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Siebentes Kapitel

Das Anwesen der Gebrüder tut einen wohligen Atemzug. Auf Samtpfötchen gleitet Rosalie durch alle Kammern und Flure. Ihre linde Hand schmälert die Erinnerung an Blümchen Flesch in sichtlicher Weise. Sie schwindet dahin wie ein Schwälbchen in der Goldfolie eines laulichen Sommerabends. Sigismund hat seine eigenen Gedanken. Die Tage werden kürzer, die Nächte länger. Rosalie Perlchen gefällt sich darin, offenkundig zu frösteln. Elias und Maier suchen ihr dieses Frösteln zu nehmen. »Da geht sie hin wie 'ne Förschtin«

Nun kamen Tage der Wonne, der Freude, des stillen Genießens.

Über den ehrwürdigen Giebel am Markt ergoß sich eine reiche Fülle des Lichtes.

Niemals zuvor glänzten die lieben Sonnenstrahlen so freundlich durch die weißen Gardinen, niemals zuvor geigten die Heimchen so anmutig hinter dem Küchenherd, knusperten die Mäuse so heimelig in der Vorratskammer, blühten die Geranien so strotzend auf den Fenstersimsen, als in den Tagen und Wochen, die sich jetzt bei den Händen nahmen und den feinsten Ringel-Reihen-Rosenkranz durch die heitere Sinecure tanzten, durch die Flure und Kammern, über Treppen und Treppchen, bis in das niedliche Gärtchen hinein, wo jetzt die Zentifolien blühten und die weißen Lilien so verschwiegen ihre Pracht entfalteten, als wären sie gepflanzt von den reinen Händen der goldenen Cherubim, die da fußten auf der Lade Gottes im Tempel von Silon. Ach, diese Aufmachung! Dazu sang ein munterer Buchfink in der Kugelakazie, die auf dem hintern Hof stand, schmetternd, mit weinrotem Brüstchen, immer fort und fort, und war des Jubilierens kein Ende.

Blümchen Flesch, ihr Schaffen und Walten verdämmerte, und wenn die Brüder auch von Zeit zu Zeit ihre Bewährung aufsuchten, dort ihre Gebetriemen um Stirn und Arm wanden, der Satzung getreu, die da lautet: »Es sei dir ein Zeichen auf deiner Hand und eine Erinnerung zwischen deinen Augen, damit das Gesetz Gottes in deinem Munde sei,« so rückte Blümchen doch immer mehr ab, unauffällig, aber stetig und sicher, wie ein Schwälbchen, das auf und davon eilte, immer kleiner und unsichtiger wurde, um schließlich in der Goldfolie eines laulichen Sommerabends zu verschwinden.

Nichts mehr von ihr, nichts mehr von ihrem Schalten und Walten, ihrem Sauerbraten und den Markklößchen, die ihresgleichen nicht hatten.

Ein andres Wesen war erschienen, ein junges, anmutiges, mit weichen Hüften und mit Lippen gleich einer rosinfarbigen Schnur ... und seine Rede war lieblich.

Vor diesem Wesen mußte natürlich die Erinnerung an Blümchen Flesch langsam verkrümeln und schließlich sanft verlöschen, denn Rosalie Perlchen hatte viel zu vergeben, viel des Lieben und Guten, viel, was die Tage heiter und die Nächte köstlich machte.

Unter ihren nimmermüden Händen tat das Anwesen der Gebrüder einen erlösenden Atemzug, wurden die Kasserollen zu Spiegeln, die Tafeltücher zu kostbaren Gespinsten, die mit der Weiße des Schnees wetteiferten, wurden die Werkeltage zu Festen, die gleich den Leviten des Tempels einhergingen, in grünen Kleidern und mit klingenden Glöckchen. Was sie mit ihren Augen ansah, blühte und begann Früchte zu treiben, was sie mit ihren Fingern berührte, duftete stärker, worauf sie ihre Lippen schmiegte, das erschauerte unter dem Kuß ihres Mundes und war unwiderstehlich gezwungen, immer an das hübsche Mädchen zu denken.

