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Fünfzehntes Kapitel

Der Herr Notarius Baptiste Napoleon Jean Pierre Lenz und seine Oleanderbäume. Kaiser Napoleon und der Melkeimer. Was der Herr Notarius und der Senior-Chef alles auf der Schnirkeltreppe verhandeln. Warum der Herr Bürovorsteher Heinrich Potthövel, genannt ›die Schnittbox‹ sich zum Doktor universalis lachen will und bald darauf gebietet, vier Zeugen zu rufen. Tätigung einer wichtigen Urkunde und Verabredung für den morgigen Abend.

Anderen Tages.

Gegen vier.

Eine schmeichlerische Frühlingssonne lag auf dem Marktplatz, glänzte in die blanken Spiegelscheiben hinein, schien auf Gerechte und Ungerechte und auf solche, die mitten dazwischen standen, ohne Ansehen der Person und nur darauf bedacht, eine innige und pläsierliche Note in die Herzen der Menschen zu tragen.

Das gelang ihr auch ausgiebig.

Alles, was lebte und atmete und die Fühlerchen streckte, sielte sich vor Wonne in dieser ausgiebigen Wärme, ließ sich Buckel und Bäuchlein bestrahlen und spann wie eine Miezekatze am behaglichen Ofenfeuer.

So auch der Herr Notarius Baptiste Napoleon Jean Pierre Lenz. Er stand auf seiner Schnirkeltreppe wie der Beherrscher von Samos auf seines Daches Zinne. Sein stattliches Bäuchlein, von dem eine goldene Berlocke niederbammelte, trug er selbstgefällig zur Schau. Mit eingekniffenen Äugelchen folgte er den Mückenschwärmen, die über den fünf Oleanderbäumen ihr artiges Spiel trieben.

Herr Baptiste Napoleon Jean Pierre Lenz ... Potztausend, diese französische Aufmachung! Selbst für die hiesige Gegend etwas reichlich bemessen! Aber ›Napoleon‹ erst?! Wie ließ dieser Name sich rechtfertigen? Wo in aller Welt hatte ihn der königlich preußische Notarius aufgelesen. O! das hatte diese Bewandtnis. Lebten da vor vielen Jahren die Eltern des Gestrengen als einfache Kätnerleute auf der schmalen Hügellehne, die sich, nur etliche Büchsenschüsse von der kleinen Stadt entfernt, halbkreisförmig von Xanten bis in die Gegend von Nymwegen erstreckte, über diese Hügellehne führte der Heerweg von Kleve nach Holland, die alte Straße, auf der bereits die Römer ihre Hörner und die Generale Isolan und Rabenhaupt ihre mörderischen Trommeln und Pfeifen hatten erklingen lassen ... und nun geschah es ... Am Rhein krächzten die französischen Adler, lärmten von Turm zu Turm und streckten die Fänge. Deutschland blutete bis fern an die Memel, knirschte unter dem Joch des düsteren Korsen – da stand eines Tages das kleine Bäuerchen Jakob Lenz vor seiner Katstelle und lauerte ängstlich auf die heißersehnte Wehmutter, denn seine Frau harrte bekümmert ihres Stündleins, das jeden Augenblick anheben konnte. Aber nichts ließ sich sehen. Nur vereinzelte Krähen stießen ihren grindigen Schnabel in die sandigen Ackerkrumen, hastete ein eiliger Goldschmied über die ausgefahrenen Geleise. Es war einsam ringsum. In der weiten Umgebung keine menschliche Siedelung, kein einladender Rauch, kein Glockengeläut, keine freundliche Stimme. Nur die verlorene Katstelle, Acker und Holzungen und die endlose, verödete Heerstraße, auf der sich kein Stäubchen bewegte. Da aber plötzlich ... In der Ferne ballte sich eine Trombe wehenden Sandes ... und in dieser Trombe: Pferdegetrappel und das Knattern von Rädern.

Die Wolke kommt näher, hält an und mit ihr eine stolze Karosse.

»Ah! Sieh da ...!«

Einer steigt aus ... blitzend ... mit Gold bestickt ... einer von den Hundertgarden ... hastig und mit fliegendem Haarbusch ...

