Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel

Es beginnt und endet mit einer Geschichte, die eigentlich nicht zu dieser Geschichte gehört, aber doch vergnüglich zu lesen sein dürfte, weil sie in medias res führt.

Häufig begegnete er mir, wenigstens zweimal am Tage, des Morgens und dann wieder am Abend.

Er war ein langaufgeschossener, steifleinener Mann mit einem glattrasierten Entenschnabelgesicht und abstehenden Ohren.

Sein Gehabe erinnerte an längst verklungene Zeiten. Er trug schwarzes Gewand, darüber eine Samtschaube mit Zobelverbrämung. Eine schwere Ehrenkette mit güldenem Pfennig hing ihm tief auf der Brust.

Sein Gang war gravitätisch, streng zeremoniell, kühl und abweisend. Er sah weder rechts noch links, weder zu Boden noch gen Himmel, sondern allzeit stur-geradeaus. Die Umwelt interessierte ihn nicht. Die Menschen, die ihm begegneten, schienen für ihn nicht vorhanden zu sein. Er kam wie ein Schatten und ging wie ein Schatten, und was das Seltsamste war: in der ringgeschmückten Hand führte er eine braunglasierte Bunzlauer Kanne mit sich, der ein warmer Duft nach aromatischem Kaffee entströmte.

Jedesmal, wenn ich ihn sah, trat er über die Schwelle meines Hauses, stieg langsam die Treppe hinauf, muffelte etwas Unverständliches zwischen den blutleeren Lippen, um spurlos in dem blauen Zimmer zu verschwinden, woselbst ich meine Manuskripte, Zeichnungen, Bücher und ähnliche Dinge aufbewahrte.

So ging das Wochen und Monde hindurch, ohne daß es mir gelang, der rätselhaften Erscheinung näher zu treten.

Eines Tages jedoch sprach ich ihn an und fragte ihn mit einer gewissen Beklemmung: »Um Verzeihung: mein Heim scheint Ihnen ein tieferes Interesse abzuzwingen. Würden Sie daher wohl die Freundlichkeit haben, mir Ihren werten Namen ...«

Ich kam nicht weiter, denn der also Angeredete packte, ohne viel Federlesens zu machen, seinen gedunsenen Kopf, drehte ihn um die eigene Achse und ließ ihn dann mit dem Knacken eines Eulenschnabels wieder in seine frühere Lage zurückschnellen.

»Wie Sie wollen, mein Herr. Meine Gepflogenheiten bewegen sich stets in den ortsüblichen Gebräuchen. Ich verstatte jedem Menschen gerne, mich danach zu fragen.«

Dabei schwenkte er die Bunzlauer Kaffeekanne, runzelte die Brauen und rollte die Augen, daß die Pupillen sich hinter die Lider zurückzogen

»Dann dürfte ich bitten ...«

»Achtung, mein Herr! Ich bin der Majordom Bucardo des Tyrannen von Bassano, Vicenza, Verona, Palma, Trient und Treviso.«

»Was?!« rief ich aus, »also der Majordom des Tyrannen Ezzelino, der die natürliche Tochter des großen Kaisers, die schöne Selvaggia, zur Frau hatte?!«

»Wundert Sie das?« fragte er mit häßlichem Grinsen.

»Keineswegs,« erwiderte ich, um doch etwas zu sagen, obgleich mir der Verstand aus den Fugen gedrückt wurde. »Nur möchte ich wissen ...«

»Ich verstehe Sie vollkommen,« sagte er ruhig. »Das Geschlecht, so der ungläubige Thomas erzeugte, ist bis auf unsere Tage gekommen. Sie möchten für meine Behauptung gern einen Kronzeugen haben. So hören Sie denn: es ist der Schweizer Conrad Ferdinand Meyer, der ›Die Hochzeit des Mönchs‹, diese furchtbare Geschichte, verfaßte.«

»So!« erwiderte ich etwas erleichtert, wenn auch noch immer von einer grenzenlosen Erregung ergriffen.

Ich kam mir vor wie ein verschüchterter Candidatus reverendi ministerii, dem ein brutaler Patronatsherr gebot, seine erste Predigt zu halten.

