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Achtes Kapitel

. Jener andere griff mit zwei riesigen Händen nach Lamm, aber es war gewiß nicht, um seinen Segen auszuteilen: die beiden mächtigen Fäuste sausten wie zwei Schmiedehämmer auf seinen Nacken.

»Onkel!«

»Oh! oh! na, das ist was Neues,« sagte der Bauer.

Und seine Hände verschwanden bis an die Ellenbogen in die tiefen Taschen seiner samtenen Hose.

»Ich glaube, Onkel, Ihr macht mir gar zu schnell Bekanntschaft mit Leuten, die Ihr nicht erkennt,« brummte Lamm und rieb sich den Nacken.

»Und meine Meinung ist, daß Ihr mir hier im Augenblick eher wie ein Knochen vorkommt, den man zum Fenster hinausgeworfen hat, als wie einer, der freiwillig zur Türe hinausgeht.«

Sie gingen während einer guten Viertelstunde, sich gegenseitig beobachtend, ihres Wegs nebeneinander her.

»Nein,« sagte auf einmal Snipzel, »das geht nicht auf natürliche Weise zu, so bei den Leuten aus dem Haus zu kommen.«

»Je nach dem. Die einen kommen mit dem Kopf voraus, die anderen mit dem Kopf hoch in die Luft zum Hause hinaus,« sagte Lamm ganz ruhig.

Der Bauer blieb stehen. Es war dunkle Nacht. Seine funkelnden Augen suchten das Gesicht Lamms zu erkennen.

»Begod! Von uns beiden will einer lachen, aber ich bin es nicht.«

»Ich auch nicht,« sagte Lamm.

»Das werden wir sehen. Was habt Ihr bei Jan Slim gewollt?«

»Etwas und nichts, Onkel, denn nichts machen und etwas, was ich da gewollt habe, ist ein und dasselbe; etwas vorgehabt hab' ich schon.«

»Wenn Ihr nicht den Namen meines eigenen Bruders trüget, dann wäre es reichlich so klug gewesen, Euch Lamm der Duckmäuser zu nennen. Was ist das für eine Sache, die man macht, indem man nichts macht? Ihr sollt mir das sagen, Lamm.«

»Santje ist doch ein hübsches Mädchen, Ohm.«

»Püah! eine dicke Dirn, eine sehr dicke Dirn … hm …«

»Nein, Onkel, sie ist ein hübsches Mädchen. Na, wenn schon; ich nenn' das etwas, wenn man sich um die Tochter des Hauses zu schaffen macht; der Magd den Hof zu machen ist dagegen nichts, und machen tut man doch auch was, wenn man den Hof macht. Tja.«

»Ha! ha! ha!« schrie Pachter Kobe, »Lamm ist der Schatz von der dicken Santje! Na, dann ist es gut, mein Junge. Das paßt mir besser, als was anderes.«

Lamm dachte bei sich:

»Die Zunge bleibt mir nicht stecken, wenn der Augenblick beschwerlich wird. Wenn ich mich jetzt geärgert hätte, wär' dem Ohm wohl auch ein Grund dazu gekommen, während er mich jetzt zufrieden lassen wird, denn er denkt wahrhaftig, ich bin in Santje verliebt.«

Sie waren gerade vor dem Hause von Katharina Wild angelangt. Kobe Snipzel blieb stehen und klopfte gegen den Fensterladen.

»Ihr könntet uns ein Glas Bier anbieten, Juffrouw, denn wir sind durstig,« sagte er, nachdem Katharina ihnen geöffnet hatte.

Sie traten beide in die Stube, die links von der Diele war; rechts lag die Küche. Im Kamin glühten noch einige Kohlen, und auf dem Tisch brannte eine Kerze in einem Messingleuchter.

»Katharina Wild hat in ihrem Andachtsbuch gelesen,« dachte sich der Bauer, »das sieht man gleich.«

Auf dem Tisch lag auch wirklich das Gebetbuch aufgeschlagen, und ein alter lederbezogener Lehnstuhl war in den Lichtkreis gerückt.

Dann trat die Juffrouw in die Stube. Sie legte eine Schaufel Kohlen auf, blies die Kerze aus und sagte:

»Das Bier ist zu kalt; das Mädchen wird euch Kaffee bringen.«

»Nein, nur keine Umstände,« sagte Kobe.

»Davon ist keine Rede und außerdem … nicht jeden Tag feiert man Kirmes.«

Sie entnahm dem Schrank schöne, reich mit Gold und Blumenwerk verzierte Tassen, Teller, Brot und Butter, und ordnete alles auf dem fein mit einem Wachstuch bedeckten Tisch. Durch die Türritze begann schon der Duft von Kaffee in die Stube zu ziehen.

»Was, Lamm, ein feines Nest hat unsere Frau Nachbarin, das lob ich mir!« sagte der Pachter.

