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organisch.

Der Begriff organisch gehört mit seinem Gegensatz, dem Begriff mechanisch, seit Ende des 18. Jahrhunderts dem philosophischen Sprachgebrauch an. Ich habe freilich den Eindruck, daß die Zeit vorüber ist, in der diese beiden Worte so sehr Mode waren, daß sie zwei verschiedene Weltanschauungen nicht nur zu bezeichnen, sondern sogar zu erklären glaubten. Organ und organisch waren die Lieblingsworte von Hemsterhuis und Jacobi. Später, als man Schellings Philosophie für die Auflösung aller Welträtsel hielt, machte man auch die große Entdeckung, daß die Schöpfungen der Menschengemeinschaft Organismen seien. Der Staat war ein Organismus, die Kirche war ein Organismus und die menschliche Sprache erst recht. Wie so häufig glaubten auch damals poetisch angelegte Denker, sie hätten eine Sache erklärt, wenn sie ein neues sprachliches Bild für sie gefunden hatten. Die bildliche Erklärung lag nun darin, daß man z. B. den Staat oder die Sprache mit etwas Lebendigem verglich, mit einem Organismus, und daß man lehrte: wie sich ein Organismus von einer toten Maschine unterscheide, der menschliche Leib z. B. von einem Automaten, so unterscheide sich auch der Staat oder die Sprache von Kunstprodukten dadurch, daß die einzelnen Teile lebendig ineinandergreifen. Es ist kein Zufall, daß bald darauf in allen Wissenschaften die Blütezeit der historischen Schule eintrat. Die Staatslehre und die Sprachphilosophie des 18. Jahrhunderts hatten nur Kunstprodukte des menschlichen Verstandes gekannt; die gesamte Naturphilosophie und mit ihr die historische Schule suchten den gewordenen, gewachsenen Staat, die gewordene, gewachsene Sprache zu verstehen. In dieser Weltanschauung stehen wir noch drin, ob wir wollen oder nicht. Man könnte den Darwinismus oder die Evolutionslehre den Gipfelpunkt oder die Umkehr der historischen Schule nennen, je nachdem man sich bei diesen Theorien beruhigt oder nicht.

Jedenfalls hat das Wort organisch seine bildliche Kraft so weit eingebüßt, daß man es für einen klaren Begriff hält und es überall da anwendet, wo man sonst ungefähr lebendig gesagt hat. Die Vorstellung, daß bei einem Organismus alle Teile lebendig ineinandergreifen müssen, bildet den Hintergrund dieses Sprachgebrauchs. Mitunter kommt die Sprache freilich in Verlegenheit, besonders mit dem entgegengesetzten Begriff mechanisch. So z. B. sucht die Chemie gewiß, was man eine mechanische Erklärung der Dinge nennt; weil sie sich aber teils mit den Stoffen organischer Körper beschäftigt, teils mit den Stoffen toter Körper, hat man sie aus Bequemlichkeit in organische und unorganische Chemie eingeteilt, so daß in diesem Falle mechanisch leicht zu dem Gattungsbegriff werden kann, der in organisch und unorganisch zerfällt.

An diesem Beispiel einer unglücklichen Namensgebung tritt aber nur besonders deutlich hervor, wie verwirrend der Gebrauch dieser Worte überhaupt geworden ist. Für die Naturwissenschaft bilden die Begriffe mechanisch und organisch keinen rechten Gegensatz mehr. Das Ziel ist, ob eingestanden oder verschwiegen, die Annäherung an eine mechanische Welterklärung; aber diese kennt neben der Mechanik auch die Organismen des Tier- und Pflanzenreichs und möchte also auch die Organismen mechanisch erklären. Wieder sehen wir, wie das Halbwissen sich an Fremdworte klammert, um offenbar Widersprechendes dennoch zusammen aussprechen zu können. Das Halbwissen würde auf Deutsch etwa so sagen müssen: wir glauben nicht an einen Unterschied zwischen Lebendigem und Totem; wir suchen darum zu erfahren, wie das Lebendige aus dem Toten entsteht. Und wenn wir das Halbwissen in die Enge treiben, so wird es das Leben abermals damit erklären, daß es organisch sei, das Wesen des Organismus aber durch das Leben definieren.

