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Monismus.

 

I.

Unter einer dichten Baumkrone hatte man einigen Schutz vor Regen und Kälte. Oder in einer Höhle. Dann lernte man den Baumstamm oder den Stein zerspellen und spalten, die Steine fügen und die Bretter zu einem Dache gegeneinanderlehnen. Das Haus wurde komfortabler, als es die Zuflucht unter der Baumkrone oder in der Höhle gewesen war. So ist alles Wirklichkeitswissen, das die Natur dualistisch zerspellt, komfortabler als jedes ältere Wissen. Was wir lernen, lernen wir immer so: dualistisch, dichotomisch, zerspellend (auf Etymologie kommt es hier nicht an), spelling, épelant. Niemals kann dieses einzelne Wirklichkeitswissen zu der Einigkeit führen, die eben darum ein Gefühl genannt werden mußte.

Meine Einigkeit mit der Natur, in der Natur kann ich nur fühlen, nicht in Worten wissen. Nichts ist zweimal da, ich nicht und die Natur nicht. Nicht ist die Natur einmal in meinem Erleben und ein andermal in meinem Denken. Nicht bin ich einmal in meinem Erleben und ein andermal in meinem Bewußtsein. Nicht wirkt die Erde einmal auf den Mond und der Mond ein andermal auf die Erde. Nicht ist dort die Sonne und da das Licht, nicht da das Auge und dort das Licht, nicht da meine Augen und dort deine Augen, nicht da du und dort ich. Und Einigkeit war auf der Welt, auch als schon Menschen da waren, solange der Mensch die Welt nicht mit seiner Sprache zerspellte.

 

II.

Monismus ist seit mehr als hundert Jahren Mode und wird wohl noch einige Zeit philosophische Mode bleiben bei den kleinen Leuten, die die Mode von gestern nicht ohne Stolz weitertragen. So gut ging es dem Monismus nicht immer. Noch Christian Wolf konnte in seiner Psychologia rationalis (§ 39) mit Recht behaupten, der Dualismus dominiere, der Monismus sei verhaßt. Das änderte sich seit der Wiederentdeckung Spinozas. Auf ihn, auf Goethe, auf Schelling, aber auch auf Bruno und auf wen nicht berufen sich die Bezirksredner, wie Büchner einer war und wie Haeckel einer ist, berufen sich ihre Schüler, die Mitläufer von Mitläufern, rennen mit starken Schädelknochen gegen die Mauern von Kirchenruinen und bilden sich etwas darauf ein, wenn sie ein Parterre von heimlich zechenden Primanern durch den schlecht geformten Witz zum Lachen gebracht haben: Gott sei ein gasförmiges Wirbeltier. Und das Wort Monismus klänge mir übel, auch wenn es nicht so mißbraucht worden wäre. Es ist ein nachgemachtes und dazu verschlissenes Wort, wie aus einer Maskenleihanstalt; Schweiß der Geschichte der Philosophie klebt daran. Will ich mir aber Mühe geben für den einen kleinen Gedanken, den ich meinerseits immer wieder wenden und umwenden muß, um meinen Monoideismus zu lehren, und suche ich ein eigenes Wort für das, was ehrlich hinter der Maske Monismus stecken mag, so finde ich kein Wort, das nicht schon mißbraucht wäre. Identität ist durch Schelling, der Einzige durch Stirner grotesk geworden. Leser des Meister Eckhart aber werden ein Ohr dafür haben, wenn ich für diesen Begriff Einigschaft oder Einigtum oder Einigung setze, wie Luther noch Einigung für solitudo, secessio in locum secretum, sagen konnte. Ich habe die Qual der Wahl, weil mir der Aberglaube an das eigene Wort fehlt, und bleibe zuletzt bei dem alten Einigheit stehen, wie es Kaysersberg im Sinne von Alleinsein gebrauchte.

Ist der Mensch erst ganz durchdrungen von dem Gefühle der Einigheit seiner selbst und der Natur, der Einigheit seines Erlebens, seines Seins und Denkens, dann werden für ihn die Scheinkämpfe zwischen Dualismus und Monismus zu einem Maskenspiel, an dem er keinen Anteil mehr nehmen kann. Die Masken sind dumm geworden.

Es ist ja nicht wahr, daß auf den Gebieten, bis zu denen die modischen Monisten überhaupt vordringen, von einer Verdrängung des alten Dualismus die Rede sein kann. Um sich auf der Oberfläche des Weltverstehens zurechtzufinden, muß man sich immer wieder dualistischer Wortpaare bedienen, muß immer den Körper durch den Geist und den Geist durch den Körper beschreiben und erklären. Immer ist die Sprache materialistisch und immer ist der Sprecher idealistisch, trotzdem er denkt oder spricht. Dualistisch, aus Gegensätzen zusammengedreht, ein Zwirn, ist immer das, was das Wissen aneinander gereiht zusammenhalten soll: Hylozoismus, Panpsychismus.

Goethe, der Todfeind aller Wortschälle und aller -isten, der sich nun die Glorifizierung durch die Monisten gefallen lassen muß, hat sein Lebelang auf dem Gebiete des Wirklichkeitswissens das Geheimnis der Zweiheit, der Anderheit, der Polarität zu erforschen gesucht. Und wie Goethe alle Weisen seit jeher.

 

III.

Wenn es gute Sitte wäre, wortgeschichtliche Untersuchungen wie lustige Märchen zu erzählen, so wären die Geschichten der Worte auf - ismus vielleicht die allerlustigsten. Es gibt freilich unter ihnen eine etwas langweiligere Gruppe: die durch Eigennamen +  ismus gebildet werden: Platonismus, Buddhismus, Mohamedanismus. Sie bieten Gelegenheit, von großen Gedankenzusammenhängen, ob man sie kennt oder nicht kennt, mit einem gebildeten Worte zu sprechen. Leise klingt dabei mit, daß man den Träger des Eigennamens nur für einen historisch-interessanten Charakter halte, nicht aber für den Löser des letzten Rätsels, für den Erlöser. Im Deutschen wenigstens heißt der Ideenhaufe, der sich um Mohamed geschichtet hat, Mohamedanismus, der um Christus heißt Christentum. Die Lehre Platons heißt in der Geschichte Platonismus; die Gläubigen Platons nennen sich Platoniker.

