Alain René Lesage
Der hinkende Teufel
Alain René Lesage

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Neuntes Kapitel

Von den eingesperrten Narren.

Zambullo musterte mit neugierigem Blick alle Zellen; und nachdem er die darin untergebrachten Närrinnen und Narren betrachtet hatte, sagte ihm der Teufel: Ihr seht hier von allen Sorten; da sind traurige und lustige, junge und alte. Ich will Euch nun sagen, weshalb sie wahnsinnig geworden sind; nehmen wir Zelle nach Zelle vor und fangen wir an bei den Männern.

Der erste, auf den wir stoßen und der rasend scheint, ist ein kastilianischer Novellist, geboren im Schooße Madrids und stolzer und um die Ehre seines Vaterlandes besorgter als ein alter Bürger von Rom. Er ist verrückt geworden aus Verdruß, weil er in der Zeitung las, daß fünfundzwanzig Spanier sich von einem Haufen von fünfzig Portugiesen haben schlagen lassen.

Zum Nachbar hat er einen Licentiaten, der solche Gier hatte, eine Pfründe zu erhaschen, daß er zehn Jahre lang am Hofe den Heuchler gemacht hat, und die Verzweiflung, sich bei den Beförderungen immer übergangen zu sehn, hat ihm den Kopf verwirrt; er hat dabei wenigstens den Vortheil, daß er sich für den Erzbischof von Toledo hält. Wenn er es auch nicht ist, hat er doch das Vergnügen, zu glauben, er sei es; ich finde ihn um so glücklicher, als ich seinen Wahnsinn wie einen schönen Traum betrachte, der nur mit seinem Leben enden wird, und als er in der andern Welt keine Rechenschaft über den Gebrauch, den er von seinen Einkünften gemacht, wird ablegen müssen.

Der Narr, der folgt, ist ein Mündel; sein Vormund hat ihn für verrückt ausgegeben, in der Absicht, sich für immer seines Vermögens zu bemächtigen; der arme Bursche hat aus Wuth über seine Einsperrung wirklich den Verstand verloren. Nach dem Minderjährigen kommt ein Schulmeister, der sich hierher gebracht hat, weil er sich darauf erpicht hatte, das paulo post futurum des griechischen Zeitworts zu entdecken; und der vierte ein Kaufmann, dessen Verstand an der Nachricht von einem Schiffbruch zu Grunde gegangen ist, obwohl er stark genug war, zwei Bankerotte, die er gemacht, vortrefflich zu überstehen.

Die Gestalt, welche in der folgenden Zelle liegt, ist ein alter Kapitän Zanubio, ein Cavalier, der von Neapel nach Madrid gezogen ist. In den Zustand, worin Ihr ihn erblickt, hat ihn die Eifersucht gebracht; hört seine Geschichte:

Er hatte eine junge Frau, Namens Aurora, die er immer unter Augen hielt; sein Haus war unzugänglich für Männer. Aurora ging nur aus, um sich in die Messe zu begeben, und selbst da war sie immer von ihrem alten Titon begleitet, der sie zuweilen auf ein Gut, das er bei Alcantara besitzt, führte, um die frische Luft zu genießen. Dennoch hatte ein Cavalier, genannt Don Garcias Pacheco, der sie zufällig in der Kirche gesehen, eine leidenschaftliche Liebe für sie gefaßt; es war ein unternehmender junger Mann und würdig der Aufmerksamkeit einer unpassend verheiratheten hübschen Frau.

Die Schwierigkeit, sich bei Zanubio einzuführen, raubte Don Garcias nicht die Hoffnung. Da er noch keinen Bart hatte und ein ziemlich hübscher Bursche war, so verkleidete er sich als Mädchen, nahm eine Börse mit hundert Pistolen und begab sich auf das Gut des Kapitäns, wohin, wie er erfahren, der letztere unverzüglich mit seiner Frau abreisen wollte. Er wandte sich an die Gärtnerin und sagte ihr mit dem Tone einer Heldin aus einem Ritterroman, welche von einem Riesen verfolgt wird: Meine Gute, ich komme mich in eure Arme zu werfen; ich flehe Euch an, Mitleid mit mir zu haben. Ich bin ein Mädchen aus Toledo, von guter Geburt und einigem Vermögen; meine Eltern wollen mich an einen Mann, den ich hasse, verheirathen. Ich habe mich des Nachts heimlich ihrer Tyrannei entzogen; ich bedarf einer Zuflucht; man wird mich hier nicht suchen; erlaubt mir, daß ich hier bleibe, bis meine Familie sich hat erweichen lassen. Seht, da ist meine Börse, fügte er, der Gärtnerin das Geld gebend, hinzu; nehmt sie; es ist Alles, was ich für den Augenblick Euch bieten kann; aber ich hoffe, daß ich eines Tages mehr im Stande sein werde, den Dienst zu belohnen, den Ihr mir erwiesen haben werdet.

Gerührt von dem Schluß dieser Rede, antwortete die Gärtnerin: Meine Tochter, ich will Euch helfen. Ich kenne junge Personen, die alten Männern geopfert sind, und weiß sehr gut, daß sie nicht sehr glücklich sind; ich weiß ihre Leiden mitzufühlen; Ihr könnt Euch an Niemand besseren wenden als mich; ich werde Euch eine besondere kleine Kammer einräumen, in der Ihr sicher hausen werdet.

Don Garcias brachte einige Tage auf diesem Gute zu, sehr ungeduldig, Aurora darauf ankommen zu sehen. Sie kam endlich mit ihrem Eifersüchtigen, der nach seiner Gewohnheit damit begann, alle Gemächer, die Cabinette, die Keller und die Speicher zu durchschreiten, um zu sehen, ob er nicht irgend einen Feind seiner Ruhe darin finde. Die Gärtnerin, die ihn kannte, theilte ihm mit, unter welchen Umständen ein junges Mädchen zu ihr gekommen sei, eine Zuflucht zu verlangen.

Obwohl sehr mißtrauisch, hatte Zanubio nicht den geringsten Argwohn einer Täuschung; er war nur neugierig, die Unbekannte zu sehen, die ihn bat, ihr die Nennung ihres Namens zu erlassen, da sie, wie sie sagte, diese Schonung ihrer Familie schulde, welche durch ihre Flucht gewissermaßen entehrt werde; dann erzählte sie einen Roman mit so viel Geist, daß der Kapitän entzückt davon war. Er fühlte eine Neigung für diese liebenswürdige Person in sich entstehen; er bot ihr seine Dienste an und sich mit der Hoffnung schmeichelnd, daß immerhin etwas für ihn abfallen könne, gab er sie seiner Frau zur Seite.