Die Verwirrung der Begriffe Leben und Organismus ist, wie gesagt, neueren Ursprungs. Die Zufallsgeschichte des Wortes Organismus führt weit zurück. Organon heißt auf griechisch das Werkzeug, wohlgemerkt das tote Werkzeug. Aristoteles nennt einmal ausdrücklich das Werkzeug einen seelenlosen Knecht, den Knecht ein beseeltes Werkzeug. Die Sterne heißen die Organe, die Werkzeuge der Zeit. Auf Seitenwegen der Zufallsgeschichte des Bedeutungswandels bezeichnete viel später die lateinische Form organum das Werkzeug der Musik, die Orgel, schon im frühen Mittelalter; erst im späten Mittelalter erhielt die Logik des Aristoteles als das Werkzeug des Denkens den Namen Organon, wonach dann Bacon sein berühmtes Werk wieder Novum Organum, das neue Werkzeug nannte. Doch schon im Griechischen hießen auch die Teile des menschlichen Körpers seine Werkzeuge oder Organe. Seltsamerweise findet sich die Ehrenbezeichnung Organ der Organe einst für die menschliche Hand, später für die Schullogik.

Nannte man nun die Teile des menschlichen Körpers seine Organe, so unterschied man dabei offenbar noch nicht zwischen Lebewesen und Maschinen, zwischen Organismen und Mechanismen. Wir könnten heute dieses alte organisch mit einem jetzt sehr beliebten Worte übersetzen, mit differenziert. Noch im sechzehnten Jahrhundert definiert Suarez einen organischen Körper damit, daß er aus unähnlichen Teilen bestehe. Im achtzehnten Jahrhundert erst gewöhnte man sich daran, insbesondere die Werkzeuge des sogenannten Seelenlebens als die wichtigsten Organe, als Sinnesorgane aufzufassen und so zu bezeichnen. Von da aus nahm der Bedeutungswandel des Wortes Organ wieder einen kleinen Nebenweg, bezeichnete die menschliche Sprache und Stimme als Organ des Denkens, und so verstehen wir jetzt unter einem schönen Organ auch den Klang der menschlichen Stimme.

Doch der Übergang zum Begriffe Organimus führt nur von der Bedeutung: Teil eines lebendigen Körpers. Was ein Teil eines lebendigen Ganzen ist, das ist ein Organ; das lebendige Ganze selbst ist ein Organismus. Die Hilflosigkeit des wechselweisen Erklärungsversuchs springt in die Augen. Wohl hatte Leibniz, der ja die Erfindung der Differenzialrechnung sehr verbessert hatte, außerordentlich fein auf den entscheidenden Punkt hingewiesen: Organismen seien natürliche Maschinen, die noch in ihren kleinsten Teilen Maschinen sind. Diese Vorstellung ging bei den Philosophen wieder verloren. Und Kant sogar spricht davon, daß ein Organismus nur möglich sei »durch die Beziehung alles dessen, was in ihm enthalten ist, aufeinander als Zweck und Mittel.« Da haben wir wieder das alte Elend der Begriffe: den Zweck um des Organismus willen, den Organismus um des Zweckes willen.

Nun konnten bei Aristoteles die Begriffe mechanisch und organisch einander nahe berühren, weil den Griechen noch kein religiöses Dogma verbot, die Welt von innen heraus zu erklären. Im Mittelalter wäre lebendig verbrannt worden, wer die Frage nach der Herkunft des Lebens nur klar gestellt hätte. Gerade um die Zeit, da Bacon ein neues Werkzeug des Denkens zu erfinden suchte, kamen aber von der Astronomie her die neuen Aufschlüsse über die Bewegungen unseres Sonnensystems, und ein freierer Denker wie Descartes konnte auf den Einfall kommen, die Natur – ohne an den Gottesbegriff zu tasten – zum ersten Male in modernem Sinn mechanisch zu erklären. Ich glaube bestimmt, daß das Wort mechanisch erst damals den Gegensinn zu organisch erhielt. Es war vorher ganz dasselbe gewesen, ob Gott den Menschen mit seinen fünf Sinnen aus Staub geschaffen, oder ob er die Planeten an den Himmel geklebt und ihnen alle Bewegungen vorgeschrieben hatte. Das Wunder des Lebens und das der Planetenwelt war gleich groß. Jetzt auf einmal sah man die Möglichkeit, die dann durch Newton zur Wahrscheinlichkeit wurde, den Kosmos durch die Gesetze der irdischen Mechanik zu erklären. In diesem Augenblicke wurde der Begriff mechanisch, welcher bis dahin bescheidentlich auf Maschinen (bekanntlich dasselbe Wort) angewandt worden war, zum Schlagwort einer Weltanschauung, einer welterklärenden Hypothese. Er bildete sich zum Gegensatz des Organischen aus; da aber gleichzeitig die wachsende mechanische Weltanschauung immer fester auch die organische Welt umfassen wollte, mußte es schließlich zu dem Widersinn des materialistischen Sprachgebrauchs kommen, der organisch und mechanisch als Gegensätze behandelt und dennoch das Organische aus dem Mechanischen erklären will.

