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Viertes Kapitel

. Im Hintergrund der Küche, hinter einer Tür, liegt eine steile, mit einem roh geschnitzten Geländer versehene Treppe.

Kobe hat sich eben gebückt, um leichter unter der Tür hindurchzukommen, und steigt die Treppe empor.

Was er da eigentlich vorhat, weiß er kaum, so für sich in seiner Junggesellenkammer.

In der Ecke steht eine Lade, auf die ist er zugegangen. Er schließt sie bedachtsam auf und entnimmt ihr ein Heft, das ganz nach reifen Äpfeln riecht. Mehrere solche Hefte liegen da auch noch zwischen Kleidungsstücken und Säcken, in denen er sein Geld aufhebt. Er hat sich das am wenigsten vergilbte ausgesucht.

Der Bauer versteht sein Geschäft. Er weiß, daß Ordnung etwas ist, ohne das kein Hof gedeiht. So etwas darf bei ihm nicht sein, daß man womöglich sein Getreide, wenn es noch auf dem Halm ist, verzehrt und am Jahresschluß nicht weiß, ob man Gewinn oder Verlust gehabt hat. Jeden Tag trägt er seine Einnahmen und Ausgaben ein. Das ist sicher, es wird ihm sauer, aber wenn es auch eine beschwerliche Schreiberei ist, wo er sich doch nur auf die Pflugschar eingeübt hat, er tut es doch, ganz einerlei, und wenn die Feder auch nicht will. Die hat er doch das ganze Jahr schon benutzt. Die Hauptsache ist, er weiß ganz genau, wo er alles hinzusetzen hat. Wo die Sieben hinkommt, da wird er nun schon gerade nicht die Neun hinsetzen.

Kobe Snipzel feuchtet seinen großen eigenwilligen Daumen an, der aussieht, als wäre er für den Fausthandschuh der Spieler gemacht, die jeden Sonntag auf dem Dorfplatz Ball zu spielen pflegen, und blättert Seite nach Seite um. Das stimmt alles genau, die Einkünfte sind richtig eingekommen, und obgleich es erst Oktober ist, hat er von Januar an schon so viel eingenommen, daß er sich das ganze nächste Jahr davon ausruhen könnte, aber er wird das doch nicht tun, er wird weiterarbeiten im kommenden Jahr und in den folgenden Jahren, für seine Frau und seine Kinder.

Jawohl für seine Frau und seine Kinder. Er ist entschlossen. Er wiederholt sich die Worte ein paarmal. Eine Frau! Welches Glück!

Wie? Was denn? – Eine Wolke legt sich auf seine Freude. Wenn die Juffrouw nun recht haben sollte, wenn Roose sich einfach über ihn lustig machte. Aber ein reicher Mann verzweifelt nicht, an sein Ziel zu kommen, denn das Geld ist in dieser Welt ein willkommenerer Besitz, als die schönen Tage der Jugend.

Im übrigen würde Roose kein schlechtes Geschäft mit ihm machen, wenn sie ihn heiraten würde. Er weiß Bescheid, was ein Sack Getreide oder ein Pferd kostet und ein schön gemästetes Schwein oder eine Kuh mit vollen Eutern wert sind, denn an so was hat er doch bis heute allein sein Herz gehangen. So glaubt er denn, daß er in den Augen einer Frau auch so einen Wert haben muß, wie alles das, was er bisher gekannt und besessen hat.

Wenn er sich das so recht überlegt, so liebt er in der Tochter von Jan Slim die schimmernde, pralle Haut, die Augen, die aussehen, als ob mitten drin ein Tropfen schwarzen Kaffees zittert, und die Haare, die so fein sind und aussehen wie Hanf, auf dem die Sonne liegt … Und dann ist da noch eins: sie versteht es, das Elternhaus in Ordnung zu halten.

Reich ist dem Slim seine Tochter nicht. Eine Wiese, eine Kuh oder Geld, selbst wenn es auch nur Korn wäre, bringt sie ihm nicht ins Haus. Aber pah! laß sie ihm eine Bettlade aus neuem polierten Nußbaum bringen, mit Matratzen und Bettzeug dazu. Er wird sich auch so zufrieden geben, denn eine Frau ist wie eine schöne gesunde Kuh. Sie trägt ihren Reichtum in sich selbst, sie braucht nichts anderes, als die Liebe um sich zu breiten, wie eine Kuh, die ihre Milch gibt und Mist abwirft, so daß der Mann sich wohlfühlen kann. Und wenn sie dann ihr Haus gut hält und mit Bedacht für das Leibliche sorgt, sparsam ist und gut kocht und rechte Kinder erzieht, dann läßt sie die Freude gedeihen, und Frieden und Sicherheit wächst aus der Gemeinschaft.