Sobald Aurora Don Garcias sah, erröthete sie und wurde verlegen, ohne zu wissen weshalb. Der junge Cavalier bemerkte es; er schloß, daß sie ihn in der Kirche, wo er sie gesehn, bemerkt habe; um sich darüber Gewißheit zu verschaffen, sagte er ihr, sobald er sie allein sprechen konnte: Senhora, ich habe einen Bruder, der mir oft von Euch gesprochen hat; er hat Euch einen Augenblick in der Kirche gesehen; seit diesem Augenblicke, den er sich tausendmal im Tage in die Erinnerung zurückruft, befindet er sich in einem Zustande, der eures Mitleids würdig ist.

Bei diesen Worten blickte Aurora Don Garcias aufmerksamer, als sie bisher gethan, an und antwortete ihm: Ihr gleicht diesem Bruder zu sehr, als daß ich länger von eurer List getäuscht sein könnte; ich sehe sehr wohl, daß Ihr ein verkleideter Cavalier seid. Ich erinnere mich, daß eines Tages, während ich die Messe hörte, meine Mantilla sich einen Augenblick verschob und Ihr mich sahet; ich blickte Euch aus Neugier an; Ihr hieltet fortwährend die Augen auf mich gerichtet. Als ich fortging, unterließet Ihr, glaub ich, nicht, mir zu folgen, um zu erfahren, wer ich sei und in welcher Straße ich wohne. Ich sage »glaub ich«, weil ich nicht wagte, den Kopf zu wenden, um Euch zu beobachten; mein Gatte, der mich begleitete, hätte diese Bewegung bemerkt, und mir ein Verbrechen daraus gemacht. Die andern und die folgenden Tage kehrte ich in dieselbe Kirche zurück; ich sah Euch wieder und merkte mir so gut eure Züge, daß ich sie wiedererkenne trotz eurer Verkleidung.

Wohl denn, Senhora, erwiederte Don Garcias, ich muß die Maske fallen lassen; ja, ich bin ein Mann, hingerissen von euren Reizen; es ist Don Garcias Pacheco, den die Liebe unter dieser Verhüllung hier einführt. Und ohne Zweifel hofft Ihr, entgegnete Aurora, daß ich euren thörichten Eifer billigen, eure List begünstigen und meinerseits dazu beitragen werde, meinen Gatten in seinem Irrthume zu erhalten! Darin aber täuscht Ihr Euch sehr; ich werde ihm Alles entdecken; meine Ehre und meine Ruhe steht auf dem Spiele; und zudem freut es mich, eine so schöne Gelegenheit zu finden, ihm zu zeigen, daß seine Wachsamkeit viel weniger leistet als meine Tugend, und daß, so eifersüchtig, so argwöhnisch wie er ist, ich schwerer zu täuschen bin als er.

Kaum hatte sie diese letzteren Worte gesprochen, als der Kapitän erschien, und sich ins Gespräch zu mischen begann. Wovon unterhaltet ihr euch, meine Damen? fragte er. Aurora nahm sofort das Wort: Wir sprachen, antwortete sie, von jungen Cavalieren, die es unternehmen, die Liebe junger Frauen, welche alte Männer haben, zu erringen; und ich sagte, daß wenn Einer dieser Galans verwegen genug wäre, sich unter irgend einer Verkleidung bei Euch einzuführen, ich seine Keckheit schon zu bestrafen wissen würde!

Und Ihr, Senhora, sagte Zanubio, sich zu Don Garcias wendend, wie würdet Ihr mit einem jungen Cavalier in solchem Falle umspringen? Don Garcias war so verlegen, so aus dem Gleichgewicht gebracht, daß er nicht wußte, was dem Kapitän antworten, der seine Verwirrung wahrgenommen hätte, wenn nicht in diesem Augenblick ein Diener eingetreten wäre, um ihm zu sagen, daß ein Mann aus Madrid angekommen sei, der ihn zu sprechen verlange; er ging hinaus, um zu erfahren, was man von ihm wolle.

Jetzt warf sich Don Garcias zu den Füßen Aurora's nieder, und sagte ihr: Ach, Senhora, welches Vergnügen gewährt es Euch, mich in Verwirrung zu setzen? Könntet Ihr so grausam sein, mich der Rache eines rasenden Gatten auszusetzen? Nein, Pacheco, antwortete sie lächelnd; die jungen Frauen, die eifersüchtige alte Männer haben, sind nicht so grausam; beruhigt Euch; ich habe mir ein Vergnügen machen wollen, indem ich Euch ein wenig Furcht einjagte, aber damit soll es genug sein; damit habt Ihr die Nachsicht, die ich haben will, Euch hier zu dulden, eben nicht theuer erkauft! Bei so tröstlichen Worten fühlte Don Garcias alle seine Furcht schwinden und faßte Hoffnungen, die Aurora die Güte hatte, nicht zu zerstören.

Eines Tages, als sie sich beide im Gemach Zanubios Beweise ihrer gegenseitigen Freundschaft gaben, überraschte sie der Kapitän. Wenn er auch nicht der eifersüchtigste aller Männer gewesen wäre, er sah genug, um daraus abzunehmen, daß seine schöne Unbekannte ein verkleideter Cavalier sei. Bei diesem Anblick gerieth er in Raserei; er eilte in sein Cabinet, um Pistolen daraus zu holen; aber während dessen entwischten die beiden Liebenden, schlossen außen die Thüren des Gemaches ab, nahmen die Schlüssel mit sich und retteten sich beide in Hast in ein benachbartes Dorf, wo Don Garcias seinen Kammerdiener und zwei gute Pferde gelassen hatte. Dort warf er die Mädchenkleider ab, nahm Aurora auf die Kruppe und brachte sie nach einem Kloster, wohin sie ihn bat, sie zu führen, und worin sie eine Tante als Superiorin hatte; er aber kehrte nach Madrid zurück, um die weiteren Folgen dieses Abenteuers abzuwarten.

Unterdeß hatte Zanubio, als er sich eingeschlossen sah, geschrien und zu Hülfe gerufen; einer der Diener eilt auf seine Rufe herbei, findet aber die Thüre geschlossen und kann sie nicht öffnen. Der Kapitän strengt sich an, sie einzubrechen und da es ihm nicht schnell genug gelingt, so stürzt er sich in seinem Ungestüm, mit seinen Pistolen in der Hand, zum Fenster hinaus; er fällt auf den Rücken, verwundet sich am Kopfe und liegt bewußtlos auf dem Boden ausgestreckt. Seine Diener kommen herzu und tragen ihn in einen Saal auf ein Ruhebett; sie sprengen ihm Wasser ins Gesicht und quälen ihn so lange, bis sie ihn endlich aus seiner Ohnmacht ins Leben zurückrufen; aber mit seinen Lebensgeistern kommt ihm die Raserei zurück; er fragt, wo seine Frau sei? man antwortet ihm, daß man sie mit der fremden Dame durch eine kleine Gartenthüre habe fortgehen sehen. Er befiehlt, daß man ihm augenblicklich seine Pistolen zurückgebe; man ist gezwungen, ihm zu gehorchen; er läßt ein Pferd satteln; er reitet davon, ohne an seine Wunde zu denken, und schlägt einen andern Weg ein als den der Flüchtlinge. Er bringt den Tag damit zu, vergeblich umherzureiten und nachdem er die Nacht, um auszuruhen, in einem Dorfwirthshaus zugebracht, ziehen ihm die Ermüdung und die Wunde ein Fieber zu, mit einer Hirnentzündung, die ihn beinahe dahingerafft hätte.