Was wir unter dem Organischen im Gegensatz zum Mechanischen verstehen, das ließe sich ja recht hübsch unter eine saubre Formel bringen: wir nennen mechanisch, was wir aus seinen Ursachen begreifen können, wir nennen organisch, was wir aus seinen Endursachen oder Zwecken (causes finales) begreifen können. Ich lasse dabei nicht unerwähnt, daß das Begreifen des Mechanischen aus seinen Ursachen doch niemals ernst zu nehmen ist, daß das Begreifen immer nur ein Zusammenfassen unter allgemeinere Beobachtungen ist. Das Begreifen des Organischen aus Endursachen aber ist doch offenbar, da Endursache ein sinnloses Wort ist, nur ein alt gewordener sprachlicher Ausdruck für: Nichtbegreifen.

Aber auch mit dem Nicht-Begriffenen oder Unerkennbaren ist das Organische nicht identisch. Denn unerkennbar sind ja eben auch in der Mechanik die letzten Ursachen, die sogenannten Kräfte. Deshalb bleibt es auch keiner Naturphilosophie erspart, in den Kräften etwas Lebendiges zu sehen, wovon Schopenhauers Wille das stärkste Beispiel ist. Und wirklich wüßte ich nicht, wie man begrifflich unterscheiden sollte zwischen der unbekannten Lebenskraft (mag man sie nennen wie man will), die meinen Körper zu bewegen vermag, und zwischen der unbekannten Schwerkraft, die ein Haar auf meinem Kopfe oder den Ziegelstein auf meinem Dache nach dem Mittelpunkt der Erde zu bewegen wird, sobald Haar oder Ziegelstein nicht mehr festgehalten werden. Freilich wissen wir von den Folgen der Schwerkraft weit genauere Umstände als von den Folgen der sogenannten Lebenskraft; die Mechanik bezieht sich eben nur auf das, was wir à peu près wissen. Das Leben der Schwerkraft kennen wir nicht. Doch auch mein Leib heißt kein Organismus mehr, sobald sein Leben erloschen ist. Er unterliegt dann rein mechanischen Gesetzen, nur daß wir sie unter dem Namen der organischen Chemie zusammenfassen. Organische Chemie ist die Summe desjenigen, was wir von dem wissen, von dessen Leben wir noch weniger wissen.

Noch ein Beispiel. Ein Stein gehört dem Reiche der Mechanik an. Wie aber steht es um den Kristall? Warum nennt man ihn nicht während der verhältnismäßig kurzen Zeit seines Entstehens, seines Wachsens, also seines Lebens einen Organismus? Auch der Kristall wie mein Leib verfällt der Mechanik erst nach dem Tode. Nur daß er nach dem Tode durch Jahrtausende unverändert beharren kann.

Es ist für mich gar kein Zweifel, daß der Kristall in der kurzen oder langen Zeit seiner Entstehung oder seines Wachstums allen irgend möglichen Definitionen des Lebens entspricht, daß der werdende Kristall lebt, daß erst der fertige Kristall tot, unorganisch ist. Ja vielleicht lebt so ein Kristall noch Jahrtausende nach seinem Werden in einer Art von Winterschlaf. Wachstum, Nahrungsaufnahme ist dem werdenden Kristall eigen. Er habe keine Empfindung? Was wissen wir von der Empfindung einer Pflanze, von der Empfindung eines Protisten? Mit welchem Rechte behaupten wir, daß der werdende Kristall kein Innenleben habe? Zum mindesten besitzt der Kristall das, was ich nicht anders als Gedächtnis für seine Form nennen kann. Man wird mir weiter einwenden, die Angliederung des bereits vorhandenen gleichmäßigen Stoffes aus der Nährflüssigkeit unterscheide sich wesentlich von der Nahrungsaufnahme des Tieres, welches sehr zusammengesetzte Stoffe verarbeitet. Wie aber steht es mit der Nahrungsaufnahme der lebenden Pflanze? Und wer sagt uns, daß der werdende oder wachsende Kristall den ihm verwandten Rohstoff nicht irgendwie mechanisch oder physikalisch verändert? Alles läßt darauf schließen, daß das geschieht. Der Kristall hat die Nahrung außer sich und braucht darum keinen Verdauungskanal; er läßt das Unbrauchbare außer sich. Und wie steht es denn mit der Nahrungsaufnahme des Tieres? Wann hört der Sauerstoff der Luft auf, anorganisch zu sein, und wann ist er unser? Wann wird er organisch? In den Lungenbläschen, aber wann? Wann hören die Nahrungsstoffe auf, als ein Fremdes den Schlauch zwischen Mund und After hinabzugleiten?

