis auf die Gegenwart nachgewirkt und noch Simmel spricht von einem sozialen Werte, der übersubjektive Gültigkeit habe.

Der Irrtum bei solcher Metaphysik des Wertbegriffes scheint mir darin zu liegen, daß man zwar einsieht, ein Wert müsse immer mit einem Maße gemessen werden, daß man aber dann glaubt, es gebe irgendwo und irgendwie in der Welt ein absolutes Maß, einen Grundwert. In der Nationalökonomie hat man z. B. seit Smith in der Arbeit das absolute Maß des Wertes zu erkennen geglaubt, und der moderne Sozialismus liebt es seit Marx, diesen Maßstab anzulegen. Aber es ist doch offenbar, daß die Messung der Werte nach der Arbeit ein Ideal in den Köpfen der Reformer ist, auf die Handels- und Tauschwerte der Wirklichkeit niemals genau und häufig gar nicht paßt. Richard III., der sein Königreich für ein Pferd anbietet, würde bei diesem Tausche ein recht gutes Geschäft machen; sein Königreich hat er bereits verloren, ein Pferd könnte ihm das Leben retten und am Ende vielleicht durch des Königs neue Blutarbeit das Königreich wieder gewinnen helfen. Der individuelle Mensch in einem bestimmten Zeitmoment ist das Maß des Wertes.

Aber nicht nur in der Ethik und Ästhetik, auch in der Erkenntnislehre haben philosophische Prediger absolute Werte entdecken wollen. Wahrheit, Schönheit, Güte hießen diese absoluten Werte und die Wahrheit erschien als der allerabsoluteste unter den dreien. Unsere Untersuchung des Wahrheitsbegriffs hat uns aber gelehrt, daß es ewige Wahrheiten nicht gebe, daß die Wahrheit vom Glauben nicht zu unterscheiden sei; und wir wissen (besonders klar seit der Studie Jerusalems), daß beim Aussprechen eines Urteils, welches wir für wahr halten, der bejahende Wille mitbeteiligt ist. Ich möchte dazu jetzt auf eine merkwürdige sprachliche Erscheinung hinweisen, die mir die beiden Relationsbegriffe Wahrheit und Wert seltsam zu verbinden scheint. Das Wort glauben, welches doch völlig den Sinn von für wahr halten hat, ist etymologisch gar nicht anders zu erklären: es ist mit lieb und Lob eines Stammes, ist ein verstärktes loben, d. h. gutheißen. Die ursprüngliche Bedeutung von loben fällt also mit dem Lehnwort preisen (von Preis, franz. prix, lat. pretium) zusammen; Preis aber (in der jetzigen Bedeutung) und Wert stehen einander in der Bedeutung so nahe, daß Idealisten versucht sein konnten, die Gleichsetzung von Preis und Wert einer Ware zu verlangen.

Kein anderer Denker hat die Relativität des Wertbegriffs so tief geschaut und so leidenschaftlich behauptet, wie Nietzsche. Das Wertproblem steigt früh in seiner ganzen Wucht vor seinem Geiste auf, es ist ihm eines der Worte, in welche bald dies, bald jenes, bald mehreres auf einmal gesteckt worden ist. (Der Philolog Nietzsche glaubt freilich noch, daß der Mensch seinen Namen davon habe, daß er allein der Wertende, der Messende sei.) Er zweifelt an allen Werten, er zweifelt sogar an dem Werte der Wahrheit. Aber er will wieder einmal über die Kraft, er will seine Skepsis überwinden, will sich mit der Entwertung des Wertbegriffs nicht begnügen, will neue dogmatische Tafeln aufstellen und predigt, auch er, wenn er » Umwertung aller Werte« verspricht.

Wir haben mehr als einmal auf die Relativität der Begriffe gut und böse hinweisen müssen. Shakespeare und Spinoza haben schon gewußt: »An sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu.« Auch Nietzsches Schlagwort »Jenseits von Gut und Böse« meint den gleichen Gedanken. Man vergleiche auch Goethes Worte an Lavater (Briefe W. A. III. 33): »Alle deine Ideale sollen mich nicht irre führen wahr zu sein, und gut und böse wie die Natur.« Da trifft es sich recht günstig, daß schon die Gemeinsprache geneigt ist, die verschiedenartigsten Werturteile mit Hilfe des Alltagswörtchens gut auszudrücken. Für die Werturteile der Ethik braucht das nicht erst gesagt zu werden; für die Ethik ist nur der gute Mensch ein wertvoller Mensch. Die Lustgefühle, welche den Wertgefühlen zugrunde liegen und deren Berechtigung Lotze (»Mikrokosmus« 5 II, S. 310 ff.) mit vornehmer Menschlichkeit verteidigt hat, spricht der einfache Mann und auch der einfache Kunstgenießer am liebsten mit dem schlichtern Worte aus; nicht nur vom Essen sagt er, es habe ihm gut geschmeckt (der Berliner freilich sagt schön); auch von einem Kunstwerke, es habe ihm gut gefallen. Die Werturteile der Nützlichkeit laufen alle darauf hinaus, daß ein Ding als Mittel für einen Zweck gut sei; es ist bekannt, daß sogar das Wort Tugend von taugen abzuleiten ist. Die sozialen Werte lassen sich alle darauf zurückführen, daß eine Handlung, ein Charakter, eine Einrichtung dann gut genannt werden, wenn sie der Allgemeinheit nützen; hat man doch sogar das metaphysische und rigoristische Moralprinzip Kants auf eine solche allgemeine Brauchbarkeit zurückführen dürfen. Und die Nationalökonomie spricht gar fast im gleichen Sinne von Gütern und von Werten.

Die Nationalökonomie hat – wie gesagt – den Wertbegriff genauer untersucht, als die andern axiologischen Wissenschaften bisher imstande waren. Sie hat nach den fruchtlosen Versuchen, die aufgewendete Arbeit zu einem Maßstabe des Wertes der Arbeitserzeugnisse zu machen, zu ältern Erklärungen der Wertentstehung zurückgreifen müssen, zur objektiven Seltenheit eines Dings und zur subjektiven Affektion für dieses Ding (Affektionswert). Sie hat zugeben müssen, daß die Werte wandelbar sind nach Zeit und Individuum. Sie hat endlich zwischen Produktionswerten und Genußwerten unterschieden; da aber die Produktionswerte zuletzt und unmittelbar wieder nur nach ihren Genuß- oder Gebrauchswerten bewertet werden, so ist der Maßstab für den nationalökonomischen Wert am letzten Ende doch nur bei dem Interesse zu suchen, bei den Lust- und Unlustgefühlen, welche – wie wir wissen – unser Erleben immer begleiten. Ohne diese Lust- und Unlustgefühle, die nur von Rigoristen geschmäht werden, könnten wir unser Leben gar nicht ein Erleben nennen. Es wäre nützlich oder gut, wenn die andern axiologischen Wissenschaften den Wertbegriff ebenso vorurteilslos untersuchen wollten. Sie würden sich bald von der Relativität auch der ethischen und ästhetischen Werte überzeugen.

Nichts ist von Natur wertvoll oder wertlos; die Menschen machen es dazu.


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