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Sechzehntes Kapitel.

. In dieser Nacht, als alles im Hause schlief, schlüpfte Jan Slim ganz sacht aus seinem Bett und begab sich in seinen Garten.

Sein Herz klopfte bis an die Gurgel, er machte übermenschliche Anstrengungen, seinen Husten zu unterdrücken, der tiefinnen in seiner Lunge röchelte. Er sah sich lange nach allen Seiten um, aus Angst überrascht zu werden, bückte sich endlich und machte sich daran, den Boden am Fuß des Apfelbaums zu untersuchen.

Eine dichte Lage Schnee bedeckte überall den Boden, man konnte nicht eine einzige Fußspur darauf entdecken.

Niemand war in den Garten hineingekommen, darüber war er sicher; er atmete auf, zwei Nächte nacheinander hatte er sich wie ein Wolf aus dem Hause gestohlen und hatte mit den Händen und mit einer Schaufel die Erde fortgehoben, die seinen Schatz bedeckte, denn er hatte Angst, daß man ihn bestohlen hätte; er fand ihn an derselben Stelle, wo er ihn gelassen hatte.

Darauf hatte er die Öffnung wieder zuschütten und den Boden mit den Füßen feststampfen und mit Zweigen und Grassoden bedecken müssen, damit man seine Nachforschungen, die er an diesem Ort gemacht hatte, nicht merken sollte.

Er schlief nicht mehr, oft stand er auf, weil er den Schlaf nicht finden konnte, stellte sich stundenlang am Fenster der Backstube auf die Lauer, um nachzusehen, ob nicht einer in seinen Garten eingedrungen wäre. Ein anderes Mal sprang er mitten aus dem Schlaf auf, da er glaubte, irgendeinen Lärm im Hause gehört zu haben, und lief dann zur Tür, ganz in Angstschweiß gebadet.

Der geizige Slim ging um seinen Apfelbaum herum. Er betrachtete ihn mit Zärtlichkeit, sein häßliches Maul nahm einen verklärten Ausdruck an, während seine Blicke den starken Baumwurzeln nachgingen, die sich tief in die Erde gruben. Häh! dieser Baum … hatte er ihn nicht auch in sich selber drin? Tief in seinem Herzen war er eingepflanzt, schützender Stamm, der ein Teil seines Lebens war! Von selber streckten sich seine Hände dem verborgenen Geld entgegen, wie um es zu betasten und zu streicheln.

Der Anblick dieses Geldes hätte ihm so wohl getan, aber er wagte es nicht wegen des Schnees. Man hätte sicher am nächsten Tag sehen können, daß jemand darin gewühlt hatte, und der Neuschnee, der noch in der Nacht hätte fallen können, hätte nicht ausgereicht, um die Spuren seiner Arbeit zu verwischen. Er heftete seine Augen auf die Stelle, wo sein Geld lag. Der leiseste Laut verursachte ihm tödliche Angst.

Ein schneebelasteter Ast hat dicht neben ihm geknarrt; bleigrau, die Hände verkrampft, drückt sich Jan Slim platt an den Apfelbaum. Er merkt aber nach einer Weile, daß seine Furcht grundlos war, und will wieder zurück ins Haus.

Beim ersten Schritt, den er machte, sah er aber auf dem Schnee den Abdruck von zwei großen Füßen, die vom Apfelbaum bis an den gepflasterten Weg führten. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, er erbebte. Jemand war da vorübergegangen! Dieses Mal war er sicher bestohlen worden! Seine Angst ist furchtbar.

Ganz plötzlich besinnt er sich jedoch, daß die Fußabdrücke im Schnee ja dieselben sind, die seine eigenen Füße hinterlassen haben.

Über dem Himmel lag ein tiefes Dunkel, der Schnee selbst schien wie schwarz. Dennoch fürchtete Jan Slim gesehen zu werden. An jedem Feldrain hielt er an, spähte in die Nacht, horchte und setzte sich ganz vorsichtig wieder in Bewegung, wie ein Hase, den man von allen Seiten umstellt hat.

