Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigstes Kapitel

. He, Jan, he!«

Kobe steigt von seinem Wagen herunter, und Boer Jan kommt ihm entgegen.

»Ich gehe wie ein Vogel, der Blei in einem seiner zwei Flunken hat,« sagt er lachend.

Und wirklich ist es so, daß er den einen Fuß nachschleppt, während er sich mit ganzer Kraft seiner Fäuste auf zwei Stöcke stützen muß.

»Tretet ein, Pachter; es ist lange her, daß man Euch zuletzt im Haus gesehen hat.«

Für sich aber sagte sich Jan Slim: Das ist nicht um gar nichts, daß Snipzel sein Pferd an die Deichsel schirren ließ; sicher wird er mir ein Geschäft Vorschlägen, was für eins weiß ich nicht, aber sein Gesicht ist vielversprechend. Passen wir auf, was das für ein Samen ist.

»Puff!« rief Kobe und ließ sich wuchtig auf einen Stuhl sinken.

Nachdem er sich genügend verschnauft und nach allen Richtungen in der Stube umgesehen hatte, gab er einen derben Schlag auf das Knie von Jan Slim und sagte dann:

»Ratet mal ein bißchen, warum ich zu Euch gekommen bin.«

»He!« entgegnete der schlaue Bauer, »wenn Kobe Snipzel sich herausbemüht, bei diesem Wetter und bei solcher Kälte, dann ist das doch bloß, weil er auf ein gutes Geschäft rechnet …«

»Hm! das gute Geschäft ist sicher für den zu machen, der einen Schatz verloren hat und einen anderen dafür wiederfindet.«

»Einen Schatz?«

Boer Jan kam ein Beben an. Hat Snipzel eine Anspielung machen wollen auf das Geld, das er unter dem Apfelbaum versteckt gehalten hatte und das verschwunden ist?

»Ich sage,« ergriff der Pachter wieder das Wort, »daß das ein gutes Geschäft machen heißt, wenn man einen Napoleondor an der Stelle wiederfindet, wo man einen Kieselstein hingetan hat, Getreidehalme, wo man vergessen hat, Korn zu säen, oder zehn Kücken hinter seiner Hecke, wenn einem die Nachbarsglucke die Eier gelegt hat.«

Alle Teufel der Habsucht bekamen über Boer Jan Gewalt. Sicher weiß der Pachter, an welchem Ort sich sein Geld befindet, und er ruft: »Freund! um Gottes willen, sagt mir doch, wo diese Höllenhexe mein Geld hingesteckt hat!«

Kobe zieht die Augenbrauen hoch und bleibt einen Augenblick, ohne zu antworten.

Er fühlt, daß dabei Gefahr ist, zu viel aufs Spiel zu setzen, und doch will er sich die Verwirrung zunutze machen, die seine Worte in die Unterredung hineingebracht haben. Er hat im übrigen auch nicht die Geschichte vergessen, die Lamm ihm erzählt hat.

»Päh!« sagt er. »Ein verlorener Schatz findet sich selten wieder. Wenn er erst einmal aus dem Haus raus ist, da könnt Ihr erst lange hinterdrein rennen, Jan Slim. Aber die Herzensfreude, die ist auch ein Schatz, der seinen Wert hat.«

»Wie könnte ich wohl noch Freude empfinden, wenn das, was ich verloren habe, für immer verloren ist.«

»Da gibt es eine Geschichte, die uns der Schulmeister einmal erzählt hat. Es handelte sich um einen Geizhals, der in seinem Stall ein Stück Gold vergraben hat so groß wie zwei Fäuste. Eines Tages verschwindet das Stück: da hat er sich über seinen Geiz zu schämen angefangen und hat sich gebessert. Gott belohnte ihn auch noch dafür, und wißt Ihr wie, Freund Slim? Indem er ihm an Stelle des einen verschwundenen Goldklumpens ein ganzes Eßgeschirr aus schönem getriebenen Gold hinlegte.«

»Das stimmt nicht auf mich,« sagte Boer Jan mit kläglicher Stimme. »Ich hatte nur ein wenig Geld, Pachter, und kein Gold. Ist das aber geizig sein, wenn man sein Geld auf Vorrat legt, um nicht in Versuchung zu kommen, es zum Fenster hinauszuschmeißen? Wenn ich es nur wieder hätte, Ihr würdet dann sehen, in welcher guten Münze ich Euch meine Rückstände bezahlen würde.«

»Es handelt sich weder um Gold noch um Geld, sondern um Eure Tochter Roose.«

Der alte Fuchs fühlte sich wie geschlagen. Er biß sich auf die Lippen und blieb einen Augenblick, ohne zu antworten. Sein Gesicht war fahl, seine Hände zitterten.

Doch plötzlich gewann er wieder sein kaltes Blut.