Um das Uebrige in zwei Worten zu sagen, er lag in dem Dorfe vierzehn Tage lang krank; dann kehrte er auf sein Gut zurück, wo er, unaufhörlich mit seinem Unglück beschäftigt, allmählich den Verstand verlor. Die Verwandten Aurora's waren nicht sobald davon unterrichtet, als sie ihn nach Madrid bringen ließen, um ihn unter die Narren sperren zu lassen. Seine Frau ist noch im Kloster, und sie haben beschlossen, sie noch einige Jahre lang darin zu lassen, um ihren Leichtsinn, oder, wenn Ihr wollt, einen Fehler zu strafen, dessen Schuld sie selber doch ganz allein tragen.

Unmittelbar neben Zanubio, fuhr der Teufel fort, befindet sich der Senhor Don Blaz Desdichado, ein ausgezeichneter Cavalier; der Tod seiner Gattin ist die Ursache der traurigen Lage, worin Ihr ihn seht. – Das überrascht mich, sagte Don Cleophas. Ein Mann, den der Tod seiner Frau wahnsinnig macht? Ich glaubte nicht, daß die eheliche Liebe so weit gehen könnte. – Schließen wir nicht so rasch, unterbrach ihn Asmodeus; Don Blaz ist nicht aus Schmerz, seine Gattin verloren zu haben, verrückt geworden; was ihn um den Verstand gebracht hat, das ist der Umstand, daß er, weil er keine Kinder hat, gezwungen war, den Verwandten der Verstorbenen fünfzigtausend Dukaten zurückzugeben, die er von ihr erhalten zu haben im Ehecontrakt bekannt hat.

Dann liegt die Sache anders, versetzte Leandro; ich bin nicht mehr erstaunt über seinen Unfall. Und sagt mir, bitte, wer ist dieser junge Mann, der in der folgenden Zelle wie ein Ziegenböcklein springt und von Zeit zu Zeit aufhört, um in lautes Gelächter auszubrechen und sich dabei die Seiten zu halten? – Das ist ein lustiger Narr! Auch rührt sein Wahnsinn von einem Uebermaß von Freude her, antwortete der Hinkende. Er war Thürsteher eines vornehmen Herrn; und als er eines Tages den Tod eines reichen Steuerpächters, dessen einziger Erbe er war, vernahm, hielt seine Vernunft nicht Stand wider eine so frohe Nachricht; er wurde darüber verrückt.

Wir sind bis zu dem großen Burschen gekommen, der die Guitarre spielt und sie mit seinem Gesange begleitet; es ist ein schwermüthiger Narr, ein Liebhaber, den die Härte seiner Dame zur Verzweiflung gebracht hat, und den man einsperren mußte. – Ach, den beklage ich, rief der Student aus; sein Unglück geht mir wirklich zu Herzen; es kann allen ehrlichen Leuten zustoßen; wenn ich in eine grausame Schönheit verliebt wäre, – ich wüßte nicht, ob ich nicht dasselbe Loos hätte. – An diesem Gefühl, versetzte der Teufel, erkennt man Euch als den wahren Kastilianer; man muß im Schooße Kastiliens geboren sein, um sich fähig zu fühlen, so lieben zu können, daß man wahnsinnig würde vor Kummer, nicht gefallen zu können. Die Franzosen sind nicht so zärtlich – und wenn Ihr wissen wollt, welcher Unterschied in dieser Beziehung zwischen einem Franzosen und einem Spanier ist, so brauch' ich Euch nur den Vers zu sagen, den dieser Narr singt, und den er soeben gedichtet hat:

Ardo y lloro sin sosiego
Llorando y ardiendo tanto,
Que ni el llanto apaga el fuego
Ni el fuego consume il llanto.

Ich weine Thränen – eine Fluth,
Und fühl von Feuer mich verzehren;
Die Thränen löschen nicht die Gluth,
Die Gluth vertilgt nicht meine Zähren.

So spricht ein spanischer Cavalier, wenn seine Dame ihn mißhandelt, und nun hört, wie ein Franzose in diesen Tagen in ähnlicher Lage sein Leid klagte:

    Die Dame, der mein Herz gehört,
Bleibt hart und stumm für meiner Liebe Zeichen;
    Was sonst ein Frauenherz bethört,
Nichts kann die schöne Grausame erweichen.
Kann ein Unsel'ger wohl ein härtres Schicksal haben?
    Ach, ich vermag ihr zu gefallen nicht,
    Und so verzicht' ich auf des Tages Licht:
Kommt, Freunde, mich bei Payen zu begraben!

Dieser Payen ist sicherlich ein Weinwirth, sagte Don Cleophas. – Richtig, erwiederte der Teufel. Aber fahren wir fort und betrachten uns die andern Narren. – Gehen wir lieber zu den Frauen über, versetzte Leandro, ich bin begierig, sie zu sehen. – Ich will eurer Ungeduld nachgeben, entgegnete der Geist; aber es sind hier zwei oder drei Unglückliche, welche ich Euch vorher zeigen möchte; Ihr könnt Euch aus ihrem Unglück eine Lehre nehmen.

Betrachtet in der Zelle, welche auf die des Guitarrenspielers folgt, dies blasse und magere Gesicht, welches mit den Zähnen fletscht und die Eisenstangen vor seinem Fenster aufessen zu wollen scheint; es ist ein ehrlicher Mensch, geboren unter einem so unglücklichen Sterne, daß er trotz aller möglichen Verdienste und aller Anstrengungen seit zwanzig Jahren nicht hat dahin gelangen können, sich sein tägliches Brod zu verschaffen. Er hat den Verstand verloren, als er ein höchst unbedeutendes Subjekt seiner Bekanntschaft durch seine Rechenkunst in einem Tage auf die Höhe des Glücksrades gehoben sah.