Der Bunzlauer Topf apothekerte stärker. Er wurde zu einem Lebewesen, zu einem duftenden Moloch, der die Narben und Spezereien Arabiens über mich ausströmte, und diesen duftenden Moloch hielt mir der Fremde entgegen, klappte die Augen auf und zu, ließ den entsetzlichen Kopf sich wieder um die eigene Achse drehen, daß es in allen Halswirbeln knisterte, und sagte: »In diesem güldenen Gefäß birgt sich der geheimnisvolle Trank, der für Ihre Herzallerliebste bestimmt ist. Mein Herr und Gebieter, der Tyrann von Bassano, Vicenza, Verona, Padua, Trient und Treviso, gab mir Befehl, ihn tagtäglich zu ihr in das blaue Zimmer zu tragen, damit sie sich an Leib und Seele verjünge. Er meint es gut mit Ihnen und Ihrer Geliebten.«

»Christus! so kennen Sie mich?«

Es wurde dunkel um mich. Nur der grauenhafte Majordom stand vor mir, als wäre er von einem Astrallicht umbüschelt, und aus diesem Astrallicht tönte eine gnätschige Stimme: »Warum sollte ich nicht? Mein Herr, ich kenne Sie schon Jahre um Jahre. Meine Erinnerungen ähneln scharfen Rasiermessern. Sie zerteilen ein fliegendes Härchen. Ich täusche mich niemals! Sinne ich darüber nach, so sind es wenigstens Hunderte von Jahren gewesen, daß ich die Ehre hatte, Ihre werte Bekanntschaft zu machen. Sie sind der Mönch Astorre aus dem Hause der Vicedomini zu Padua.«

»Woher wissen Sie das?« fragte ich, bleich vor Entsetzen.

Er beschrieb mit dem kalkigen Zeigefinger der rechten Hand eine große Kreislinie und stieß dann mit eben diesem kalkigen Zeigefinger wie mit einem Degen mitten ins Zentrum, gewissermaßen, um seinen Worten den gehörigen Nachdruck zu geben.

»Nichts leichter als dieses! Es ist wiederum der Schweizer Conrad Ferdinand Meyer, der ›Die Hochzeit des Mönchs‹, diese furchtbare Geschichte, verfaßte.«

Mir graute.

»Und woher weiß Conrad Ferdinand Meyer ...?«

Er nahm mir den weiteren Satz von den Lippen.

»Von dem göttlichen Dante.«

»Und Dante ...?«

»Entnahm sie einer ehrwürdigen Grabstätte, dessen Stein die Inschrift enthielt: Hic jacet monachus Astorre cum uxore Antiope. Sepeliebat Azollinus, oder auf deutsch gesetzet: Hier schlummert der Mönch Astorre neben seiner Gattin Antiope. Ezzelino begrub sie.«

Damit ließ der Majordom wiederum die grauenhaften Halswirbel knacken, verdrehte die Augen und sagte: »Hiermit hat meine Mission ihr beschauliches Ende gefunden. Meine Zeit ist bemessen, oder glaubst du, ich hätte Muße genug, Flöhe zu fangen oder gleich dem seligen Karl Arnold Kortum das Leben, die Meinungen und Taten von Hieronymus Jobs, dem Kandidaten, zu schreiben? Ich denke nicht dran. Von nun an wirst du meine Rolle vertreten und deiner Geliebten den köstlichen Mokka kredenzen, im Sinne meines Gebieters, des Tyrannen von Bassano, Vicenza, Verona, Padua, Trient und Treviso, aber nur löffelchensweise, immer nur löffelchensweise, damit sie sich verjünge an Leib und Seele und schön werde wie eine Istar zu Arbela, eine Astarte zu Ninive, eine Aschtoret zu Karthago, eine Derketo zu Askalon, eine Atargatis zu Hierapolis, eine Melitta zu Babylon und eine Venus zu Paphos, schön wie die Aristokratinnen im alten Rom, die während der Dämmerstunden die via sacra belebten. Sie muß werden wie die, die ihr Heil im Schatten der Akropolis suchen und ihre Sehnsucht in den Tempeln von Baalbek austräumen ... wenn nicht, soll es dir ergehen wie dem heiligen Dionysius Areopagita, der gezwungen wurde, mit dem abgehauenen Kopf in der Hand von Paris nach St. Denis zu pilgern. Verstanden?!«

Gleichzeitig überreichte er mir die Bunzlauer Kaffeekanne, von der er behauptet hatte, sie sei gülden gewesen, und verflüchtete sich in Nebel und Schwaden ... und ich mitten dazwischen, in diesen ziehenden Dämpfen, in diesem Chaos, in dieser Wirrnis ohne Licht und Planetenfeuer, und das geworden, was mir Ezzelino geboten zu werden: Astorre, der Mönch, aus dem begüterten Hause der Vicedomini zu Padua ... und sehe hohe Kastelle und stolze Granden und eine Hochzeit mit Masken ...