Man kann aber nicht wissen; Slim ist einer, der den Geiz hat. Wer weiß, was da noch zum Vorschein kommt, wenn er mal in die Erde beißen muß. Das ist eine schlaue Ziege, ein feiner Gevatter, diese listige Elster! Der zieht es vor, daß ihm das Geld im sicheren Versteck einrostet, als daß es in der Sonne leuchten sollt'.

Umsonst hat der auch nicht so listige Augen, die überall herumsuchen, wenn er auch seinem Gesicht nichts dabei anmerken läßt. Der weiß schon lange, daß der reiche Kobe Absichten hat und sagt sich:

»Wenn Roose, meine Tochter, den reichen Kobe heiratet, wird er mir das Geld, das ich ihm schuldig bin, streichen, dabei haben wir dann beide einen guten Handel gemacht.«

Haha! Jan Slim! Eure Augen sind klein wie Bohrlöcher, aber sie sind immer noch so groß, daß Euch einer bis auf den Grund Eurer Gedanken sehen kann. Wenn Ihr nicht bezahlt habt, so ist es nicht, weil Ihr kein Geld habt, sondern weil Ihr hofft, daß es dazu früher oder später kommt, daß Freund Kobe Euch sagen wird: »Laßt es gut sein, Schwieger, was meines ist, ist auch das Eure.« Aber wir werden abrechnen; das werden wir, wenn hier erst Mann und Frau sitzen. Und das bis zum letzten Heller!

So sinnierte der Bauer, dann schloß er seine Lade, denn seine Bücher hatten ihm genug über den Stand seiner Geschäfte gesagt. Jedes Jahr hatte ihm die Säcke mit neuem Geld gefüllt. Und bald wird er Grund hinzukaufen können.

Pachter Snipzel ist zufrieden: er kann sich eine Frau nehmen. Ja, das kann er, denn er ist reich genug, sich im weitesten Sinne des Wortes eine Frau und auch noch Kinder zu leisten. Und über sein Haus werden die Leute reden, daß es das reichste und schönste im Dorf ist.

Das war es, was er wissen wollte.

Er legt die Hefte wieder in den Koffer, nach unten zu, zwischen die Geldsäcke, aber während er einen der Geldsäcke beiseite schiebt, kommt ihm ein kleines, mit Bindfaden verschnürtes Paket unter die Finger.

Sieh da! das ist doch sein Geburtsschein, und er weiß nicht genau wie alt er ist.

Seine breite Brust arbeitet unruhig unter der grobwollenen Bluse, während er ans Fenster schreitet, um besser lesen zu können. Er pafft immer dichtere Rauchballen in die Luft.

So ein kleines, nichtiges Papier ist oft ebenso sauer zu lesen wie eine Grabschrift, denn obgleich nur die Stunde und der Tag darauf verzeichnet wird, wann ein gesundes Menschenkind zur Welt gekommen ist, so wiegt doch jedes neue Jahr recht schwer für den, der schon in der Reife seines Lebens steht.

Was wird ihm das unscheinbare gelbe Blatt zu sagen haben, das schon seine Eltern vor ihm aufgehoben hatten? Die haben es gewißlich öfters betrachtet und sich dabei gefreut, wenn die Lebensjahre des kleinen Burschen sich häuften, der einst an ihrer Statt hier der Bauer sein sollte. Sie kamen ihm mit einem Male alle ins Gedächtnis: der Vater, die Mutter, die alte Großmutter, die immer zusammengekauert auf der Herdbank gesessen hatte. Die sind schon lange von ihm gegangen, einer nach dem anderen, jeder immer für sich, und haben ihn immer noch ein wenig mehr einsam gemacht. Und dann haben sich auch die Schwester und der Bruder hingelegt, und man hat sie ins Grab getragen zu den Ihren.