Blümchen war eine Perle gewesen, Rosalie hingegen war eine größere Perle. Ja, Sigismund Mendel hatte schon recht, wenn er mit dem weisen Könige sagte: »Ihre Augen sind wie Taubenaugen zwischen den Zöpfen. Ihre Backen stehen lieblich in den Spangen un ihr Hals in den Ketten. Sie ist eine Rose im Tal un eine Blume zu Saron,« und diese Blume zu Saron erwarb sich im Laufe der Tage nicht nur Anerkennung und Wertschätzung im Kreise ihrer Glaubensgenossen, sondern auch bei denen, die nicht gezwungen waren, das Tier mit dem fidelen Schwänzchen und den kregelen Äugelchen als ein unreines Geschöpf zu taxieren. Die Marktweiber, die unter der großen Linde ihren Kram feilhielten, schoben ihr für das Haus der Junggesellen die saftigsten Rüben hin, die aromatischsten Zwiebeln, die feinsten Salate und die delikateste Butter. Sie brauchte nicht lange zu handeln. Alles wurde ihr gern und willig gegeben. Keine kargte gegen sie, keine überforderte sie. Rosalie war der Liebling aller geworden. Ein Kanarienvögelchen im Bauer konnte es nicht besser haben als sie. Sie empfing Rübsen, Hanf und Äpfelschnitzen in Hülle und Fülle. Selbst der Bocken-Dores begegnete ihr mit dem freundlichsten Wesen. Desgleichen Meister Kogeleboom. Um ihretwillen begrub Frau Herz Cohn ihren verhaltenen Groll gegen Sigismund Mendel, denn war er es nicht, der diese Perle entdeckt und gefaßt hatte? Nur ihretwegen beglückte der Herr Ladendiener Nöllecke Baumann seine Haartolle mit einer doppelten Portion Rindsfett, um ihr allsonntags vornehm und gediegen entgegentreten zu können. Auch Mamsell van der Grinten hatte nur Worte der Anerkennung und bat sie des öfteren, ungeniert ihr Geschäft zu besuchen. Sie habe die Auswahl, sie brauche nur zuzugreifen, zwanglos und ohne Bedenken, denn sie bekomme alles unter Taxe und Auszeichnung: den weichsten Batist, das gediegenste Leinen für Hemden und Höschen, das molligste Zeug für 'nen Pariser Anstandsrock, kurz alles, was nötig war, ihre nicht geringen körperlichen Vorzüge auch in eine gebührende Beleuchtung zu rücken. Sie wurde wie das Mädchen aus der Fremde geehrt, so verwöhnt und so auf Händen getragen. Ach! und am Sabbat erst, wenn sie dann die Synagoge betrat und die Weiberschul' auf der ersten Etage aufsuchte, die großen mandelförmigen Augen gesenkt, einen billigen Stoff um ihre jungen und doch üppigen Zierden, unauffällig, Fuß für Fuß und bescheiden, kaum hörbar mit ihren silbernen Ohrgehängen klingelnd, dann stießen sich die Frauen und Mädchen, die an den Betpulten saßen, an und sagten: »Da kommt die schöne Rosalie Perlchen,« rückten zusammen und invitierten sie auf das vorderste Plätzchen. Ach! und wenn sie dann auf die Männerschul' niederblickte, auf all die schwarzen Zylinder, die ewige Gedächtnisampel, den siebenarmigen Leuchter, auf die mit Kerzen bestellte Brüstung des Almemors, auf Elias und Maier, auf die mit einer Samtspreite gedeckte Tafel, woselbst sie die Gesetzesabschnitte verlasen ... wenn dann der Vorsänger anhub, Sigismund einfiel, zu ihr schmachtend aufblickte und mit seiner Stimme klarinettierte, als müsse sie gleich in den Himmel – dann hob sie sich auf, straffte ihre Granatäpfel und verzauberte beide Schulen, den kleinen Tempel, Männer und Frauen. Und alle hörten und sahen, was sie niemals sahen und hörten. Sie hörten mit anderen Ohren und sahen mit anderen Augen. Sie lauschten und blickten um Jahrtausende zurück. Sie hörten die Schaf- und Ziegenherden läuten und blöken auf dem Berge Gilead. Sie vernahmen die Schalmeien im Lande. Die Palmen von Beth-EI rauschten herauf. Sie sahen die Blitze von den Höhen des Sinai fallen, und ein Rauch stieg auf wie ein Rauch von einem feurigen Ofen. Sie sahen die Töchter Jerusalems, schwarz, aber lieblich, gleich den Hütten Kedars, gleich den Teppichen Salomos. Und eine Stimme ertönte: »Der Feigenbaum hat Knoten gewonnen, die Weinstöcke Augen und geben ihren Geruch. Stehe auf, Nordwind, komme, Südwind! Wehet durch meinen Garten, daß seine Würzen triefen ...« und dazwischen immer das Tirilieren und Trillern ... der Diskant Sigismund Mendels ... und dann ein Verebben, ein sanftes Gleiten, ein Hinüberfließen in die jetzige Stunde, in der die hübsche Kranenburgerin auf der Frauenschul' stand, ihre Granatäpfel zeigte, lieblich tat und alles begeisterte.

