Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel

. Am folgenden Morgen, am Tag der Allerheiligen, sagte Jan Slim:

»Zapft ein Faß Bier an. Roose hat unserem Hause die Freude wiedergeschenkt. Heute soll Festtag sein.«

»Mein Herz schlägt mir bis zum Hals hinauf, Vater. Ich mag nicht essen und nicht trinken.«

»Du wirst es schon, wenn du schöne Kleider und bunte Bänder hast, Roose.«

»Ein langes Laken, in das man mich betten könnte, wäre besser für mich,« sagte sie.

»Die möcht' ich sehen, Roose. Eine Frau, die nicht lacht, wenn der Mann sie auf einen schönen Bauernhof führt und sagt: der ist Euer!«

»Die findet Ihr hier, Vater!« Sie schlug sich auf die Brust und sah ihn an.

»Eine reiche Pachterin seid Ihr dann, und geht Ihr zur Stadt, kommt Ihr im Kabriolett gefahren.«

»Ja, aber tot hinfallen werd' ich grad vor der Kirchhoftür, wenn ich drin fahr.«

Boer Jan murmelte etwas zwischen den Zähnen, zuckte die Achseln und ging mürrisch davon.

»Hidelidel hopsassa! Hidelidel hopsa!« kam von draußen eine Stimme. Sie war schon eine Weile lang zu hören, und gleich darauf konnte man auch schon unterscheiden, wie irgend jemand mit einem Stock aufstieß und tanzte.

»Was? Ist das nicht die alte Mutter Hopsassa?« sagte Santje, und sie lief nach der Tür, sie hereinzurufen.

Die alte Bettlerin, denn sie war es schon, kam nicht sogleich. Sie sprang nur im Tanz bis an die Schwelle heran, sang irgendein Lied zu ihren Sprüngen, stampfte dazu mit ihrem Stock auf die Erde, und sagte schließlich, nach Atem ringend:

»Der Friede Gottes komme über dieses Haus.«

»Wärmt Euch etwas, Mütterchen, und eßt und trinkt,« begrüßte sie Roose.

»Häh!« schüttelte sich die Alte und verzog ihr Gesicht. »Hier ist ein lästiger Dunst im Haus.«

»Das ist so, Mutter, das macht der Wind!«

»Das ist kein Dunst von Rauch und Schnee, das ist Teufelsrauch, ränkischer Dunst!«

»Ihr müßt nicht vom Teufel reden, bei Leuten, die Euch wohlwollen, Mutter Hopsassa!« mischte sich Ursula dazwischen.

»Schönen guten Tag, Ursula!« rief die Alte gleich darauf und lachte. »Wir haben nicht denselben Weg gehabt, aber zum Schluß sind wir doch beide auf demselben Fleck angekommen.«

»Ja, wir sind beide alt geworden.«

»Ganz alt, und gelitten haben wir beide auch viel. Aber Gott hat uns nicht verlassen.«

»Sprecht lieber nicht von Gott, so wenig wie vom Teufel,« sagte Ursula schreckhaft.

Sie griff nach dem Rosenkranz und bekreuzigte sich.

»Hihihi! Hidelidel hopsassa! Ich bin wie die Eule, ich seh in der Nacht. Ich sehe auch den Teufel, der hier ist, aber die alte Hopsassa hält es mit dem Heiligen Geist. Ihr könnt ihr gerne Brot und Kaffee geben. Die Leute sind nicht mehr gut heutzutage, und mir sitzt der Genever schlecht im leeren Magen.«

Sie setzte sich vor dem Feuer zurecht, behielt ihren derben Stock zwischen den Knien und legte ihre steifen alten Hände, die wie gedörrte Stockfische waren, auf den Deckel des Herdkessels.

Dann ließ sie vorsichtig ihre kugelrunden schielenden Glotzaugen in die Runde gehen, bis sie auf Roose haften blieben, die traurig gegen den Tisch lehnte und mit hängenden Armen vor sich hin sann, ohne zu beachten, was um sie geschah.

»Dein Kind quält sich herum,« sagte die Alte nach einer Weile. »Es ist hier einer zu wenig da, oder ist es so, daß hier einer zu viel ist?«

Sie zog ein Spiel abgegriffener Karten aus ihrem Henkelkorb, wimmerte mit näselnder Stimme irgend etwas vor sich hin, wie eine Frau, die in Wochen kommt, und breitete sie vor sich auf der Erde aus. Als sie aber einen Blick darauf geworfen hatte, sagte sie mit einer gellenden Stimme:

»Ursula, Ihr wißt manches!«

Und Ursula schien plötzlich sehr aufgeregt.

»Und Neuigkeiten gibt es!« fuhr die Alte fort. »Alles kommt an den Tag. Hört Ihr? Hahaha!«

Sie drehte sich dreimal um sich herum und schloß dabei die Augen, und beim dritten Male klopfte sie mit ihrem Stock ungestüm auf eine Karte und sagte:

»Die ist gut! Die ist gut! Jeder wird sein Geld abkriegen.«

Sie nahm ihre Karten an sich, und da man ihr inzwischen etwas auf dem Tisch bereitgesetzt hatte, trank sie und aß dazu, und während sie sich darauf ans Fortgehen machte, klopfte sie noch einmal mit dem Stock gegen den Stein an der Schwelle, sang ihr: Hidilidel hopsassa! und wollte gehen.

»Hidilidel hopsassa!« äffte ihr einer nach und lachte breit dazu.