» Avec permission ... macken Sie rasch ... Monsieur là, da drinnen ... vite, vite ... Monsieur haben besondere Eile ... müssen irgendwo hin ...«

»Sonder Komplimenten, Mynheer,« entgegnete Lenz, »wir besorgen das immerst toujours achter dem Stalle.«

» Non, non, non! dort in die Zimmer ...«

»Aber Mynheer ...?! Ich bin nicht in der Lage ... unmöglich ...«

»Unmöglick?! Was ist unmöglick? Impossible n'est pas un mot français. Sacré nom de Dieu! macken Sie hurtig. Wenn Sie haben keine Kommodität, bringen Sie Eimer ... regardez, bringen Sie Eimer ... oder ich werde Sie: manger, écraser – auffressen ...! Allons, fiese Allemand ...! Vite, vite! 'nen Eimer oder 'ne vase de nuit ...!«

Ein scharfes Eisen hebt sich, wird wieder in die Scheide gestoßen.

Da aber Lenz ...! die Tür zur besten Stube aufgerissen, 'nen blanken Melkeimer geholt, ihn mit vielen Komplimenten an Ort und Stelle gebracht – im Nu ist's geschehen, und siehe: dem Kutschenschlag entsteigt ein untersetzter, olivenfarbiger Mann ... ein Mann im schlichten Kleid, in kleinem Hütchen, den Orden der Ehrenlegion auf der Brust ... eiligst, in tiefster Bedrängnis ... tritt über die Schwelle, ins Zimmer – und ist allein mit dem Eimer.

So ganz allein.

Niemand ist bei ihm.

Nur drüben im Wandbett: ein Gardinchen bewegt sich ... ganz sachte ... eine müde, abgearbeitete Hand kommt zum Vorschein ... und Frau Lenz, die ihr Stündlein erwartet, die gute, propere, tapfere Frau Jüllecke Lenz muß zusehen ... muß zu ihrem Entsetzen bemerken ... Ach, da sieht sie: alles, was nach einem urewigen Naturgesetz sich tagtäglich vom menschlichen Leibe scheidet, was keinen Pfifferling wertet, fällt in ihren neuen, blankgeputzten, teuersten Eimer ...

»Um Gott nicht, um Gott nicht!«

Sie hätte aufschreien können, den gerechten Zorn des Himmels auf diesen Frevler herabrufen mögen, allein der untersetzte, olivenfarbige Mann, der Mann in schlichtem Kleid, in kleinem Hütchen, den Orden der Ehrenlegion auf der Brust, stört sich an gar nichts, erhebt sich, seufzet erleichtert, begibt sich hinaus und besteigt wieder die Kutsche, während sein Adjutant ...

»Komm' her, fiese Allemand ...! da nimm Er ...« und drei blanke, funkelnagelneue Napoleondore gleiten in die Hand des Erstaunten.

»Aber Mynherr, mit wem hab' ich die Ehre, ich und der Melkeimer? Man möchte doch gerne ...«

Da wirft der Offizier der Hundertgarden zwei Finger an den wehenden Roßschweif: »Le soleil d'Austerlitz: Sa Majesté Napoléon le Grand, l'empereur des Français!« steigt ein, und fort geht's in rasendem Tempo zur Parade und Heerschau nach Kleve.

So wirklich und wahrhaft geschehen im Jahre des Unheils, da man schrieb nach Christi Geburt 1811 und Jakob Lenz vor seiner Katstelle an der Römerstraße der Wehmutter harrte, statt ihrer aber der große Korse erschien und dem Melkeimer die Ehre widerfuhr, von diesem gewürdigt zu werden.

Jakob Lenz und Gemahlin waren rein aus dem Häuschen, erstickten in Devotion und brauchten lange dazu, sich wieder zu finden; mit ihnen alles, was in weitem Bering die schmale Hügellehne bewohnte, und als der junge Weltbürger die Taufe erhielt, mußten es sich dessen Paten Baptiste, Johann und Peter gefallen lassen, daß ihren Namen auch der des Imperators beigefügt wurde. Heil Baptiste Napoleon Jean Pierre Lenz! denn die drei behändigten Napoleondore trugen reichliche Früchte. Sie dienten als Fundus, den Kleinen studieren zu lassen, ihn auf die stolze Höhe eines königlich preußischen Notarius zu tragen, amtierend dahier und im hiesigen Friedensbezirk, dem Sprichwort gemäß: »Komm' eck over den Hond, dann komm eck ook over den Staart.« Der Melkeimer aber wurde in hohen Ehren gehalten, vererbte sich rechtlich und paradierte zur Zeit im Privatkabinett des jetzigen Inhabers. Ihm war die Inschrift beigegeben: » Sa Majesté Napoléon le Grand l'empereur des Français bediente sich meiner, als er die große Parade auf dem Felde bei Kleve besuchte.«

Und nun ...?