So sahen sie Rosalie an Werkeltagen, so sahen sie Rosalie am Sabbat. Sie fanden keinen Fehl an ihr, nicht das, was ihre Sitte und Tugend beeinträchtigen konnte, wenn sie auch gleich den Töchtern des eigenen Volkes mit den Blicken umherschweifen mochte und Gelüste trug nach Samt und Seide und lauterem Geschmeide.

So vergingen die Tage, die Wochen, die Monde.

Die Gebrüder waren nicht wieder zu erkennen. Sie erschienen alert, ordentlich frisch wie heurige Häschen.

Elias, der schwächliche Elias, stolzierte auf dem Marktplatz umher, als wären die Tanzmeisterbeine Paul Taglionis in seine etwas minderwertigen Ständer gefahren. Er machte gewissermaßen in choreographischen Künsten und war wirklich nett und unternehmungslustig geworden. Auch Maier. Dreimal täglich umkreiste er das Standbild des Reitergenerals Friedrich Wilhelm von Seydlitz. Von diesem Manne konnte man lernen. Die straffe Auslage, den martialischen Schritt hatte er ihm bereits abgeluchst. Jetzt kamen die Augen dran, und keine vierzehn Tage vergingen, da vermochte er so herausfordernd dreinzuschauen wie ein Oberst vor einem Regiment Kürassiere in Linie.

Quecksilberig rieselte es ihm vom Scheitel bis in die saftgrünen Plüschpantoffeln hinein. Er schlug ordentlich aus und wieherte heller als ein übermütiges Füllen. Die Anwesenheit der neuen Schaffnerin tat Wunder über Wunder, mehr als alle Aphrodisiaken des Morgen- und Abendlandes zusammengenommen. Dazu knackte er andalusische Mandeln, daß die Schalen nur so herumspritzten und die Leute wähnten, er habe, abgesehen von seinen reichlichen Einkünften, noch eine Erbschaft gemacht, die ihm verstattete, diese kostbaren Früchte des Südens in solch einer Fülle zu naschen ... kurz, die beiden Herren wurden von allen Bürgern der kleinen Stadt angestaunt und belobt, während Sigismund heimlich tat, in Gegenwart Rosaliens den Schwerenöter spielte, zuweilen aber auch seufzte, als wäre sie die Tochter des grimmigen Alkalden von Cordoba und er der unglückselige Sohn des vielgepriesenen, großen, schriftgelehrten Rabbi Israel aus Saragossa gewesen.

Und die Tage vergingen, die Wochen, die Monde.

Der Roggen war herein, der Hafer geschnitten.

Die Schwalben saßen auf den Telegraphendrähten, rückten zusammen und machten Anstalten, in das Reich der Pyramiden zu segeln.

Über Dämme und Deiche flüsterte bereits ein herbstliches Windchen. Die Wehre stauten sich an, die Bächlein stiegen, die Wässerchen gurgelten flinker. Die Wälder von Moyland verloren ihr freudenreiches Gewand, falbten und gilbten, und wer Ohren hatte zu hören, der hörte: »Vanitas vanitatum, et omnia vanitas.«

Schon hier und da begannen die überständigen Blätter aus der Höhe zu schaukeln, und als nun der Rauch der Kartoffelfeuerchen sich über die Gegend schleierte, Ammern und Haubenlerchen vor den Ausspannungen umherlungerten und die Bauern alle Hände voll zu tun hatten, ihre Runkelrüben einzumieten, da geschah es ...

Rosalie Perlchen fröstelte in ihrem mageren, fadenscheinigen Jäckchen.

Sie fröstelte immer, sie fröstelte wie ein armseliges Schwälbchen, sie fröstelte am Küchenherd, in der Kammer, auf der Weiberschul' im jüdischen Tempel.

