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Einundzwanzigstes Kapitel

. Am Weihnachtsabend hielt ein Pferd vor dem Haus von Katharina Wild, und man hörte jemanden gegen die Tür klopfen; gleichzeitig ließ sich auch aus dem Inneren eine Stimme vernehmen:

»Das ist Kobe Snipzel!«

Die Tür wurde aufgerissen, und Kobe sah vor sich die atemlose Katharina stehen, die ihm mit ihrer Lampe leuchtete.

»Kobe,« sagte sie, und ihre Stimme war ganz voll Angst, »ist ein Unglück geschehen, daß Ihr zu mir kommt, nachdem ich Euch das angetan habe?«

»Nein,« antwortete der Pachter, »aber mein Pferd braucht Ruhe, es ist weit gelaufen und ich hab' mir gesagt: die Juffrouw wird es wohl an ihrer Tür sich etwas verschnaufen lassen.«

Eine lebhafte Erregung hatte sich Katharinas bemächtigt, ihr Hals war wie zugeschnürt, sie konnte kaum reden, und die Tränen waren nahe daran hervorzubrechen.

Sie nahm das Pferd am Zügel und sagte zum Pachter:

»Es wird sich besser vor einem Strohbündel im Stall verschnaufen. Tretet ein: der Herd ist für jedermann frei zu Weihnachten.«

Als er die Tür zur Küche aufstieß, schlug ihm aus dem Raum ein dichter Qualm entgegen, und dieser Qualm duftete nach einer Pfeife und nach gerösteter Wurst.

»Weihnachtswurst, oho!« rief er beim Eintritt.

Ein paar Stimmen antworteten ihm:

»Ein Hoch für Pachter Snipzel!«

Da erst sah er am Tisch drei alte schmächtige Männer hocken, die beim Rauchen ihrer Pfeifen waren, so daß man sie kaum im Qualm, der sie umgab, unterscheiden konnte. Irgend etwas blitzte immerwährend aus diesem Rauch auf, mal war es ein Pfeifenkopf, oder es war der schwälende Tabak, der aussah wie Kohlenglut, dazwischen wieder einmal ihre hungrig leuchtenden Augen, die zusahen, wie die Würste sich in der heißen Butter krümmten. Sie hielten ihre Knüttelstöcke zwischen den Beinen, und auf dem Boden daneben lagen ihre Bettelsäcke und ihre Hüte.

Kobe zog die Geldbörse und gab einem jeden zwei Sou, denn es waren Bettler. Sie bekamen zu Ehren des Weihnachtsfestes Bier, Tabak und Wurst in den Häusern. Alle drei ließen es sich frohen Herzens schmecken, und während sie eine Wurst verspeisten, sahen sie zu wie die andere briet, die sie darauf verspeisen sollten.

»Pachter,« sagte die Magd, »Euer Platz ist nicht hier bei diesen alten Landstreichern. Geht in das Nebenzimmer hinein.«

Und die kleinen Alten lachten dazu, indem sie mit den Köpfen wackelten, glücklich darüber, daß dieser starke Esser nicht mit an ihren Tisch gesetzt wurde.

Als Kobe im Begriff war, die Türe zur benachbarten Stube zu öffnen, kam plötzlich Katharina auf ihn zu und schob ihn an den Schultern hinein. Es war ein mächtiges Feuer auf dem Kamin angemacht, das die Stube schön hell erleuchtete. Auf dem Tisch standen verschiedene Kuchen und Kaffee.

Kobe sah das auf den ersten Blick, und er sah auch, daß die Juffrouw nicht alleine war. Jemand saß vor dem Kamin und drehte ihm den Rücken zu. Es war ein ziemlich großer Mann, blond, mit einem sehr weißen Nacken, und die Spitzen eines schönen krausen, blonden Backenbarts standen ihm an beiden Seiten vom Kopf ab.

»Tist,« sagte Katharina zu ihm, »macht unserm Freund hier ein wenig Platz.«

Und als der Mann den Kopf halb zur Seite gewandt hatte, erkannte der Bauer einen Maurer, der nicht weit ab von der Juffrouw wohnte und als der schönste Mann im Dorf galt.