»Ja, für Vögel, die nicht mehr alle Federn beisammen haben,« entgegnete Lamm.

Kobe wollte gerade etwas antworten, als die Tür aufging und die Juffrouw mit der großen Messingkaffeekanne in der Hand hereinkam. Die Kanne leuchtete wie Gold.

»Hoho! Katharina! Ihr seid eine feine Frau. Ja, Ihr habt das Herz auf dem rechten Fleck. Wenn man sich mal ärgert gegen Euch, so hält das nicht an.«

»Was habt Ihr Euch über mich zu ärgern,« entgegnete Katharina, »von mir aus will ich mit jedem in Frieden leben.«

»Sie muß das bei mir verstehen, Juffrouw. Ich sag' das so, wie ich eben etwas anderes sage: das ist so meine Art. Wenn ich weiß, daß mir mein Herz auf dem Fleck sitzt, denk' ich, wird die Zunge wohl auch richtig hängen.«

»Lachen ist Lachen, und wer sich da was zu ärgern hat, ist im Unrecht. Noch eine Tasse, Lamm? Euch auch gefällig, Nachbar?«

»Wenn Sie mir eine geben will. Das wärmt den Leib … Aber da weiß ich manch einen, der etwas hitzig ist und voreilig spricht, und so einer kriegt es später mit der Reue.«

»Das ist so!« rief Katharina, »aber wer läßt sich denn auch mit einem alten Drachen, wie ich einer bin, ein?«

»Ihr könnt ja mal bei Lamm ein bißchen Nachfrage halten, was der über Euch denkt, und ob er Euch nicht manch einer vorzieht, die auf den Kirmessen tanzen.«

»Der Ohm hat schon recht, Juffrouw, der spricht für seine Kirche …«

»Ja, ja, das tu ich, aber zu meinem Unglück hat Katharina nie ein gutes Auge auf mich gehabt. Ich bin ihr nicht mehr jung genug.«

»Gut gesagt,« pflichtete die Juffrouw bei, »aber Ihr vergeßt dazu zu sagen, daß Ihr mich auch zu alt für Euch meint, und das macht es, daß wir nie dazu kommen, uns zu verstehen.«

Sie ging aus der Küche eine hellbrennende Petroleumlampe zu holen und setzte sie auf den Tisch. Das ganze, nicht große Zimmer war mit einem Male bis in die letzten Winkel erhellt; die Wände mit ihren Bildern in den Holzrahmen, der schmale Spiegel über dem Kamin, der Schrank, den ein schönes Service aus schimmernder Fayence zierte, und der Alkoven mit seinen weißen, steifgestärkten Gardinen nahmen etwas Heiteres an.

»Heh? Katharina, wollt Ihr mir jetzt nicht sagen, wie Ihr über meinen Jungen denkt; denn Ihr wißt, so alte Kerle wie ich haben nur solche Kinder, die andere ihnen lassen.«

Lamms Kopf sank mit einem Male bis auf die Brust nieder. Er schien zu schlafen.

»Ich will es Euch sagen, es ist Zeit, daß Ihr ihm eine Frau sucht, wenn Ihr noch Enkel um Euch sehen wollt, eh' Ihr ans Sterben denkt.«

Lamm saß da und rührte sich nicht.

»Der schläft,« redete der Pachter. »Da können wir ja gleich freiweg reden.«

»Wovon?« fragte die derbe Bäuerin leise.

»Wovon? Ja, das ist es eben, ich kann da nicht erst über vier Wege laufen, um Euch das klar zu machen, Katharina. Euch kann man jedenfalls aber auch nicht immer gradaus über den kürzesten Weg kommen. Was sagt Ihr dazu?«

»Gar nichts. Ich wart', daß Ihr kommt.«

»Na also, hm … da habt Ihr es. Wäre er nicht was für Euch, was, Katharina?«

Sie brach in ein Lachen aus.

»Aber Kobe,« sagte sie darauf, »so ein junger Hahn, und mich altes Huhn … Das geht doch nicht zusammen!«

»Das will ich erst sehen!« verwahrte sich der Pachter. »Lamm ist ein ehrlicher Junge und einer, der gut schafft.«

Sie fuhr hastig auf und sagte kurzweg:

»Dafür bin ich nicht! … Ich hab' nur einen Mann im Sinn, aber der …«

Sie sah ihm starr in die Augen.

»Ihr wißt es, Kobe, wer das ist.«

»Versteht sich,« überlegte Kobe, »das ist Tist, der Maurer.«

Tist kam tatsächlich hin und wieder zu Katharina.

Das dachte sich aber Lamm, der Duckmäuser, nicht; er öffnete ein Auge und sah aufmerksam nacheinander die derbe Katharina und seinen Onkel Kobe an.

»Hoho! hoho!« dachte er sich, »das ist mein Onkel Kobe.« Und alsogleich begann er zu schnarchen.


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