Die rechte Höhe wird aber nur erreicht, wenn das gebildete Wort durch Anfügung von ismus an ein anderes allgemeines und dadurch schon höheres Wort abgeleitet worden ist. Aus humanus wird Humanismus und hätte eigentlich noch voller Humanitatismus heißen können und sollen. Diese Worte pflanzen sich leicht durch eine Art von Zellteilung oder Sprossung fort. Aus ego wird Egoismus, und Altruismus teilt sich ab. Aus μονος wird Monismus abgeleitet, und Dualismus teilt sich ab.

Solche Worte haben neben ihrer äußern Geschichte noch ihre innere, ihre psychologische Geschichte; nur daß die psychologische Geschichte noch schwerer mit Sicherheit geliefert werden kann, als die äußere.

Die psychologische Geschichte von Monismus müßte auf einen Instinkt des menschlichen Denkens zurückgeführt werden. Das Denken und das Leben folgen nämlich genau entgegengesetzten Instinkten. Der Mensch, weil er lebt, hat den nominalistischen Instinkt, ich will damit sagen, er kennt einzig und allein Individuen, weiß nichts von Begriffen und nimmt die Welt, in welcher und von welcher er lebt, als real im modernen Sinn. Wie der Vogel den Samen, den er aufpickt, als Realität aufpickt, als ein Individuum, so bestimmen nur Individuen den Menschen durch die drei Motive des Hungers, der Liebe und der Eitelkeit.

Der Mensch, weil er denkt, hat den Instinkt des Wortrealismus, im scholastischen Sinne; er hält die Begriffe, die er sich gebildet hat, für wirklich und sein Denken hat die Neigung, ja die Leidenschaft, immer höhere und abstraktere Begriffe zu bilden und am Ende die allerhöchsten und abstraktesten, also die inhaltleersten und umfangreichsten, für die realsten im modernen Sinne zu halten, obwohl sie nur im scholastischen Sinne real sind.

Das Ruhebedürfnis des menschlichen Denkens verlangt für diese Leidenschaft des Denkens immer dasselbe: die Überwindung der Vielheit, in der das Leben steht und aus der es besteht, durch die Einheit. Diese Einheit der Denksehnsucht ist etwas ganz anderes als die Einheit des Individuums. Auf das Individuum ist der Einheitsbegriff erst nachträglich angewandt worden, nachdem er von dem Ruhebedürfnis der Denksehnsucht oder von der uranfänglichen Philosophie geschaffen worden war. Zwei Beispiele.

Zu den Instinkten des Menschen gehört der Begriff der Ursache. Jeder Vorgang hat eine Ursache, eigentlich unzählige Ursachen oder Bedingungen, von denen nur eine durch Aufmerksamkeit oder Interesse besonders als die Ursache ausgezeichnet wird. Das Weltgeschehen, alle Vorgänge nebeneinander, haben erst recht unzählige Ursachen. Und jeder Vorgang des Weltgeschehens hat wieder unzählige Ursachen hintereinander. Will das Denken zur Ruhe kommen, so muß es unter den Ursachen hintereinander eine die letzte nennen, zu welcher Willkür die Sprache sich gefällig hergibt. Die letzte Ursache ist dann die eine Ursache oder die Ursache. Man hat sie auch Gott genannt. Eigentlich liegt gar keine Veranlassung vor, auch das Nebeneinander der unzähligen Ursachen des Weltgeschehens ebenso auf eine einzige zurückzuführen. Ich gestehe, daß ich mir diesen Denkprozeß gar nicht vorstellen kann. Nachdem aber die Sprache einmal die eine letzte Ursache des Hintereinander hergegeben hatte, verlangte die Sprache beinahe, daß diese einzige Ursache auch alles Nebeneinander erklärte. Aus dem Ursachbegriff heraus. Und der theologische Monismus war fertig.

Man beachte dazu, daß auf dem engern Gebiete der Abstammungsfrage ganz ähnlich ein Ruhedürfnis zu der Vorstellung von einem ersten Menschenpaare geführt hat, zu einer letzten Ursache des Hintereinander, daß die Phantasie des Darwinismus diese letzte Ursache weiter zurückverfolgt hat bis zu dem ersten Plasmaklümpchen, aus dem sich alle organische Welt mitsamt dem Menschen entwickelt haben soll, daß aber auch da wieder diese letzte Ursache alles Organischen allzu kühn zu der gemeinsamen Ursache des Nebeneinander gemacht worden ist. Man müßte denn an die Richtigkeit der Stammtafel glauben, die alles jetzige Nebeneinander als ein Nacheinander begreifen möchte.

