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Relation (relativ).

Wir in Deutschland stehen immer noch zu sehr unter dem Banne der nachkantischen Terminologie, lassen uns immer noch so sehr von dem Wortschalle absolut verblüffen, daß der Relativismus als eine Weltanschauung gegen ein Vorurteil anzukämpfen hat; als ob nur die Sophisten, diese verruchten Menschen, die Lehre aufgebracht hätten: der Mensch sei das Maß aller Dinge, alle Erkenntnis sei nur relativ wahr. So ungefähr wird die Sache von der Popularphilosophie dargestellt. Wenn aber absolut, wie ich (I 6f.) zu zeigen versucht habe, nur ein Scheinbegriff ist, dann wird wohl weiter nichts übrig bleiben, als sich mit der Relativität aller menschlichen Erkenntnis zu begnügen. Dieser Relativismus ist denn auch, noch bevor man an eine Ehrenrettung der Sophisten dachte, von allen scharfsinnigen Denkern als berechtigt zugegeben worden: von den französischen wie von den englischen Skeptikern, wie von den Sensualisten. Und für die neuere Erkenntnistheorie ist der Satz, daß jede Erkenntnis nur für den menschlichen Standpunkt gelte, so selbstverständlich, daß er gewöhnlich als bekannt vorausgesetzt wird. Sehr schön hat Herbart das Wesen unserer Erkenntnis so ausgedrückt: »Wir leben einmal in Relationen und bedürfen nichts weiter.«

Nur die guten Leute und schlechten Musikanten unter den Philosophen, welche die absoluten und ewigen Wahrheiten der Moral zu verteidigen oder neu zu entdecken sich vorgenommen haben, wollen von einer Relativität aller Erkenntnis nichts wissen; sie haben ihren Lohn dahin.

Von Aristoteles und von Kant ist der Begriff der Relation unter die Kategorien aufgenommen worden. Bei Aristoteles steht die Relation (das προς τι, die Beziehung auf etwas) dem an sich gegenüber, ohne daß wir viel von der Bedeutung der Relation erführen; bei Kant wird in der von ihm durchgeführten Dreiteilung zu der Substantialität und der Kausalität als dritte Art der Relation die Gemeinschaft beigesellt, eigentlich der Begriff der Korrelation. Da aber in der weiten Welt der Wirklichkeiten eine Relation ohne entsprechende Korrelation nicht gefunden, sondern höchstens konstruiert werden könnte, so werden wir uns auf eine Zweiteilung des Begriffes zu beschränken haben; aber mit der Zweiteilung des Aristoteles, die in unserer Schulphilosophie fortlebt, wissen wir wirklich nichts mehr anzufangen, weil wir das, was der Relation als ein an sich gegenüberstehen soll, nun einmal nicht mehr verstehen. Aber die Zweiteilung, die uns als der Gegensatz von Ich und Welt so wohlbekannt ist, muß doch, wenn der Relativismus recht haben soll, auf zwei verschiedene Arten der Relation hinauslaufen. Wir kennen nichts Wirkliches, es wirke denn; es wirke denn unmittelbar auf den Menschen oder auf ein anderes Wirkliches. Alle Wirkung ist nur eine Relation. Und wir können nun ohne jede Konstruktion all unser Erleben einteilen in das, was eine Relation zu uns hat, und in das, was wir von den äußern Relationen untereinander wissen. Unsere Sinnenwelt ist die Summe aller Relationen, die von unbekannten Kräften zu uns gehen; unser Wissen ist die Summe der Relationen dieser Kräfte untereinander. Hätte ich also die Neigung, meinerseits eine neue Kategorientafel zu entwerfen, so würde der Begriff der Relation sich spalten in das, was wir von der Welt unmittelbar durch unsre Sinne erfahren, unsere Subjektivität also, und in das, was wir aus den gegenseitigen Relationen der Welt für uns erschließen, also die Objektivität unseres Wissens. Man sieht, ich unterscheide sehr genau zwischen Subjektivismus und Relativismus; an der Verwechslung der Begriffe subjektiv und relativ haben wieder einmal die Moralphilosophen die Hauptschuld.