Der glückliche Besitzer stand auf der Schnirkeltreppe seines stattlichen Hauses und folgte mit eingekniffenen Äugelchen den lustigen Mückenschwärmen, die über den fünf Oleanderbäumen ihr artiges Spiel trieben.

Der Herr Notarius Baptiste Napoleon Jean Pierre Lenz machte mit seinen dreiundfünfzig Jahren noch einen imponierenden Eindruck, wenngleich die putzigen Beinchen auch alle Mühe hatten, das opulente, mit einer schneesauberen Weste umkrustete Bäuchlein in zweckdienlicher Weise zu tragen und aufrecht zu halten. Dazu war das Haar gleichsam mit Kalk übertüncht, silberig-weiß, aber es schob sich straff wie ein Kasuarhelm über den Schädel, wobei das glattrasierte Pontakgesicht so wohlgefällig zwischen den Vatermördern ruhte, als läge ein saftiges, lachendes Riesenradieschen zwischen den Falten einer blütenweißen Handserviette.

Der Notarius schmunzelte.

Das Geschäft stand in floribus. Heute hatte er bereits fünf gediegene Akte getätigt: zwei Eheverträge und drei fette Schuld- und Pfandverschreibungen. Der sechste war im Anmarsch begriffen, denn drüben vom Spierschen Anwesen her kam Elias seines Weges geschleift, ein Bündel Papiere unterm Arm, mit scharfem Kurs auf die Schnirkeltreppe und die prächtigen Oleanderbäumchen. Und was das Lustigste war! In einem offenen Fenster der ersten Etage zeigte sich Maier, mit hochrotem Gesicht und sichtigen Goldplomben. Mit forciertem Interesse folgte er den Spuren seines abtrünnigen Bruders. Was hatte er vor? Was für schwarze Machenschaften mochte seine Seele bergen? Wenn er daran dachte, lief ihm die Galle über, rauschte ihm das Blut in den Ohren. Diese nichtswürdige Drohung von gestern! Sonst der gutmütigste Mensch von der Welt, hatte er Worte gebraucht, die das Schlimmste befürchten ließen, hatte er durchblicken lassen, nötigen Falles den Glanz des Hauses zu schmälern und über Leichen zu pilgern, und war vielleicht jetzt auf dem Wege, aus den Erlebnissen der verflossenen Nacht seine Folgerungen zu ziehen und der Firma einen nicht wieder gutzumachenden Stoß zu versetzen.

»Himmel verdammich!«

So Maier in einem offenen Fenster der ersten Etage ... und unter ihm, zur ebenen Erde, hinter den Scheiben des Spierschen Kontors ...

Dem Herrn Notarius Lenz wurde kreuzfidel und puppenmunter zu Sinn, denn dort stand Sigismund Mendel, kregel, alert, mit der zuversichtlichsten Visage von der Welt, die Feder hinterm Ohr, ein Veilchensträußchen im Mund und ebenfalls scharf auf den unternehmungslustigen Gang seines lieben Onkels Elias. Warum er wohl ausging? Was er wohl ausheckte, dieser silberhaarige Schwerenöter? Er war einer von den Stillen im Lande, einer mit Rattenäugelchen und 'nem Kindergemüt, ein allerliebster Schlecker und Schlemmer, aber auch einer von denen, welchen der Schlimmsel und Schlimmerich aus allen Knopflöchern herausvigilierte ...

»I den Kuckuck noch mal!«

Sigismund machte den Hals lang.

»Wahrhaftigen Gott! er geht zum Notar hin.«

Und richtig, so war es.

Der Senior-Chef hatte sich in Gala geworfen.

