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Drittes Kapitel

Was die am Niederrhein unter ›Piepmösch‹ verstehen. Das Verhältnis Sigismunds, genannt Piepmösch, zu den Gebrüdern Elias und Maier Spier. Die Charaktereigentümlichkeiten dieses einflußreichen Jünglings, und warum er in wichtiger Mission mit dem Schimmelpferdchen nach Kranenburg mußte, währenddessen sich Herr Maier des laulichen Sommerabends und der blühenden Linde erfreute.

Piepmösch ...?! ich höre immer nur Piepmösch!

Wo in aller Welt ist überhaupt so ein Ehrentitel, so eine Bezeichnung zu finden?

Piepmösch ...?!

Was deutet es an, und wie ist dieses Wort zu erklären?

Kann ein Schriftgelehrter darüber Auskunft geben?

Nein.

Einer, der die Quadratur des Zirkels belegte?

Apage!

Ein Forscher, ein Sinnierer, ein Etymologe?

Auch die nicht.

Piepmösch ...?!

Um des lieben Himmels und der Barmherzigkeit wegen! wer dürfte denn in der Lage sein, dem geheimnisvollen Dunkel, dieser ägyptischen Finsternis, ein Kerzlein aufzustecken, um es leuchten zu lassen wie ein stilles, großes, allbefreiendes Licht von einem hohen und heiligen Berge herunter?! und siehe: ein ernster Zeigefinger erscheint und deutet in nebelige Fernen, in das Land, wo die Wasser träger und langsamer fließen, immense Wiesen und Weiden sich ins Unermeßliche strecken, die Windmühlen mit ihren weißen Segeltüchern schlappen, die Menschen mit respektabeln Gesichtern einhergehen, Edamer Käse essen und abends, wenn eine leichte Sommerbrise von den Deichen herüberweht, vor den Haustüren sitzen und ihre langen Tonpfeifen rauchen. Und siehe: der ernste Zeigefinger wird immer ernster und feierlicher und deutet immer nachdrücklicher in die nebelige Ferne, als wenn er damit sagen wolle: »Fraget dort an, bei den Menschen mit den respektabeln Gesichtern, die in laulichen Dämmerstunden vor den Haustüren sitzen und sich an ihrem ›Herman Oldenkott en Zoonen‹ gütlich tun. Ja, fraget nur, fraget nur an! Es sind gute und willige Kostgänger des Herrn. Sie werden nicht ermangeln, euch die Lösung des Rätsels zu bringen, und das Licht wird in die Finsternis dringen wie ein stilles, großes, allbefreiendes Licht von einem hohen und heiligen Berge herunter.«

So der Zeigefinger, und die Menschen mit den respektabeln Gesichtern lassen ihre Gesichter noch viel respektabeler werden, schicken bläuliche Knasterwölkchen in das Dunkelwerden hinaus und sagen: »Mynheer, was vor den Fuhrmannskneipen den spärlichen Häcksel aufliest, an den frischgebackenen Pferdeäppeln herumpickert, sich balgt und schilpt und priestert – das nennen wir ›Piepmösch‹. Mynheer, und was auf den Telegraphendrähten sitzt, sich dreht und wendet und über die heißen, gelben Kornfelder immerzu singt: Wie, wie hab' ich die lieb! und was am Wallgraben schlägt, zwischen den alten Pappel- und Erlenstrünken, so des Abends herum, wenn der Himmel wie blauer Kattun aussieht und der liebe Herr seine lichten Sternchen hineinstickt – Mynheer, das nennen wir ebenfalls ›Piepmösch‹. Mynheer, und weil nun Sigismund Mendel ...« und dann schweigen sie und lächeln, wie die Kundigen lächeln, die an den ewigen Tischen der Wahrheit essen, denn sie haben das ihre getan, des Rätsels Lösung gegeben ... und wir sind wissend geworden.

Ja, Sigismund Mendel, der schöne Sigismund Mendel, der Kommis und Nevö der Gebrüder Spier, in Firma Elias und Maier, war ein Sänger von Gottes Gnaden. Er sang wie die Vögel des Waldes und wie die des Feldes, er sang in der Synagoge, im Freien, zu Hause, bald in der Fistel, ähnlich den Verschnittenen in der Sixtinischen Kapelle und im hohen Sankt Peter, bald tremulierend, in den fetten und getragenen Gutturallauten seines eigenen Volkes. Nicht dieses allein. Abgesehen davon, daß er über eine einschmeichelnde Stimme verfügte, die inneren und auswärtigen Angelegenheiten des Hauses besorgte, das Kontobuch führte und mit künstlerischem Schwung die Laubhütte austapezierte – Sigismund zählte zu den belesenen Jünglingen. Er hatte, um es auf französisch zu sagen, beaucoup de lecture. Das Hohe Lied Salomonis konnte er auswendig, ebenso einzelne Reime des großen Joseph den Zaddik. Auch mit den Schriften Heines, des Poeten aus der Bolkerstraße in Düsseldorf, war er innigst befreundet. Am besten lagen ihm die kleinen, kapriziösen, schmutzigen Teufeleien dieses ›Einzigen‹, und wenn er dessen ›Apollogott‹ rezitierte, übertraf er sich selber. Dabei verdrehte er die Äugelchen in dem appetitlichen Lämmelgesicht, zwirbelte sein Kinnbärtchen und lächelte süßlich, edel und liebreich. Ach, und wie trug er den Abgesang dieses Poems vor! Schlicht und einfach, aber überwältigend. Hört seine Verse! In der singenden Sprachweise der Haggada-Beter kommt es ihm von den etwas gewulsteten Lippen:

»Aus dem Amsterdamer Spielhuis
Zog er jüngst etwelche Dirnen,
Und mit diesen Musen zieht er
Jetzt herum als ein Apollo.
Eine Dicke ist darunter,
Die vorzüglich quiekt und grünzelt;
Ob dem großen Lorbeerkopfputz
Nennt man sie die grüne Sau.«

Und er wiederholte: »Nennt man sie die grüne Sau.«

Die Strophe verdämmerte, zerging, zerfaserte, während er noch hinter ihr hersah wie hinter einer singenden Lerche, die sich allmählich im ewigen Blau des Himmels verflüchtigte.