Da läßt ihn ein Gedanke wie festgenagelt stehenbleiben. Er war ja nicht weiter wie bis zum Baum gegangen, folglich konnten jene Fußspuren nicht darüber hinaus gehen. Das hätte jeder merken müssen. Man würde sich fragen, aus welchem Grunde die Schritte beim Apfelbaum aufhörten und warum nur vom Hof bis zum Apfelbaum Fußspuren da wären. Gleich begann er also seine Spuren zu verwischen, immer um die Stelle herumgehend, wo er schon zum ersten Male gegangen war, vorwärts und wieder umkehrend kreiste er so durch den ganzen Garten, von einer Ecke in die andere. Dann ging er befriedigt über seine List, aber immer noch etwas besorgt ins Haus zurück und legte sich in sein Bett.

Es war kein anderer Laut im ganzen Haus zu hören, als das Ticken der Uhr. Jan schloß die Augen. Eine Maus, die am Fußboden nagte, ließ ihn sie hastig wieder aufreißen. Er ging auf den Platz zu, wo sie sich befand, und klopfte mit seiner Stiefelsohle auf den Fußboden.

Die Maus hörte auf zu nagen. Aber kaum hatte er sich wieder hingelegt, als sich abermals ein Kratzen vernehmen ließ. Dieses Mal schien das Geräusch von der Tür her zu kommen, die nach der Straße zu lag. Gewiß versuchte irgendeiner in sein Haus einzudringen.

Er öffnete den Fensterladen, sah jedoch nichts.

Endlich schlief er ein, aber er erwachte bald mit einem jähen Sprung. Es war ihm, als hätte er das Bellen seines Hundes gehört. Hatte er geträumt, oder war das wirklich der Hund gewesen, der gebellt hatte?

Er stand auf und ging in den Garten.

Kein Mensch war da, so weit man sehen konnte, aber der Hund knurrte dumpf.

Boer Jan griff nach einer Mistgabel und trat die Runde um sein Haus an.

Als er nun am Hundehaus vorüberkam, schien es ihm, daß der Hund dabei war etwas zu verschlingen, und wirklich sah er, nachdem er ganz dicht herangekommen war, ihn über eine Tierhaut gebückt, die er mit seinen festen Zähnen zu zerreißen versuchte.

Der Gedanke kam ihm gleich, daß jemand dem Hunde diese Beute hingeworfen hatte, um ihn zum Schweigen zu bringen, und er stürzte nach dem Apfelbaum.

Am Fuße des Apfelbaums gähnte eine kreisförmige Furche, die jemand mit einem Spaten aufgewühlt haben mußte.

»Ich bin verdammt!« schrie Jan Slim.

Mit hervorgequollenen Augen, den Mund durch einen gräßlichen Husten verzerrt, röchelnd und geifernd, riß er sich an den Haaren, und rang die Hände. Er lief im Kreis um seinen Apfelbaum herum und heulte dazu wie ein Hund, den man zu Tode verwundet hatte, plötzlich warf er sich bäuchlings über die Öffnung, und als er nun da unten lag, fing er an zu weinen, zu jammern, zu greinen und Gott anzuflehen. Danach versenkte er die Hände in die Erde und begann wütend an der Stelle zu scharren, an der er das Geld vergraben hatte.

Das Geld war aber nicht mehr da.

Vergeblich durchsuchte er die Stelle nach allen Richtungen, zwängte seine Finger zwischen die Wurzeln des Apfelbaumes, brach sich seine Nägel, die hart wie Stein waren, an den noch härteren Kieselsteinen in der Erde. Die Kassette war fort. Da biß er sich mit der ganzen Kraft seiner Zähne in sinnloser Wut keuchend in die Erde fest und schlug von Zeit zu Zeit mit seinem Kopf gegen die Wurzeln des Baumes. Endlich richtete er sich wieder auf, griff nach der Mistgabel und wollte sich selbst töten; aber weil er zu feige war, stach er nur dreimal aus ganzer Macht auf den Stamm des Apfelbaumes ein.

In diesem Augenblick hallte durch die Nacht eine Stimme, die wie von weit her kam, und es schien ihm gerade, als riefe sie:

»Hopsassa!«

Die Stimme kam von der Chaussee her.

Jan Slim begann in dieser Richtung zu laufen, aber nur der Wind seufzte irgendwo durch die Nacht.