»Na, Mauermann,« redete er ihn an, »ist er so reich geworden, daß er die Leute nicht mehr kennt, die ihm sein Brot geben?«

Der Maurer schien sehr verstimmt durch die Ankunft des Pachters, und er antwortete in einem Ton von schlechter Laune:

»Nein, das ist es wohl nicht, aber Ihr habt mir ja auch nicht Zeit gelassen, Euch guten Tag zu sagen.«

»Oho!« gab Kobe lachend zur Antwort, »Ihr braucht mehr Zeit, um den Mund aufzusperren, als ich brauchen würde ihn Euch zu schließen.«

Katharina hatte eine dritte Tasse auf den Tisch gesetzt und schenkte Kaffee ein.

Sie hörte plötzlich in ihrer Beschäftigung auf und sagte zum Pachter:

»Ich mag das nicht haben, daß Ihr so spitzig zu meinem Liebsten redet.«

Er sah sie an, konnte aber nicht erkennen, ob sie sich lustig machte oder es ernst meinte.

»Tist weiß gut zu sagen, was er auf dem Herzen hat; er ist ein hübscher Mann, und er redet gut.«

Der Maurer sah sie jetzt von sich aus an, aber nur aus einem Augenwinkel, ohne den Kopf dabei zu erheben, und zu gleicher Zeit stocherte er mit seinen großen Händen, die weiß wie Gips waren, im Feuer herum.

Da kam Kobe etwas von einem Gerede in Erinnerung, das man ihm zugetragen hatte. Man hatte behauptet, daß der Maurermeister um Katharina Wild herum sei, und daß sie den hübschen Mann, der eine Haut hatte wie eine Frau, der immer so schön gekämmt und fein aufgemacht war, nicht über die Achseln ansehe. Der Maurer selbst hatte dieses Gerede eines Tages bestätigt, als man ihn einmal im Wirtshaus damit geneckt hatte. Einem, der ihn danach gefragt hatte, ob er bald Hochzeit feiern wollte, hatte er mit vielsagendem Augenzwinkern geantwortet und es mit seiner gewohnten Eitelkeit zugegeben, daß er nicht derjenige sei, der es eilig hätte. Man kannte ihn als einen Weichling, der stark von sich eingenommen war und sein Leben damit verbrachte, von einer Kirmes zur anderen zu laufen, anstatt zu arbeiten. Er hatte zwei Kinder von zwei verschiedenen Frauen.

»Ein feiner Hahn,« warf Kobe mit schneidender Stimme hin und reckte sich höher.

Und um sich zu beruhigen, trank er in einem Zug seine Tasse Kaffee aus.

Der Mauermann ließ sich auf diese Anspielung nicht ein, er begnügte sich nur damit die Schultern zu zucken, zum Zeichen seiner Geringschätzung.

Katharina Wild setzte sich zwischen die beiden Männer, ihren Körper halb dem Maurer zugewandt, und tat, als ob sie Freude daran hatte, ihn anzusehen. Sie schob ihm die Tasse zu, nötigte ihn zwei Kuchen zu nehmen, erkundigte sich, ob er warm genug hätte und ob ihm nichts fehlte, während sie anscheinend vergaß, sich um Kobe Snipzel zu kümmern. Diesem war ganz unbehaglich zumute geworden; er runzelte die Stirn, aber er war mehr betrübt als ärgerlich.

Er sagte sich innerlich:

»Mein Herz ist zu schnell gelaufen, es ist doch wohl nicht wahr, daß diese Frau mich haben möchte.«

Sie drehte sich gerade um, um ein Stück Kuchen zu nehmen und ließ plötzlich ihre durchbohrenden Augen bis auf den Grund seiner Seele tauchen. Ihr ganzer Gesichtsausdruck schien sich auf einmal zu entspannen, sie wurde sehr lustig.

