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modern.

Der Bedeutungswandel dieses Wortes, so unscheinbar er für die flüchtige Betrachtung ist, hat doch einen trefflich grotesken Zug. Der Ausdruck ist im Sinne von jetzig erst im 18. Jahrhundert zu uns gekommen, als französisches Fremdwort, anfangs in französischer Schreibung, immer noch mit französischer Betonung; dieses uns so modern anklingende französische Wort ist aber das lat. modernus, das von modo (im Sinne: soeben) gebildet worden war wie hodiernus von hodie, aber erst von den späten Lateinern, im Gebrauche zumeist bei den christlichen Lateinern, welche vielleicht gern der Ewigkeit einen noch verächtlicheren Zeitraum als das Heute entgegensetzten. Wenn nun heutzutage ein Schneider oder eine Modistin einem Herrn oder einer Dame ein Kleidungsstück als modern anpreist, so ist mit diesem Lobe genau der gleiche Sinn verbunden, den das lateinische Wort hatte: was soeben gefällt, was eben erst Mode wird. Der Modemensch will nicht tragen, was heute allgemein getragen wird; vielmehr: was eben erst anfängt getragen zu werden. So mag man sich daran gewöhnt haben, bei modern, das ursprünglich nur ein zeitliches Verhältnis bezeichnete, an ein Wertverhältnis zu denken. Moderne Kunstwerke wurden freilich lange genug durch das Dogma vom klassischen Altertum geringer bewertet als alte, antike Kunstwerke. Aber moderne Wissenschaften galten mit Recht für besser als die alten Wissenschaften; dabei ist die Zeitspanne, welche unter modern verstanden wird, von recht verschiedener Länge. Die Geologie versteht unter modernen Schichten solche Teile der Erdkruste, die nicht älter sind als menschliche Spuren, die also nicht älter sind als einige hunderttausend oder vielleicht einige Millionen Jahre; man weiß das nicht so genau. Unter moderner Astronomie, Physik, unter moderner Geschichte versteht man etwa die Entwicklung seit dem 16. Jahrhundert; unter moderner Chemie versteht man die neuere Chemie seit Lavoisier, oder gar erst seit Dalton. Wer sich einen modernen Menschen nennt, mit seiner modernen Weltanschauung protzt, der rechnet die neue Aera, je nach seinem Bildungsgrad und nach seinem individuellen Alter, von Schopenhauer oder von Nietzsche an, von Haeckel oder von dem Modeschriftsteller, der in diesem Jahre gedruckt wurde.

Es ist nicht von heute, daß man sich über dieses Werturteil, das in dem Worte modern mit ausgesprochen wird, lustig macht. La Bruyère, der einen griechischen Schriftsteller nach beinahe zweitausend Jahren modernisieren konnte, hat über diesen Aberglauben an das Heute schon gelacht. »Nous qui sommes modernes, serons anciens dans quelques siècles.« Ferner: »Un auteur moderne prouve ordinairement que les anciens nous sont inférieurs, en deux manières, par raison et par exemple: il tire la raison de son goût particulier, et l'exemple de ses ouvrages.«

Mode ist also je nach den Ansprüchen des Modemenschen, in der Kleidung wie in der Weltanschauung, je nach dem: was man jetzt allgemein trägt, oder was man eben jetzt zu tragen anfängt. In dem, was einer trägt oder spricht, drückt sich je nach seinen Ansprüchen entweder die Eitelkeit, die auch mit dem Triebe der Nachahmung verbunden ist, bescheiden aus oder die unbescheidenere Eitelkeit, die Mode anführen zu wollen. Sozialismus und Individualismus streiten auch schon um die Mode, worauf Simmel hingewiesen hat. Etwas beschämt finden wir den Ausdruck moderni schon im Mittelalter als Bezeichnung für die damals neueren Logiker verwandt; immer sind die jeweilig Modernen stolz darauf, zuletzt gekommen zu sein.

Weil nun modern nur eine unbestimmbare Strecke im Flusse der Gegenwart bezeichnet, buchstäblich nur die Stecknadelspitze der Gegenwart, darum tat Bahr nicht gut daran, das Schlagwort die Moderne nach Analogie von die Antike prägen zu wollen; unter der Antike versteht man einen verhältnismäßig gut begrenzten Zeitraum mit seinen Worten, seinen Sitten und seinen Schöpfungen; was man dagegen die Moderne nennen wollte, das läßt sich begrifflich nicht umschreiben, bevor es nicht veraltet ist. Schon Voltaire wußte: »Chez toutes les nations il faut que l'antique l'emporte sur le moderne, jusqu'à ce que le moderne soit devenu antique à son tour.« Wie grotesk es ist, trotzdem die geistige Entwicklung eine Spirallinie beschreibt, das Heutige jederzeit für besser zu halten als das Gestrige, das erkennt man mit Lachen, wenn die jeweilig modernen Menschen beten, nicht den Worten, aber dem Sinne nach: Unsere tägliche Mode, unser tägliches Wort gib uns heute.


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