Das mußte dem Senior-Chef des Hauses auffallen.

Von Natur barmherzig und gütig veranlagt, konnte er keine frierenden Menschen um sich sehen, vornehmlich dann nicht, wenn es sich um solche handelte, die etwas in der Bluse hatten und keines Schermessers bedurften.

So trat er denn eines Tages auf sie zu, als sie gerade dabei war, die Herrenwäsche zu stärken, machte Figur wie ein Birkhahn, blinzelte verschämt mit seinen etwas rötlich unterlaufenen Äugelchen und sagte: »Rosalie, hier sind zehn preußische Speziestaler. Wende dich an Mamsell van der Grinten un lasse dir machen was Extraordinäres. Auch invitiere Herrn Kogeleboom, dir zu belassen zwei kalbslederne Schühchen, um zu gehen sanft un gut auf den Füßen. Desgleichen beehre den Herrn Ladendiener Nöllecke Baumann. Der Mann betreibt nicht nur ein Vorkostgeschäft, er macht auch in Seife. Lasse dir geben davon ein Päckchen von's feinste. Es wird dich erfreuen.«

Dabei glitt er ihr sacht über die Wange, väterlich, mit der Lauterkeit eines uneigennützigen Gebers, ohne auch nur den geringsten Nebengedanken zu haben. Daß ihn bei dieser Gelegenheit das fadenscheinige, wenn auch pralle Tuchjäckchen streifte, war nicht auf sein Konto zu buchen, war eine Sache für sich, die keinen was anging. Er nahm es daher hin als ein unverhofftes Geschenk, als eine kleine Opfergabe aus dankbaren Händen, die er nicht abweisen konnte und wollte, vertrat er doch den berechtigten Standpunkt: Alles muß erduldet werden im Leben, Freud und Leid, Ernte und Mißernte, Geben und Nehmen, zusprechende und mißliebige Menschen, auch das, sich von einem vollen Weiberjäckchen berühren zu lassen ... während Sigismund frohgemut auf seinem Drehschemel hockte, immer munterer wurde und willens schien, die Rolle des unglückseligen Sohnes des vielgepriesenen, großen, schriftgelehrten Rabbi Israel von Saragossa weniger tragisch zu nehmen.

Nur Maier setzte ein mieses Gesicht auf. Warum, das wußte er selbst nicht, allein, er hatte das unbestimmte Gefühl: hier ist etwas im Werden begriffen. Sein Bruder kam ihm verdächtig vor. Er verstand seine Freigebigkeit nicht, nicht den herostratischen Mut, zehn preußische Speziestaler so mir nichts, dir nichts an Rosalie Perlchen zu hängen. Das gab zu denken, bereitete ihm qualvolle Stunden, und er meditierte daher: »Was hat er zu pfeifen un verliebte Nasenlöcher zu machen – der Eli? Er hat seine Qualitäten – gewiß. Allein sie liegen nicht auf diesem Gebiet. Sie liegen wo anders. Seine Bewertung in dieser Beziehung steht weit unter pari. Hat einer zu pfeifen un verliebte Nasenlöcher zu machen, so bin ich der nächste dazu, denn ich hätte werden können Offizier, maßen ich mit meinen fünfunsechzig noch 'ne volle Aufmachung un Adjustierung besitze. Das ist es,« und so stand es denn fest: hier war Wandel zu schaffen, und die Gelegenheit dazu sollte bald kommen.

Die Kartoffelfeuer verschwelten. Graue Regenfäden schraffierten die Gegend. Die schöne Linde verlor ihre Weihe und Andacht. Sie rüttelte sich. Tage und Nächte hindurch hörte man sie brausen und sausen. Die stolze Burgunderin büßte ihren Schmuck ein, verstreute ihn in alle Winde. Das letzte Restchen ihres Geschmeides wanderte ab. Die Prinzessin schien einer Bettlerin ähnlich. Nordische Gäste, Säger und Pfeifenten, fielen in die Altwasser der Niederung ein. Dichte Nebel schleppten sich müde über Raveline und Schleusenwerke. Dann kamen knusperige Tage und Nächte, die mit einem zierlichen Feuerwerk spielten und Perlenschnüre an Perlenschnüre reihten, deren niemand erträumte. Die ersten Schneesternchen pendelten nieder.