Der Nachbar dieses Verrückten ist ein alter Sekretär, der einen Sparren im Kopfe hat, weil er die Undankbarkeit eines Hofmannes, dem er sechszig Jahre hindurch diente, nicht zu ertragen wußte. Man konnte den Eifer und die Treue dieses Mannes, der nie etwas für sich verlangte, nicht genug loben; er beschränkte sich darauf, seine Dienste und seinen Fleiß reden zu lassen, – sein Herr aber glich nicht dem Archilaus, König von Macedonien, der verweigerte, wenn man von ihm verlangte, und gewährte, wenn man nicht verlangte; er ist gestorben, ohne den treuen Diener zu belohnen; er hat ihm nur so viel hinterlassen, daß er den Rest seiner Tage im Elend und im Narrenhause zubringen kann.

Und jetzt sollt Ihr nur noch Einen ins Auge fassen – den, welcher, die Arme auf die Fensterbank gestützt, in ein tiefes Sinnen verloren scheint. Ihr seht in ihm einen Senhor Hidalgo aus Tafalla, einer kleinen Stadt Navarras; er ist nach Madrid übergesiedelt, wo er einen schönen Gebrauch von seinem Vermögen gemacht hat. Er hatte die Sucht, alle schönen Geister kennen und sie bewirthen zu wollen; die Feste hörten bei ihm nicht auf; und obwohl die Schriftsteller, die eine unhöfliche und undankbare Race sind, ihn verspotteten, während sie ihn aufaßen, hat er nicht eher Ruhe gehabt, als bis er mit ihnen sein bischen Hab und Gut verzehrt hatte.– Es ist kein Zweifel, sagte Zambullo, daß er verrückt geworden ist aus Reue, sich auf eine so dumme Weise ruinirt zu haben. – Ganz im Gegentheil, entgegnete Asmodeus, nur aus Verzweiflung, sich außer Stande zu sehen, in derselben Weise weiter zu leben.

Kommen wir jetzt zu den Frauen, fügte er hinzu. – Aber wie ist das, rief der Student aus, ich sehe ihrer nur sieben oder acht; es giebt weniger Närrinnen, als ich dachte! – Alle Närrinnen sind nicht hier! bemerkte lächelnd der Dämon. Wenn Ihr es wünscht, bring' ich Euch gleich in ein anderes Quartier dieser Stadt, wo ein großes Haus ganz voll davon ist. – Das ist nicht nöthig, versetzte Don Cleophas, ich halte mich an diese hier. – Ihr habt Recht, entgegnete der Hinkende; es sind fast alle Personen von Rang; Ihr mögt an der Reinheit und Feinheit ihrer Wäsche erkennen, daß sie nicht zum Volk gehören können. Ich will Euch die Ursache ihrer Geisteskrankheiten berichten.

In der ersten Zelle ist die Frau eines Corregidors, der die Wuth, von einer Dame vom Hofe Bürgerfrau genannt worden zu sein, den Kopf verrückt hat. In der zweiten befindet sich die Gattin des Großschatzmeisters des Raths von Indien; sie ist wahnsinnig geworden aus Verdruß, weil sie in einer engen Straße ihre Carrosse zurückführen lassen mußte, um die der Herzogin von Medina-Cöli vorüber zu lassen. In der dritten hat ihren Aufenthalt eine junge Wittwe vom Kaufmannsstande, die um den Verstand gekommen ist aus Aerger, einen großen Herrn, den sie zu heirathen hoffte, nicht bekommen zu haben; und die vierte wird bewohnt von einem Mädchen von vornehmem Stande, die Donna Beatrix heißt, und deren Geschichte ich Euch erzählen muß.

Diese Dame hatte eine Freundin, die man Donna Mencia nannte; sie sahen sich alle Tage. Ein Ritter vom San Jago-Orden, ein schöner und galanter Herr, machte ihre Bekanntschaft und beide wurden bald zu Nebenbuhlerinnen; sie machten sich lebhaft sein Herz streitig, das sich auf die Seite der Donna Mencia neigte; so daß endlich diese die Frau des Ritters wurde.

Donna Beatrix, sehr eifersüchtig auf die Macht ihrer Reize, empfand einen tödtlichen Kummer, nicht vorgezogen worden zu sein, und als echte Spanierin nährte sie auf dem Grunde ihres Herzens ein heftiges Verlangen, sich zu rächen, als sie ein Billet von Don Jacinto de Romarate, einem andren Verehrer von Donna Mencia, erhielt; dieser Cavalier meldete ihr, daß er, eben so entrüstet über die Heirath seiner Geliebten wie sie, beschlossen habe, sich mit dem Ritter, der sie ihm entführt, zu schlagen.

Dieser Brief war Beatrix sehr angenehm, da sie nichts weiter als den Tod des Sünders verlangte, und nur wünschte, daß Don Jacinto seinem Nebenbuhler das Lebenslicht ausblase. Während sie mit Ungeduld eine so christliche Genugthuung erwartete, bekam aber ihr Bruder durch Zufall einen Streit mit diesem selben Jacinto; er schlug sich mit ihm und erhielt zwei Degenstiche in den Leib, an denen er starb. Es war nun die Pflicht der Donna Beatrix, den Mörder ihres Bruders vor Gericht zu verfolgen; aber sie vernachläßigte diese Pflicht, um Don Jacinto Zeit zu lassen, den San-Jago-Ritter zu bestrafen, – woraus klar hervorgeht, daß den Frauen nichts so sehr am Herzen liegt, als das Interesse ihrer Schönheit. Grade so machte es Pallas, als Ajax die Cassandra überwältigt hatte; die Göttin straft nicht auf der Stelle den ruchlosen Griechen, der ihren Tempel geschändet hat; sie will, daß er erst dazu mithelfen soll, sie wegen des Urtheils des Paris zu rächen. Aber ach, Donna Beatrix war weniger glücklich als Minerva; sie hat das Glück der Rache nicht genossen. Romarate ist gefallen im Duell wider den Jago-Ritter, und der Kummer, den die Dame empfunden hat, ihren Beleidiger ungestraft zu sehen, hat ihr den Verstand genommen.

Die zwei folgenden Verrückten sind die Großmutter eines Advokaten und eine alte Marquise; die erstere brachte durch ihre bösen Launen ihren Enkel zur Verzweiflung, bis dieser sie hier wohlverpflegt untergebracht hat, um sie los zu werden; die andere ist eine Frau, die immer ihre eigene Schönheit angebetet hat; statt mit Ruhe und Fassung das Alter hinzunehmen, hat sie unaufhörlich über ihre schwindenden Reize geweint und eines Tages endlich in einen treuen Spiegel blickend ist sie wirr im Kopfe geworden.