Er kehrte wieder in den Garten zurück, und da hörte er diesmal ganz deutlich ein schallendes Gelächter in der entgegengesetzten Richtung, von der, woher die andere Stimme gekommen war. Er zwängte sich durch die Hecke und begann aufs neue zu rennen, pustend und ganz atemlos. Die Beine knickten unter ihm ein. Und irgendwo ganz außerhalb seines Bereichs sah man die Umrisse eines Mannes, der mit weit ausholenden Sprüngen davonlief.

Der Mann verlor sich im Dunkel.

Der alte Geizhals kehrte auf demselben Wege zurück und ging mehrmals im Garten rundum, auf alles, was ihm in den Weg kam, mit seiner Mistgabel einstechend, darauf setzte er sich wieder unter seinen Apfelbaum und fing an von neuem zu jammern. Er unterbrach sich nur von Zeit zu Zeit, um die Erde abermals zu durchwühlen, als hätte er noch nicht alle Hoffnung verloren, sein Geld wiederzufinden. Man hatte ihm sein Leben gestohlen, seine Seele, seine ganze Freude in dieser Welt. Er lehnte wie ein Toter da, ganz ohne Verstand und ohne Besinnung, und sah voll Verzweiflung auf den Fleck, wo er seinen Schatz vergraben hatte, die Augen starr, den Mund aufgesperrt, wiederholte er blödsinnig in einem fort mit wehklagender Stimme:

»Bestohlen haben sie mich! Bestohlen! Bestohlen!«

Und wieder überkam ihn die Wut. Er griff sich mit beiden Händen an den Kopf, riß sich die Haare aus, beschuldigte sich der Verrücktheit, der Dummheit, fluchte auf sein allzu großes Menschenvertrauen, verfluchte Gott, das Leben, seine Frau und Kinder. Nachdem er damit fertig war, wandte er sich gegen das ganze Dorf und rief, die Arme hoch erhoben, Blitz und Hagelwetter auf die Hütten und Gehöfte herab.

Gedanken von Tod, Mord und Vernichtung mischten sich in seine Raserei, und er sann, wie er wohl Rache nehmen könnte für den Verlust dessen, das ihm das Teuerste war auf Erden.

Ach! wenn er nur ahnen könnte, wer der Dieb gewesen ist, wenn doch irgendein Beweis ihn auf die richtige Fährte brächte. Er würde ihm die Mistgabel in den Leib rennen, er würde ihn zerstampfen, ihm die Augen ausstechen … Nein, das war nicht genug: die Gedärme würde er ihm aus dem Bauch reißen, Glasscherben in die Nase stopfen, Nägel unter die Fingernägel einhämmern; sein Geist erfand unaussprechliche Martern.

In dem Augenblicke entsann er sich der Stimme, die in der Ferne Hopsassa gesungen hatte, und dann jenes Gelächters. Er hatte diese Dinge fast vergessen.

Hopsassa! Das alte Bettelweib! Man nannte sie doch eine Hexe. Er selbst hatte immer vor ihr Angst gehabt, mehr wie einmal hatte er sie von seiner Tür verjagt. Wo konnte man die finden? Und alsogleich war er auch schon aufgesprungen und war schon im Begriff auf das Dorf zu zu gehen; seine Zähne knirschten, und in die Luft machte er Bewegungen, als wollte er einen erwürgen …

Er ging jetzt schon nicht mehr, ganz außer Atem lief er, so viel seine alten Beine nur herhalten konnten, die ausgedörrt waren wie ein Feuerschwamm, er lief immer vor sich hin geradeaus, ohne auch nur etwas zu suchen. Sicher war sie die Diebin: irgend etwas sagte das ihm.