Ich bin also wirklich Astorre, der Mönch, der Abtrünnige, untreu den Ordensregeln und seinen Gelübden ... und sehe die Brenta fließen ... und darin meinen Bruder Umberto mit seinem Weibe, der schönen und herben Diana Pizzaguerra, versinken. Aber das Weib bleibt dem Leben erhalten. Weh' mir! ich werde genötigt, die Witwe meines Bruders zu freien. Ich will nicht und kann nicht, denn ich liebe bereits die stille, schmale, feinbrüstige Antiope aus dem Hause Canossa und bin willens, mit ihr Amarella oder Amare, das paduanische Hochzeitsgebäck, zu verzehren.

Ich breite die Arme.

Sie weilt in dem blauen Zimmer, woselbst ich meine Manuskripte, meine Zeichnungen, Bücher und ähnliche Dinge bewahre.

Mit dem mir aufgezwungenen Behälter eile ich in die trauliche Stube, wo nette Schildereien an den Wänden hängen, ein preziöses Stutzührchen tickert, fünfundzwanzig Geranienstöcke in Reihe blühen und ein schwarzgewichstes Kanonenöfchen, das leider auf dem Kopf steht, niedliche Funkensplitterchen über die sauberen Dielen verknistert.

»Antiope, Geliebte!«

Da sitzt sie in einer Laube von Damaszenerrosen und verzehrt portugiesische Krachmandeln, die mir so groß wie Kokosnüsse erscheinen.

Die abgelösten Schalen fallen hart und schwer gleich Kieselsteinen zu Boden.

Ein vernachlässigtes, aber vornehmes Gewand umhüllt ihre Glieder.

Was Glieder?! Knochen, nur Knochen und Brüste, die Schrotbeuteln ähneln! Christus, mein Heiland! denn was ich da sehe, ist ihre Mutter, die honette Madonna Olympia aus dem Hause Canossa, die Conrad Ferdinand Meyer und sein Gewährsmann, der göttliche Dante, hochbejahrt und wahnsinnig machten.

Wo bin ich? Was bedeuten die Gitarren und Harfen? Das blaue Zimmer belebt sich, wird flackerhell, mit unzähligen Sternen durchkrustet. Granden und Masken erscheinen.

»Nur heran mit der Bunzlauer Kanne,« tönt die Stimme des unsichtbaren Majordomus durch das Harfen und Quinkelieren hindurch, »nur immer tapfer gelöffelt, und sie wird wieder schön und schmal und feinbrüstig werden – deine Geliebte!«

Ich folge dem eisernen Befehl mit der Gewissenhaftigkeit einer Präzisionsmaschine.

Heureka! ich habe Erfolg. Das vornehme, aber vernachlässigte Gewand nimmt seinen verblichenen Glanz wieder auf, duftet nach Veilchen, wie sie duften am Comer See und an den sanften Ufern der Brenta, füllt sich mit Rosen und Schnee, wird durchsichtig, klingend und singend wie ein Gespinst aus schimmernden Glasfäden. Ich sehe alles verklärt, gleichsam durch eine opalisierende Myrrhenscheibe. An Stelle des entsetzlichen Weibes erblicke ich die Jugend wie nicht mehr zu finden. Bläuliche Perlenschnüre umwinden das Weiß ihres Nackens. Ihre Augen leuchten gleich Irisblumen, die an dem See Genezareth ihren ganzen Zauber entfalten. Sie öffnet die Lippen, sie redet: »Ich habe mein Hemd ausgezogen, wie sollte ich es wieder anziehen? Ich habe meine Füße gewaschen, wie sollte ich sie wieder besudeln? Der Feigenbaum hat seine Früchte angesetzt, und die Turteltaube läßt sich hören in unserm Lande. O, küsse mich mit dem Kuß deines Mundes!«

Der ihr löffelchensweise eingeflößte Trank tut Wunder bei Wunder.

Ich stehe auf dem Kopf.

Auch die schöne Antiope aus dem Hause Canossa macht Anstalten, sich häuptlings zu stellen und auf den Händen zu gehen.