Es waren nicht viele, aber es waren doch kalte, nadelfeine, emsige Schneesternchen.

Um diese Zeit fröstelte Rosalie wieder.

Sie fröstelte immer, sie fröstelte wie ein zurückgebliebenes Schwälbchen, sie fröstelte am Küchenherd, in der Kammer, bei ihren Ausgängen, sie fröstelte auf der Weiberschul' im jüdischen Tempel.

Es waren noch drei bis vier Wochen vor Sankt Nikolaus-Abend. Trotzdem fröstelte sie, wie sie nie gefröstelt hatte im Leben.

Das mußte dem Zweitgeborenen des Hauses ebenfalls auffallen – und es fiel ihm auf.

Er beschloß daher, energische Gegenmaßregeln zu treffen, um der Gänsehaut in die Parade zu fahren.

Die in der kleinen Stadt rüsteten bereits auf das kurzweiligste Fest in den rheinischen Landen.

Die Geschäfts- und Kramläden standen bei Beginn der Dunkelheit in voller Beleuchtung.

Die Schaufenster boten eine Fülle des Praktischen und Begehrenswerten.

Im munteren Licht der Petroleumlampen hatte alles eine doppelte und dreifache Anziehungskraft: die Lebkuchen, die Spekulatiusmännchen, die Knippmützen, Spitzen, Modegarnituren, Pfeifen, Knasterrollen, Brust- und Umschlagtücher, Räucherwaren und noch andere Dinge, die das Herz höher schlagen ließen und den Sinn aufheiterten.

Maier machte sich ein besonderes Vergnügen daraus, allabendlich die Auslagen abzustreifen, die Preise zu kalkulieren und seine Dispositionen zu treffen. Er musterte die preziösen Raritäten bei Mamsell van der Grinten, bei Meister Kogeleboom und die in dem Vorkostgeschäft, wo Herr Nöllecke Baumann als Ladendiener fungierte.

Das betrieb er auch heute.

Ach ja! das Lager der behäbigen Juffer, woselbst auch Kürschnerartikel ausgestellt waren, hatte es ihm vor allem angetan.

»Gott, was 'ne Pracht!«

Da waren Falbelhüte und Frauenhauben, Bänder und Schleifchen, zierlich gehäkelte Kinderjäckchen und solche für Damen; da waren Fuchspelze und andere Pelze, Marderbarettchen, Muffen aus Grauwerk und den Wammen der Zieselmäuse, da waren ... Gott, was war da nicht alles?! Da waren Spitzenröcke und andere Röcke, Blusen und Blüschen, Strümpfe und Strümpfchen, Hosen und Höschen ...

»Was 'ne Pracht, was 'ne Pracht!«

Er pfiff sanft durch die Zähne und schaukelte sich von einem Fuß auf den andern.

Beim Genießen all dieser Herrlichkeiten, die dazu bestimmt waren, die netten Sachen und Sächelchen des weiblichen Außenlebens mehr oder weniger zu umkleiden, geriet er in Wallung, in eine gewisse Ekstase.

Er zog Fäden wie ein Vorstehhund. Sein Rücken krümmte sich. Es kribbelte ihm mit wohligen Fingerspitzen den Nacken herunter, und er bemerkte es nicht, daß jemand neben ihn trat, ein weicher Arm den seinen berührte, etwas Verheißendes gegen ihn ausbüschelte und mandelförmige Augen das ausgestellte Rauchwerk umschmeichelten, als da waren Marderbarettchen, Fuchspelze und andere Pelze und Muffen von vielerlei Sorten.

Gleich darauf flötete ein neckisches Stimmchen:

»Guten Abend, Herr Maier.«

»Rosalie, Sie?!«

Ja, sie war es: Rosalie Perlchen. Nach erledigten Abendkommissionen auf dem Heimweg begriffen, hatte sie es nicht unterlassen können, noch einen gefühlvollen Blick auf die Kostbarkeiten dieses Ladens zu werfen.

Dabei zitterte sie wie ein Angorakaninchen.

