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Siebzehntes Kapitel

. Lamm träumte in derselben Nacht, daß mitten im Garten von Jan Slim ein großer Apfelbaum stand, und daß unter diesem Apfelbaum ein Schatz verborgen wäre. Das ganze Haus lag im Schlaf. Kein Laut war auf der Straße zu hören.

Es hatte ihm geschienen, daß ein dunkler Schatten sich am Schauer entlang schob, unter dem die Ackergeräte und Wagen untergestellt waren, und dieser Schalten, der der Schatten eines Mannes war, schob sich ganz sacht vorwärts, wie in der Angst bemerkt zu werden. Lamm, der sich hinter die Hecke gelegt hatte, beobachtete durch die Löcher im Gestrüpp, was da vor sich gehen sollte; und der Mann war nach der Seite gegangen, wo der Apfelbaum stand. Wenn Lamm noch irgendwelche Zweifel hätte haben können in bezug auf die Person dieses nächtlichen Spaziergängers, so hätte ihn schon sein spitzes Frettchengesicht, sein gekrümmter Rücken, seine an den Knien eingebogenen Beine, die aussahen wie die eines alten Pferdes, dem man zu schwere Lasten zu tragen gegeben hatte, bald erkennen lassen, daß er der Vater seiner geliebten Roose war.

Alsogleich fing nun ein schönes Theater an. Nie hatte Lamm überhaupt Ähnliches gesehen, und doch erinnerte er sich gut der Schaustellung der Hanswürste auf den Brüsseler Kirmessen und den Märkten von Löwen. Sein Onkel selbst hatte ihn einmal an einem Markttag abends, das war schon lange her, in einen großen Saal, der mit Gold und Samt ausgeschlagen war, mitgenommen, wo Menschen mit gemalten Gesichtern und vermummt in buntfarbene Fetzen sich drei Stunden hindurch abgemüht hatten, die schrecklichsten Fratzen zu schneiden. Ja, Lamm hatte ganz eigentümliche Sachen gesehen, aber das Schaustück, das sich jetzt seinen Augen bot, übertraf an Komischem bei weitem alles, was er an ergötzlichen Lustspielen überhaupt erlebt zu haben sich entsann.

Boer Jan, der sich inzwischen einem großen, schwarzen Loch genähert hatte, das am Fuße des Apfelbaums zu sehen war und den Schnee durchschnitt wie eine frischgezogene tiefe Furche, hatte damit angefangen, sich auf der Erde zu wälzen unter ganz unsagbaren Verrenkungen, die weit eher an einen Affen als an einen Menschen denken ließen. Er war dann aufgesprungen und hatte begonnen in dem Loch herumzutanzen, indem er wütend gegen seinen Kopf und seine Brust schlug. Während er da tanzte, fing seine Nase an sich zu verlängern, nahm einen ganz unförmigen Umfang an, und schlang sich schließlich dreimal um den Apfelbaum. Danach machte Boer Jan unglaubliche Anstrengungen, um wieder vom Apfelbaum loszukommen; doch vergeblich sprang er hin und her: er mußte die drei Schlingen, die ihn an den Apfelbaum bannten, immer enger ziehen. Da stürzte sich ganz unerwartet eine große schwarze Sau, deren Augen Feuer sprühten, auf die Grube zu und verschlang auf einmal Jans Schatz, den er da versteckt gehalten hatte. Die Anstrengungen, die der Bauer da machte, um die Sau zu verjagen und besonders dazu noch diese Gebärden, diese Kopfsprünge, dieses Ausschlagen mit den Füßen, ganz wie ein Wolf es gemacht hätte, der im Falleisen sitzt und den bei jeder Bewegung die Zähne des Eisens um so enger umfassen, amüsierten Lamm dermaßen, daß er erwachte.

Und Lamm fand sich, als er die Augen öffnete, im Stall auf einem Haufen Strohgarben liegend. Die Morgendämmerung glitt durch die Dachfenster und ließ ihn im Schatten die Pferde sehen, die ihren Hafer knabberten.

»Hüh! Ho!« schrie der Hofknecht und schlug ihnen auf die Schenkel, damit sie wegtraten und er unter ihnen die Streu ausbreiten konnte.

