Alain René Lesage
Der hinkende Teufel
Alain René Lesage

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Von dem, was Don Cleophas that, nachdem ihn der hinkende Teufel verlassen hatte, und der Art und Weise, wie der Verfasser dieses Werkes dasselbe zu beendigen für gut findet.

Als Asmodeus sich entfernt hatte, fühlte der Student, der die ganze Nacht auf den Beinen gewesen war und sich viele Bewegung gemacht hatte, eine große Ermüdung; er entkleidete sich daher und legte sich zu Bette. Die Aufregung, worin er sich befand, ließ ihn zwar nicht sofort einschlafen, doch endlich zahlte er dem Gotte Morpheus reichlich den Tribut, den ihm alle Sterblichen schulden, und er fiel in einen lethargischen Schlaf, worin er den ganzen Tag und die folgende Nacht verblieb.

Er hatte bereits vierundzwanzig Stunden in diesem Zustande verbracht, als einer seiner Freunde, der junge Cavalier Luis de Lugan, in sein Zimmer trat und aus Leibeskräften rief: Hollah! Don Cleophas, aufgestanden! Bei diesem Lärm erwachte Zambullo. Wißt Ihr wohl, sagte Don Luis, daß Ihr seit gestern Morgen zu Bette liegt? – Unmöglich, erwiederte Leandro. – Es ist wirklich so, versetzte sein Freund, Ihr habt zweimal rund ums Zifferblatt geschlafen. Alle Leute hier im Hause haben es mich versichert.

Der Student war erstaunt über einen so langen Schlaf, und fürchtete anfänglich, daß sein Abenteuer mit dem hinkenden Teufel nur ein Traum gewesen sein möchte, doch konnte er es nicht glauben, und als er sich nun gewisser Umstände erinnerte, zweifelte er nicht länger an der Wirklichkeit dessen, was er gesehen hatte. Um aber seiner Sache ganz sicher zu sein, stand er auf, kleidete sich an, verließ, von Don Luis begleitet, das Haus, und führte diesen zur Puerta del Sol, ohne ihm jedoch zu sagen warum. Als sie dort angekommen waren und Don Cleophas das Hotel Don Pedros fast ganz in einen Aschenhaufen verwandelt sah, stellte er sich sehr überrascht. Was sehe ich? rief er aus. Welch eine Verheerung hat das Feuer hier angerichtet! Wem gehört dieses Haus? Ist es schon lange, daß es niedergebrannt ist?

Don Luis de Lugan beantwortete diese Frage und fuhr dann fort: Diese Feuersbrunst macht in der Stadt viel von sich reden, doch weniger um des Schadens willen, den sie anrichtete, als eines eigenthümlichen Vorfalls wegen, der sich dabei zugetragen hat. Die Sache ist folgende: Don Pedro de Escalano besitzt eine einzige Tochter, die eine seltene Schönheit ist. Diese soll sich bei dem Brande in einem bereits in Flammen stehenden Zimmer befunden haben, wo sie rettungslos verloren schien, nichtsdestoweniger aber von einem jungen Cavalier, dessen Namen ich noch nicht habe erfahren können, gerettet worden sein. Diese Begebenheit ist der Gegenstand des Gespräches von ganz Madrid. Man erhebt den Muth dieses Cavaliers bis in die Wolken, und obgleich derselbe nur ein schlichter Edelmann ist, glaubt man doch, er werde zur Belohnung für seine kühne That die Tochter Don Pedros zur Gemahlin erhalten.

Leandro Perez hörte Don Luis an, ohne das Interesse zu verrathen, das seine Mittheilungen in ihm erregten. Dann suchte er sich unter einem besonderen Vorwande von ihm loszumachen, und ging nach dem Prado, setzte sich dort unter den Bäumen nieder und versank in Grübeleien. Zunächst beschäftigte der hinkende Teufel seine Gedanken. Ich kann es nicht genug beklagen, sagte er, meinen geliebten Asmodeus verloren zu haben! Er würde mich in kurzer Zeit durch die ganze Welt geführt haben, ohne daß mir diese Reise Unbequemlichkeiten verursacht hätte. Sein Verlust ist mir sehr schmerzlich; doch, fügte er nach einer Weile hinzu, er ist vielleicht nicht für immer von mir geschieden. Warum sollte ich die Hoffnung aufgeben, ihn wieder zu sehen? Es kann ja sein, wie er selbst sagte, daß der Zauberer ihn unverzüglich wieder in Freiheit setzt. Dann dachte er an Don Pedro und seine Tochter und beschloß, sie aufzusuchen, schon allein zur Befriedigung seiner Neugierde, die schöne Seraphine zu sehen.