Mein zweites Beispiel steht mit dem Ursach-Instinkte in nahem Zusammenhange. Ein noch viel älterer Instinkt legte nämlich den Ursachen menschlicher Sinneseindrücke den Seinsbegriff bei. Dieser Seinsbegriff oder die Realität hatte einen Sinn nur der Körperwelt gegenüber, der Außenwelt. Der Mensch empfand aber auch eine Innenwelt, nicht gerade als eine Summe von Sinneseindrücken, aber doch irgendwie in seinem sogenannten Bewußtsein. Was durch Sinneseindrücke in sein Bewußtsein gekommen war, dem wurde instinktiv Existenz zugeschrieben. Also, da es ein anderes Wort nicht gab, existierte auch die Innenwelt. Der Seinsbegriff wurde vom Körper auf das übertragen, was nun der Geist hieß oder ähnlich, von der Außenwelt auf die Innenwelt. Nur gröbere Gesellen kamen dadurch zur Vorstellung von materiellen Geistern. Die Feinern begnügten sich damit, das Sein von Körper und Geist zu behaupten. Das war der Dualismus. Aber das Ruhedürfnis der Denksehnsucht wäre von dieser Zweiheit gern zu einer Einheit gekommen. Das Prädikat sein genügte für diese bescheidene Sehnsucht. Und sagte man statt des Verbums sein das Substantiv Substanz, so hatte man ja den einheitlichen Oberbegriff in einem Worte. Denken und Ausdehnung werden zu Attributen des einzig Vorhandenen, das darum Substanz heißt. Und der metaphysische Monismus Spinozas war fertig, auf den das Schlagwort unserer Tage immer wieder zurückgeht. Wir werden noch sehen, wie der gegenwärtige Monismus, weil er die Substanz als Oberbegriff für Körper und Geist anzuwenden sich scheut, zum Parallelismus geworden ist, der das Problem zu lösen gar nicht erst vorgibt, also den Namen Monismus gar nicht mehr verdient. Wie die moderne Ehe, wenn sie den Egoismus zu zweien lehrt, die alte Regel aufgehoben hat: Mann und Weib sind ein Leib.

 

IV.

Die äußere Wortgeschichte von Monismus deckt sich nicht ganz mit der innern Geschichte. Die Ruhesehnsucht des Denkens, die als metaphysisches Bedürfnis religiös und logisch zu einer einzigen Ursache oder Gott und zu einem einzigen Seinsbegriff geführt hat, ist nicht identisch mit der Ordnungsliebe des Denkens, die die Wortergebnisse der Sprache solange definiert, bis sich ein Wortsystem aus ihnen aufbauen läßt. An unserem Begriffe ist diese Klassifikationsarbeit zuerst von Wolf ausgeführt worden. Er nennt Monisten diejenigen Philosophen, die nur eine einzige Art von Substanz anerkennen. Wolf hat ganz ordentlich dargelegt, daß sowohl Materialisten als Spiritualisten den Namen Monisten verdienen, der ihm – wie gesagt – ein Ekelname war, weil nach seiner Überzeugung zwei Prinzipe, Körper und Geist, zur Erklärung der Welt nötig waren. Der Monismus sei eine verhaßte Weltanschauung. Communem esse hanc sententiam, quae inter nos obtinet, nemo ignorat, ut Dualismus sit dominans et Monismus ideo exosus habeatur. A qua parte stet veritas, ex sequentibus patebit. (Psych. rat. § 39.)

Wolf ahnte wohl gar nicht, daß dem verhaßten Monismus nicht nur der hochgelobte Dualismus, sondern auch ein ebenso möglicher Pluralismus gegenübergestellt werden könnte. Die Atomistik ist materialistischer Pluralismus, wenn man nicht so weit geht, die hypothetischen Atome auch noch einander vollkommen gleich vorzustellen; obgleich auch dann noch die Pluralität bestehen bliebe. Ja, die Monadenlehre von Leibniz, dem Meister Wolfs, ist wieder spiritualistischer Pluralismus, weil doch die Monaden verschieden sind.

Die philosophische Mode hat, wie man sieht, seit Wolf vollkommen gewechselt. Die Einheitssehnsucht des Denkens ist wieder einmal so stark geworden, daß Dualismus von den führenden Geistern unserer Zeit fast wie ein Schimpf oder doch wie ein Vorwurf gebraucht wird. Es soll der Bankerott der Philosophie sein, wenn sie über die Zweiheit der Prinzipien nicht hinauskommt, wenn sie mangels einer gemeinsamen Ursache, einer gemeinsamen Substanz oder eines gemeinsamen Prinzips, nicht wenigstens ein über der Dualität schwebendes einheitliches Wort zur Verfügung stellen kann. Die Einheitssehnsucht des Denkens hat wieder einmal für einige Generationen den Sieg über die klassifikatorische Sauberkeit des Denkens davongetragen. Nicht nur die Materialisten und die Spiritualisten nennen sich jetzt Monisten, sondern auch die Wortmacher, die in den beiden Prinzipien (Körper und Geist) nur zweierlei Erscheinungen einer und derselben Grundtatsache sehen wollen. Als ob man dasselbe Ding in zweierlei Sprachen bezeichnen wollte, so hat Höffding die Sache ausgedrückt. Und nicht bedacht, daß in seinem Bilde ein einheitlicher Mensch vorhanden sein müßte, der beide Sprachen verstünde, daß sonst Körper und Geist einander so fremd blieben, wie eben zwei Menschen, die einander nicht verstehen.

Fast zu tief für eine begriffsgeschichtliche Untersuchung ist das Schlagwort Monismus bei denen um Haeckel herabgesunken. Ich kann mich aber der Pflicht nicht entziehen, das Wort auch in diesen Niederungen aufzujagen. Bücher, die in 100 000 Exemplaren verbreitet sind, trotzdem sie sich philosophisch nennen, dürfen nicht ignoriert werden. Ihre Schlagworte gehören fast der Gemeinsprache an.