»Schön!« sagte sich Lamm, »der Tag ist da. Onkel Snipzel wird nicht mit dem Aufwachen warten. Er wird mich rufen und fragen, warum ich noch so spät draußen gewesen bin.«

Er stand auf, entfernte von seiner Weste die Strohhalme, die sich im Stoff verfangen hatten, strich im Vorübergehen den Pferden über den Nacken und begab sich an die Pumpe, um sich zu waschen.

Der Morgen stand auf über den Feldern, die weiß von Schnee waren; der Himmel war klar und kühl und rosig an den Rändern.

Wie kam es wohl, daß der frühe Morgen Lamm nicht wie gewöhnlich in seinem Bett fand? Seine Augenlider waren dick vor Schlaftrunkenheit, und seine Backen aufgedunsen wie bei einem, der eine schlechte Nacht verbracht hat.

Mitternacht hatte es in den Häusern des Dorfes geschlagen, als er das Gittertor aufgeschoben hatte, das seines Onkels Gewese von der Landseite her abschloß. Die Lampe brannte nicht mehr hinter den Fensterscheiben der Küche: der Bauer, das Gesinde, alle waren schon schlafen gegangen. Er hatte leise auf die Hunde gepfiffen, um zu verhindern, daß sie bellten, und war in den Stall geschlüpft. Dann war der Schlaf gekommen und hatte seine müden Glieder auf das gute Lager aus Strohgarben hingestreckt, inmitten des lauen Brodems, der von den dunstenden Pferden kam.

Das erstemal war es nicht, daß Lamm im Pferdestall schlief, mehr wie eine Nacht hatte er, wenn er von den Kirmessen nach Hause kam und das Haus verschlossen gefunden hatte, sich aufs Stroh geworfen und mit klopfendem Herzen an all die schönen Mädchen gedacht, die er sich zum Tanz geholt hatte. Die Morgendämmerung, die durch das weitgeöffnete Fenster eindrang, hatte mit ihrer herben Frische den Wohlgeruch des Süßklees, der zu Haufen ringsum auf den Feldern trocknete, zu ihm hereingetragen. Aber die Kirmeszeit ist vorüber, und der Frost gibt dem Magen das starre, blauangelaufene Gesicht eines Ertrunkenen.

Während Lamm sich über Nacken und Arme das eisige Wasser der Pumpe laufen läßt, hört er im Hause die Stimme seines Onkels. Der Rauch steigt über dem Hausdach auf, vermischt mit einem Geruch von brennendem Holz, und die alte Liesbeth mahlt am Feuerherd in einer Kaffeemühle den Kaffee.

Das Pumpenwasser belebt den Kreislauf des Blutes in seinen Adern und weckt seinen noch schlafbefangenen Geist vollends auf. Er denkt an seinen Traum in der letzten Nacht und wundert sich über die Ähnlichkeit zwischen den wirklichen Begebenheiten und seinen Traumgesichten. Nur daß jene ein anderes Ende genommen haben.

Lamm erinnert sich deutlich der kleinsten Einzelheiten dieser sonderbaren Nacht. Immer noch scheint es ihm, daß er hinter der Hecke steht, mit seinem Spaten in der Hand und auf den günstigen Augenblick lauernd, um in den Garten eindringen zu können, und plötzlich ist Jan Slim aus dem Haus herausgekommen. Schade! Einen feinen Streich hatte Lamm im Sinn gehabt. Er hat den schlauen Fuchs in seiner eigenen Falle fangen wollen. Und Lamm lacht ein stummes Lachen, das seinen ganzen Bauch schüttelt, bei dem Gedanken, daß ihm da einer bei der Ausführung dieses Planes zuvorgekommen ist. Er sucht in seinen Gedanken, wer wohl der Täter bei diesem prächtigen Spaß sein könnte, findet aber keinen Grund zu einem bestimmten Verdacht. Einen Augenblick kommt ihm der Gedanke an einen Dieb, dieser Gedanke macht ihn nachdenklich, denn er hat Roose zu lieb, um ihrem Vater ein Unglück zu wünschen, das auch ihn, Lamm, im übrigen treffen würde, wenn er, wie er es hofft, sich eines Tages mit der schönen Tochter Slims verheiraten würde. Die drei Verschlingungen der Nase um den Apfelbaum und die schätzeverschlingende Sau hat ja sein Gehirn dazugetan, aber er hat deutlich gesehen, daß Boer Jan in der Erde herumgescharrt hat, mit dem Kopf gegen den Baum anrannte und seine Kleidung zerriß. Das hat ihn selbst in eine solche Heiterkeit versetzt, daß er bis hinter einen strohgedeckten Schober näher geschlichen ist und dort in ein jähes Lachen ausbrach. So kam es, daß Jan Slim eine wilde Jagd auf ihn über die Felder gemacht hatte.