Er wird sie in ihrem Haus aufsuchen, er wird sie bei der Kehle packen, und wenn sie nicht redet, reißt er ihr die Zunge aus dem Schlund. In seinem Zorn kam ihm aber plötzlich ein Bedenken. Die alte Hopsassa hatte doch kein Haus. Sie lief das ganze Land ab, sich von Hof zu Hof weiterbettelnd. Im Winter hauste sie in Ställen, im Sommer schlief sie hinter den Hecken. Die Gendarmen hatten sie öfters des Herumvagabundierens wegen eingesperrt, aber sie war da wieder herausgekommen und hatte sich wieder an das Umherziehen gemacht. Gut, dann wird er die Gendarmen aufsuchen, den Bürgermeister, den Flurjäger, die ganze Welt. Er wird sie sistieren lassen, man wird sie verurteilen, aufs Schafott bringen, denn er will ihr Blut, ihren Kopf; ah, diese Diebin …

Und er schreit in die Nacht hinaus: »Diebe! Diebe!« Seine eigene Stimme erschreckt ihn. Man würde dann doch erfahren, daß er einen Schatz gehabt hat, daß er Geld vergraben hatte. Die Leute im Dorf würden über ihn lachen und sagen: »Das kommt ihm recht!« Roose, seine Tochter, würde seine List herausbekommen, Snipzel, sein künftiger Schwiegersohn, würde selber den Stein auf ihn schleudern … Und dann, was dann? Man würde es vielleicht gar nicht glauben, und in seinem Kopf siedete es wie in einem Kessel. Was tun? Eine Novenna beten? Einen Bittgang antreten? Ja, all das, alles will er tun, um sein Geld wiederzubekommen. Er ruft Gott an, seinen heiligen Schutzpatron, die Jungfrau Maria, verspricht Kerzen zu weihen, zur Beichte zu gehen, seine Sünden zu bereuen, die Messe mit größerer Andacht zu hören; selbst Geld will er dem Kirchenvorsteher geben. Gleich bei Tagesanbruch wird er zum Pfarrer gehen und drei Messen kaufen, vier Messen, fünf Messen … Die Zahl ist ihm ganz gleich. Er wird das Geld hinlegen, das dazu nötig ist, um nur den zu finden, der ihn zugrunde gerichtet hat. Und mit einem Male sich anders besinnend überlegt er, daß zwei Messen wohl dafür genügen würden.

Seine Beine wollen ihn nicht weiter tragen, er kehrt wieder um und geht schleppenden Schritts seinem Hause zu.

Als er an einem Hof vorüber kam, spitzte er die Ohren. Es hatte ihm geschienen, daß er das Klirren von Silbergeld gehört hatte.

Nein, das war nur ein Pferd, dessen Halfterkette gegen den Ring der Krippe geklirrt hatte.

Er sah den Hof, den Stall und den Heuschober lange an. Wenn er da Feuer anlegte?

Die anderen Häuser des Dorfes würden dann auch Feuer fangen. Sie würden ihm alle bezahlen müssen für den Dieb, das hätte denn schon der Teufel selber sein müssen, wenn der Dieb nicht darunter gewesen wäre.

Ein Wachthund bellt auf, ein anderer antwortet in der Ferne.

Er hastet weiter, stößt gegen die Bäume am Weg und taumelt vor sich hin mit dumpfem und düsterem Gesicht.

Vor ihm liegt sein Haus, alles schläft. Die Wut kommt wieder in ihm auf beim Anblick all dieses Friedens. Aus dem Bett heraus wird er sie zerren, seine Frau, seine Tochter und Santje, im Hemd, halb nackt wird er sie draußen durch den Schnee und die Kälte vorwärts treiben und wird es ihnen in die Ohren schreien:

»Man hat mich bestohlen! Wühlt die Erde auf mit euren Krallen und sucht. Geld ist in dieser Erde gewesen!«

Das war kein guter Gedanke! Er wird schweigen, keiner soll etwas erfahren von diesem versteckten Geld. Nur Ursula kennt sein Geheimnis.

Plutus, der große Hund, der den Herrn riecht, beginnt mit dem Schweif gegen die Wand der Hundehütte zu klopfen. Jan Slim nähert sich, als ob er ihn streicheln wollte, mit zusammengebissenen Zähnen, voll einer blinden Wut. Er hebt auf einmal den Arm, um ihn mit der Mistgabel zu treffen, aber mitten in seiner Wut, als er ihn töten will, sagt er sich:

»Er hat mir aber zwanzig Franken gekostet.«

Und seine Mistgabel fortschleudernd, versetzt er ihm so viele Fußtritte in den Bauch, wieviel Franken ihn der Hund gekostet hatte.


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