Dabei wäre es ungerecht, den Punkt zu übersehen, der Haeckels Erfolg bei den mittlern Hunderttausend mit beeinflußt hat und der dem Agitator des Darwinismus keine Schande macht. Das naiv-metaphysische Bedürfnis, das sich in der Ruhesehnsucht des Denkens äußert, hatte in Darwin wieder einmal einen prachtvollen Vertreter gefunden. Die große Leistung seines Arbeitslebens war der Versuch, den Dualismus von Natur und Zweck aus der Welt zu schaffen. Ich glaube, daß der Versuch, die Zweckmäßigkeit in der Natur durch den Kampf ums Dasein und das Überleben der Tüchtigsten zu erklären, nicht gelungen ist. Aber etwas Größeres ist übrig geblieben, nach unzähligen Beweisversuchen: die neue Möglichkeit des Denkens, von dem Zweckbegriff in der Natur abzusehen. Darwin hat uns mit dieser Denkmöglichkeit von dem Zwang eines Begriffes erlöst, der mehr als jeder andere die Natur vermenschlichte, versprachlichte, verfälschte. Mit der Zweckmäßigkeit der Organismen fiel von selbst der alte Judengott und Demiurg. Es mag seltsam klingen, daß ich Darwins Beweis nicht gelten lasse und seine These dennoch so hoch stelle; bei solchen zutiefst verlogenen Begriffen ist es aber schon eine Tat, uns an die Möglichkeit zu gewöhnen, sie wegzudenken. Weil nun Darwin mit englischer respectability die Konsequenzen nicht zog und mit vornehmer Höflichkeit die Sprachgewohnheiten der Tradition zu schonen liebte, darum fiel der Erfolg im respektloseren Mittelstande des geistigen Deutschland dem groben und eigentlich plebejischen Haeckel zu. Hätte sich Haeckel damit begnügt, der naiven Metaphysik, die in unsern Tagen Atheismus ist, entgegenzukommen, sie mit seinem zweifellos reichen Fachwissen zu illustrieren, wobei es auf die berüchtigten kleinen Unterschiebungen wirklich nicht angekommen wäre, so brauchte ich mich hier mit Haeckel nicht weiter zu befassen. Aber der Deutsche, der Landsmann von Kant, der Professor, mochte das Bedürfnis fühlen, auch begrifflich seinen Monismus zu klären, sich in die Reihe der Systemphilosophen zu stellen, und da gehört Haeckel, so hart es klingen mag, zu den Halbgebildeten, die nirgends schrecklicher sind, als auf philosophischem Gebiete. Er, der die Philosophie die Fürstin unter den Wissenschaften nennt, gebraucht das Handwerkszeug der Philosophie, die philosophische Sprache, als ein Pfuscher. Er identifiziert den ihm verhaßten Dualismus ohne jeden Sinn mit der teleologischen Weltanschauung (Welträtsel 268); er nennt das Substanzproblem die eine Grenze des Naturerkennens, er meint die einzige, und behauptet dann, »daß innerhalb derselben eine vernünftige Weltanschauung bereits sicher gewonnen ist,« (Vortr. II 357; es geht wirklich nicht; das Wort Grenze wird da metaphorisch etwa für Ende gebraucht z. B.: für »man sei zu Ende«; nun hat »innerhalb der Grenze« in bezug auf ein räumliches Gebiet einen guten Sinn, – der hier völlig verloren gegangen ist); er hat ein geschüttelt Maß von Haß und Verachtung gegen den Papismus, nennt aber das Christentum des Protestantenvereins oder was er sonst meinen mag, eine »geläuterte Sittenlehre« (332); er führt unter seinen großen Vorgängern auch Shakespeare und Newton auf als unverbesserliche Atheisten (336) und weiß nicht, daß wir von Shakespeares religiösem Standpunkte nichts wissen, daß Newton gläubig war. Haeckel ist kein Forscher, sobald er philosophieren will, er ist ein Agitator. Er agitiert für den Bezirksverein »Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur«, wie er später für seinen Monistenbund agitiert. Was sich von seinen Vereinen auch nur dem Namen nach unterscheidet, wird mit der Heftigkeit eines Parteiredners angegriffen: er hätte sonst Anlaß gehabt, die Energetik Ostwalds und den Agnostizismus Dubois' freundlicher zu behandeln.

Er ist ein Agitator des dogmatischen Materialismus, und es wird niemals ganz klar, ob Vorsicht oder begriffliche Unklarheit ihn das muffig gewordene Schlagwort Materialismus ablehnen läßt. »Alle Erscheinungen des organischen Lebens lassen sich schließlich auf mechanische Prozesse zurückführen« (354). In dem Versuche, seinen Monismus begrifflich von andern -ismen zu scheiden, wird Haeckel grotesk (352 f): In weitestem Sinne sei Monismus gleichbedeutend mit Mechanismus; aber auch mit Panpsychismus; Materialismus ist im weitesten Sinne gleichbedeutend mit Monismus; im weitesten Sinne kann aber auch Spiritualismus identisch mit Psychismus – also auch mit Monismus sein; aber die konsequente Form der Weltanschauung, deren Grundsätze Haeckel seit 30 Jahren vertreten hat (1892), könne auch als Cosmonismus bezeichnet werden, womit Haeckel nicht einen Monismus von Kos meint, sondern in kühner Wortbildung wahrscheinlich Kosmomonismus. (Er hat auch mit gleicher Kühnheit das schlichte Wort Assozionen vorgeschlagen). Dieser Monismus Haeckels, der sich »im weitesten Sinne« so ziemlich mit jedem andern Ismus verträgt, ist denn auch zu Schnittlauch auf allen Suppen geworden. Wer Sauberkeit des philosophischen Handwerkzeugs schätzt, der wird sich mit mir baß entsetzen vor der monistischen Geogenie und der monistischen Biogenie, vor dem monistischen Bewußtsein und der monistischen Kosmologie, vor der monistischen Kunst, (dem Gegenstück der christlichen Kunst, aber auch der christlichen Mathematik), vor den monistischen Kirchen, wo ehrliche Theologen den monistischen Kultus ausbauen werden (»Zwischen den hohen Säulen der gotischen Dome, welche von Lianen umschlungen sind, werden schlanke Palmen und Baumfarne, zierliche Bananen und Bambusen an die Schöpfungskraft der Tropen erinnern; in großen Aquarien unterhalb der Kirchenfenster werden reizende Medusen … die Kunstformen des Meereslebens erläutern«), vor der monistischen Sittenlehre.