»Desto besser für diese Marquise,« sagte Leandro; »in ihrer Geistesverwirrung bemerkt sie vielleicht den Wechsel, den die Zeit über sie gebracht, nicht mehr.« – »Gewiß nicht,« antwortete der Teufel; »weit entfernt, jetzt ihrem Gesichte das Gepräge des Alters anzusehen, scheint ihr Teint ihr eine Mischung von Lilien und Rosen; um sich her erblickt sie die Grazien und Amoretten; sie glaubt, mit einem Wort, sie sei die Göttin Venus.« – »Nun wohl,« entgegnete der Student, »ist sie nicht glücklicher, verrückt zu sein, als sich so zu erblicken, wie sie ist?« – »Ohne Zweifel,« erwiederte Asmodeus. »Jetzt aber bleibt uns nur noch eine Dame zu betrachten übrig; es ist die, welche die letzte Zelle bewohnt und die eben der Schlummer umfangen hat – nach drei Tagen und drei Nächten der Aufregung; es ist Donna Emerenciana; seht sie Euch wohl an; was sagt Ihr von ihr? – Ich finde sie sehr schön, antwortete Zambullo. Wie schade, daß ein so reizendes Geschöpf wahnsinnig sein muß! Durch welches Ereigniß ist sie in diesen Zustand gerathen? – Hört mir aufmerksam zu, entgegnete der Hinkende; Ihr sollt die Geschichte ihres Unglückes vernehmen.

Donna Emerenciana, einzige Tochter des Don Guillem Stephani, lebte ruhig in Siguença im Hause ihres Vaters, als Don Chimen de Lizana durch die Galanterien, die er aufwendete, um ihr zu gefallen, die Ruhe ihrer jungen Seele zu stören wußte. Sie begnügte sich nicht damit, sich durch die Liebesbeweise dieses Cavaliers rühren zu lassen, sie hatte die Schwäche, auf die List, die er anwandte, um mit ihr reden zu können, einzugehn und bald wechselten sie das Gelöbniß der Treue.

Die beiden Liebenden waren von gleicher Geburt; aber die Dame konnte für eine der besten Partien Spaniens gelten, statt daß Don Chimen nur ein nachgeborener Sohn war. Und noch ein zweites Hinderniß stand ihrer Verbindung entgegen – Don Guillem haßte die Familie der Lizana und sprach dies sehr unumwunden aus, wenn in seiner Gegenwart die Rede auf sie kam; es schien sogar, daß er gegen Don Chimen noch mehr Widerwillen habe als gegen alle übrigen Mitglieder seines Geschlechts. Aufs tiefste betrübt, ihren Vater in dieser Stimmung zu sehen, ahnte Emerenciana das Schlimmste für ihre Liebe; sie unterließ jedoch nicht, sich rückhaltlos ihrer Neigung hinzugeben und heimliche Besprechungen mit Lizana zu haben, der durch Vermittlung einer Zofe sich Nachts bei ihr einführte.

In einer dieser Nächte ereignete es sich, daß Don Guillem, der von ungefähr erwachte, als der Liebhaber ins Haus eintrat, Geräusch im Zimmer seiner Tochter, welches vom seinigen nicht sehr entfernt war, zu vernehmen glaubte. Es bedurfte nicht mehr, um einen so argwöhnischen Vater wie ihn zu beunruhigen. Nichtsdestoweniger und so mißtrauisch er war, Emerenciana war von solcher Tadellosigkeit in ihrer Aufführung gewesen, daß er nicht im Entferntesten ihr Einverständniß mit Don Chimen ahnte; aber er war nicht der Mann, das Vertrauen zu weit zu treiben; so erhob er sich leis von seinem Bette, ging, ein auf die Straße hinausgehendes Fenster zu öffnen, und hatte die Geduld, darin stehen zu bleiben, bis er beim Licht des Mondes Lizana auf einer Strickleiter von einem Balkon niedersteigen sah.

Welcher Anblick für Stephani, für den rachsüchtigsten und barbarischsten Sterblichen, den je Sicilien, das Land seiner Geburt, hervorgebracht hat! Für den Augenblick wußte er seinen Zorn zu zügeln; er hütete sich wohl, einen Lärm zu machen, der das Hauptopfer, welches seine Rachsucht verlangte, ihm entzogen hätte; er bezwang sich und wartete, bis seine Tochter am Morgen sich erhoben hatte, um in ihr Zimmer zu treten. Dort mit ihr allein und mit wuthfunkelnden Augen sie anblickend, sagte er zu ihr: Unglückliche, die du trotz des Adels deines Bluts dich nicht schämst, dich schändlich zu betragen, mach dich auf eine gerechte Strafe gefaßt. Dieser Dolch, fuhr er fort, eine Waffe aus seinem Busen ziehend, dieser Dolch wird dir das Leben nehmen, wenn du nicht die Wahrheit bekennst: nenne mir den Verwegenen, der in dieser Nacht mein Haus entehrt hat!

Emerenciana war wie vom Schlage gerührt, und so erschrocken über diese Drohung, daß sie kein Wort hervorbringen konnte. Elende, fuhr ihr Vater fort, dein Schweigen und deine Bestürzung bekunden mir nur zu laut dein Verbrechen. Und bildest du dir ein, unwürdige Tochter, daß ich nicht weiß, was vorgeht? ich habe diese Nacht den Frechen gesehen; ich habe Don Chimen erkannt; es war nicht genug, daß du in der Nacht einen Cavalier in dein Zimmer aufgenommen hast – dieser Cavalier mußte mein größter Feind sein; aber zuerst will ich erfahren, bis zu welchem Grade meine Schmach geht. Sprich ohne Verstellung; nur durch Aufrichtigkeit kannst du dem Tode entgehn!

Die Dame schöpfte bei diesen letzten Worten eine leise Hoffnung, dem traurigen Schicksal, das sie bedrohte, zu entgehn; sie faßte sich deshalb und antwortete dem Don Guillem: Senhor, ich habe es nicht vermocht, Lizana unerhört zu lassen, aber ich nehme den Himmel zum Zeugen für die Reinheit seiner Absichten. Da er weiß, daß Ihr seine Familie hasset, hat er noch nicht gewagt, Euch um Eure Einwilligung anzugehn; und nur um zusammen die Mittel zu berathen, diese zu erlangen, habe ich ihm erlaubt, zu mir zu kommen. Und welcher Person, entgegnete Stephani, bedient ihr euch, um euch eure Briefe zukommen zu lassen? Es ist, erwiederte seine Tochter, einer Eurer Pagen, der uns diesen Dienst leistete. Das ist Alles, antwortete der Vater, was ich wissen wollte; es handelt sich jetzt darum, den Entschluß auszuführen, den ich gefaßt habe. Und dann immer seinen Dolch in der Hand, ließ er seine Tochter Papier und Dinte nehmen, und zwang sie, diese Worte niederzuschreiben, wie er selbst sie ihr diktirte: »Theurer Gatte, einziges Glück meines Lebens, ich melde Dir, daß mein Vater soeben nach seinem Gute abgereist ist, von wo er erst morgen zurückkehren wird; benutze diese Gelegenheit, ich hoffe, Du erwartest die kommende Nacht mit derselben Ungeduld wie ich!« –

