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Logik der Tatsachen.

Das Schlagwort macht den Eindruck, als ob es von einem der großen Wortverächter, die Geschichte machten, einem Friedrich dem Großen oder einem Napoleon erfunden worden wäre, um die Schullogik, die diskursive Logik, die Logologie zu verhöhnen; Bei Ladendorf finde ich das Schlagwort auf einen Brief des Unterstaatssekretärs Gruner an Bismarck (aus dem Jahre 1861) zurückgeführt; es sieht aber so aus, als ob der Mitarbeiter nur ein Bismarcksches Wort wiederholt hätte. es wäre also durchaus ironisch gemeint, und in diesem Sinne allein wird es verständigerweise angewendet. Der Pedant beweist logisch, wie es nach Barbara usw. hätte kommen müssen; sein Gegner weist darauf hin, wie es wirklich gekommen ist. Realistisch wird da die Folge einer Wirkung aus Ursachen über die logische Folgerung gestellt, und nur ironisch wird die Wirklichkeit eine Art Logik genannt. Der deutschen Philosophie war es vorbehalten, diese Ironie nicht zu verstehen, das Wirkliche für vernünftig zu erklären und dem Geschehen eine immanente Logik, eben die Logik der Tatsachen unterzuschieben. Nicht nur Hegel, auch Liebmann, der doch mit kritischer Freiheit zu Kant zurückkehren wollte, hat sich der Sünde schuldig gemacht, Logik außerhalb der Sprache zu suchen.

Von den Bestandteilen dieses Schlagwortes ist das Wort Tatsache allein schon eine Missbildung; darauf hat bereits Lessing hingewiesen, in dem kleinen Fragment »Über das Wörtlein Tatsache« (Leben und Nachlaß von K. G. Lessing III S. 177; Adelung hatte die Wortform schon getadelt.): »Mit Recht sage ich Wörtlein; denn es ist noch so jung. Ich weiß mich der Zeit ganz wohl zu erinnern, da es noch in Niemands Munde war. Aber aus wessen Munde oder Feder es zuerst gekommen, das weiß ich nicht.« (Nach dem D. W. hätte Spalding, der protestantische Prediger und Aufklärer, das Wort 1756 als Lehnübersetzung eines ebenso papiernen res facti zuerst geprägt.) »Noch weniger weiß ich, wie es gekommen sein mag, daß dieses neue Wörtlein ganz wider das gewöhnliche Schicksal neuer Wörter in kurzer Zeit ein so gewaltiges Glück gemacht hat; noch, wodurch es eine so allgemeine Aufnahme verdient hat, daß man in gewissen Schriften kein Blatt umschlagen kann, ohne auf eine Tatsache zu stoßen.

»Man fand in lateinischen und französischen Büchern bei wackern Männern, die an der Grundfeste des Christentums flicken, daß es ganz unwandelbar gegründet sei, weil es auf facta, sur des faits beruhe, die kein Mensch in Zweifel ziehen könne.

»Nur heißen facta und des faits weiter nichts als geschehene Dinge, Begebenheiten, Taten, Ereignisse, Vorfälle, deren historische Gewißheit so groß ist, als historische Gewißheit nur sein kann. Diese deutschen Ausdrücke bedeuten alle etwas Besonderes mit, und man müßte nach Schicklichkeit bald diesen bald jenen brauchen.« Der Herausgeber des Lessingschen Nachlasses, Fülleborn, bemerkt zu der Entstehung des Wörtleins ganz klug: »Vielleicht ist es nur gemacht, um des rundern Klanges willen, oder damit es aussehe, als wolle man etwas mehr sagen, als man wirklich sagt.« Lessing selbst aber wollte wahrscheinlich darauf hinauskommen, daß die historischen Ereignisse, die mit der Lehnübersetzung Tatsachen pleonastisch oder widersinnig bezeichnet werden sollten, nur ganz törichter Weise zur Unterstützung des christlichen Glaubens herangezogen würden, weil ein Glaube nicht bewiesen werden dürfte, und weil eine Gewißheit für historische Ereignisse nicht zu verlangen wäre. Denken wir bei Tatsachen nur an historische Ereignisse (im weitesten Sinne, also an alle menschlichen Handlungen und an alle Veränderungen in der Natur), so drückt unser Schlagwort, das jetzt Logik der Geschichte heißen könnte, ironisch die Meinung aus, daß es keine Logik der Geschichte gebe.

Nicht ohne Interesse dürfte es sein, daß die Worte facta, faits zu dem Sinne Wirklichkeiten über den juristischen Sprachgebrauch kamen, wo fait den Gegensatz gegen droit bedeuten konnte; rechtlicher Besitz z. B. gegen den faktischen Besitz. Die res facti des Rechts sind freilich gar sehr logischer Art.