»Holla! mein Junge!« schrie in diesem Augenblick Onkel Snipzel ihn an, »ist das denn jetzt die Zeit, wo nächtens die Katzen auf den Dächern laufen, anstatt in der Herdasche zu schlafen, wie Katzen aus einem ordentlichen Haus?«

»Das wär nichts Schlimmes dabei, Ohm Kobe,« entgegnete Lamm, »denn beim Nachtspaziergang auf den Dächern kann man durch die Dachfenster Dinge zu sehen bekommen, die man nicht so sicher bei Tag besehen kann.«

»Da sag' mir nur mal, du großer Duckmäuser, was du da gesehen hast.«

»Ich hab' gesehen, Onkel Kobe, daß sich die ältesten Fliegen ebensogut mit Honig fangen lassen, wie die ganz jungen.«

Bei diesen Worten gab Lamm ein so komisches Gebärdenspiel zum besten, daß man ihn nicht ansehen konnte, ohne selbst in Heiterkeit zu verfallen.

Der große Kobe tat, als hätte er nichts von der Anspielung gemerkt, und ging, die Achseln zuckend, davon.

»Gut, wir reden noch davon.«

»Ich rechne sicher darauf,« dachte Lamm. Und eine Zeit nach dem Mittagessen, als er damit beschäftigt war, einen Korb in der Küche zu flechten, hörte er die Stimme von Kobe Snipzel wieder. Er klopfte an der Tür seine Stiefel ab, die voll Schnee waren, und schnauzte dabei jemanden an, der auf dem Hof war.

Lamm begann alsogleich zu pfeifen und flocht mit großem Eifer seine Weidenruten ineinander.

Kobe kam in die Küche herein, machte da zwei- bis dreimal die Runde, stellte sich dann, die Hände auf dem Rücken, vor seinen Neffen auf und sagte:

»Sag einmal, Lamm, mein Junge, was steckt dir denn im Kopf? Du hast ja vergessen mir zu sagen, wie Ihr Euch geeinigt habt, du und der Kaufmann Jans.«

Lamm hörte auf zu pfeifen, nahm eine Weidenrute aus dem Kübel, und nachdem er sie noch angefeuchtet hatte, sagte er:

»Ich habe andere Dinge im Kopf gehabt, das ist schon wahr, Onkel Kobe. Jans hat den Hafer nach Wunsch gefunden, er wird zehn Sack nehmen und bar zahlen, aber zahlen will er nur acht Franken für den Sack.«

»Gut,« sagte Snipzel, »mach' selbst die Säcke fertig, Lamm, und tu den großen und den kleinen Hafer gleichmäßig hinein.«

Lamm zwinkerte pfiffig mit den Augen, um seinem Onkel zu zeigen, daß er ihn verstanden hatte, und flötete jetzt laut drauflos.

»Wo sind die Amseln, Lamm, die du mit einem solchen Lärm zahm machen willst?« fragte Kobe plötzlich beunruhigt und spitzte die Ohren.

»Unter der Mütze,« sagte Lamm.

»Hat sich was! Wie sollen Euch unter der Mütze Amseln sitzen, dummes Gerede!«

»Ich hab' ein ganzes Nest davon im Kopf, Amüsieramseln und auch welche für die gute Laune.«

»Und was ist das für ein Wind, der dazu hilft, daß sie flöten?«

»Das ist, weil es hier ums Haus herum nach Hochzeit riecht, Onkel. Geruch von Hochzeit und Wurstgeruch machen zusammen eine Kirmes, und das Herz tanzt einem, wenn der Bauch die Fiedel führt.«

