Alain René Lesage
Der hinkende Teufel
Alain René Lesage

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Siebzehntes Kapitel.

Worin man mehrere Originale, die nicht ohne Copie sind, erblicken wird.

Beobachten wir zuerst die Truppe von Bettlern, die Ihr schon in der Straße erblickt. Es sind liederliche Bursche, die meisten von guter Familie, die auf gemeinschaftliche Kosten leben, wie Mönche, und fast alle Nächte in ihrem Hause durchschwelgen, in welchem stets ein reichlicher Vorrath von Brod, Fleisch und Wein vorhanden ist. Sie sind im Begriff, sich zu trennen, um ihre Rollen in den Kirchen zu spielen, und diesen Abend werden sie sich versammeln, um auf die Gesundheit der Personen zu trinken, deren fromme Mildthätigkeit ihnen ihren Aufwand bestreitet. Es ist bewundernswerth, wie diese Schelme sich zu kleiden und herauszustaffiren wissen, um Mitleiden einzuflößen; Koketten wissen nicht besser sich herauszuputzen, um verliebt in sich zu machen.

Betrachtet aufmerksam die drei, die zusammen desselben Weges gehn. Der, welcher sich auf Krücken stützt, welcher mit seiner ganzen Gestalt zittert und mit so viel Mühe zu gehen scheint, daß er bei jedem Schritt auf die Nase zu fallen droht, ist, obwohl er einen langen weißen Bart und ein verlebtes Aussehn hat, ein junger Mensch, so leichtfüßig und behende, daß er im Laufe einen Dammhirsch überholen würde. Der andre, der den Grindigen macht, ist ein hübscher Jüngling, welcher sich ein Fell über seinen reichen Lockenkopf, der einem Hofpagen Ehre machte, gezogen hat. Und der dritte, welcher an beiden Beinen gelähmt erscheint, ist ein Schelm, der die Kunst besitzt, aus seiner Brust so jammervolle Töne hervorzubringen, daß bei seinen trübseligen Lauten jedes alte Weib aus ihrem vierten Stockwerk herabsteigt, um ihm einen Maravedi zu bringen.

Während diese Faullenzer unter der Maske der Armuth den Leuten Geld abzwacken, sehe ich viele Handwerker, die, obwohl Spanier, doch arbeitsam sind und sich anschicken, im Schweiße ihres Angesichts ihr Brod zu verdienen. Ich beobachte auf allen Seiten Leute, die aufstehn und sich ankleiden, um ihren verschiedenen Beschäftigungen nachzugehn. Wie viele während dieser Nacht entworfene Pläne werden heute ausgeführt werden oder scheitern! Zu welchen Schritten wird der Eigennutz, die Liebe und der Ehrgeiz treiben!

Was sehe ich da in der Straße? unterbrach Don Cleophas. Wer ist diese mit Medaillen beladene Frau, die von einem Lakaien geführt wird und so hastig dahinschreitet? Sie hat ohne Zweifel ein sehr dringendes Geschäft. – O gewiß, antwortete der Teufel, es ist eine verehrungswürdige Matrone, die zu einem Hause eilt, wo man ihrer bedarf. Sie wird darin eine Schauspielerin finden, die Schreie ausstößt und ihr zur Seite zwei Cavaliere, die in großer Verlegenheit sind. Der eine ist der Ehemann und der andre ein vornehmer Herr, der an dem Vorgang Interesse nimmt – denn die Entbindungen der Damen vom Theater gleichen denen der Alcmene. Es ist immer ein Jupiter und ein Amphitryon da, welche Antheil an der Sache haben. –

Sollte man nicht sagen, wenn man jenen Cavalier zu Pferde sieht, es sei ein Jäger, der den Hasen und Rebhühnern der Umgegend von Madrid den Krieg machen wolle? Und doch hat er nicht die mindeste Lust, sich an der Jagd zu vergnügen; er ist mit einer andern Absicht beschäftigt; er will ein Dorf erreichen, wo er sich als Bauer verkleiden wird, um sich in dieser Gestalt auf einen Meyerhof einzuschleichen, auf dem seine Geliebte unter der Aufsicht einer strengen und wachsamen Mutter wohnt.

Der junge Baccalaureus, der vorübergeht und so rasche Schritte macht, hat die Gewohnheit, alle Morgen einem alten Kanonikus aufzuwarten, der sein Oheim ist und auf dessen Pfründe er spekulirt. Betrachtet in dem Hause uns gegenüber den Mann, der seinen Mantel nimmt, um auszugehn; es ist ein reicher ehrenwerther Bürger, den eine ziemlich ernsthafte Angelegenheit beunruhigt.