Ich muß noch einmal mit zwei Worten auf die Ausführungen zurückkommen, durch welche Liebmann die ironische Redensart Logik der Tatsachen zu einem Schulbegriffe der Neukantianer gemacht hat. Sie stehen in seiner »Analysis der Wirklichkeit« unter der Kapitelüberschrift: »Die Logik der Tatsachen oder Kausalität und Zeitfolge.« Die feine Unterscheidung zwischen einer objektiven Zeitordnung und dem subjektiven Zeitverlaufe ist nur die für uns überflüssige Einleitung zu der Hypothese: eine zeitlose Intelligenz (etwa der Laplace'sche Geist, den Liebmann nur nach Du Bois-Reymond zitiert) könne die Idee der allgemeinen Weltlogik nicht nur ahnen sondern gut begreifen; der Realgrund eines Ereignisses sei von derselben Art, wie der Erkenntnisgrund der Logik. »Legt man eine absolute Weltintelligenz hypothetisch zugrunde, für welche erstens der fluxus temporis nicht, wie für uns, als Erkenntnisgrenze existiert, und welcher zweitens das System aller Naturgesetze, in dessen logischen Zusammenhang schon die menschliche Theorie hie und da fragmentarischen Einblick gewonnen hat, als logisch gegliederte Totalität offen zutage liegt, – dann wird dieser Intelligenz wirklich der ganze, für uns im unendlichen Raum verzettelte und in der unendlichen Zeit distrahierte Weltprozess bis in seine kleinsten Einheiten hinein als zeitlose Weltlogik sub specie aeternitatis gegeben sein. Dies wäre denn die vollendete Logik der Tatsachen in der objektiven Weltvernunft; und Spinoza hätte recht in einem Sinne, der ihm freilich nicht vollkommen klar sein konnte, weil er ein Jahrzehnt vor der Veröffentlichung von Newton's Principia und ein Jahrhundert vor der Herausgabe von Laplace's Mécanique céleste gestorben ist.«

Es ist mir fast genierlich, einem unserer besten und freiesten Denker einen kleinen logischen Schnitzer ankreiden zu sollen. Liebmann wählt als Beispiel für die begriffliche Logik den alten Beweis für den Satz, daß die Winkelsumme eines Dreiecks gleich 2 R sei; als Beispiel für die Logik der Tatsachen wählt er die einfache Anwendung der Fallgesetze. Er scheint zu übersehen, daß sein zweites Beispiel unter allen Umständen ein Beispiel der alten Schullogik sein könnte. Der Umfang des Begriffs Fallgesetz umfaßt ja jeden Fall eines Körpers unter sich; frage ich aber nach dem Raume, den ein fallender Ziegelstein nach zwei Sekunden durchmessen haben wird, so ist das Fallgesetz wirklich nur der Obersatz eines Schlusses, der Schluß nur der Erkenntnisgrund meiner Rechnung. Wollte Liebmann das Fallgesetz zum Beispiele wählen, so mußte er zu zeigen versuchen, daß die Schwerkraft oder sonst eine entferntere Ursache des Falles sich zum Fallgesetze ähnlich verhalte, wie der Erkenntnisgrund des Euklides zu der Tatsache, daß die Winkelsumme gleich 2 R ist. Der Erkenntnisgrund; denn daß der mathematische Seinsgrund mit dem mechanischen Seinsgrund sehr große Ähnlichkeit habe, daran ist wohl nicht zu zweifeln.

Weniger genierlich ist es mir, Liebmann einen erkenntnistheoretischen oder meinetwegen einen sprachlichen Einwand zu machen. Es ist für den Verstand sehr reizvoll, den verschiedenen Arten der Gründe und Ursachen einen einzigen Begriff zugrunde zu legen; man hat dafür schon seit mehr als zweihundert Jahren den Begriff des zureichenden Grundes. Es fragt sich nur, ob man diesen Begriff, wenn man ihn schon neu benennen will, aus der Logik oder aus der Naturwissenschaft hernehmen solle. Wir glauben alle an eine notwendige Verkettung alles Geschehens, wie man mehr als tausend Jahre lang an die Unfehlbarkeit der Logik glaubte. Es fragt sich also, ob man das neue Dogma nach dem alten benennen solle, oder das alte Dogma nach dem neuen. Um deutlicher zu werden: ob man rationalistisch die Notwendigkeit alles Geschehens nach der logischen Notwendigkeit benennen solle, oder die Denknotwendigkeit nach der Naturnotwendigkeit. Ich meine nun, daß wir notwendig dazu neigen, die Vorgänge beim Denken eben auch als ein notwendiges Geschehen aufzufassen, daß wir also besser daran täten, von einer ursachlichen Verkettung auch des Denkens zu reden, als von einer Logik der Tatsachen.


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