Warum er nur so einsam geblieben ist? An seine Ochsen, sein Land, sein Getreide, seine Rüben, daran hat er gedacht, sein Hof ist gediehen, das Geld hat sich vermehrt. Aber niemand wird nach ihm da sein, die Früchte seiner Arbeit und seine Ersparnisse zu ernten.

Ja, da ist ja doch einer, der wird es alles einmal für sich haben, das Geschwisterkind von ihm; ein fleißiger, guter Kamerad ist das und ein guter Arbeiter, er paßt auf sein Land und scheut keine Mühe. Aber liebt er denn den mit einem ebenso starken Gefühl, wie er seinen eigenen Fleischeserben lieben würde? Er mußte ihn zu sich nehmen, weil es eine Waise war, und dann hat er auch gedacht, daß er einen haben würde, auf den er sich verlassen könnte, wenn an ihn die Zeit käme zu gehen. Das schon, aber er fühlt, daß es nicht dasselbe ist, als wenn er selbst von einer Frau ein Kind hätte haben können.

Er denkt dann an alle, die einen Besitz haben wie er. Ein großer Tisch steht in ihrem Hause bereit, und an dem sitzen dann all die lachenden Gesichter. Bei ihm sitzen sie nur mit unsicheren Minen, denn sie sind ja bezahlt für ihre Mühe und ihren Schweiß. Um seinen Nacken wird sich nie ein Arm legen, und keine Wange wird sich ihm zu Zärtlichkeiten hinneigen, wenn er müde heimkommt, nachdem er den ganzen Tag die Erde mit dem Pflug durchwühlt hat. Er kann es nicht einmal zu Ende denken, wie gut es sein muß, wenn durch den Dampf der großen Kartoffelschüssel das Lachen einer verliebten kleinen Frau klingt, die einen Platz an ihrer Seite bereit hält.

Ach ja! er ist nicht jung mehr, älter vielleicht, als er denkt … darum beginnt ihm das Herz so zu schlagen, soll ihm doch dieses kleine Blatt Papier sagen, wie alt er ist.

Plötzlich hebt er die Arme und sein Gesicht wird rot, wie die Sonne, wenn sie im Juni untergeht.

»Zwei Jahre! zwei gewonnene Jahre!«

Wie ihn das freut, jünger zu sein, als er es gedacht hat.

Zwei ganze lange Jahre kommen ab!

Immer hat er gemeint, daß er schon 51 ist, jetzt weiß er es gut, denn er hat recht gezählt. Nur 49 Jahre alt ist er, kein Jahr mehr. Er will noch einmal zählen, und jedesmal kratzt er jetzt dazu mit dem Daumen einen Strich in den Bettpfosten. Und wieder ist er zu Ende. Da setzt er sich schwer auf die Bettkante hin und schlägt die Hände vor sein Gesicht. Eine silberhelle Träne quillt ihm zwischen den braunen Fingern hindurch, die der Spaten rissig gemacht hat, und tropft auf sein Kinn.

Dann steht er auf und geht hinab, sein Haus scheint ihm ganz leer. Der Lärm, der von den Ställen und vom Hof her kommt, macht es noch einsamer scheinen.

Er geht von Stube zu Stube und sinnt für sich hin.

Hier soll ein Schrank für die Wäsche stehen, denn den alten oben haben die Würmer angefressen. Und neben der Küche ins große Zimmer kommen rotgeblümte grüne Tapeten hinein, feinere will er noch wie die, die der Herr Pfarrer hat. Auf den Kaminsims wird man die Muttergottes in Gips und zwei vergoldete Vasen mit schönen bunten Papierblumen stellen. Auch Stühle holt er sich noch, solche, die einen geflochtenen Sitz haben, und dann noch so eine schöne Wachstuchdecke auf den Tisch. Es soll an nichts gespart werden und alles wird zum Hochzeitstag fertig sein.

Und wenn er das hat, an dem Tag bestellt er sich die Musikanten, gibt einen solchen Trank aus, wie es sich für ihn paßt, und läßt sich Kirmeslieder aufspielen vom frühen Morgen an. Der Brautzug soll im Dorf umziehen, die Musikanten voran, die anderen hinterdrein, und das Bier soll den ganzen Tag in allen Schenken fließen.