Er hat eine einzige Tochter zu verheirathen; er weiß nicht, soll er sie einem jungen Procurator, der um sie wirbt, geben, oder besser einem stolzen Hidalgo, der sie begehrt. Er will darüber seine Freunde um Rath fragen, denn im Grunde ist nichts, was verlegener machen könnte. Wenn er den Edelmann wählt, so fürchtet er einen Schwiegersohn zu haben, der ihn verachtet; und wenn er sich an den Procurator hält, so fürchtet er einen Wurm sich ins Haus zu bringen, der ihm alle Möbeln darin anfrißt.

Blickt auf den Nachbar dieses Vaters in Verlegenheit und sucht in dem Bautheil, worin die prächtigen Möbel sind, den Mann im Schlafrock von rothem Brocat mit goldnen Blumen; es ist ein Schöngeist, der den großen Herrn macht trotz seines niedern Herkommens. Vor zehn Jahren besaß er noch nicht zehn Maravedis und jetzt bezieht er zehntausend Dukaten Rente. Er hat eine sehr hübsche Equipage, aber er spart sich ihre Kosten an seiner Tafel ab, deren Frugalität so groß ist, daß er gewöhnlich nur ganz im Stillen sein Hühnchen verzehrt; doch unterläßt er nicht zuweilen aus Großthuerei Leute von hohem Rang zu sich zu laden. Er hat heute Herrn vom Staatsrath zu Tisch und deshalb hat er einen Pastetenbäcker und einen Koch bestellt; er wird mit ihnen um jeden Heller feilschen; danach wird er auf Karten die Gänge schreiben, welche festgestellt sein werden. – Ihr schildert mir da einen großen Filz! sagte Zambullo. – Freilich, antwortete Asmodeus, alle Bettler, welche das Glück plötzlich bereichert, werden Geizhälse oder Verschwender; das ist die Regel.

Sagt mir, fuhr der Student fort, wer ist die schöne Dame, die ich an ihrer Toilette sehe und die sich mit einem sehr hübschen Cavalier unterhält? – Ach, in der That, rief der Hinkende aus, was Ihr da bemerkt, verdient sehr eure Aufmerksamkeit. Diese Frau ist eine deutsche Wittwe, die in Madrid von ihrem Wittthum lebt und sehr gute Gesellschaft bei sich sieht; und der junge Mann, der bei ihr ist, ist ein Senhor Don Antonio de Monsalva.

Obwohl dieser Cavalier einem der ersten Häuser Spaniens angehört, hat er der Wittwe versprochen, sie zu heirathen; er hat ihr sogar im Falle seines Rücktritts eine Zusicherung von dreitausend Pistolen gemacht; aber bei seiner Liebe sind ihm seine Eltern in den Weg getreten, die ihn einsperren zu lassen drohen, wenn er nicht allen Verkehr mit der Deutschen abbricht, welche sie als eine Abenteurin betrachten. Der Liebhaber kam in seiner Zerknirschung, Alles gegen seine Neigung empört zu sehen, am gestrigen Abend zu seiner Geliebten, die seinen Kummer wahrnahm und ihn nach der Ursache desselben fragte. Er theilte sie ihr mit und versicherte sie, daß aller Widerspruch von Seiten seiner Familie niemals seine Treue und Beständigkeit erschüttern werde. Die Wittwe erschien entzückt von seiner Festigkeit und sie trennten sich Beide um Mitternacht im besten Einvernehmen.

Monsalva ist diesen Morgen zurückgekehrt; er hat die Dame bei ihrer Toilette gefunden und er hat aufs neue begonnen, sie von seiner Liebe zu unterhalten. Während des Gesprächs hat die Deutsche ihre Haarwickeln abgelöst; der Cavalier hat zufällig eine davon in die Hand genommen, sie aufgefaltet und darauf seine Handschrift entdeckt. Wie, Senhora, hat er lächelnd gesagt, ist das der Gebrauch, den Ihr von den Billetdoux macht, die man Euch sendet? Ja, Monsalva, hat sie geantwortet, Ihr seht, wozu mir die Versprechungen der Liebhaber dienen, die mich ihren Familien zum Trotze heirathen wollen; ich mache Haarwickeln daraus. Als der Cavalier sich überzeugt hat, daß es in der That die Verschreibung für den Fall seines Rücktritts war, welche die Dame zerrissen hatte, hat er sich nicht enthalten können, die Uneigennützigkeit seiner Wittwe zu bewundern und er schwört ihr jetzt von neuem ewige Treue.