Don Pedro kam ihm bei seinem Besuch mit offnen Armen entgegen und sagte: Seid willkommen, edler Cavalier, ich fing schon an ganz ungehalten über Euch zu werden. Ich fragte mich, wie es möglich sei, daß Don Cleophas, den ich so dringend gebeten hatte, mich zu besuchen, noch immer zögere, diese Bitte zu erfüllen, und mein Verlangen zu befriedigen, ihm die Achtung und Freundschaft zu bezeigen, die ich für ihn empfinde. Zambullo machte bei diesem verbindlichen Vorwurfe eine ehrerbietige Verbeugung und sagte dem Greise zu seiner Entschuldigung, daß er besorgt gewesen sei, ihm in der Verwirrung, die der Brand seines Hauses zur Folge gehabt haben müsse, lästig zu fallen. – Dieser Grund rechtfertigt Euch nicht, erwiederte Don Pedro, Ihr könnt in einem Hause, welches ohne eure Hülfe in die tiefste Trauer versetzt worden wäre, nie unwillkommen sein. Aber, fuhr er fort, wollt Ihr mir nicht gütigst folgen, Ihr habt noch einen andern Dank als den meinen zu empfangen. Bei diesen Worten nahm er ihn bei der Hand und führte ihn nach Seraphinens Zimmer.

Die junge Dame hatte eben ihre Siesta gehalten. Meine Tochter, sagte Don Pedro zu ihr, ich stelle dir hier den Edelmann vor, der dir so muthig das Leben gerettet hat. Sage ihm jetzt, wie dankbar du es anerkennst, was er für uns gethan hat, da dir dies vorgestern in dem traurigen Zustande, worin du dich befandest, nicht vergönnt war. Darauf wandte sich Donna Seraphine an Leandro Perez, öffnete ihren Rosenmund und sagte ihm so schmeichelhafte Dinge, daß alle meine Leser entzückt sein würden, wenn ich sie ihnen Wort für Wort wiederholen könnte; da sie mir aber nicht ganz getreu mitgetheilt worden sind, will ich sie lieber mit Stillschweigen übergehen, statt sie vielleicht zu entstellen.

Nur das sage ich, daß Don Cleophas eine Göttin vor sich zu sehen glaubte, und daß seine Augen und Ohren in gleichen Maße berauscht waren. Er faßte sofort eine heftige Liebe zu ihr, doch weit entfernt, mit Sicherheit auf ihren künftigen Besitz zu rechnen, zweifelte er vielmehr ungeachtet der Versicherungen des Teufels daran, daß sie der Preis für den Dienst sein würde, den man ihm irrtümlicherweise zuschrieb. Je reizender er sie fand, desto weniger wagte er auf dieses Glück zu hoffen.

Was ihn vollends ganz und gar irre führte, war, daß Don Pedro in seiner langen Unterredung mit ihm diese Saite gar nicht berührte, ihn freilich mit Höflichkeiten überschüttete, doch den Wunsch, sein Schwiegervater zu werden, durchaus nicht durchblicken ließ. Seraphine war ihrerseits ebenso höflich gegen ihn, als ihr Vater, sie drückte ihm wiederholt ihren tiefgefühlten Dank aus, jedoch ohne ein Wort fallen zu lassen, welches ihn zu dem Glauben führen konnte, daß sie in ihn verliebt sei. So verließ er also Don Escalano mit viel Liebe, doch wenig Hoffnung im Herzen.

Asmodeus, mein Freund, sagte er auf dem Heimwege, als ob der Teufel immer noch bei ihm wäre, als Ihr mir die Versicherung gabt, daß Don Pedro Willens sei, mich zu seinem Schwiegersohne zu machen, und daß Seraphine eine lebhafte Neigung für mich empfinde, die Ihr unter meiner Gestalt ihr einzuflößen gewußt, da wolltet Ihr Euch wohl nur über mich lustig machen, oder Ihr kanntet die Gegenwart eben so wenig als die Zukunft.

Es verdroß unsern Studenten jetzt, daß er der Dame einen Besuch gemacht hatte. Er betrachtete seine Leidenschaft für sie als eine unglückliche Liebe, und nahm sich vor, Alles aufzubieten, um sie zu bekämpfen. Er stellte sich außerdem vor, daß es schmachvoll sei, sein Glück einer Täuschung verdanken zu sollen.