»Eure Amseln flöten falsch, Lamm, denn denken tut Ihr nicht so.«

»Dann ist es wohl so, daß ich an anderes denke, Ohm Kobe. Ich denke auch wirklich, wenn Euch einer sagen würde, daß er den Mond am vollen Mittag gesehen hätte, würdet Ihr ihm sicher den Rücken drehen und lachen. Ist das nicht so?«

»Ganz sicher.«

»Na also, reden gehört zu haben, daß Katharina Wild ganz närrisch auf Euch ist, hat mich so lustig gemacht.«

»Wer hat das gesagt?«

»Alle sagen es; darüber sind sie sich alle einig. Aber ich weiß ja, daß es nicht in Wahrheit so ist.«

»Und wie sollt Ihr das denn wissen?«

»Wenn doch Katharina Wild in Euch verliebt gewesen wäre, Onkel Kobe, wie man das so sagt, dann hätte mein Ohm das doch zuerst selber merken müssen. Und sicherlich hätte er doch dann nicht einer Jungen die Ehe angeboten, die ihn nicht liebt, sondern hätte sich die Frau in sein Haus geführt, die um ihn etwas ausgestanden hat und die geweint hat aus Liebe zu ihm.«

»Sie hat mich fortgejagt! Sie haßt mich,« rief der Pachter lebhaft aus. »Das ist ein tolles Weib.«

»Ja, ein tolles Weib. Das hab' ich alles den Leuten im Dorf gesagt, darauf haben sie mir erwidert, daß sie offenherzig, gütig und aufopferungswillig wäre und auch von ernstem Gemüt sei, und nicht vergnügungssüchtig, wie es die jungen Mädchen so sind, die die Kirmessen dem Haushalt vorziehen. Jeder hat ja seine Gedanken für sich.«

»Was für ein Unglück, mein Junge, daß es keine Möglichkeit gibt, ohne daß man dabei aussieht, wie ein Gaul, der auf der Straße gestürzt ist, gleich fallen die Fliegen wie ein Hagelwetter über ihn her. Gerade so machen es die bösen Zungen der schlechten Leute!«

»Gut gesagt, Onkel, aber weil sie das Tier stechen, zwingen sie es doch auch, sich wieder aufzurichten und auf den eigenen vier Beinen seinen Stall wieder zu erreichen, anstatt sich von den Wagenrädern totquetschen zu lassen.«

Während der dicke Kobe sich den Arm kratzte, etwas verlegen geworden durch den Widerspruch, und nach einer Antwort suchte, vollführte Lamm einen großen Lärm, indem er mit kurzen Hammerschlägen das Weidengeflecht des Korbes beklopfte, um es etwas zu glätten.

»Das Gerede im Ort sagt, daß Roose einen Schatz hat,« sagte er plötzlich, indem er seinen Onkel von der Seite ansah.

Snipzel zuckte die Achseln.

»Man sagt auch,« fuhr Lamm fort, »daß Jan Slim bankrott ist und daß er darum Roose gezwungen hat, Euch zum Mann zu nehmen.«

Ein Stier, der die Zähne eines Hundes in seinem Fleisch fühlt und sich plötzlich umdreht mit gesenktem Kopf und bereit ist, seine Hörner zu gebrauchen, so stand plötzlich Kobe vor seinem Neffen und maß ihn mit drohendem Blick. Er läßt die Faust auf den Tisch niedersausen und schreit:

»Jan ruiniert, das ist schlecht gespielt, mein Junge. Das ist ein Schurkenstreich! Das soll sein Unglück sein! Mag er sie behalten, seine Roose. Ich werd' ihm nicht sein Gimpel sein!«

»Vielleicht, daß man ihm morgen schon sein Mobiliar, sein Korn und seine ganze Habe verkauft, wenn Ihr ihm nicht zu Hilfe kommt und seine Tochter heiratet.«

»Nichts werd' ich tun! Laß ihn betteln gehen.«

»Ohm, da habt Ihr ein Wort gesagt!« rief Lamm in seiner Freude, und er richtete sich auf, als wollte er ihm um den Hals fallen.

Aber Kobe Snipzel sagte nur:

»Ich will von Euch keinen Rat und keine Belehrungen, ich werde nach meinem Kopf handeln.«

Und er warf die Tür laut hinter sich ins Schloß.


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