Sonntäglich gekleidet, perlgraue Pantoffeln an den Füßen, also ausstaffiert, schleifte er dem Notariat, den Oleanderbäumen und der Schnirkeltreppe entgegen.

Herr Lenz sah ihn kommen und rief ihn schon von weitem an: »Ah! votre serviteur, monsieur Spier! Entrez, s'il vous plaît.«

Elias dankte gerührt, aber betrüblich, indem er seinen Zylinder lüftete und ihn wieder mit einem tiefen Seufzer auf den Hinterkopf stülpte.

»Herr Notarius, ich komme.«

»Aber wie 'n Hammelschwänzchen!« lachte der Rechtskundige und rieb vergnügt die Hände gegeneinander. »Es ist kein Elan drin, kein Schwung in der Sache. Wo fehlt's denn, Herr Eli?«

»Gott, wo soll's fehlen? Überall fehlt's mir. Man geht mit die wehen Gedanken zu Bett, um wieder aufzustehen mit die wehen Gedanken. Mir ist es wie Joël, der da redete: Der Same ist unter der Erde verfault, die Kornspeicher stehen wüste, die Scheunen zerfallen, das Korn ist verdorben. O, wie seufzet das Vieh!«

Er schüttelte traurig den Kopf.

»Herr Notarius, es ist 'ne Luft wie im Abtritt.«

»Verstehe, verstehe! 'ne Tränenwelt, mein lieber Herr Eli. Ein Hasten und Treiben. Kein lustiges Bläschen mehr! Nebelgraue Wiesen ohne Anfang und Ende. Faule Geschäftspapiere. Aber was frommt es? Jedereins muß dagegen anoperieren. Mit der Nase hinein in den Wind. Gebet und Weihwasser, die freilich tun es allein nicht. Selbst ist der Mann. Der Mensch muß seine innere Befriedigung haben.«

Er schrumpfelte die Augenbrauen zusammen.

»Ich sehe: Ihr Körper ist frisch und gesund, aber Ihr geistiger Zustand ... da hapert's.«

»Herr!« erschreckte sich der Senior-Chef und macht kreisrunde Augen, »das wissen Sie auch schon? Das haben Sie auch schon gehört?!«

»Alles! denn wir als Notar ... wir machen's, wir sind schon die beste Adresse, zumal die Schrift besagt: Kommt her zu mir, die ihr müheselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Sie wissen: Notarii publici per totum annum diligentes et multorum hominum negotia gerentes. Also, mein verehrter Herr Spier, gehen wir sofort in medias res. Erklären Sie sich. Ich steh' in jeder Hinsicht zu Diensten. Was soll es denn sein: ein Wechselprotest, 'ne kleine Zession, 'ne Kauf-, Miet- oder Pacht-Übertragung oder aber« – und der Herr Notarius Baptiste Napoleon Jean Pierre Lenz geruhte, seine Mundecken in verschmitzte Fältchen zu legen – »so 'n niedliches Eheverträgelchen, um allen Weiterungen die Spitze zu bieten?«

»Nicht ums Katholischwerden!«

Der würdige Vertreter der Firma erbleichte. Die Bedrängnis und Schrecken der verflossenen Nacht traten ihm aufs neue vor die zermarterte Seele, aber im verstärkten Maße, ungeheuerlich: entstellte Gesichter mit platten Nasen, Triefaugen und aztekenartig nach rücklings fliehenden Stirnen.

»Herr Notarius, ich bitte Ihnen, in meinem gesegneten Alter?!«

Beschwörend hielt er beide Handflächen dem Gestrengen entgegen, als sähe er sich genötigt, den plötzlich in die Erscheinung getretenen Ehevertrag in Gräber und Grüfte zu bannen.

»Niemals, Herr Lenz, aber wenn's Ihnen kommod ist un Sie die Angelegenheit nicht for schofel erachten, möchte ich 'ne Schenkung instrumentieren oder 'n Testament auf Leben un Sterben.«

Er musterte ängstlich die Züge des Rechtsbeflissenen.

»So, so!« meinte dieser. »Also Testament oder Schenkung! Warum nicht? Nichts dagegen zu sagen, und ich denke, Sie haben dabei Ihren jüngeren Bruder im Auge.«

Elias fuhr auf wie von einer Tarantel gestochen.