»Tist will mich gern zur Frau, obgleich ich älter bin, als er,« sagte sie. »In Wirklichkeit bin ich nicht mehr in der ersten Jugend, ebenso wie Ihr, Kobe, und doch haben wir alle beide etwas für uns gefunden: Ihr ein schönes Mädchen und ich einen hübschen Mann.«

Der Maurer hob verwundert über diese Rede den Kopf. So hatte sie mit ihm vor Snipzels Eintritt nicht gesprochen. Er hatte sich vergeblich bemüht auf sie einzureden, ihr erzählt, daß er sie liebe, und ihr seine Liebschaften zum besten gegeben, um sie zu verblüffen. Sie hatte sich erbarmungslos über ihn lustig gemacht. Und jetzt hatte es den Anschein, als käme sie von selbst seinen Wünschen entgegen. Drehte sich da etwa der Wind?

In diesem Augenblick ließ sich ganz grob die Stimme des Bauern vernehmen:

»Das heißt wohl lieber, daß wir beide die großen Batzen haben,« sagte er, indem er mit den Händen auf die Taschen klopfte.

»Tist gilt da nicht mit,« gab ihm Katharina in einem spöttischen Ton zurück. »Um das Geld kümmert er sich nicht. Ist das nicht recht, Tist?«

Der Maurer fuhr sich mit der Hand durch den Bart und begann mit dem Kopf zu schütteln. Er brummte etwas, wie: He! Hö! vor sich hin, wie einer, der nicht weiß, was er sagen soll.

»Ihr habt es mir doch gesagt,« fing sie wieder an. »Wenn Ihr das nicht zugestehen wollt, ist es am Ende darum, weil Ihr keine so schöne Frau bekommt, wie die, die unser Nachbar Snipzel heiraten wird.«

Er verneinte das durch Kopfschütteln und machte gewaltige Umstände dabei.

Sie sah ihn darauf ganz zärtlich an und sagte:

»Ach, Tist, was habt Ihr für einen schönen Bart. Einen weicheren, krauseren, seidigeren gibt es sicher in der Welt nicht wieder.«

Und sie versenkte ihre Hand in seine blonden Büschel unter dem Kinn.

»Das hat man mir schon häufiger gesagt,« sagte der Maurer stolz.

»Und so schöne, feine, weiße Haut, wie Ihr sie an Euren Backen habt, Tist! …«

Sie streichelte ihn mit den Fingerspitzen.

»Und die schönen Hände, Tist! Man könnte sagen, einer aus der Stadt.«

Sie nahm sie ihn die ihren.

»Ach, welche Frau würde Euch nicht lieben?«

Der Maurer warf einen Blick zu Snipzel hinüber; dieser saß mit zusammengekniffenen Lippen und trommelte vor Wut auf den Tisch.

Ein Schmunzeln ging über die bleichen Lippen des schönen Mannes. Er lehnte sich im Stuhl zurück, und sich zu seiner Nachbarin hinbeugend wollte er sie umschlingen.

»Schön,« sagte sie, »aber eine Bedingung ist dabei.«

Er legte seine Hand galant auf sein Herz.

»Welche denn?«

»Ach, Tist! Ich könnte unmöglich immer mit einem so schönen Mann leben, wie Ihr einer seid, ohne immerzu fürchten zu müssen, daß eine andere Frau nicht in Eure Schönheit verliebt sei. Tist, schneidet Euren Bart ab, wenn Ihr nicht wollt, daß ich eifersüchtig sein soll auf alle Frauen, die Euch ansehen werden.«

»Das, nein!« sagte der Maurer ganz entschieden.

Und er griff mit der Hand nach seinem Bart, wie um ihn zu schützen.

