Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel

. Boer Jan ging erst mit großen Schritten, wie ein Mann, der es eilig hatte zu einem Ziel zu kommen, aber als er an der Wegbiegung den Pachterhof von Snipzel daliegen sah, rechtwinklig und massig mit seinen roten Dächern und seinen weißen Mauern, blieb er stehen, verschränkte die Arme und fing an die Krähen ganz aufmerksam zu betrachten, die sich über einem Feld tummelten.

»Zehn Stück sind da,« sagte er für sich hin.

»Nee, nee! da sind nur neun,« sagte jemand dicht neben ihm.

Boer Jan hatte die Gedanken so querum, daß er niemanden auf der Landstraße hatte gehen hören. Er fuhr auf. Es war aber nur der Ochsenhändler Schnup.

»Wo könnt Ihr Euren Kopf haben, um da zehn zu zählen,« sagte der Ochsenhändler und lachte.

»Auf meinen Schultern sicherlich,« antwortete Slim gereizt, daß er überrascht worden war.

»Das versteht sich, ich wollte damit nur sagen, daß wenn es sich um Eure Silbertaler gehandelt hätte, Ihr Euch sicher nicht geirrt hättet. Schön' guten Tag!«

»Immer ist es mein Geld, auf das sie es abgesehen haben,« seufzte Boer Jan.

Er setzte seinen Weg fort. Die zehn Krähen saßen ihm im Kopf. Vergeblich versuchte er den Gedanken an sie zu verjagen, er kam hartnäckig wieder.

»Ich hab' doch gut gesehen: es waren 10 Stück. Und ich werd' ihm also sagen: Na also, Snipzel, bringen wir die Sache in Ordnung. Und schließlich seid Ihr ja doch auch nicht mehr der Jüngste … Nein, das kann ich ihm wohl doch nicht sagen … neun? wo hat er nur bloß seine Augen gehabt, der verdammte Schnup?«

Während er quer über den Platz ging, sah er den Pachter, der gerade aus dem Schulgebäude herauskam. Andere Pachter kamen noch hinter ihm hergegangen, mit auf dem Rücken verschränkten Händen. Sie waren fünf an der Zahl. Der Gemeinderat hatte sich an diesem Tag zu einer Sitzung versammelt, und die Sitzungen wurden immer im großen Schulzimmer abgehalten, das für die Beratungen bestimmt war.

»Das rechte Wetter zum Spazierengehen,« rief der gewaltige Mann dem schmächtigen kleinen Bauer zu, seine Stimme klang mürrisch.

Und nachdem er ihn auf diese Art angesprochen hatte, holte er ihn auch schon ein.

»Die Gerste wird gut aufgehen,« entgegnete Boer Jan.

Sie verstummten darauf beide, ein jeder an das denkend, was sie sich zu sagen hatten. So kamen sie dahinschlendernd und sich gegenseitig beäugend auf den Pachthof zu.

Ganz plötzlich wie eine Gewitterwolke, die sich entlädt, brach der Pachter los:

»Das ist alles Possenreißerei! Ich hab' es nun satt. Nehmt Eure Tochter wieder! Ich behalt' mein Geld.«

Boer Jan blieb stehen, hob die Hände zum Himmel und schlug sie dann zusammen:

»Kobe, was soll das heißen?«

»Ach was! Ein Fuchs seid Ihr, ich seh' jetzt klar, was Euer Spiel ist. Ihr schröpft mich nicht mehr, nehmt Eure Tochter zurück. Da sind noch genug andere da, die mich nicht zum Narren halten werden.«

Slim kratzte sich sein Kinn und sann, was er wohl von diesem Bruch denken sollte, und wunderte sich darüber, daß nicht er derjenige war, der ihn herbeigeführt hatte; und schließlich schwieg er lieber schon auch aus Berechnung, denn er wußte wohl, welche Macht im Schweigen ruht.

»Ja, ja!« redete Snipzel. »Stellt Euch nur an, das rat' ich Euch, mir aber werdet Ihr nicht den Pelz bei lebendigem Leibe scheren. Ja, ja, Ihr sitzt auf dem Stroh und da habt Ihr gedacht, durch mich zu einem Federbett zu kommen. Auch andere hätten denselben Gedanken haben können wie Ihr, aber die ganze Welt hat nicht eine schöne Tochter wie die Roose. Ihr habt den feinen Köder nach dem großen Fisch ausgeworfen, nur der große Fisch hat sich nicht festgebissen.«

Und indem er dies sagte, blies der dicke Kobe die Backen auf, um dem anderen seinen Zorn und seine Verachtung zu zeigen.