»Wie käm' ich dazu? Ich bin 'n alter Mann un 'n gebrochener Mann un bin gekommen ins Unglück bis über dem Munde. Wer hat mir geholfen dabei? Niemand hat mir geholfen. Auch Maier ist mir nicht Stab un Stütze gewesen. Ich weise ihn von mir.«

»Hm, hm! also abgelehnt. Dann vielleicht Herr Sigismund Mendel?«

»Auch der nicht. Er ist 'ne junge Kraft un 'ne unternehmende Kraft. Junge Leut' sollen selber machen Karriere. Ich hab's auch getan, als ich bin gewesen in die sprossenden Jahre. Erst mit die Kaninchen- un Hasenfelle, dann mit die Wull un die Produktengeschäfte. Ja, ich bin gegangen über die Acker im Winter, un ich bin gegangen über die Acker im Sommer; ich bin gegangen, wenn's hat gefroren Steine un Beine, un bin gegangen, wenn einem hing die lechzende Zunge zum Halse heraus, aber ich bin tapfer geblieben un hab' gelegt Pfennig auf Pfennig un Taler auf Taler, bis wir sagen konnten, Maier un ich, wir sind die reichen geworden. Nu, was wir haben gekonnt, warum soll es der Mendel nicht können? Nein, Herr Notarius, auch ihn weise ich von mir.«

»Wird also sistiert,« meinte Herr Lenz und legte die gefalteten Hände aus seinem blütenweißen Bäuchlein zusammen ... und lächelte ... und lächelte pfiffig ... und lächelte, wie die Auguren zu lächeln pflegten und die Weltweisen im alten Athen ... und sagte: »Dann die letzte Instanz, ohne dabei an das tief einschneidende napoleonische ›La recherche de la paternité est interdite‹ denken zu müssen. Aber das ›Où est la femme‹?! Man kommt ohne dieses nicht aus. Schon der alte Juvenal sagt in seinen Satiren: Kaum gibt's irgendeinen Prozeß, wo den Streit nicht irgendein Weib veranlaßt hätte ... und so denke ich auch ... Habe ich recht oder unrecht, mein hochverehrter Elias?«

Der Ärmste gab Öl von sich.

Er räusperte sich, sah verlegen zur Seite, interessierte sich für die Oleanderbäume und wischte sich den Schweiß von der Stirne.

»Herr Notarius,« stammelte er wie eine arme Seele, die bereits das Galgenholz abgestreift hatte, »es wird seine Richtigkeit haben.«

»Dann kommen Sie mit mir, dort hinein, in mein Privatkabinett. Kurz, aber schmerzhaft. Und wenn Sie die juristische Operation hinter sich haben, dann werden Sie schmunzeln und singen: Hodie obliviscimur omnes molestias et curas, tam praeteritas, quam praesentes et futuras, und Sie werden sein wie die deutschen Studenten, von denen es heißt: Hodie sumus sicut Germani studentes, multum edentes, plus bibentes et nihil facientes. Und somit: Entrez s'il vous plaît. Die Angelegenheit wird bestens geregelt.«

»Mit Gott denn,« sagte Elias, aber seine Stimme knackte ab wie ein Tonpfeifenstummel.

Selbander betraten sie das erste, links gelegene Zimmer, wo verschiedene Schreiber an schwarzen Pulten saßen und sich damit beschäftigten, Rechnungsauszüge zu machen, zu kollationieren und Aktenrollen auszufertigen. An einem gesonderten Pult thronte ein schwammiger Mensch, der sich Heinrich Potthövel schrieb, aber sich allgemein des Namens ›Schittbox‹ erfreute, ein Filou von reinstem Wasser, mit schönen Puppenaugen und einem ehrfurchtgebietenden Verdruß auf dem Rücken. Offenbar hatte er das Gespräch auf der Schnirkeltreppe durch die Scheiben belauscht, denn er warf seinen Kollegen ein pläsierliches Äugelchen zu, als die Herren die Schreibstube passierten.

Es duftete nach eingetrockneter und nasser Tinte, nach frischem Papier und vergilbtem Papier, nach Staub und Siegellack und allen Ingredienzien, die einem solchen Amtszimmer anhafteten.