Katharina heuchelte eine plötzliche Traurigkeit, und sich dem Pachter zukehrend, sagte sie wehleidig:

»Da seht Ihr mal, so sind die jungen Männer. Sie sind stolz auf ihre Schönheit und wollen rein nichts tun, was sie beeinträchtigen könnte. Während das in Eurem Alter so ist, Pachter, daß man schon von selbst den Wünschen einer Frau entgegenkommt.«

Und sie fügte mit schneidender Stimme hinzu:

»Die Tochter von Slim ist glücklich dran. Sie wird aus Euch das machen, was sie will, und Euch an der Nase herumführen.«

Der Pachter unterbrach sie:

»Ihr braucht mir nichts über Roose zu reden, der Fisch hat sein Netz zerrissen. Es ist alles zwischen uns aus.«

»Aus?«

Katharina war aufgesprungen und stand nun vor ihm; das Herz klopfte ihr bis in den Hals, und sie sah ihn ängstlich an.

Was ist aus? Sie haßte diese Roose, und der Haß machte ihre Augen funkeln.

Kobe zeigte mit den Augen in der Richtung des Maurers, daß er in dessen Anwesenheit nichts sagen wollte.

»Geh hinaus, Tist!«

Sie war nahe daran, es ihm wirklich zuzuschreien, um schneller den Grund von diesem Bruch zu wissen, der Kobe wieder frei machte, aber schon im Begriff weich zu werden, richtete sich ihr rauhes Herz wieder auf, und hart, roh und hochmütig, mit mißtrauischen Augen und einem Lächeln, das ihre Zähne sehen ließ, gratulierte sie dem Bauer in spöttischen Worten zu dem Ausgang seiner Pläne.

Man hatte ihn da betrogen: diese Leute verstanden sich untereinander wie das Diebsgesindel auf den Märkten; er hatte nur nichts davon gemerkt, hatte davon nichts gewußt und erraten. Sie bedauerte ihn, tröstete ihn, fragte an, ob sein Herz wieder in Ordnung wäre, sie sprach ihm von Gegenmitteln, hastig und mit einer ungewöhnlichen Ausführlichkeit, ohne dabei doch aufzuhören, sich über ihn lustig zu machen.

Darauf drehte sie sich wieder nach Tist um und sagte:

»So wird das mit uns nicht kommen, was Tist?«

Weil sie ganz in seine Nähe gekommen war, schlang er den Arm um ihre Taille; sie entzog sich ihm nicht. Da wurde er dreister und wollte sie auf den Nacken küssen, doch Kobe sprang auf und schrie ihn an:

»Mauermann, wenn Ihr statt Gips Blut in Euren Adern habt, werdet Ihr jetzt mit mir herauskommen. Wir können sehen, ob es ebenso leicht ist einen Mann zu schmeißen, wie eine Frau zu küssen.«

»Kobe!« rief Katharina in unbändiger Freude aus.

Aber schon war er an der Türschwelle und wartete dort auf den Maurer, der auf seinem Platz sitzengeblieben war, fahl, die Lippen zusammengepreßt, und von Zeit zu Zeit ging ein Zucken durch seine Schultern.

Katharina warf ihm einen verächtlichen Blick zu und sagte:

»Tist, wir haben jetzt genug Possen getrieben. Katharina Wild kann nur einen rechten Mann lieben, und Ihr seid ein Weibsbild im Gesicht und im Herzen. Macht, daß Ihr herauskommt, Tist, aber so, daß Ihr hier nicht wieder reinkommt! Aber das will ich nicht, daß Euch um meinetwillen irgend etwas Schlechtes zustößt. Ihr werdet jetzt zuerst fortgehen, Kobe Snipzel geht nach Euch.«

Der Pachter lachte los und ließ sodann unter Schimpfworten seine Faust dreimal auf die Tür einsausen.

Als Tist fortgegangen war, rannte er nach dem Stall.

In einem Nu war das Pferd draußen und er auf dem Pferd.

»Hüh!«

Und mit einem wütigen Hackenstoß gab er dem Pferd die Richtung.

Aber als er die Biegung nehmen wollte, glitt das Pferd auf dem verhärteten Schnee mit allen vier Beinen aus und warf den Pachter ab, der seiner ganzen Länge nach auf die Seite zu liegen kam, während sich sein Bein ins Sattelzeug verwickelt hatte.