»Ich höre es,« sagte er, »daß es sich um Roose handelt, um meinen einzigen Schatz.«

Der Pachter überlegte einen Augenblick und sagte dann:

»Ihr schuldet mir Geld, Slim, und Ihr habt mir mehr als einen Streich gespielt, trotzdem sind wir Freunde, alte Freunde, Slim, und um nichts in der Welt wollte ich, daß unsere Freundschaft zu leiden hätte, durch die wohl etwas lebhaften Worte, die wir gewechselt haben, als Ihr das letzte Mal auf dem Pachterhof wart. Meine Heirat mit Eurer Tochter war eine abgemachte Sache, Ihr haltet das Recht, sie für vollzogen zu halten. Wenn man gute Grundmauern hat, ist auch das Dach bald gesetzt. Aber ich hab' Euch Euer Wort zurückgegeben; das war schlecht gehandelt von meiner Seite, sehr schlecht, ich weiß es, denn ich zerstörte damit Eure Hoffnungen und zu gleicher Zeit die Grundmauern des Hauses. Ich hatte aber meine Gründe, Jan, gute Gründe, und was das anbelangt, hab' ich in dem Augenblick nicht an das Unrecht gedacht, das ich Euch antat. Manch ein Tag ist seitdem vorübergegangen, und ich habe mir die Sache reiflich überlegt. Slim ist ein rechtschaffener Mann, habe ich mir gesagt, und es ist nicht recht, daß nicht eine seiner Hoffnungen, die er auf meine Person gesetzt hat, sich erfüllen soll. Welche Vorteile, fragte ich mich, könnte ich ihm da bieten, um ihn für diejenigen zu entschädigen, die er durch die Lösung dieser Verlobung verloren hat? Seht mal her, Freund Slim, das habe ich mich gefragt, aber zuerst habe ich nichts finden können! Vergeblich habe ich mir darüber den Kopf zerbrochen, nach allen Seiten herumgesucht; an dieses und an jenes hab' ich gedacht, aber immer war es, als wollte ich den Mond in einen Sack stecken. Und doch, Ihr werdet es sehen. Slim, daß man nie verzweifeln soll, einen guten Gedanken zu finden, wenn man mit ganzem Herzen und Verstand bei der Sache ist. Warum sollten wir nicht Lamm und Roose verheiraten, habe ich mir eines Morgens gesagt?«

Nachdem er diese Frage ausgeworfen hatte, wie ein Fischer seine Netze, sah Kobe seinen schlauen Gevatter an; dieser aber zuckte nicht mit einer Wimper.

»Ja, warum denn auch nicht?« begann Kobe wieder. »Sie sind beide jung, in guter Gesundheit, gleicher Art und passen eins zum andern. Lamm wird von mir was erben, und Ihr werdet nicht mehr den Druck auf Euch fühlen, eine große Tochter zu haben, die ihr früher oder später aussteuern müßt. Das wird eine gute Heirat ausmachen, die Lamm eine schöne Frau und Roose einen netten Mann, ein gesichertes Leben und einen schönen Besitz einbringen würde und obendrein noch die Genugtuung, ihren Eltern helfen zu können, wenn sie einmal in Not sein sollten, was wohl nicht vorkommen wird. Was denkt Ihr darüber, Freund Slim?«

»Ich denke mir, man soll den Wagen nicht vor die Ochsen spannen, Pachter. Wißt Ihr, ob Lamm zustimmen wird, Roose zur Frau zu nehmen?«

»Wer würde da nicht zustimmen? Lamm hat Augen zu sehen, und er wird schon ein gesundes, hübsches, gutgewachsenes Mädchen von einer Bucklichten oder Hinkenden zu unterscheiden wissen. Und weiterhin ist Lamm auch nicht umsonst mein Neffe. Ich werde ihm sagen: ›Lamm, ich habe für dich eine Frau gefunden. Ich werde euch verheiraten. Das ist mein Wille!‹ Und Lamm wird mir im Grunde seines Herzens recht geben.«

Boer Jan schüttelte den Kopf und sagte:

»Es genügt nicht, Freund Snipzel, daß Lamm Eurem Willen nachkommt. Es gehört noch dazu, daß dieses auch sein Wille ist. Die guten Ehen sind nicht diejenigen, die die Eltern zustandegebracht haben.«

»Na, schön,« besann sich Kobe, »wenn es nötig ist, daß ich Euch alles sage: es ist Lamm selber, der mich zu Euch geschickt hat.«

Kaum hatte er diese Worte gesagt, als er sah, wie unvorsichtig sie gewesen waren und welche Vorrechte Jan Slim daraus für sich in Anspruch nehmen würde. Eine sehr sichtbare Genugtuung malte sich auf dem Gesicht des letzteren. Und hatte er nicht Grund dazu? Was er zu guter Letzt doch immer gefürchtet hatte, war nichts anderes, als eine eingebildete Sorge gewesen. Lamm, den er anderwärtig verliebt gedacht hatte. Lamm, den er für den Stein des Anstoßes in bezug auf seine Pläne gehalten hatte. Lamm suchte um seine Tochter nach! Das war gut so.