Nachdem Emerenciana dies treulose Billet geschrieben und gesiegelt hatte, sagte Don Guillem zu ihr: Laß den Pagen kommen, der sich so geschickt dem Auftrage, womit du ihn betraust, unterzieht und befiehl ihm, dies Papier zu Don Chimen zu tragen; aber hoffe nicht, mich zu täuschen; ich werde mich an einem Orte in diesem Zimmer verbergen, wo ich dich beobachten kann, wenn du ihm diesen Auftrag ertheilst, und wenn du ihm ein Wort sagst, oder ihm irgend ein Zeichen giebst, das ihm die Botschaft verdächtig macht, werde ich dir augenblicklich den Dolch ins Herz stoßen. Emerenciana kannte ihren Vater zu gut, um ihm nicht zu gehorchen; sie gab das Billet wie gewöhnlich in die Hände des Pagen.

Nun steckte Stephani den Dolch wieder ein, aber er verließ seine Tochter den ganzen Tag über nicht; zu Niemanden ließ er sie im Geheimen sprechen, er machte es völlig unmöglich, Lizana vor der Schlinge zu warnen, die ihm gelegt worden. Der junge Mann verfehlte also nicht, sich zu dem Rendezvous einzustellen. Kaum aber war er im Hause seiner Geliebten, als er sich plötzlich von drei der stärksten Männer ergriffen fühlte, die ihm, ohne daß er sich widersetzen konnte, die Waffen nahmen, ihm ein Tuch in den Mund schoben, um ihn am Schreien zu verhindern, ihm die Augen verbanden und ihm die Hände auf den Rücken schnürten; in diesem Zustande brachten sie ihn in einen bereit gehaltenen Wagen, in den sie alle drei einstiegen, um besser für den Cavalier haften zu können, und führten ihn auf das Gut Stephanis, das im Dorfe Miedes, vier Stunden von Siguença, liegt. Don Guillem fuhr einen Augenblick nachher in einer andern Carrosse mit seiner Tochter, zwei Kammerfrauen und einer mürrischen Duegna ab, welche er den Nachmittag hatte zu sich kommen lassen, um sie in seinen Dienst zu nehmen. Er nahm obendrein den ganzen Rest seiner Leute mit, mit Ausnahme eines alten Dieners, der von der Entführung Lizanas nichts wußte.

Vor Tagesanbruch langten alle in Miedes an. Die erste Sorge des Senhor Stephani war, Don Chimen in einen gewölbten Keller einsperren zu lassen, der ein schwaches Licht durch ein Luftloch erhielt, welches zu enge war, um einen Menschen durchzulassen. Er befahl darauf seinem Kammerdiener und Vertrauten Julio, dem Gefangenen zur einzigen Nahrung Brod und Wasser, zum Bett eine Strohgarbe zu geben und ihm jedesmal, so oft er ihm Nahrung bringe, zu sagen: Da, elender Verführer, du siehst, auf welche Weise Don Guillem die bestraft, welche kühn genug sind, ihn zu beleidigen. Mit seiner Tochter verfuhr der grausame Sicilianer nicht weniger hart; er sperrte sie in eine Kammer ein, die keinen Ausblick auf die Gegend bot, nahm ihr ihre Frauen, und gab ihr zur Hüterin die Duegna, einen Quälgeist ohne Gleichen, die er ausgewählt hatte, um das ihrer Bewachung übergebene Mädchen zu foltern.

So brachte er die beiden Liebenden unter. Seine Absicht war, dabei nicht stehen zu bleiben. Er war entschlossen, Don Chimen aus der Welt zu schaffen; aber er wollte dies Verbrechen ungestraft auszuführen suchen und das schien ziemlich schwierig. Da er sich seiner Diener bei der Entführung des Cavaliers bedient hatte, so konnte er nicht hoffen, daß eine von so vielen Menschen gewußte Handlung immer geheim bleiben würde. Was also beginnen, um keine Händel mit der Justiz zu bekommen? Er faßte seinen Entschluß als verhärteter Bösewicht; er versammelte alle seine Mitschuldigen in einem vom Schlosse getrennten Gebäudetheil; er bezeigte ihnen seine Zufriedenheit mit ihrem Eifer und erklärte, daß er ihnen zum Lohn eine tüchtige Summe Geldes geben wolle, nachdem er sie glänzend regalirt habe. Er ließ sie an einem Tische Platz nehmen und bei dem Mahl mußte Julio sie auf sein Geheiß vergiften; dann steckten Diener und Herr den Gebäudetheil in Brand und bevor die Flammen die Einwohner des Dorfs herbeilocken konnten, ermordeten jene die zwei Kammerfrauen Emerencianas und den Pagen, von dem ich gesprochen habe; die Leichen warfen sie zu den andern. Bald darauf stand der Gebäudetheil in Flammen und brannte zu Asche, trotz aller Anstrengungen, welche von den Bauern der Umgebung gemacht wurden, um die Feuersbrunst zu löschen. Während dessen mußte man die Schmerzensschreie des Sicilianers hören . . . er schien untröstlich über den Verlust seiner Dienerschaft.

Nachdem er sich so die Verschwiegenheit der Leute, welche ihn hätten verrathen können, gesichert, sagte er seinem Vertrauten: Mein theurer Julio, ich bin jetzt beruhigt und kann, wann es mir gefällt, Don Chimen das Leben nehmen; aber bevor ich ihn meiner Ehre zum Opfer bringe, will ich den süßen Genuß haben, ihn gepeinigt zu sehen; das Elend und der Schrecken einer langen Gefangenschaft sind für ihn grausamer als der Tod. In der That beklagte Lizana fortwährend sein Loos; in der Erwartung, daß er niemals aus seinem Kerker entkommen werde, wünschte er sich die Erlösung von seinen Leiden durch einen raschen Tod.

Aber vergebens hoffte Stephani Gemüthsruhe zu finden, nach der That, die er begangen hatte. Eine neue Sorge begann ihn nach Verlauf von drei Tagen zu beängstigen; er fürchtete, daß Julio, wenn er dem Gefangenen zu essen bringe, sich durch Versprechungen gewinnen lasse und diese Furcht ließ ihn den Entschluß fassen, den Untergang des einen zu beschleunigen und nachher dem andern mit einem Pistolenschuß eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Julio seinerseits war nicht ohne Mißtrauen und in der Voraussicht, daß sein Herr sehr wohl auch ihn seiner Sicherheit opfern könne, wenn er Don Chimen bei Seite geschafft, beschloß er in einer schönen Nacht durchzugehn mit Allem, was an leicht davon zu tragenden Dingen im Hause sei.