Haeckel beruft sich bis zur Ermüdung auf Goethe und auf Spinoza. Er glaubt es gewiß ehrlich. Ganz spinozistisch ist es aber nicht, wenn Haeckel mit ungeheurem Wortschwall die Materie die unendlich ausgedehnte Substanz nennt und dann wieder dieselbe Materie, neben dem Geiste, eine Grundeigenschaft ihrer selbst, der universalen Substanz. Ganz goethisch ist es nicht, wenn Haeckel in der Kraft so etwas wie eine Eigenschaft des Stoffes sieht. Der Mißbrauch des Wortes monistisch aber paßt so wenig zu der gewaltigen Einfachheit Spinozas, wie zu der schönen Einfachheit Goethes. Muß ich wirklich noch besonders auf jede einzelne Verkehrtheit im Mißbrauche des Terminus monistisch hinweisen? Die monistische Biogenie beruht auf der Hypothese der Deszendenzlehre, die in dem halben Jahrhundert ihres Bestandes mehr und mehr an Überzeugungskraft verloren hat. Die monistische Geogenie und Kosmologie hätte erst einen Sinn, wenn der Chemie die ersehnte Zurückführung aller Elemente auf einen Grundstoff gelungen wäre. Oder wenn monistisch schon verschlissen genug wäre, um in gleicher Bedeutung gebraucht werden zu können wie etwa modern oder gar wie das tadellos der jüngsten Generation. Soweit ist es mit dem Terminus vielleicht doch nur bei der Forderung einer monistischen Kunst gekommen. Aber in den Wortfolgen, monistischer Kultus, monistische Kirche, Sittenlehre wird die Vorstellung eines theoretischen Materialismus (nur den praktischen lehnt Haeckel ab) immer da in den Hintergrund gestellt, wo irgend mit hergebrachten Reden an das Hergebrachte angeknüpft wird; dann heißt monistisch auch auf diesen Gebieten soviel wie modern. In Frankreich ist seit Comte der Terminus positif und positivisme in ganz ähnlicher Weise zu einem Worte für alles heruntergekommen. Man darf einen solchen wüsten Sprachgebrauch nicht etwa vergleichen damit, daß ein Kant den von ihm viel benützten Terminus transzendental gelegentlich unsicher gebraucht, wenn auch transzendental, wie es bei den Romantikern als Modewort auftritt, an unser monistisch erinnern mag. Haeckel ist in philosophischer Beziehung, wie gesagt, ein Halbgebildeter, kann technische Ausdrücke für schwierige Fragen gar nicht prägen und ist in den letzten Jahren ein ganz unerträglicher »Philosoph« geworden. Man greift sich an den Kopf, wenn man liest (Lebenswunder, S. 515): »Goethe hat in seinem Leben die Ideale praktisch verwirklicht, die Kant theoretisch entdeckt … hatte.« Und man klappt das Buch zu, zu spät, wenn man (S. 518) auf Kants Philosophie die Redensart angewandt findet, »die größte Beliebtheit in weitesten Kreisen.«

 

V.

Von stillern deutschen Gelehrten ist der Monismus, aber auch nur weil das Wort neuerdings Glück gemacht hatte, auf etwas angewandt worden, was sonst Neu-Spinozismus heißt und auf dem engern Gebiete der Psychologie Parallelismus. Ich habe diese unkantische Vorstellungsreihe in der Kritik der Sprache (I 2 S. 278 ff) ausführlich zu kritisieren versucht. Habe auf den unglücklichen Umstand hingewiesen, daß unsere Sprache auf der einen Seite der Ereignisse allein lebt und von der andern Seite der Ereignisse nichts weiß.

Man könnte, in Ermangelung eines besseren Wortes, mit dem Begriff Monismus nun aber doch eine Vorstellung verbinden, die etwas anderes wäre als der Monismus, zu dem das Ruhebedürfnis des Denkens geführt hat, etwas anderes als die letzte und einzige Ursache, etwas anderes als der oberste und einzige Seinsbegriff: in der Qual des Lebens und Erlebens, in der Überzeugung, daß unser Denken erst geschaffen hat, was uns gut oder böse dünkt, wäre die Vorstellung von erlösender Kraft, daß die Welt, in der wir leben und leiden, nur einmal da ist, nicht zweimal, nicht außen und innen, daß wir uns entschließen dürften, uns mit der einmaligen Welt zu begnügen. Seit Fechner ist die Phantasie uns geläufig, daß jedes Atom und unser Erdenplanet und das Weltall die Qual des Innenlebens habe. Epikuräer haben das Beispiel gegeben, die Innenwelt zu ersticken. Christliche Heilige haben die Außenwelt von sich abgestreift. Es wäre eine erlösende Vorstellung, etwas wie epikuräische Heiligkeit, wenn wir imstande wären, heiter und fest, ohne Weltflucht und ohne Gemeinheit, die Einzigkeit der Welt zu begreifen, die uns mit ihrer Zwiespältigkeit martert. Ich kann mich bei diesem unfaßbaren, weil sprachwidrigen Bilde auch auf Goethe berufen. Und auf Kant.

In einem wenig bekannten Gedichte »Die Falschheit menschlicher Tugenden« hat Haller, 1730, ernst und pedantisch wie immer, ohne eigentliche poetische Kraft die Erbärmlichkeit menschlicher Größe, aber auch menschlichen Wissens aufzudecken gesucht. Mit wildsatirischer Absicht: »Ich will ein Menschenfeind, ein Swift, ein Hobbes werden.« Die Heiligen sind nicht echt: »Wo sind die Heiligen von unbeflecktem Leben, die Gott den Sterblichen zum Muster dargegeben?« Die Weisen leben nicht nach ihrer Weisheit: »Dies weiß der Pöbel nicht, er wird es nimmer lernen, die Schale hält ihn auf, er kömmt nicht zu den Kernen.« Die berühmten Helden der Weltgeschichte sind nicht mutiger gewesen als ein gehetztes Wildschwein, das »die dicken Borsten sträubt, die starken Waffen wetzet, und wütend übern Schwarm entbauchter Hunde setzet.« Auch die Forscher wissen nichts, und an dieser Stelle des Gedichts stehen die beiden Alexandriner, die in der wohllautenden Form, die Goethe ihnen gegeben hat, unzählige Male zitiert worden sind. Haller hatte geschrieben:

»Ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist.
Zu glücklich, wem sie noch die äußre Schale weist.«

Diese Stelle ist aus dem langstieligen Gedicht, das nach Art »eines Gewettes« entstanden war und die Tauglichkeit der deutschen Sprache für Lehrgedichte nach englischem Geschmack beweisen sollte, allein auf die Nachwelt gekommen. Das hinkende, aber einprägsame Bild vom Kern und seiner Schale, ließe sich von Haller bis zu seinem Landsmann Keller im Gebrauche der Schriftsteller und Dichter reichlich nachweisen. Man hätte an dem Bilde tadeln können, (in den vielzitierten Versen findet sich der Gegensatz von Kern und Schale ja nicht, wohl aber vorher in dem Verse »die Schale hält ihn auf, er kömmt nicht zu den Kernen«, in älterer Fassung »bis zum Kernen«), daß Haller sofort den Kern, das Innere, höher einschätzte als die Schale, das Äußere; man hätte beachten können, daß bei unsern meisten Obstarten der Kern, der Same für die Art und ihre Fortpflanzung zwar die Hauptsache ist, die Schale aber die eigentliche Frucht für uns; daß also der Kern wirklich mit dem Ding an sich, die Schale mit der Erscheinung, mit dem einzigen Gegenstande menschlichen Interesses verglichen werden konnte. Und dieser Gedanke scheint mir in den beiden lebhaften Protesten ausgedrückt, die Kant und Goethe gegen die Alexandriner Hallers vorgebracht haben.

Auch der Protest Kants richtet sich offenbar gegen Haller, wenn der gelehrte Dichter auch nicht genannt wird. Er steht an einer bedeutenden Stelle der Vernunftkritik, wo Kant schärfer als sonst die Unerkennbarkeit der Dinge an sich (»was die Dinge an sich sein mögen, weiß ich nicht und brauche es auch nicht zu wissen«) ausgesprochen hat. (S. 333) Das schlechthin, dem reinen Verstande nach, Innerliche der Materie sei eine bloße Grille; deren transzendentales Objekt (Kant meint offenbar das transzendente Ding an sich) sei ein bloßes Etwas, wovon wir nicht einmal verstehen würden, was es sei, wenn es uns auch jemand sagen könnte. »Wenn die Klagen: Wir sehen das Innere der Dinge gar nicht ein, soviel bedeuten sollen als: wir begreifen nicht durch den reinen Verstand, was die Dinge, die uns erscheinen, an sich sein mögen: so sind sie ganz unbillig und unvernünftig; denn sie wollen, daß man ohne Sinne doch Dinge erkennen, mithin anschauen könne, folglich daß wir ein von dem menschlichen, nicht bloß dem Grade, sondern sogar der Anschauung und Art nach gänzlich unterschiedenes Erkenntnisvermögen haben, also nicht Menschen, sondern Wesen sein sollen, von denen wir selbst nicht angeben können, ob sie einmal möglich, viel weniger wie sie beschaffen seien. Ins Innere der Natur dringt Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen, und man kann nicht wissen, wie weit dieses mit der Zeit gehen werde.« Kant, der die Überspannung des inneren Sinnes, der die Selbstbeobachtung auch bei den Originalgenies vom Sturm und Drang gern verspottete, der vor den psychischen Gefahren einer zu weit getriebenen Selbstbeobachtung warnte, hat hier den wahren Grund seiner Abneigung zu erkennen gegeben: wir haben keinen Sinn für das Innere; das Innere fängt da an, wo die Sinnlichkeit des Menschen aufhört; wenn es eine zweite Welt neben unserer Sinnenwelt gibt, wenn es Dinge an sich als Grund der Erscheinungswelt gibt, so weiß ich nichts von ihnen und brauche auch nicht zu wissen, was sie sein mögen, »weil mir doch niemals ein Ding anders als in der Erscheinung vorkommen kann.« Das ist der Monismus Kants, ein resignierter Materialismus, der sich mit seinem transzendentalen Idealismus vorzüglich verträgt.

Ob Goethe bei seiner Polemik gegen Haller den Protest Kants gekannt habe oder nicht, wüßte ich nicht zu sagen, wenn auch die ethische Schlußwendung an Kant denken ließe. Im Jahre 1820 veröffentlicht Goethe seine zornigen Verse unter der leidenschaftlichen Überschrift »Allerdings«. Ich will das ganze kleine Gedicht hersetzen:

»Ins Innre der Natur« –
O du Philister! –
»Dringt kein erschaffner Geist.«
Mich und Geschwister
Mögt Ihr an solches Wort
Nur nicht erinnern!
Wir denken: Ort für Ort
Sind wir im Innern.
»Glückselig, wem sie nur
»Die äußre Schale weist!«
Das hör ich sechzig Jahre widerholen,
Ich fluche drauf, aber verstohlen,
Sage mir tausend, tausend Male:
Alles gibt sie reichlich und gern;
Natur hat weder Kern
Noch Schale,
Alles ist sie mit einem Male;
Dich prüfe du nur allermeist,
Ob du Kern oder Schale seist!

Und so wertvoll dünkt dem Greise Goethe die Berichtigung des Hallerschen Satzes, den doch Faust in seiner Verzweiflung am Wissen leicht hätte unterschreiben können, (Faust sagt, und wird dafür von Goethe nicht Philister gescholten:

Geheimnisvoll am lichten Tag
Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben,
Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.