Nun ist aber der Relativismus überaus schwer in Worten irgend einer Sprache anzuwenden; die Gemeinsprache versagt völlig und auch die wissenschaftliche Sprache müßte unerträglich schwerfällig werden, wollte sie die Vorstellung von der Relativität aller menschlichen Erkenntnis immer festhalten. Wir haben schon Mühe, die Tatsache festzustellen, daß z. B. die Töne, wenn wir von den Veränderungen in unserm Gehörorgan absehen, bestimmte körperliche Schwingungen sind; wollten wir in einer Definition der Töne auch noch aussprechen, daß wir von den schwingenden Körpern wieder nur durch andere Relationen Kenntnis haben, daß wir Dinge an sich, d. h. Dinge ohne ihre Relationen nicht kennen, daß endlich zwischen den Schwingungen und unserm Gehörorgan Korrelationen bestehen, dann wäre eine so einfache Definition gar nicht zu Ende zu denken. Und so steht es um die ganze unmittelbar gegebene Sinnenwelt. Und um die objektive Welt unseres Wissens steht es nicht anders. Die Korrelationen der sog. Gravitation sind so unendlich kompliziert, daß wir die Gewohnheit angenommen haben, uns jedesmal auf einen bestimmten Standpunkt zu stellen, um z. B. sagen zu dürfen: die Erde dreht sich um die Sonne. Die Erkenntnistheorie weiß, daß alle wahren Urteile nur von einem solchen Standpunkte aus wahr sind; aber die Sprache ist nicht imstande, in einem bestimmten Urteile auch nur zwei verschiedene Standpunkte zugleich einzunehmen, und so über die relativen Wahrheiten hinaus zu gelangen. Auch darum gäbe es keine absolute Wahrheit, auch wenn es überhaupt etwas Absolutes gäbe.

Ich habe da immer wieder von der Relativität unserer Kenntnisse oder unseres Wissens gesprochen, weil der Ausdruck »Relativität der Dinge« gerade für den Relativismus keinen Sinn mehr hat. Wissen wir von den Dingen nur ihre Relationen zu uns und zueinander, so wissen wir nichts mehr von den Dingen selbst. Setzen wir statt der Dinge ihre Eigenschaften, so verwandeln sich die Eigenschaften in deren Relationen zu uns; wollen wir jeden Grund einer Eigenschaft eine Kraft nennen, so wird die Kraft abermals zu einer Relation, nur daß wir von der notwendigen Korrelation abstrahiert haben.

Die uralte Menschensprache hat aber dafür gesorgt, daß wir uns um die Relativität unserer Erkenntnis nicht zu bekümmern brauchen, wenn wir nicht denken wollen. Sie weiß nichts davon, daß wir von den Dingen nichts wissen; sie weiß nichts davon, daß die Eigenschaften der Dinge, d. h. die adjektivische Welt des Sensualismus, nur in Relationen (zu uns) bestehen; aber sie glaubt die Kräfte so genau zu kennen wie das Gefühl der menschlichen Muskelkraft, das Urbild aller Kräfte, und nennt diese Kräfte die Ursachen aller Erscheinungen der Wirklichkeitswelt. In dem Begriffspaare Ursache und Wirkung, noch besser in dem umfassenderen Begriffspaare Grund und Folge (das ja alle Formen des zureichenden Grundes umfaßt, nicht nur die Erscheinungen der Wirklichkeitswelt) steckt Relation und Korrelation, nur daß Grund und Folge eine Vorstellung ist, die dem ältesten menschlichen Instinkte entspricht und darum in der Sprache einen Ausdruck gefunden hat, daß aber der Begriff Relation einen resignierten Verzicht auf die Glaubwürdigkeit dieses menschlichen Instinktes auszudrücken scheint und darum – darauf wollte ich hinaus – um seiner Bescheidung willen den Eindruck eines negativen Begriffes macht. Wir gestehen ja unsere äußerste Unwissenheit ein, wenn wir zugeben, daß wir nur Beziehungen, Verhältnisse in der Welt kennen, nicht aber wissen, was mit dem Verhältnisse der Ursache gemeint sei.

Auf die Wortgeschichte habe ich mich diesmal nicht eingelassen, weil wir überall nur Verlegenheitswörter vorfinden, die untereinander keinen rechten Zusammenhang haben, weil wir also nichts daraus lernen konnten. Die Lateiner übersetzten die griechischen Ausdrücke nicht und sagten anstatt relatio auch wohl respectus, ordo, habitudo, comparatio; und unsere deutschen Worte Beziehung, Verhältnis sind wieder keine Übersetzungen der lateinischen.


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