»Pachter,« sagte zu guter Letzt der schmächtige Gevatter, »wenn Ihr damit sagen wollt, daß ich ruiniert bin, weil ich das Geld verloren habe, dann soll es gesagt sein, ich bin ruiniert! Aber manchmal findet man auch unterm Schrank, was man gemeint hat am Ofen gelassen zu haben. Auf alle Fälle ist es aber schlecht, jemandem das Brot vom Munde wegzureißen, das man ihm gegeben hat. Was werden die Leute im Dorf dazu sagen? Sie werden erzählen, daß Pachter Snipzel mich zum Narren gehalten hat. Keiner wird meine Roose mehr wollen.«

Er neigte zum Zeichen der Betrübnis seinen Kopf tief zwischen die Schultern und stieß zwischen jedem Wort einen Seufzer aus.

Kobe überlegte sich etwas einen Augenblick lang, um ihm dann schon etwas besänftigt zu sagen:

»Heirat, mein Freund Slim, ist wie, wenn einer so sagen wollte, ein Markthandel. Die Säcke sind offen, aber man sieht nur was obenauf liegt. Ich kauf' also einen Sack, wer würde denn da gleich ganz bestimmt sagen können, daß unter den schönen runden Weizenkörnern nicht vielleicht doch irgendein Dreck stecke. Ich bin es sicherlich nicht, der das sagt. Das Ganze bei dieser Geschichte ist so, daß man es nicht gern riskieren möchte. Nehmt Euren Sack zurück, Freund.«

Als Boer Jan nun sah, daß der Pachter entschlossen schien, lockerte er auch seinerseits ein Ende des Knotens und sagte:

»Ist das nicht ein Unglück, zu sehen, wenn einem der Wind die schönsten Früchte vom Baum herunterschlägt, wenn sie gerade so weit sind reif zu werden. So ist es nun damit gekommen, was ich gehofft habe.«

»Roose wird einen jungen Mann finden, und die können dann lange miteinander leben, während sie, weil ich alt bin, es nötig gehabt hätte, jeden Tag einen Stich an dem Laken zu nähen, auf das man mich nach meinem Tode betten wird.«

Boer Jan hörte mit niedergeschlagenen Augen zu, um nicht merken zu lassen, was er dachte, aber in seinem Inneren überlegte er jetzt, daß es wohl Zeit war, die Hauptfrage anzuschneiden.

»Was wird mit mir selbst dann werden, Freund Snipzel,« sagte er endlich, »Ihr habt mir versprochen, mir das Geld zu schenken, das ich Euch schulde, und nun werde ich gezwungen werden, es Euch zurückzuzahlen.«

Danach fügte er, gleich einen plötzlichen Vorstoß machend, wie im Zorn hinzu:

»Dann nehmt mir also mein Haus weg, nehmt mir das Land, das Pferd und die Kuh und macht Euch bezahlt damit, wortbrecherischer Mensch!«

»Gut,« sagte Kobe Snipzel, »Ihr behaltet das Land, das Pferd, die Kuh und das Haus, und Ihr behaltet auch das Geld, Freund Jan.«

Da begannen die kleinen grauen Augen des Bauers zu leuchten, aber er gab sich Mühe, beiseite zu sehen. Nur eine große rostrote Katze, die auf der Landstraße umherstrich, fing den schiefen Blick auf.

Sie sprachen noch eine Weile miteinander und waren wiederum Freunde geworden; darauf kehrte der Pachter zufrieden, wenn auch etwas beschämt, in seinen Pachthof zurück, und Jan Slim schlug den Weg nach seiner Behausung ein.

»Ich hab' da zwei Sachen auf einen Schlag erledigt,« dachte er sich, »dafür kann ich eine gute Pfeife rauchen.«

Und als es sich so traf, daß er an der Wiese vorüberkam, wo er eben erst die Krähen gesehen hatte, sah er sie sich wieder an und zählte sie aufs neue durch.

»Jetzt seh' ich genau,« sagte er sich, »Schnup hat doch recht gehabt: das ist sicher, es sind bloß neun Stück da.«


 << zurück weiter >>