Im Erkenntnisdrang, der ihn zum Selbstmord hart heranführt, sagt er's,) daß Goethe, der reichste Geist, sein »Allerdings« 7 Jahre später plagiiert und die Verse unter der jetzt fast kriegerischen Überschrift »Ultimatum« noch einmal abdruckt:

Und so sag ich zum letzten Male:
Natur hat weder Kern
Noch Schale;
Du prüfe dich nur allermeist,
Ob du Kern oder Schale seist.

Und er schließt mit noch stärkerer Betonung des ethischen Seitensprunges:

Denkt nicht, wir scherzen!
Ist nicht der Kern der Natur
Menschen im Herzen.

Ich füge einige Verse aus den zahmen Xenien hinzu:

Wie sollen wir denn da gesunden?
Haben weder Außen noch Innen gefunden,
Was haben wir denn da gefunden?
Wir wissen weder oben noch unten.

Und unter dem verstaubten Titel »Epirrhema« die Regel:

Müsset im Naturbetrachten
Immer Eins wie Alles achten.
Nichts ist drinnen, nichts ist draußen,
Denn was innen, das ist außen.

Ich will mich nicht auf die philologische Untersuchung einlassen, ob Hallers Verse, wie Lange meint, im Sinne von Leibniz zu verstehen sind (doch wohl nur so weit, als die Zeit unter dem Einflusse von Leibniz stand), ob der »Unfreundliche Ausruf«, wie »Allerdings« ursprünglich noch zorniger überschrieben war, gegen Nicolai gerichtet war (was schon und selbst Düntzer abgewiesen hat). Die beiden klassischen Zeugen Kant und Goethe sollen mir nur helfen, die Vorstellung von einem Monismus, der kein ontologischer Monismus ist, glaubhafter zu machen.

Ich habe im Eingang dieser Ausführungen gezeigt, wie die naive Metaphysik der Menschenkinder zu der Weltanschauung des Dualismus führen mußte, sobald das eigene Ich und die fremde Welt in Worten auseinandergehalten wurden, sobald die Selbstbeobachtung in fast gleicher Weise das eigene Ich in die äußere und in die innere Persönlichkeit zerspaltete, in den jedem Mitmenschen wahrnehmbaren Körper und in die nur mir wahrnehmbare Innenwelt, sobald in ganz ähnlicher Weise die auf uns wirkenden Dinge zerspalten wurden in eine Substanz und in eine Kraft. Ich habe gezeigt, wie dieser vielseitige Dualismus von der Ruhesehnsucht des Denkens geleugnet wurde, wie aber die letzte und einzige Ursache ebenso widerspruchsvoll war wie der oberste und einzige Seinsbegriff, wie also der sehnsüchtige Monismus den naiven Dualismus niemals überwinden konnte. Es ist deshalb gar nicht auszumachen, ob selbst Kant und Goethe Monisten oder Dualisten genannt werden müssen, wenn man die Ausdrücke im Sinne der Schule gebraucht. Beide waren zu überlegene Geister, um den Betrug der Sprache nicht zu durchschauen, der durch einen einheitlichen Oberbegriff zu einem Scheinmonismus führte, wie etwa Spinozas Substanz.

Selten und unsicher ist bei Kant, oft und stark ist bei Goethe der Sprache die Schuld an solchem Scheindenken zugesprochen worden. Ich möchte noch einen Schritt weitergehen und die Sprache dafür verantwortlich machen, daß wir nicht alle Monisten in Wirklichkeit sind, daß wir uns gewöhnt haben, in Wissenschaft und Leben die einzige Welt und alle unsere einzigen Erlebnisse zweimal zu setzen. Die Sprache und die in Sprache allein mögliche Wissenschaft hat nach dem Muster der Zweiteilung des eigenen Ich auch den Dualismus unserer Erkenntnisse geschaffen; als ob wir nicht Teile der Natur wären, als ob nicht jede Erkenntnis in uns innen wäre, reden wir von Naturwissen und von Selbstbewußtsein, von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. Und auf dem sogenannten moralischen Gebiete gar, das am Ende vielleicht weder im Naturwissen noch im Selbstbewußtsein zu finden oder unterzubringen ist, zerspalten wir unsere Absichten und unsere Handlungen in erlebte Tatsachen und in richtende Urteile, als ob wir zwei Leben lebten, als ob wir Verbrecher und Richter in einer Person wären, als ob ein Gesetzbuch außer uns und ein anderer Wille in uns wären. Vielleicht war es darum nicht unberechtigt, einer Stimmung nachzugeben und bei der Einführung des unschulmäßigen Monismusbegriffs von ihm die Erlösung von der Lebensqual zu erhoffen. Die Sprache, die unser Wissen zerspellt hat, will auch unser Leben zerspellen; besäßen wir keine Sprache, so wäre uns das Glück zuteil geworden, ohne die beiden andern größten Menschenfeinde zu leben, ohne Sorge und ohne Reue, ohne Vordenken und ohne Nachdenken.

Glücklich wie die Tiere, wird man mir einwerfen, wie die Hunde, ein zynischer Monismus! Ich würde den Einwurf nicht schwer nehmen, da ich ja (Kr. d. Sprache I 2 388) im Weltbilde der Amöbe die Dinge an sich unmittelbarer wirksam fand, als diese Dinge durch unsere Sinnesorgane auf uns wirken können, durch Organe, die nicht für die Dinge, die nur für uns geworden sind. Und wenn das moralische Weltbild der Amöbe tief unter dem des gesitteten Staatsbürgers stehen mag, so dürfte es doch um so genauer mit dem moralischen Weltbilde des modernen Übermenschen zusammenfallen.