Es ist bekannt, daß der Kristall, wenn er auch nicht Assimilierung der Nahrungsmittel vollbringt wie die sogenannten Organismen, doch seine Auswahl trifft in der Nährflüssigkeit. Der Kristall holt sich aus einer gemischten Nährflüssigkeit die ihm gleichartigen Bestandteile heraus. Gelingt es ihm nicht aufs erstemal, so gelingt es ihm beim Umkristallisieren. Davon macht ja die Industrie vielfach Gebrauch.

Wilhelm Ostwald gibt in seinem Bestreben, das mechanistische Weltbild durch das freiere Schlagwort eines energetischen zu verdrängen, ein Beispiel vom Kristall, das als Analogie zur Keimbildung der Bakterien angesehen werden kann. Er nennt das Pulver, das durch Verwitterung von Glaubersalz entstanden ist, eine Dauerform des Salzes. Streut man das Pulver in eine übersättigte Lösung von Glaubersalz, so entstehen neue wasserhaltige Kristalle. Dieser Vorgang sei nicht nur im Laboratorium nachzuweisen. In Südrußland gebe es Seen von Glaubersalzlösung. Im Sommer trocknen diese Seen aus, die angesetzten Kristalle verwittern, um sich im Herbste, wenn wieder Wasser hinzugetreten ist, neu zu bilden. »Und so kann durch den Wechsel der Jahreszeiten auch ein regelmäßiger Generationswechsel der Kristalle zustande kommen.« Das Gedächtnis, das bei der Formbildung wie bei der Nahrungswahl wirksam gedacht werden mußte, ist bei solchen Dauerformen noch weniger von dem Gedächtnisse niedrigster Organismen zu unterscheiden.

Aber noch weiter verwischt die neueste Chemie die Grenzen zwischen Organischem und Unorganischem. Man will wissen, daß ein Molekül der sogenannten Elemente häufig zwei Atome seines Elementes enthalte, daß es damit im Zusammenhang stehe, wenn das Element im Augenblicke seiner Entstehung, wenn das entstehende Element in der Retorte Wirkungen ausübe, Verbindungen eingehe, die es nachher weigert. Auch hier also wie beim werdenden Kristall Leben während des Entstehens, Tod oder Totenstarre nach der Entstehung. Können wir uns diesen Unterschied anders vorstellen als so: im Augenblicke des Entstehens leben noch die beiden Atome des einen Moleküls, stürzen vielleicht aufeinander und üben noch Wirkungen. Jedes einzelne von den beiden Atomen ist anders als ihre Verbindung zu zweien. Jedes einzelne Atom kann lebendig heißen. Und können wir da nicht der Phantasie nachdenken, daß das einzelne Atom dem Element, zu welchem es sich nachher in der Umarmung mit dem anderen vereinigt, noch gar nicht ähnlich sei, daß es sich selbst und sein Gespiel erst zu diesem Element assimiliere, mag man diese Tätigkeit nun ganz nichtssagend ein chemisches Gesetz nennen oder in der Sprache der alten Naturwissenschaft Lebenskraft, ja meinetwegen nisus formativus.

Darf ich, da alle diese naturwissenschaftlichen Bemerkungen eigentlich nur Sprachkritik sind, eine seltsame Betrachtung hinzufügen? Ein einzelnes drittes Atom spielt ebenso bei der Entstehung des Ozon seine Rolle; und die Chemie nennt diese Modifikation des Sauerstoffs aktiven, d. h. doch wohl lebendigen Sauerstoff. Es gibt Stoffe, in welchen ein Molekül nur ein Atom ist, in welchen die Atome also nach der eben vorgetragenen Phantasie nicht starr geworden, sondern noch lebendig sind. Ein solcher Stoff, der sich durch seine Lebendigkeit so auffallend unterscheidet, ist das Quecksilber. Keck hieß im Mittelhochdeutschen lebendig, noch im 18. Jahrhunderte soviel wie lebhaft; wie Kecksilber ist Quecksilber entstanden, Quickborn heißt Keckbrunnen. Auf Französisch heißt Quecksilber vifargent ( vivum argentum).