Das Tier begann sogleich mit den Hufen in die Luft zu schlagen, um sich wieder aufzurichten und es hatte sich schon halb aufgerichtet, als es plötzlich abermals mit ganzer Wucht auf den Fuß des Bauern zurückfiel.

Kobe fühlte plötzlich einen heftigen Schmerz im Knöchel, aber er versuchte trotzdem sich aufzurichten. Sich auf seine Schenkel stützend, drückte er mit ganzer Kraft seine Hacke gegen den Rücken des Pferdes und brachte es so dazu, daß es von seinem eingezwängten Bein herabglitt.

Diese Bewegung gab ihm die Freiheit wieder, er nahm das Pferd am Kopf und brachte es nun seinerseits auf die Beine.

Als er nun so fluchend und verschiedene Hüh und Hopps aus voller Lunge rufend auf sein Pferd einschrie, hörte man ihn in Katharinas Haus, und eine Stimme rief aus dem Dunkeln:

»Was ist denn da los?«

Er antwortete erst nicht und versuchte sich in den Sattel zu heben, aber sein Fuß allein schien ihm schwerer, als sein ganzer Körper, und es wollte ihm nicht gelingen sich emporzuschwingen.

»Hierher! Helfen kommen!« schrie er jetzt.

Eine rasch sich nähernde Laterne tauchte am Ende des Gartens auf und kam rasch näher auf ihn zu.

»Wohin denn?« ließ sich eine Stimme vernehmen.

»Hier!« sagte Kobe.

Und er sah Katharina Wild auf sich zu rennen, so schnell sie nur konnte.

Er hatte sich gegen sein Pferd gelehnt und den Ellenbogen auf den Sattel gestützt, ohne zu wagen eine Bewegung zu machen, denn er litt furchtbar.

Kaum hatte ihn Katharina erblickt, umfing sie ihn auch schon mit ihren Armen, und ihm in die Augen sehend, begann sie zu jammern:

»Kobe, um Gottes willen! was ist mit Euch geschehen? Hat Euch einer angegriffen. Seid Ihr vom Pferd gestürzt? Ach, Gott, Kobe! redet doch!«

Sie war bleich vor Entsetzen geworden, und ihre Brust ging schwer.

Da es ihm Mühe machte sich aufrecht zu halten, umfing und stützte sie ihn mit einem Arm, und mit der einen freien Hand suchte sie an seiner Brust und seinen Schultern nach den Spuren einer Verletzung. Sie entdeckte gleich, daß Erde auf den Flanken des Pferdes und auf Kobes Kleidung war.

»Ihr seid vom Pferd gestürzt, Kobe, ich seh es gut. Hier, zu Hilfe! Er ist ja verwundet!«

»Schweigt doch still, Katharina,« sagte Snipzel zu ihr, indem er zu lachen versuchte. »Ein Tropfen Genever und Ihr seht mich wieder auf das Pferd steigen, ohne daß mir einer hilft.«

Er ging drei Schritte, seinen Schimmel hinter sich ziehend, aber plötzlich verzog sich sein Gesicht und er brach wie eine leblose Masse auf dem Weg zusammen.

»Ah, mein Kobe!« schrie Katharina auf.

Dann warf sie sich über ihn und küßte ihm die Augen und den Hals in einer wilden Leidenschaft, ihm allerhand zärtliche Namen zurufend.

Sie richtete sich sofort auf und begann stoßweise zu schreien:

»Zu Hilfe! … Hilfe! …«

Man kam aus allen benachbarten Häusern herbeigelaufen.

»Schnell, schnell, einen Wagen! Nein, eine Karre! Nein, auf den Armen tragen! Männer her!«

Ein jeder hatte was zu schreien.

»Was ist denn geschehen? Ist er denn verwundet?«

Und sie gab Antworten und ging zornig gegen die Leute an.

»Was? Ist denn kein einziger, rechter Mann da unter Euch, keiner, der sich traut, Kobe Snipzel in seinen Armen fortzutragen? Will man ihn denn auf dem Weg liegen lassen? Er ist verwundet, tot kann er sein. Ah! verdammtes Gezücht! Es wird wohl nötig sein, daß ich ihn ganz allein zu mir hinübertrage.«

Sie versuchte den Körper des Pachters in ihren Armen aufzurichten, aber infolge der Bewegung, die sie machte, stieß der Fuß schwer gegen den Boden an, und Kobe, der zur Besinnung gekommen war, ächzte auf vor Schmerzen.