Das waren die Betrachtungen, die Zambullo anstellte, als Don Pedro ihn Tags darauf zu sich bitten ließ. Senhor Leandro Perez, fügte er zu ihm: es wird Zeit, daß ich Euch durch die That beweise, daß Ihr in mir Euch keinen jener Höflinge verpflichtet habt, die sich damit begnügen würden, Euch mit artigen Redensarten abzufinden; ich habe meine Tochter Seraphine selbst zum Lohn für die Gefahr, in die Ihr Euch ihretwegen gestürzt habt, bestimmt. Sie ist bereits mit meinem Entschluß bekannt gemacht und hat sich willig gezeigt, mir ohne Widerstreben zu gehorchen. Ich muß gestehen, daß ich mein eignes Blut in ihr erkannte, als ich sie aufforderte, ihren Lebensretter zu ihrem Gatten zu wählen. Der Ausbruch ihrer Freude bei meinem Vorschlage bewies mir deutlich, daß ihre Gesinnungen den meinigen an Großmuth nicht nachstehen. Es ist also eine abgemachte Sache, Ihr heirathet meine Tochter.

Nach diesen Worten erwartete der gute Don Pedro mit Recht, daß Don Cleophas ihm für eine so große Gunst in den wärmsten Ausdrücken danken würde, und war daher nicht wenig erstaunt, ihn stumm und verwirrt zu sehen. So redet doch, Zambullo, sagte er zu ihm, was soll ich von der peinlichen Verlegenheit denken, in die Euch mein Antrag setzt? Wie soll ich mir euer Benehmen deuten? Sollte ein einfacher Edelmann eine Verbindung ausschlagen wollen, die ein Grande freudig und stolz eingehen würde? Hat etwa der Adel meines Hauses, ohne daß ich es weiß, einen Flecken?

Senhor, erwiederte Leandro, ich bin mir nur zu gut bewußt, welch ein Abstand zwischen mir und Euch besteht.– Warum denn, fragte Don Pedro, nehmt Ihr mein Anerbieten, welches doch so ehrenvoll für Euch ist, so kühl auf? Bekennt es mir, Don Cleophas, Ihr liebt bereits irgend eine Dame, die das Gelöbniß eurer Treue empfing, und ihre Ansprüche an Euch widersetzen sich jetzt eurem Glücke. – Wenn ich eine Geliebte hätte, an die ich durch heilige Schwüre gebunden wäre, antwortete der Student, so würde freilich nichts im Stande sein, mich dahin zu bringen, diese zu brechen. Dies ist aber nicht der Grund, der mich hindert, von eurer Güte Gebrauch zu machen. Mein Gewissen ist es, welches von mir fordert, auf die glänzenden Aussichten, die Ihr mir eröffnet, zu verzichten. Ich will nicht länger euren Irrthum unterhalten, ich will ihn Euch endlich aufklären: Ich bin der Retter Seraphinens nicht.

Was höre ich, rief der Greis äußerst betroffen, Ihr seid es nicht, der sie den Flammen, die sie zu ergreifen drohten, entrissen hat? Ihr seid es nicht, der diese kühne That gewagt? – Nein, Senhor, antwortete Zambullo, ein Sterblicher würde sie vergeblich unternommen haben; ich will es Euch offen bekennen: Ein Teufel war es, der eure Tochter gerettet hat.

Diese Worte dienten nur dazu, das Erstaunen Don Pedros zu vergrößern, doch glaubte er sie nicht buchstäblich nehmen zu dürfen und bat den Studenten, sich deutlicher zu erklären. Nun erzählte Leandro, ohne zu bedenken, daß er Asmodeus Freundschaft vielleicht dadurch verscherzte, Alles, was sich zwischen ihm und dem Teufel zugetragen hatte. Dann nahm der Greis das Wort und sagte zu Don Cleophas: Die Mitteilung, die Ihr mir eben macht, bestärkt mich nur in meinem Entschluß, Euch meine Tochter zur Gemahlin zu geben, denn Ihr seid ihr eigentlicher Erretter. Wenn Ihr den hinkenden Teufel nicht gebeten hättet, sie dem Flammentode zu entreißen, so würde er sie ohne Zweifel haben umkommen lassen. Ihr seid es also, dem sie ihr Leben verdankt, mit einem Wort: Ihr verdient ihre Hand und ich biete sie Euch nebst der Hälfte meines Vermögens an.

Bei diesen Worten, die alle seine Bedenken beseitigten, warf sich Leandro Perez zu den Füßen Don Pedros und dankte ihm für all seine Güte und Gunst.

Bald darauf fand die Vermählung statt, die mit einer des Hauses Escalano würdigen Pracht und zur Freude der Eltern unsres Studenten gefeiert wurde. Er selbst aber fühlte sich überreichlich belohnt für die wenigen Stunden der Freiheit, die er dem hinkenden Teufel verschafft hatte.

 


 


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