Werft eure Blicke, fuhr der Teufel fort, auf den großen dürren Mann, der unter uns vorübergeht. Er hat ein großes Schreibbuch unter dem Arm, ein Schreibzeug am Gürtel und eine Guitarre auf dem Rücken. – Diese Gestalt, sagte der Student, sieht lächerlich aus; ich wette, er ist ein Original. – Gewiß, versetzte der Dämon, ist es ein ziemlich wunderlicher Sterblicher. Es giebt in Spanien cynische Philosophen . . . zu diesen gehört er. Er geht nach der Seite von Buen-Retiro, um eine Wiese aufzusuchen, in der eine Quelle sprudelt, deren reines Wasser einen zwischen Blumen sich dahin schlängelnden Bach bildet. Dort wird er den ganzen Tag bleiben, um den Reichthum der Natur zu betrachten, die Guitarre zu spielen und sich Gedanken hinzugeben, welche er in sein Buch eintragen wird. In der Tasche trägt er seine gewöhnliche Nahrung bei sich, das heißt einige Zwiebeln mit einem Stück Brod; das ist das nüchterne Leben, welches er seit zehn Jahren führt, und wenn irgend ein Aristipp zu ihm, wie zu Diogenes spräche: Wenn du den Großen deinen Hof zu machen wüßtest, würdest du keine Zwiebeln zu essen brauchen, so würde ihm dieser moderne Philosoph antworten: Ich würde den Großen eben so gut wie du den Hof zu machen wissen, wenn ich einen Mann dazu erniedrigen wollte, vor einem andren Manne zu kriechen.

Und in der That ist dieser Philosoph in früherer Zeit in der Umgebung großer Herren gewesen; sie haben ihm sogar sein Vermögen gemacht; aber als er merkte, daß ihre Freundschaft für ihn nichts anderes sei, als eine ehrenvolle Sklaverei, brach er allen Verkehr mit ihnen ab. Er hatte eine Carosse, die er abschaffte, weil er sich sagte, daß er darin Leute mit Schmutz bespritze, die besser seien als er; er hat sogar fast sein ganzes Vermögen an mittellose Freunde fortgegeben; er hat nur so viel behalten, um leben zu können, wie er eben lebt; denn es scheint ihm für einen Philosophen nicht weniger eine Schmach, sich sein Brod beim Volke zu erbetteln, als bei großen Herrn.

Beklagt den Cavalier, der diesem Philosophen folgt, und den Ihr von einem Hunde begleitet seht. Er kann sich rühmen, einem der ersten Häuser Castiliens anzugehören. Er ist reich gewesen; aber er hat sich ruinirt wie der Timon des Lucian, indem er alle Tage seine Freunde regalirte und besonders, indem er große Feste zur Feier der Geburt oder der Vermählung von Prinzen und Prinzessinnen gab, mit einem Wort bei jeder Gelegenheit, welche Spanien bekam, sich der Freude hinzugeben. Sobald seine Schmarotzer gesehen haben, daß seine Töpfe leer waren, sind sie verschwunden; alle seine Freunde haben ihn verlassen; nur einer ist ihm treu geblieben – und das ist sein Hund.

Sagt mir, Senhor Teufel, rief Leandro Perez, wem gehört die Equipage, die ich dort vor einem Hause halten sehe? – Es ist, antwortete der Dämon, die Carrosse eines reichen Contadors, der alle Morgen in dieses Haus kommt, weil darin eine galizische Schönheit wohnt, deren sich dieser alte Sünder aus Maurenblut angenommen hat und in die er sterblich verliebt ist. Er erfuhr gestern am Abend, daß sie eine Untreue gegen ihn begangen; in der Wuth darüber schrieb er ihr einen Brief voll Vorwürfe und Drohungen. Ihr werdet nicht errathen, welchen Ausweg die Kokette zu ergreifen wußte; statt die Unklugheit zu begehen, die Thatsache zu leugnen, hat sie diesen Morgen dem Schatzbeamten zu wissen gethan, daß er mit Recht gegen sie aufgebracht sei; daß er sie nur noch verachten müsse, weil sie fähig gewesen, einen so galanten Mann zu verrathen; daß sie ihren Fehler erkenne, daß sie ihn verabscheue, und daß sie, um sich dafür zu bestrafen, sich schon ihr schönes Haar abgeschnitten, auf das sie, wie er wisse, so stolz sei; kurz, daß sie sich entschlossen habe, in ein Kloster zu gehen, um den Rest ihrer Tage der Buße zu weihen.