Die Tür ging von außen auf und herein kam Kobe Snipzel und drehte sich wie sie ein paarmal rundherum. Ein hagerer Schatten kam und ging am Fenster vorüber, er schob sich bedrohlich und hastig vorüber, ohne bestimmte Umrisse anzunehmen. Es war kein anderer als Jan Slim, und plötzlich trat auch er selbst herein. Sein Gesicht verzerrte sich im Zorn, dann ging er geradewegs auf die Bettlerin zu und drängle sie nach der Tür:

»Hinaus mit dir!«

»Teufelstücke und Höllendunst sitzen unter deinem Dach!« kreischte die Alte.

»Hinaus! hinaus mit dir!«

Er hob die Hand gegen sie.

Da glühten die runden, schielenden Augen der alten Hopsassa auf wie Kohlen. In sich selbst zusammengeduckt begann sie ihm mit dem Stock zu drohen und ihn anzufauchen wie eine böse Katze.

Boer Jan erschrak, denn er fürchtete sich vor der alten Landstreicherin, weil sie es doch wohl mit der Hölle hielt und in die Herzen der Leute hineinsehen konnte wie in einen Spiegel.

»Sie kommt schon, die Zeit, sie kommt schon, wo man es weiß,« schrie sie ihm noch zurück und ging ihren Stock schwingend hinaus.

»Die alte Mutter hat Hunger und Durst gehabt, und Ihr habt sie hinausgejagt wie ein räudiges Tier, Vater!«

»Ha! Wenn die nur wiederkommt, schlage ich ihr den Buckel mit einem Knüttel entzwei!«

»Recht so!« sagte der Pachter. »Unrecht hat er nicht, wenn er das sagt, denn er ist sein eigener Herr in diesem Haus! Aber Roose ist eine Frau und der geziemt es wohl, daß sie an diejenigen denkt, die hungern und dürsten.«

Und Roose zärtlich ansehend, sagte er noch:

»Mit der bekomm' ich einen Schatz ins Haus.«

Er nahm ihre runden Schultern in seine Hände.

»Na, festere und vollere hat so leicht keine im Dorf!«

Eine tiefe Röte stieg in Roosens Wangen.

»Das ist es nun, was ich mir jeden Tag gefallen lassen muß,« dachte sie sich. Und ein so heller Glanz blitzte aus ihren Augen, daß man ihn für den Schimmer von Tränen hätte halten können.

»Meine Tochter,« sagte in diesem Augenblick Jan Slim, »ich habe es unserem Freund gesagt, unserem guten und lieben Freund, was wir beschlossen haben. Er wird jetzt öfter kommen und sich an unseren Herd setzen, wann es ihm paßt, solange er warten muß, daß Ihr uns verlaßt, um an seinem Herd Euren Platz einzunehmen. Ich will es hoffen, daß ihr eine gute Ehe führen werdet.«

Kobe fühlte sein Herz weich werden bei diesen Worten, und er sagte leise zu Roose:

»Ich bin ja schon ein alter Täuber, aber drinnen sieht es besser aus, und ›meine Roose‹ möcht ich Euch jetzt schon gleich nennen können.«

Sie schlug die Augen nieder, rollte verlegen die Schürze und dachte sich: »Warum ist es nicht Lamm, der mir das sagt?«

Es überkam Kobe eine Verliebtheit in diese frische, rosige Jugend: er umfaßte Roosens Gestalt mit heißen Blicken.

»Roose, meine Paradiesrose, werdet Ihr denn später auch einmal zu mir ›mein lieber Kobe‹ sagen können?«

Er umschlang sie fest und drückte sie an sich.

Sie entzog sich ihm ohne ein Wort und mit einem zornigen Blick.

Er lachte dazu und sagte:

»Man zähmt sich keinen Vogel gleich nach dem ersten Male.«

Sein Lachen klang falsch wie die Quinte des alten Geigenspielers, der alle Sommersonntage seine Fiedel auf der Landstraße an der Einfahrt zum Dorf schnarren ließ.

Und wieder klopfte irgend jemand gegen die Tür und brachte einen Bratwurstgeruch in die Stube. Denn wie es so Sitte war, feierte man in einigen Höfen die Wurstkirmes, weil es ja Allerheiligen war.

»Lamm riecht gut,« sagte der reiche Bauer laut. »Wenn er mehr ins Fett gegangen wär', könnten wir ihn uns zum Essen nehmen.«

Er sah sich nach Jan Slim um und meinte:

»Man fastet hier wohl heute. Durst und Hunger hab' ich. Wir gehen auf die Wurstkirmes.«

»Mir recht, wenn Ihr nur meine dicke Santje auch mitgehen laßt.«

Er trat an sie näher heran, hob ihr Kinn und streichelte zugleich ihre Backe mit der anderen Hand, aber seine verliebten Blicke glitten inzwischen an ihr vorbei nach Roose hin.

Santje war, wie es den Anschein hatte, ihm zärtlich zugetan, sie gab ihm einen kräftigen Schlag auf die Schulter, lachte laut und sagte:

»Ja, ja, Herzenslamm.« Und ganz leise setzte sie noch hinzu, sich nach Roose umwendend:

»Ich muß das so, Herrin, das gehört dazu.«

»Ach, mir nützt es nichts mehr, jetzt noch etwas vorzutäuschen,« antwortete ihr Jan Slims Tochter. »Zwischen Lamm und mir liegt eine Kluft so tief wie ein Grab.«


 << zurück weiter >>