Doch Scherz beiseite. Auch ich neige zu der Meinung, daß das Weltbild hervorragender Menschen (von der Moral abgesehen) durch die Sprache oder trotz der Sprache reicher und auf einigen Aussichtspunkten klarer ist, als das Weltbild der »höhern« und selbst der niedern Tiere. Und ich sehe im Ernste eine Möglichkeit, mit dem Gefühl und sogar mit »ungefähren Worten« den glücklichen Monismus der sprachlosen Tiere und Pflanzen mit unserem Naturwissen und unserem Selbstbewußtsein zu versöhnen, fast zu vereinigen. Der Seinsbegriff oder der Substanzbegriff, der zu den unerträglichen Widersprüchen des naiven und des metaphysischen Dualismus führt, gehört der sogenannten Ontologie an, auf deren Gebiete eben die Tiere und Pflanzen unerreichbare Monisten sind; um so konsequentere Monisten, als sie tiefer stehen in der menschlichen Klassifikationsreihe. Sie brauchen nicht Dualisten zu sein, sie brauchen sich selbst und die Welt nicht zweimal zu setzen, weil sie den ontologischen Seinsbegriff nicht gebildet haben, weil sie nicht, wie die armen Philosophen, zwischen dem Scheinmonismus des Seinsbegriffs und den Widersprüchen des Dualismus hin und her pendeln. Wir Menschen können das einheitliche Leben des Tiers und der Pflanze mit unserem Denken in Einklang bringen, wenn wir nach zweitausendjährigem Kopfzerbrechen auf alle Ontologie und ihren Seinsbegriff verzichten, das Sein nicht zu verstehen beschließen und uns mit dem Begriffe des Werdens begnügen. Wobei keineswegs nur an die Hypothese der Entwicklung zu denken ist. Der Monismus des Werdens ist vorstellbar ohne eine Hypothese darüber: welche einzige Ursache das Werden hervorbringe. Der Monismus des Werdens ist das schlichte Gefühl meiner Zugehörigkeit zur Einen Natur, ist kein metaphysischer Monismus.

Zum Beispiel: das Begriffspaar Kern und Schale ist nur in der menschlichen Sprache der Ausdruck eines Gegensatzes; in der Frucht ist der Kern wie die Schale, wenn wir's auch nicht immer wissen, für das Wachstum des Individuums und für die Fortpflanzung der Art notwendig. Nur die menschliche Sprache unterscheidet ungenau genug Keim und Nahrungsstoff in der Frucht. Und ungenau genug unterscheidet die Sprache zwischen dem Werden und Wachsen des Individuums und der Fortpflanzung der Art. Nicht einmal der letzte Unterschied dürfte in der sprachlosen Natur einen Sinn haben.

 

VI.

Der Streit um den Monismus verliert viel von seinem Reize und von seiner Heftigkeit, wenn wir statt des griechischen Wortes, das auch auf den Forscher leicht wie ein Begriff besonderer und höherer Art wirkt, das Wort der Muttersprache anwenden. Und sagen wir gar Einheit, so könnte die große Frage nach dem Wesen der Welt zu der kleinen Frage nach unserm Wissen von der Welt zusammenschrumpfen. Ich habe gelehrt ( Kr. d. Spr. III S. 181 f), und ich halte diese Auffassung für nicht unerheblich, daß nicht die 1, sondern die 2 die erste Zahl sei, daß die Einheit gar keine Zahl sei und eben darum ein Begriff, der Begriff des Maßes, das jedem Zählen zugrunde liegt. Vielleicht dachte schon Pythagoras etwas Ähnliches, da er seinem arithmetischen Weltsysteme die Monas und Dyas zugrunde legte, wenn er wirklich unter der Monas die unbestimmte, nicht ziffermäßige Einheit, unter der Dyas die unbestimmte Vielheit verstand; aber wir wissen ja so wenig von dem, was die tiefsten griechischen Philosophen bei ihren Schlagworten dachten, wir wissen darum nicht einmal, welchen von ihnen wir einen tiefen Philosophen nennen sollen.

Die unsägliche Mühe, die sich die Philosophen der Arithmetik gaben, noch neuerdings Poincaré, von der 1 zu der 2 zu gelangen, scheint mir überflüssige Arbeit, wenn wir die Einheit als den bloßen Begriff der Maßeinheit auffassen und das Zählen erst bei der 2 beginnen. Die Schwierigkeit des Additionsrätsels wird dadurch auf die einfachere Frage zurückgeführt, wie der Mensch dazu komme, die Dinge nach Einheiten zu messen und zu zählen (Vergl. Art.  messen).

Die Vorstellung, daß die Einheit von anderer Art sei als die Zahlen (als die übrigen Zahlen, sagt man), steckte aber von jeher in den Menschenköpfen und äußerte sich in einem gefühlsartigen Urteile, das uns jetzt helfen soll, den Begriff Monismus auch noch mit einigem Humor anzublicken. Wie Aristoteles den Kreis nicht nur für eine besondere, sondern für die vornehmste Linie ansah, auf die Kreislinie also ein Werturteil anwandte, sie gewissermaßen ethisch bewertete, so haben wir alle die Neigung, die Einheit, trotzdem wir sie für eine Zahl gehalten haben, als die vornehmste unter allen Zahlen zu betrachten. Vom Standpunkte der Menschensprache nicht ganz mit Unrecht, weil die Einheit eben ein Begriff ist, und dieser Begriff mancherlei Inhalt hat. Wir denken bei Einheit, außer an die Maßeinheit des Zählens auch an die organische Einheit, und beruhigen uns gern dabei, wenn wir das Bild der organischen Einheit auf das Ganze unseres Wissens, unseres Denkens, unseres Lebens angewandt haben; wir sprechen dann von der Einheit in der Naturerklärung, in der Weltanschauung, und halten es für sehr vornehm, wenn es uns gelungen ist, die Reihe der Ursachen auf eine einzige, anstatt etwa auf zwei zurückzuführen, wenn wir uns gegenüber dem Dualismus eines Monismus rühmen dürfen. Man wird einmal über den höheren Wert des Monismus ebenso lachen, wie wir heute über die Vornehmheit des Kreises; ich bin nur so frei, dieses Lachen vorwegzunehmen.


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