»Rosalie, was kuckst du?«

»Gott! ich kucke bloß so. Unsereins möchte doch auch mal so'n bißchen ... ich meine ... Aber wie sollte ich können? un das bei dieser Kälte, Herr Maier ...?«

»Nu, wie wär's denn mit 'nem Garnitürchen von Pelz oder so was?«

»'s sind piekfeine Sachen, aber zu teuer.«

»Was teuer?!«

Er umkullerte sie mit dem Zeremoniell eines kalkuttischen Bronzeputers, und hätte er einen Nasenklunker besessen, kein Zweifel: dieser wäre karminrot geworden, hätte in allen Farben eines durchleuchteten Prismas geschillert.

»Um Ihretwegen ist mir gar nichts zu teuer.«

Sie drängte sich an ihn.

»Aber Herr Maier!«

In ihren Augen standen die Worte: »Mein Gang ist schön in den Schuhen. Komm', mein Freund, lasse uns auf das Feld hinausgehen und auf den Dörfern bleiben. Da will ich dir meine Liebe geben.«

Und ach! er konnte nicht anders ... Er sah sich verschüchtert um, legte ihr den Arm um die Taille und sagte: »Gehe hinein zur Mamsell un kauf' dir 'n Pelzgarnitürchen. Will sie fünfunzwanzig preußische Taler, so biete ihr zwanzig: nein, biete ihr fünfzehn, un sie wird es dir lassen.«

Das tat auch Rosalie, um anderen Tages ...

Jetzt machte Elias ein mieses Gesicht, während Sigismund Mendel immer nachhaltiger in ein verständnisinniges Schmunzeln hineinglitt. Er gab ihr nichts, wenigstens nichts in klingender Münze. Kein Kastemännchen, nicht das miserabelste Dittchen. Warum auch? Er handelte witziger. Die Piepmösch sah tiefer. Sie sah mit den Augen eines Isispriesters, der es verstand, die Hieroglyphen des weiblichen Herzens zu deuten.

Je nachdenklicher der Senior-Chef wurde, um so freudenreicher gestalteten sich die einsamen Stunden des Buchhalters.

Er duftete stärker nach Zimtborke und hatte es endgültig über, weiterhin den schmerzdurchpflügten Sohn des vielgepriesenen, großen, schriftgelehrten Rabbi Israel von Saragossa abzugeben. Alle Sinne belebten sich. Die Glöckchen auf einem Kampanile konnten nicht munterer klingeln. Sie sprangen herum gleich Böckchen auf einer Frühlingswiese, wo da blühten: Tausendgüldenkraut und Orchis, Salbei und Ehrenpreis, obgleich noch immer die Schneesternchen herniederglitzerten, wenn auch nicht viele, aber doch kalte, nadelfeine, emsige Schneesternchen. Er saß auf seinem Drehschemel wie der große Amschel Mayer, Freiherr von Rothschild, Chef des Hauses Mayer Amschel und Söhne in Frankfurt, er hatte seine Geheimnisse, sein innerstes Wissen, wenn ihm auch manchmal der Gedanke kam: »Was betreiben die Onkels?« Gut – mochten sie entrieren ihre Massematten; er entrierte die seinen. Er würde schon den längsten Faden drillen, und so musizierte er denn zukunftsfreudig von seinem hohen Kontorstuhl herunter:

»Guter Mond, durch alle Sphären
Wandelst du in bleicher Ruh',
Schließest hier im Tal der Zähren
All die lieben Äuglein zu.
Fern von Leiden und Kabalen
Träumen sie auf weichem Pfühl.
Gute Nacht! die Sterne strahlen,
Und die Linde duftet schwül.«

Ja, gute Nacht! und wenn auch das Blühen der ehrwürdigen Linde längst dahin war, das Bienensumsen aufgehört hatte, die Flachsfinken nicht mehr ab und zu flogen, so versetzte er sich doch in ihr Grünen und ihr rahmweißes Schleiern zurück, denn Lindenblüten sind Herzensverkündiger, sind die Symbole heimischer und verschwiegener Liebe.

Auch Maier war glücklich ... und als Rosalie am Schabbesabend sich anschickte, den kleinen Tempel aufzusuchen und in ihrer neuesten Errungenschaft stolz über den Marktplatz zu rauschen, da sah er ihr nach, den Zylinder wie gewöhnlich im Nacken und die Hände in den Hosentaschen vergraben.

Er erinnerte an einen Dalai-Lama, der die Gebetmühle drehte.

Schmalzig träufelte es ihm von den wulstigen Lippen herunter: »Perlhühnchen! da geht sie hin wie 'ne Förschtin.«


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