Die Musik verstärkt sich. Die Sarabande ertönt. Dazwischen läßt sich ein Walzer von Johann Strauß und eine feurige Polka Mazurka vernehmen. Als wäre Mischka an der Theiß lebendig geworden, so klingt es:

»Wo auf sommerfrohen Hängen
Die Tokayertraube lacht,
Reiten lustig mit Gesängen
Die Husaren durch die Nacht.«

Neue Masken erscheinen, und unter diesen lachenden Masken: Diana Pizzaguerra, das Weib meines ertrunkenen Bruders, das herbe Weib, das ich heiraten sollte, als Artemis verkleidet, mit Köcher und Bogen, im brandroten Haar die abgezirkelte bleiche Sichel des Mondes.

Ezzelino ist bei ihr, der Tyrann von Bassano, Vicenza, Verona, Padua, Trient und Treviso.

»Ha!« schreit sie auf, als sie der Antiope ansichtig wird. »Da sitzt ja das Weib, das ich suche, da sitzt es lästerlich und unkeusch neben Astorre Vicedomini: die Astarte zu Ninive, die Melitta zu Babylon, die Venus von Paphos. Warte, du Vettel! ich werde dir das paduanische Hochzeitsgebäck zu kosten verstatten!« reißt einen Pfeil aus dem Köcher und stößt die silberne Waffe in das Herz der feinbrüstigen Geliebten.

Ein heißer Blutstrom geht über mich fort.

»Tod, Hölle, Mord und Seligkeit ...!«

Ich will mich auf Diana Pizzaguerra werfen, sie würgen, erdrosseln ... da purzelt mir selber der Kopf von den Schultern, springt auf und davon, zieht einen roten Faden hinter sich her, rast dem Ausgang und der Marmortreppe zu, trudelt und stolpert von Stufe zu Stufe, von Estrade zu Estrade, während die Granden und Masken in ein schallendes Gelächter ausbrechen und der bleiche Tyrann die ewig denkwürdigen Worte prägt: »Die Geschichte ist aus. Hic jacet Astorre cum uxore Antiope. Sepeliebat Azzolinus, oder auf deutsch gesetzet: Hier schlummert der Mönch Astorre neben seiner Gattin Antiope. Ezzelino begrub sie.«

»Jesus, Maria und Joseph, wo bin ich?! Ihr vierzehn Nothelfer und ihr Heiligen Gottes, steht mir bei in dieser Stunde der Prüfung, des Grauens und Entsetzens!«

Mit einem Schrei wache ich auf. Ein freundlicher, gütiger, allbefreiender Morgen sieht lächelnd durch die weißen Gardinen.

Die Lampe brennt noch, schwelt und verlöscht mit einem näselnden Seufzer.

Neben mir ruht ein aufgeschlagenes Buch. Es ist ›Die Hochzeit des Mönchs‹, diese furchtbare Geschichte, die der ehrenwerte Schweiger Conrad Ferdinand Meyer verfaßte.

Draußen säuseln die Blütenbäume, schlagen die Finken.

Mir ist so, als hätte ich aus einer Blutschale getrunken.

»Fort mit diesem roten Gefäß, fort mit allem, was meine Seele und meine Traumwelt bedrängte!«

Ich reiße mir den Astorre Vicedomini vom Leibe, setze mir den Kopf wieder auf und verweise die Geliebte und den Tyrannen von Padua, die Diana Pizzaguerra und den grauenhaften Majordom in ihre Gräber und Grüfte.

Alle folgen, werden zu Schemen, wandern still ihres Weges. Nur Bucardo dreht noch einmal seinen gedunsenen Kopf um die eigene Achse und läßt ihn dann mit dem Knacken eines Eulenschnabels wieder in seine frühere Lage zurückschnellen. Hierauf verschwindet auch er mit seiner Bunzlauer Kanne.

Immer stärker säuseln die Blütenbäume, immer fröhlicher schlagen die Finken.

Ich will Licht um mich haben, andere Gestalten und andere Bilder.

Jugend, o Jugend! Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit ...!

Dort steht mein Schreibtisch. Blütenweißes Papier ist gerichtet. Ich setze mich nieder und reihe Zeile an Zeile. Es geht mir leicht von der Hand ... und so schreibe ich denn eine frohe und lustige Geschichte: ›Die Tragikomödie im Hause der Gebrüder Spier‹. Folgt mir in meine niederrheinische Heimat, in das Land meiner Jugend. Es wird euch nicht reuen.

So hört denn und wisset. Es war einmal ...


 << zurück weiter >>