Das waren die Pläne, welche die beiden Ehrenmänner jeder für sich hegten, als sie eines Tages zusammen hundert Schritt vom Schlosse entfernt von fünfzehn oder zwanzig Hartschieren der heiligen Hermandad überrascht wurden, welche sie plötzlich umringten – mit dem Ruf: »Im Namen des Königs und des Gesetzes!« Bei diesem Anblick erbleichte Don Guillem vor Schrecken, aber trotzdem sich fassend, fragte er den Commandanten, auf wen er es abgesehn habe? Auf Euch selbst, antwortete der Offizier; man beschuldigt Euch, Don Chimen von Lizana entführt zu haben; ich bin beauftragt, in diesem Schlosse eine genaue Nachforschung nach diesem Cavalier anzustellen und mich eurer Person zu versichern. Bei dieser Antwort überzeugt, daß er verloren sei, bekam Stephani einen Anfall von Raserei; er zog zwei Pistolen aus seiner Tasche und rief, daß er eine Untersuchung seines Hauses nicht dulden und daß er den Commandanten niederschießen werde, wenn er sich mit seiner Truppe nicht augenblicklich zurückziehe. Der Hauptmann der heiligen Brüderschaft verachtete die Drohung und drang auf den Sicilianer ein, der ein Pistol auf ihn abschoß und ihn im Gesichte verwundete; aber diese Wunde kostete dem Verwegenen, der sie verursachte, bald das Leben, denn zwei oder drei der Hartschiere feuerten im selben Augenblick auf ihn und streckten ihn todt zu Boden, um ihren Offizier zu rächen. Was Julio angeht, so ließ er sich ohne Widerstand gefangen nehmen; es war nicht nöthig, ihn lange zu verhören, um von ihm zu erfahren, daß Don Chimen im Schlosse sei; er gestand Alles, aber da sein Herr todt war, wälzte er alle Schändlichkeiten auf ihn.

Endlich führte er den Commandanten und seine Hartschiere in den Keller, wo sie Lizana auf dem Stroh fanden, gebunden und geknebelt. Der unglückliche Cavalier, der in fortwährender Erwartung seines Todes gelebt hatte, glaubte, daß so viel bewaffnete Leute nur in seinen Kerker drängen, um ihn umzubringen; wie groß war seine freudige Überraschung, zu hören, daß die, welche er für seine Mörder hielt, seine Befreier seien! Nachdem sie seine Bande gelöst und ihn aus dem Keller geführt, dankte er ihnen für seine Befreiung und fragte sie, wie sie erfahren, daß er in diesem Schlosse gefangen gehalten worden? Das, entgegnete ihm der Commandant, will ich Euch in wenig Worten sagen.

In der Nacht eurer Entführung, erzählte er nun, ging einer der Spießgesellen, der zwei Schritte von Don Guillems Wohnung eine Freundin hatte, zu dieser, um ihr vor der Abreise Lebewohl zu sagen, und dabei plauderte er ihr den Anschlag Stephanis aus. Das Weib schwieg zwei oder drei Tage lang, aber als das Gerücht von der in Miedes vorgefallenen Feuersbrunst sich in der Stadt Siguença verbreitete, und es Jedermann auffiel, daß die Dienerschaft des Sicilianers bei diesem Unglücksfall sämmtlich umgekommen, setzte sich in ihr der Gedanke fest, daß dies Feuer Don Guillems Werk sein müsse. So suchte sie, um ihren Freund zu rächen, den Senhor Don Felix, euren Vater, auf und sagte ihm Alles, was sie wußte. Don Felix führte in seinem Schrecken, Euch in der Gewalt eines zu Allem fähigen Menschen zu wissen, die Frau zu dem Corregidor, der sie verhörte und dann nicht mehr zweifelte, daß Stephani Euch lange und grausame Qualen erdulden lassen wolle und der teuflische Urheber der Feuersbrunst sei. Um das zu ergründen, hat der Corregidor mir heute morgen nach Retortillo, wo mein Standquartier ist, den Befehl gesandt, aufzusitzen und mich mit meiner Brigade nach diesem Schlosse zu begeben, Euch darin zu suchen und Don Guillem lebendig oder todt zu ergreifen. Was Euch betrifft, habe ich meinen Auftrag glücklich ausgeführt; ich bin nur geärgert, daß ich den Schuldigen nicht lebendig nach Siguença abliefern kann. Durch seinen Widerstand hat er uns in die Nothwendigkeit versetzt, ihn niederzuschießen.

Der Offizier schloß diese Erzählung, indem er zu Don Chimen sagte: Senhor Caballero, ich werde jetzt ein Protokoll über alles, was sich hier ereignet hat, aufsetzen; nachher werden wir abziehn, um der Ungeduld nachzugeben, in welcher Ihr sein müßt, eure Familie aus der Unruhe ziehen zu können, welche Ihr derselben verursacht habt. Wartet, Senhor Commandant, rief hier Julio aus – ich will Euch neuen Stoff für euer Protokoll liefern; Ihr habt noch eine andere Person aus einem Gefängniß zu retten. Donna Emerenciana ist in einer dunklen Kammer eingesperrt, wo eine unerbittliche Duegna ihr ohne Aufhören bittre Demüthigungen sagt und sie keinen Augenblick in Ruhe läßt. O Himmel, rief Lizana aus, der grausame Stephani war also nicht damit zufrieden, gegen mich allein zu wüthen? – eilen wir, diese unglückliche Dame von der Tyrannei ihrer Gouvernante zu befreien!