»Allons!« gebot der Herr Notarius Lenz.

Er schnalzte mit Daumen und Mittelfinger.

Da sprang ein kleiner, rothaariger Stift vom Drehbock und warf mit tiefster Devotion die Tür zum Privatkabinett des Chefs auf.

»Bitte, Herr Spier!«

Gleich darauf waren die beiden im Nebenzimmer verschwunden.

Die Tür schloß sich wieder.

»Achtung!«

Wer rief da?! Ach so! das war ja ...

Den rechten Arm gestreckt und den Zeigefinger pielgerade aufrecht, apostrophierte der schwammige Herr mit den Puppenaugen seine Kollegen von seinem Thronsitz herunter: »Kinder! Ich, Heinrich Potthövel, genannt die Schittbox, von Gottes Gnaden Bürovorsteher des königlich preußischen Notars Baptiste Napoleon Jean Pierre Lenz, bestellt für den Friedensgerichtsbezirk Kleve, domiziliert in der hiesigen Kirchengemeinde, tue hiermit kund und zu wissen: Die Wände nebenan werden etwas Großes erleben. Wie's trefft: etwas Ulkiges, Tragisches, Niedagewesenes. Ihr sollt sehen: Elias contra Maier und Perlchen, oder Maier contra Elias und Perlchen, oder aber Tableau: die Piepmösch und Rosalie Perlchen ... elend oder strahlend wie Möpse. Es ist, um sich zum Doctor universalis zu lachen. Hu! ihr werdet's erleben.«

Damit schlug er den Pultdeckel zurück und wieherte in den Kasten hinein, als hätte er es mit einem Hohlspiegel zu tun.

Fast gleichzeitig steckte Herr Lenz seinen Kopf durch den Türspalt.

»Herr Potthövel!«

»Herr Notar!«

»Vier Zeugen! aber citissime

»Natürlich sofort!«

Das Schloßzüngelchen am Privatkabinett schnappte wiederum ein.

»Holla, mein Junge!«

Der Herr Bürovorsteher knöchelte dem sommersprossigen Stift auf die rote Perücke, daß er aufquietschte.

»Vorwärts! die Zeugen,« und fort war der Bengel, als wäre er von einem der Aktenrepositorien aufgeschluckt worden, totaliter aufgeschluckt, während da drinnen Rechtsbeistand und Klient sich hart gegenüber saßen, ersterer mit übergeschlagenen Beinen, ganz Ohr, die goldene Berlocke zwischen den Fingern, letzterer verängstigt, den Zylinder auf den Knien, mit Mund und Händen erklärend und devot den historischen Melkeimer betrachtend, den der große Korse in schwerer Beängstigung usurpierte, damals, vorzeiten, als das Deutsche Reich unter ihm ächzte, derselbe große Korse, dessen Code allein nicht mehr ausreichte, sein ›To be or not to be‹ über das Haus der Gebrüder zu sprechen.

Endlich war er mit seiner Darlegung fertig geworden.

Er schaute wie ein gerupftes Huhn auf den Gestrengen.

»Sind Sie nu völlig im Bilde, Herr Notarius? Ich meine ...«

»Ich?« fragte dieser. »Aber natürlich. Ich bin immer im Bilde. Immer mit 'nem Galoppsprung im Rahmen. Der queckenreiche juristische Acker wird von mir bearbeitet, als wenn es ein Kinderspiel wäre. Ich zediere und reguliere, quittiere, lösche und negoziiere, versiegele, inventarisiere und stipuliere – alles promptest, mein Lieber, und es müßte mit dem Henker zugehen, falls mir nur der geringfügigste Lapsus unterlaufen sollte. Nur eins noch ...«

Herr Baptiste Napoleon Jean Pierre Lenz räusperte sich.

»Das wäre?« fragte Elias.

»Pst! wir werden's gleich haben.«

Herr Lenz dachte tiefgründig nach.

»Na ja,« sagte er endlich. »Herr Spier, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie willens, Ihren Bruder völlig auszuschalten, auch nicht das geringste auf sein Konto zu buchen?«

»Stimmt. Nicht das geringste.«

»Und das ist alles wohl überlegt?«

»Wohl überlegt.«

»Ohne daß Sie später Reue darüber empfinden würden?«

»Ja woll!« trumpfte der Senior-Chef auf und klopfte dabei auf seinen Zylinder.