»Die Roose lacht über Euch, Kobe Snipzel!«

Er muß mit einem Male wieder an Katharina Wilds böses Wort denken. Die Juffrouw Wild hat gewiß nur spaßen wollen. Ob das aber spaßhaft gemeint war? Er suchte sich ihre Stimme in Erinnerung zurückzurufen. Sie sah aber doch eher wütend dabei aus. Recht ist es auch nicht von ihm gewesen, daß er so unwirsch gewesen ist, als sie aufstand und ihn dabei so sonderbar angesehen hat … Wie sie da gefragt hat: Kobe, seid Ihr es? Was für eine Idee! Die ist doch nicht vielleicht …? Nein, das ist Unsinn. Das ist gewiß nur bloß so ihre Art!

Warum eigentlich sollte auch Roose ihn zum besten halten? Er ist doch reich und er ist doch auch noch jung, erst neunundvierzig. Sie ist ein kluges Mädchen und weiß gut zu rechnen. Ich werde ihr neue, feine Kleider kaufen, und ein geblümtes Tuch, und eine Brosche aus Gold, und schöne weiße Wäsche für ihre weiße, feine Haut.

Wie? Wenn sie nun aber einen Burschen im Dorf lieber haben sollte? Das ist doch wahr, daran hat er noch gar nicht gedacht.

Er schreckt plötzlich auf, denn ein Rabenschwarm kommt vom Feld im schweren Flug herübergeflogen.

»Sind es zehn, dann krieg ich die Roose.«

»Tä! fünf sind es, aber ich habe das vielleicht nicht so schnell sehen können.«

»Pah!«

Er hört jemanden eintreten.

»Wenn das jetzt eine Frau ist, die da kommt, krieg ich sie doch.«

Es ist nur ein Bettler gewesen. Er kriegt sie also nicht.

»Dummheiten! Wer wird an jeden lumpigen Zufall glauben! Er doch sicherlich nicht.«

Er wirft einen Zehner in die Luft. Rechts oben, links oben! Rechts soll es sein!

»Haha! rechts oben!«

Er wird sie sich freien!

Er weiß jetzt, was er will. Er geht nach dem Vespergeläut zu Slim und wird sich die Tochter ausbitten.

Eine Uhr schlägt Mittag: bald dampfen auch die Kartoffeln auf dem Tisch. Er setzt sich, ißt und trinkt, und dann geht er aufs Feld hinaus, Hilft den Knechten beim Ausladen der Säcke; und als die Uhr vier schlägt und die Kaffeezeit vorüber ist, steigt der Bauer die Treppe nach seiner Stube empor, zieht weiße Wäsche an, knotet sich eine blaue Krawatte um, zieht die schwarze Samthose und die Weste aus schwarzem Tuch an und darüber den Kittel, der von einem leuchtenden Blau ist. So steigt er mit wuchtigen Schritten wieder herab, und als ihm da Lamm, sein Neffe, über den Weg kommt, ruft er ihn heran und sagt mit breitem Behagen:

»He! Lamm! was denkt Er denn, wenn jetzt der Ohm Kobe sich eine schöne Frau holen sollt', damit Er dann auch eine Tante hat?«

Dabei denkt er aber:

Ich werde es ihm schon vom Gesicht ablesen, ob er mich nur um meines Geldes willen liebt. Der ist doch mein Neffe, und da wird es denn auch hier so sein wie sonstwo, daß ein Neffe nicht gerne sieht, wenn eine Frau ins Haus kommt, wo er doch einen Junggesellen zum Onkel hat.

Lamm sah sich ihn an und tat erstaunt, darauf sagte er:

»Bring mir eine Tante wie ich sie leiden mag, Oheim, dann find' ich das gut so, sonst find' ich es schlecht.«

»Dieser Lamm das ist ein ehrlicher Junge,« dachte Kobe. »Er schien erstaunt, aber nicht traurig zu sein.«

Darum sagte er gerade aus:

»Ja, mein Junge, ich will das jetzt tun.«

Er hätte gerne noch mehr gesagt, aber er dachte sich, daß es doch wohl besser sei, er schwiege noch. Und im übrigen machte es ihm Spaß, Lamm unter dem Eindruck dieser letzten Mitteilung zu lassen.

Und wenn Lamm dabei doch der Neid käme um seine Erbschaft, um so schlimmer für ihn.

Lamm sah dem Abziehenden eine Weile nach, dann warf er sich jählings der Länge nach in einen Heuhaufen im Stall und seufzte wie ein Blasebalg.


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