Der schmachtende Alte hat gegen die vorgeblichen Gewissensbisse seiner Geliebten nicht fest bleiben können. Er ist sofort aufgestanden, um sich zu ihr zu begeben; er hat sie in Thränen gefunden und die gewandte Comödiantin hat so gut ihre Rolle gespielt, daß er ihr das Vergangene eben vergeben hat; er wird noch mehr thun; um sie über den Verlust ihrer Haare zu trösten, verspricht er ihr in diesem Augenblick, sie zur Gutsherrin zu machen, indem er ihr ein schönes Landhaus kauft, das in der Nähe des Escurial eben zu erstehen ist.

Alle Buden sind geöffnet, sagte der Student, und ich sehe schon einen Cavalier, der bei einem Speisewirth eintritt. – Dieser Cavalier, entgegnete Asmodeus, ist ein junger Mensch von guter Geburt, der die Manie hat, zu schreiben und durchaus als Autor gelten will; es fehlt ihm nicht an Geist; er hat sogar genug, um alle neuen Werke, die auf der Bühne erscheinen, zu beurtheilen; aber er hat nicht genug, um selbst ein vernünftiges zu Stande zu bringen. Er tritt bei dem Speisewirth ein, um ein großes Mahl zu bestellen. Er hat heute vier Comödianten zu Tisch geladen, die er gewinnen will, damit sie sich eines schlechten Stücks, das er hervorgebracht hat und bei ihrer Truppe einreichen will, annehmen.

Und da wir von Autoren reden, fuhr er fort, seht da zwei, die sich in der Straße begegnen. Seht, wie sie sich mit spöttischem Lächeln begrüßen! Sie verachten sich gegenseitig und sie haben Recht. Der Eine schreibt so leicht, wie der Dichter Crispinus, den Horaz mit den Blasbälgen vergleicht, und der Andre braucht unglaubliche Zeit, um frostige und alberne Werke zu Stande zu bringen.

Wer ist jener kleine Mann, der aus einer vor dem Thore dieser Kirche haltenden Carrosse steigt? – Das ist, antwortete der Hinkende, eine beachtenswerthe Persönlichkeit. Es sind nicht zehn Jahre, daß er die Schreibstube eines Notars verließ, wo er Oberschreiber war, um sich in die Karthause von Saragossa zu vergraben. Am Ende von sechs Monaten Noviziats trat er aus dem Kloster aus, und tauchte wieder in Madrid auf; aber die, welche ihn kannten, waren verwundert, ihn plötzlich eines der Hauptmitglieder des Raths von Indien werden zu sehn. Man spricht noch heute von einem so plötzlichen Glückswechsel. Einige sagen, er habe sich dem Teufel verschrieben, andere wollen, er habe eine Wittwe des höchsten Adels in sich verliebt gemacht, und noch andere, er habe einen Schatz gefunden. – Ihr wißt, was davon wahr ist? unterbrach Don Cleophas. – Freilich wohl, entgegnete der Dämon, und ich will Euch das Geheimniß enthüllen.

Während unser Novize im Kloster war, trug es sich eines Tages zu, daß er in seinem Garten eine tiefe Grube machte, um einen Baum darin zu pflanzen. Dabei stieß er auf einen kupfernen Kasten, den er öffnete; im Innern fand sich ein Kistchen von Gold, das etwa dreißig Diamanten von großem Werthe enthielt. Obwohl der angehende Mönch sich auf Edelsteine nicht gerade verstand, so ahnte ihm doch, daß er einen hübschen Fund gemacht; und so faßte er sofort denselben Entschluß, wie in der Comödie des Plautus jener Crispus, der auf die Fischerei verzichtet, nachdem er einen Schatz erangelt hat; er warf die Kutte ab, und kam nach Madrid, wo er sich durch einen befreundeten Juwelier seine Edelsteine in Goldstücke umwechseln ließ, und diese Goldstücke in eine Anstellung, die ihm in der bürgerlichen Gesellschaft einen hübschen Rang giebt.



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