»Trefflich! und dann noch 'ne Frage. Ich meine: soll nun Herr Maier, also Ihr Bruder, bei der Beurkundung glimpflich behandelt werden, oder sind Sie der Ansicht, ein in Parenthese beigefügter Wischer könnte nicht schaden?«

»Herr Notarius ...«

Elias fuhr auf. Die winzigen, rotunterlaufenen Rattenäugelchen schossen giftige Blitze. Er drehte den Hut und sah in die Röhre, als läge dort sein ganzer Groll aufgespeichert, den er in gegenwärtiger Stunde herauslangen müßte, um seine Sache vor Gott und Gericht zu vertreten.

»Herr Notarius, wischen Sie; wischen Sie soviel Sie nur können. Er soll ausgeflammt werden aus meinem Gedächtnis, der Maier ... hat er mich doch verschlissen als 'n Beheme ... hat er mich doch gejagt in die Ängste hinein un mich verhohnepiepelt for die Gewalt bei lebendigem Leibe, als wäre ich gewesen 'n Schächer am Kreuze ... Herr Notarius, ausgeflammt soll er werden, der Maier, aus meiner Erinnerung un allem, was ich hab' un besitze. Un wenn Sie's machen können, machen Sie's feste. Vielleicht ändert er sich, wird er kommen zu mir un sagen in Demut: Um Vergebung, Elias, ich un die Perlchen ...«

»Gut!«

Der Notar unterbrach ihn.

»Actum ut supra.«

Seine Hand legte sich schwer auf den Tisch.

»Dann Testament unter voller Begründung.«

Mitdem wurde angeklopft.

»Herein!«

Die vier Zeugen erschienen: ein Schuster, ein Nachtwächter, ein Ferkelstecher und der Barbier vom Oberen Graben.

»Nehmt Platz!«

Die Tür schloß sich wieder. –

Eine Stunde verging. Die Schatten draußen hatten schon lange Gesichter bekommen. Die vergoldeten Zeiger auf der Rathausuhr krochen behaglich ihren Schneckengang weiter. Ein rosiger Goldschaum umkleidete bereits das zartmaschige Frühlingsgewand der ehrwürdigen Linde, die Gänsekiele der Schreiber hatten es nicht mehr so eilig, und der Herr Bürovorsteher mit den Puppenaugen und dem lustigen Verdruß auf dem Rücken sehnte sich danach, zum Abendschoppen zu kommen, als die Zeugen wieder das Privatkabinett verließen und Herr Lenz seinen Klienten bis zur Schnirkeltreppe geleitete.

Hier blieben sie stehen.

»Das wär' gemacht,« sagte der Notar. »Schmerzlich – gewiß, ein chirurgischer Eingriff, nihilominus autem minime desperamus, sed omne quod bonum et jucundum expectamus. Also hoffen wir. Noch sonst was, Herr Spier?«

»Ja, Herr Notarius. Kommen Sie ins Haus Großer Markt Numero sieben ... un lesen sollen Sie den getätigten Akt in Gegenwart Maiers, auf daß er es höre, er un die anderen ... un lesen sollen Sie es mit Ihrem Munde Wort für Wort un Buchstabe für Buchstabe, bis sie Öl geben werden. Aber ich meine nicht Ihnen, sondern den Bruder.«

Herr Lenz räusperte sich.

»Um welche Zeit?« fragte er lauernd, sich eine genußreiche Stunde versprechend.

»Morgen abend um achte,« sagte Elias und streckte die Hand aus. »Aber lesen sollen Sie« – und seine Stimme schwoll an, wurde gefährlich und drohend – »lesen sollen Sie um der Majestät un der Kraft wegen bei brennenden Kerzen ... Herr Notarius, bei brennenden Kerzen!«

»Schön, also um achte und bei brennenden Kerzen.«

»Ja,« nickte der Senior-Chef, »so un nicht anders. Ich habe die Ehre.«

Damit schleifte er gemächlich seinem nahe gelegenen Heim zu.


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