»Nein, ich kann nicht,« sagte sie. »Männer her!«

Vier Bauern traten vor und trugen ihn, nachdem sie ihn am Kopf und an den Beinen gefaßt hatten, in der Richtung von Katharinas Haus davon. Sie folgte ihnen nach, ihre Bewegungen überwachend, und von Zeit zu Zeit mit einer einmal harten, dann wieder sanften Stimme redete sie ihnen zu:

»Vorsichtig! Ihr geht zu schnell! Rüttelt ihn doch nicht! Gebt acht, hier ist eine Wagenspur!«

Und als beim Tragen die Erschütterung seines Fußes ihm viel Schmerzen verursachte, hielt sie das Bein mit ihren Händen und stützte es ganz sacht, so lange sie ihn trugen.

Man legte ihn im Alkoven zu ebener Erde nieder, und Katharina ging daran, ihm seine Stiefel auszuziehen; aber der kranke Fuß war in der kurzen Zeit so angeschwollen, daß sie den Stiefel der Länge nach unter Zuhilfenahme eines scharfen Messers aufschneiden mußte.

»Trinken!« sagte Kobe.

Das war sein erstes Wort.

Man wollte ihm ein Glas Genever einschenken, aber er bemächtigte sich der Flasche und trank sie zur Hälfte in einem Zuge leer. Danach fühlte er die Kräfte zurückkommen.

Die Stube war voll Leute; es waren nicht nur die vier Bauern hereingekommen, die Kobe getragen hatten, sondern auch die Nachbarn hatten sich mit Frauen und Kindern eingefunden.

»Freunde,« wandte sich Katharina an die Anwesenden, »ich danke Euch allen! Und Ihr, Piet, Jet, Jan und Phlip, geht nach der Küche und schenkt Euch jeder ein Glas ein für die Mühe, die Ihr gehabt habt, ihn zu tragen.«

Die vier Bauern ließen sich nicht lange nötigen und fingen mit dem Abzug an, aber mehr Mühe hatte sie damit, die Frauen zur Tür hinauszudrängen; lange noch nachdem sie sich entschlossen hatten, ihren Platz aufzugeben, blieben sie hinter dem Fenster stehen, um zu sehen, was jetzt da drinnen vor sich ging.

Katharina nahm Leinen aus dem Schrank, tauchte es in Branntwein und legte es auf den Fuß von Kobe.

»Welches Unglück!« sagte sie zu ihm, »und doch, Kobe, es hätte noch etwas Schlimmeres daraus werden können. Und das wäre gewesen, wenn Ihr ans Sterben gekommen wäret mit dem Glauben, daß ich einen Zorn gegen Euch habe.«

Und er antwortete ihr:

»Ich fang' jetzt erst an, Euch zu kennen, Katharina!«

Sie verließ ihn auf einen Augenblick und schirrte selber ihr altes kleines Fuchspferd an, danach ließ sie die alte Magd das kleine Wägelchen besteigen und befahl ihr, den Arzt zu holen, der eine halbe Meile entfernt wohnte.

Die Magd kam im Laufe einer Dreiviertelstunde wieder, aber der Arzt war nicht mit ihr gekommen, er hatte gesagt, daß er zu müde sei und erst am nächsten Morgen kommen könnte.

»Begod!« fluchte Katharina auf, »das wollen wir sehen!«

Sie sprang auf den Wagen und fuhr jetzt im vollen Trab davon.

Auf der Chaussee begegnete ihr ein langer, schmaler Schatten, der mit großen Schritten vorübereilen wollte.

»Lamm!« schrie sie, »lauft in mein Haus. Es ist Eurem Onkel ein Unfall zugestoßen. Ich komm gleich mit dem Arzt zurück.«


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