Julio hatte sich unterdeß in Bewegung gesetzt, um den Commandanten und Don Chimen, nebst fünf oder sechs Hartschieren, zu der Kammer zu führen, welche der Tochter Don Guillems als Gefängniß diente. Sie klopften an die Thüre und die Duegna kam zu öffnen. Ihr begreift leicht die Freude, die Lizana empfand, seine Geliebte wieder zu sehn, nachdem er an ihrem Besitz auf immer verzweifelt hatte. Er fühlte seine Hoffnung neu erstehn – er konnte an seinem Glücke nicht mehr zweifeln, da ja die einzige Person, die das Recht hatte, sich ihm entgegenzustellen, nicht mehr lebte. Sobald er Emerenciana erblickte, eilte er, sich ihr zu Füßen zu werfen; aber wer könnte den ganzen Schmerz ausdrücken, den er empfand, als er, statt seine Geliebte seinem Entzücken entgegenkommen zu sehen, nur eine Dame fand, die den Verstand verloren hatte! In der That, sie war von der Duegna so gepeinigt worden, daß sie verrückt geworden war. Eine Zeitlang stand sie träumend da; dann plötzlich sich einbildend, sie sei die schöne, von den Tartaren in der Festung Albraque belagerte Angelika, hielt sie die Männer in ihrem Zimmer für ebenso viele zu ihrer Hülfe gekommene Paladine. Den Hauptmann der heiligen Brüderschaft hielt sie für Roland, Lizana für Brandimar, Julio für Hubert vom Löwen und die Hartschiere für Antifort, Clarion, Adrian und die zwei Söhne des Markgrafen Olivier. Sie empfing sie mit großer Zuvorkommenheit und sagte zu ihnen: Tapfere Ritter, ich fürchte in diesem Augenblicke weder den Kaiser Agrican noch die Königin Marphise mehr. Eure Tapferkeit wird mich wider alle Krieger der Welt zu verteidigen wissen!

Bei diesen sinnlosen Worten konnten der Offizier und seine Hartschiere das Lachen nicht unterdrücken, während Don Chimen im Gegentheil, entsetzt, seine Geliebte um ihrer Liebe zu ihm willen in einer so traurigen Lage zu erblicken, seinerseits den Verstand zu verlieren fürchtete. Er gab jedoch die Hoffnung nicht auf, daß sie den Gebrauch der Vernunft wieder finden werde, und in dieser Hoffnung sagte er zärtlich: Meine theure Emerenciana, erkenne Lizana wieder, sammle deine verwirrten Sinne; vernimm, daß unsre Leiden zu Ende sind; der Himmel will nicht, daß zwei Herzen, die er vereint hat, getrennt bleiben, und der unmenschliche Vater, der uns mißhandelte, kann uns nichts mehr in den Weg stellen.

Die Antwort, welche die Tochter des Königs Galafron auf diese Worte ertheilte, war wieder eine Rede an die tapfern Vertheidiger von Albraque, die diesmal sicherlich nicht mehr darüber lachten. Der von Natur sehr wenig weichmüthige Commandant selber fühlte Regungen des Mitleids und sagte zu dem schmerzgebeugten Don Chimen: Senhor Caballero, verzweifelt nicht an der Heilung eurer Dame, Ihr habt in Siguença Heilkünstler, die mit ihren Mitteln der Sache Herr zu werden wissen; aber halten wir uns nicht länger hier auf. Ihr, Senhor Hubert vom Löwen, wandte er sich an Julio, Ihr, der Ihr wißt, wo die Ställe im Schlosse sich befinden, führt mit Euch Antifort und die zwei Söhne des Markgrafen Olivier; wählt die besten Renner aus und spannt sie an den Staatswagen der Prinzessin; unterdeß geh' ich, mein Protokoll zu schreiben.

Bei diesen Worten zog er aus der Tasche ein Schreibzeug und Papier hervor, und nachdem er Alles, was nöthig, niedergeschrieben, bot er Angelika die Hand, um ihr beizustehen, in den Hof hinabzusteigen, wo die Paladine für eine mit vier Maulthieren bespannte und bereitstehende Carosse gesorgt hatten. Er bestieg sie mit der Dame und Don Chimen und ließ auch die Duegna einsteigen, deren Aussage er dem Corregidor in hohem Grade willkommen glaubte. Ueberdieß aber wurde Julio auf Befehl des Commandanten der Brigade mit Ketten geschlossen und nebst der Leiche des Don Guillem in eine andere Carrosse gebracht. Dann stiegen die Hartschiere wieder in ihre Sättel und alle zusammen schlugen den Weg nach Siguença ein.

Die Tochter Stephanis brachte auf dem Wege tausend Ueberspanntheiten vor, die ebenso viele Dolchstöße für ihren Geliebten waren. Er konnte die Duegna nicht ohne Zorn anblicken. Ihr, grausame Alte, seid es, sagte er ihr, die sie durch ihre Verfolgungen zum Aeußersten gebracht, in Wahnsinn gestürzt hat. Die Gouvernante rechtfertigte sich in heuchlerischer Weise und schob auf den Verstorbenen alles Unrecht. Nur Don Guillem allein, antwortete sie, muß man das Unglück zuschreiben; in seiner übertriebenen Strenge kam er alle Tage, seine Tochter durch Drohungen zu erschrecken, die sie endlich verrückt gemacht haben.

Nach der Ankunft in Siguença ging der Commandant, um über seinen Auftrag Bericht an den Corregidor zu erstatten, der auf der Stelle die Duegna und Julio verhörte und sie in die Gefängnisse dieser Stadt schickte, wo sie sich noch befinden. Der Richter nahm auch die Aussage Lizanas entgegen, der sich sodann von ihm verabschiedete, um sich zu seinem Vater zu begeben, dessen Trauer und Sorge er in Freude verwandelte. Was Donna Emerenciana betrifft, so sorgte der Corregidor für ihre Weiterführung nach Madrid, wo sie einen Oheim mütterlicher Seite hatte. Dieser gute Verwandte, welcher nichts Besseres verlangte, als die Verwaltung des Vermögens seiner Nichte in die Hände zu bekommen, wurde zu ihrem Vormund ernannt. Da er anständiger Weise nicht umhin konnte, den Wunsch, daß sie genesen möge, an den Tag zu legen, so nahm er seine Zuflucht zu den berühmtesten Aerzten; aber sie gaben ihm keine Veranlassung, dies zu bereuen; denn nachdem sie dabei ihr Latein verloren, erklärten sie das Uebel für unheilbar. Auf diese Entscheidung hin hat der Vormund nicht gesäumt, seine Mündel hier einsperren zu lassen, wo sie allem Anschein nach den Rest ihrer Tage zubringen wird.

Trauriges Schicksal! rief Don Cleophas aus; ich bin in der That ergriffen davon. Donna Emerenciana hätte verdient glücklicher zu werden. Und Don Chimen, fügte er hinzu, was ist aus ihm geworden? ich bin begierig zu erfahren, welchen Entschluß er ergriffen! – Einen sehr vernünftigen, entgegnete Asmodeus; als er sah, daß das Uebel ohne Hoffnung sei, ist er nach Neu-Spanien gegangen; er hoffte, daß er auf Reisen nach und nach die Erinnerung an eine Dame verlieren werde, welche seine Vernunft ihn vergessen heißt, wenn er je Ruhe gewinnen will . . . Aber, fuhr der Teufel fort, nachdem ich Euch die Narren gezeigt, die man eingesperrt hat, muß ich Euch auch solche zeigen, die verdienten, eingesperrt zu werden.



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