»Mein Bester,« sagte er, »Lamm sagt ja, aber Roose hat nicht ja und nicht nein gesagt.«

»Halt!« entgegnete Snipzel mit triumphierendem Gesicht. »Die hat ja gesagt, und davon weiß ich was zu erzählen, weil sie es selber gesagt hat bei Katharina Wild abends, am Tag der drei Könige.«

Jetzt war die Reihe an Boer Jan, seine Unvorsichtigkeit zu erkennen: er hatte sich in seine eigenen Netze verfangen.

»Wenn es sich so verhält,« sagte er, »haben wir nichts mehr zu tun, als uns über den Vertrag einig zu werden.«

Und innerlich dachte er sich:

»Das war also bei Katharina Wild, daß die Roose, das heimtück'sche Ding, ihren Abend gestern verbracht hat, nachdem sie mir weißgemacht hat, daß sie zum Koekebakken beim Vetter Matthias eingeladen war.«

»Die Abmachung wird leicht sein zwischen ehrlichen Leuten wie wir. Ich gebe ihnen und ihren Kindern Essen und Trinken, die Unterkunft und die Nutznießung an allem, was mir gehört, solange ich am Leben sein werde, und nach mir bekommen sie den Pachterhof ›Zu den fünf Eichen‹ und was zum Pachterhof gehört. Was ich gesagt habe, ist gesagt. Sprecht Ihr jetzt, Jan Slim.«

»Ich brauch' nichts mehr zu sagen,« meinte dieser.

»Das wird dann also an mir sein, an Eurer Stelle zu reden, Schlaukopf von Jan! Ihr gebt Roose Eure Wiese und zwölf Paar Bettücher aus Leinen für ihr Bett.«

Aber Jan Slim sagte:

»Wo steht es in den Kirchenvorschriften geschrieben, daß die Eltern sich für die Kinder die Haut abziehen lassen sollen?«

»Nirgends. Ist es aber vielleicht den Vätern vorgeschrieben, daß sie ihre Kinder der Armut anverloben sollen?«

»Seht her, Pachter, das ist mein letztes Wort: sechs Paar Bettücher werde ich der Roose geben.«

»Zehn Paar.«

»Ich habe sechs gesagt.«

»Und ich sage zehn, oder nichts ist gesagt.«

Boer Jan stieß einen Seufzer aus.

»Was wird aus mir werden, wenn ich krank werde? Und wovon soll ich den Sarg für Ursula bezahlen, wenn sie zu sterben kommt?«

»Zehn Paar Bettücher und die Wiese.«

»Ich will die zehn Bettücher geben, und ich behalte die Wiese.«

»Du schlechter Mensch!« schrie Kobe, »steinernes Herz! Nimmermehr heiratet mir Lamm in deine Sippe!«

Er griff nach seinen beiden Stöcken und bewegte sich auf die Tür zu.

Jan Slim begriff, daß, wenn Kobe einmal fort wäre, alle seine Hoffnungen auf Wohlstand mit ihm geflohen wären.

»Ha,« sagte er, »warum haben wir Kinder? Ich leg' die Wiese zu!«

Da begann Kobe Snipzel gegen die Fensterscheibe zu klopfen und Lamm entstieg dem Wagen, wo er sich versteckt gehalten hatte.

»Lamm,« sagte Kobe, als dieser ins Zimmer getreten war, »dieser Mann hier gibt dir seine Tochter mit der Wiese und den Bettüchern.«

Und er fügte hinzu:

»Jetzt ist es wohl Zeit Roose zu rufen, denk' ich.«

»Roose!«

Sie antwortet nicht, aber sie ist nicht weit: Lamm weiß es sicher. Während er sich unter dem Verdeck des Wagens versteckt hielt, hatte er sie rot und erregt über den Besuch Onkel Kobes in der Richtung des Schuppens davonlaufen sehen. Er fing deswegen an, sich zu räuspern, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie hatte den Kopf nach seiner Seite gedreht, und beide hatten sie darauf Zeichen miteinander ausgetauscht, die nur Verliebten allein verständlich sind.

Er geht nun, Roose bei der Hand hereinzuholen, und sagt zu ihr mit einem ausgelassenen Blitzen in den Augen:

»Meine geliebte Roose, unsere Eltern sind einverstanden.«

»Ach, Lamm …«

Sie wollte sprechen, blieb aber stumm und wie zusammenschauernd stehen. In ihrem Halse klopfte etwas wie in der Brust eines kleinen Vogels.

Boer Jan begann weinerlich im Fistelton zu klagen:

»Oh! Wir werden nun doch allein bleiben, die Mutter und ich!«


 << zurück weiter >>