Mit all dem habe ich klarzumachen gesucht, daß der Begriff organisch teils widerspruchsvoll, teils unklar geworden ist und in seiner ganz bildlichen Anwendung sich überlebt hat; doch auch bei dem Begriffe mechanisch wird allzu häufig vergessen, daß er nur eine veränderliche, relative Bezeichnung für die Summe dessen ist, was wir von den Ursachen der Wirklichkeit zu wissen glauben. Jedenfalls liegt im Worte Organismus der Zweckbegriff verborgen; und mit dem Zweckbegriff muß es aus einer streng wissenschaftlichen Sprache verschwinden. Für die Gemeinsprache behalten wir ja die Worthülsen Leben und lebendig übrig.

Der Zweckbegriff hat den Dualismus in die Natur hineingetragen, den Gegensatz von Geist und Stoff, von Seele und Leib, oder wie immer man den Gegensatz von organisch und mechanisch nach dem zeitweiligen Standpunkt der Naturphilosophie ausdrücken will. Und der Zweckbegriff ist auch vom Darwinismus nicht aus der Welt geschafft worden.

Darwin redet einmal recht schablonenhaft von der Sprache als der Ursache des größten Fortschritts. Er nennt sie, wie es jeder Volksschullehrer tun würde, ein wundervolles Werkzeug und sagt doch in demselben Satze etwas, was deutlich zeigt, wie hilflos die Sprache der Sprache gegenübersteht: »Die fortgesetzte Anwendung der Sprache wird auf das Gehirn zurückgewirkt und erbliche Wirkung hervorgebracht haben; und diese wieder wird auf die Verbesserung der Sprache zurückgewirkt haben.« Das ungelöste Rätsel der zweckmäßigen Entwicklung aller Organismen steckt trotz Darwin greifbar in dieser scheinbar so einfachen Vorstellung, daß Gehirn und Sprache einander gegenseitig fördern. Denn so vorsichtig sich Darwin auch ausdrückt, so allgemein, ich möchte fast sagen: nichtssagend er die Worte wählt, wir sind bei schärferem Zusehen dennoch genötigt, den Begriff mitzudenken, den Darwin angeblich vernichtet hat; es ist auch ihm nicht erspart worden, was vor ihm Kant passiert ist, daß er nämlich dem Priester unter großem Zulauf das Hauptportal der Kirche verschloß, um ihn durch die Sakristeitür verkleidet einschleichen zu lassen. Auch Darwin wird den Zweckbegriff nicht los. Die gegenseitige Förderung ist eine phantastische Vorstellung, wenn man nicht mit vorstellt, daß eins das Werkzeug des anderen ist, oder gar christlich, daß beide nur Werkzeuge in den unsichtbaren Händen einer höheren Macht sind. Nun ist aber eben Werkzeug ohne Handwerker, eine Absicht ohne ein Gehirn, nicht denkbar, nicht ausdenkbar. Und die menschliche Sprache hat wenigstens den einen sicheren Vorzug, daß sie durch ihre Geschwätzigkeit die geheime Hilflosigkeit der klügsten Leute verrät. So steckt hier der verleugnete Zweckbegriff bereits im Worte Werkzeug und noch offener in den Worten »Verbesserung der Sprache«. Weiß der liebe Gott, was besser ist. So führt schließlich auch der Darwinismus nicht aus den urältesten Fragen heraus.

Dabei darf freilich nicht vergessen werden, daß der Zweckbegriff in unserer Volks- oder Muttersprache noch Jahrhunderte oder Jahrtausende tätig erhalten bliebe, hätte ihn auch ein einsamer Geist rein herausgedacht. Uns erscheint unser individuelles Leben natürlich äußerst wichtig, unser Leben ist uns Zweck aller Zwecke, Tätigkeit des Gehirns ein Werkzeug. Als man die Funktion des Gehirns noch nicht kannte, war z. B. für Aristoteles die Logik oder die Sprache das große Organon, das große Werkzeug, der Körper etwa nur der Stoff dazu. Jetzt hat man den Körper, das Gehirn genau untersucht und konnte die Sache gelegentlich einmal umkehren. Das Gehirn ist das große Werkzeug, und die Sprache gibt dazu nur gewissermaßen die Einübung, die Trainierung. So bei Darwin. Wir kommen nicht weiter, weil wir mit unserem Denken dastehen wie ein Schlosser, dem an seinem einzigen Hammer das Eisen vom Stiel losgegangen ist und der sich nun den Kopf darüber zerbricht, ob er mit dem Hammerkopf oder mit dem Stiele einen Nagel einschlagen soll.

Das Wort Zweck gehört der Gemeinsprache an, das Wort Organismus wird aus der Sprache der Halbbildung lange nicht verschwinden. Eine neue Naturphilosophie, die Ernst machen wollte mit ihren eigenen Grundsätzen, dürfte beide Worte nicht mehr gebrauchen (vgl. die Art.  Leben und Zweck).


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