Dabei war er ein stilles Gemüt, ein wohlwollender und zuvorkommender Mensch, mit einem kleinen, honetten, putzigen Einschlag ins Schwerenötertum hinein, der ihn bei allen Damen seiner näheren und weiteren Bekanntschaft angenehm und begehrenswert machte.

Die Piepmösch wurde geliebt.

Sie hatte schon manche Herzen gebrochen.

Wo Sigismund erschien, kribbelte es dem weiblichen Geschlecht bis in die Zehenspitzen hinein.

Deborchen Vieth hatte eine tiefe Neigung für ihn, desgleichen Mordje Süßkind, seine Herzallerliebste, die sich immer wie eine Pfauhenne zierte und schön war und tanzen konnte gleich den Töchtern Jeruschalajims und gerne die Worte hersagte: »Und Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, nahm eine Pauke in ihre Hand und alle Weiber folgten ihr nach mit Pauken am Reigen.« Selbst die brave und genügsame Ehefrau des Beschneiders Herz Cohn hätte fast eine große Dummheit um seinetwillen begangen, wäre Sigismund nicht der veritabelste Joseph von Ägypten gewesen.

»Es geht auch so,« sagte er tapfer, lieh seinen Rock in den Händen der rührenden Schönheit und zitierte beim Abgehen die ergreifenden Verse:

»Und der Sklave sprach: Ich heiße
Mohamed, ich bin aus Yemen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben.

Aber ich liebe sie nicht, die verehrungswürdige Herz Cohn; sie ist mir zu dusemang, diese Frau, während der Gatte ... Püh!« meinte er lispelnd, »er ist ein gefährlicher Mann un ein gewalttätiger Mann. Er ist aufbrausend wie Kain un draufgängerisch wie Abimelech, der Sohn Gideons von Ophra, der seine siebenzig Brüder meuchelte, um sich auf den Thron seiner Väter zu setzen. Püh! er führt das Beschneidungsmesser, der Cohn. Warum soll ich mich umbringen lassen? Weshalb denn? Ich bin nicht vom Stamm der Asra, welche sterben, wenn sie lieben. Ich lasse sie schießen, die Frau, und schirme mich durch die Wächter der Keuschheit:

Mit schwertgegürteten Engelgestalten,

Sechstausend zur Rechten, sechstausend zur Linken – denn besser ist besser. Ich kann mich anderweitig behelfen.«

Also die Piepmösch.

Sie war tapfer geblieben.

Nur das Herz vibrierte noch nach. Das niedergezwungene Gefühl revoltierte noch immer. Ein Ausgleich war unbedingt nötig. Da tat Sigismund Mendel ein übriges, begab sich in die Anrichte- und Speisekammer der Gebrüder Spier, wo deren Schabbesgoi, dem Bocken-Dores seine einzige Tochter, hantierte, und fuhr ihr mit weicher Hand etliche Mal über die üppige Kruppe – dieser Schwerenöter und Tausendsassa! aber alles in allem genommen: Sigismund war und blieb der Gerechtesten einer. Er liebte die Vögel des Himmels und die Fische der Tiefe, er verehrte die Blumen des Feldes und die, die in den bescheidensten Krautgärtlein standen. Er achtete den Menschen im Menschen. Die Sitten und Gebräuche seines Volkes waren ihm heilig. Er estimierte sie und aß die Matzen, die ungesäuerten Brote, ebenso gesinnungstüchtig herunter, als wären sie geräuchertes Gansfleisch oder Sauerbraten mit Rosinensauce gewesen. Er war ein Mann nach dem Herzen der Schrift ... ach! und wie freute er sich, wenn die Wiesen zu grünen begannen, die Deiche sich blümten, die Wässerchen gurgelten und die Kartäusernelken ihre Düfte austaten, und sicherlich hätte er auch unter der blühenden Linde gesessen, traumverloren, mit einem neckischen Vers auf den Lippen, wäre ihm heute von seinen Chefs nicht der Auftrag geworden, eine wichtige Kommission jenseits Kleve in die Wege zu leiten und perfekt zu machen.

Der Auftrag erforderte klaren Geist und rasche Erledigung.

Im Hause Spier hatte nämlich der Malach Hamoves, der Todesengel, gestanden, hatte die weiße Hand gestreckt und die alte Schaffnerin auf die Hobelspäne geworfen.

Diese Not, dieses Elend!

Die dunkeln Flügel des Gevollmächtigen beschatteten das ganze Anwesen, die Stuben und Kammern, die Nebenräume und Korridore. Sie schatteten in alle Winkel hinein, und sie schatteten bis auf den obersten Söller.

Alle Freude dahin, nur ein Klagen und Seufzen, denn Blümchen Flesch hatte fünfundzwanzig Jahre dem reichlichen Besitz der Gebrüder vorgestanden, im Schmuck der straffen Pferdehaarperücke, dem Klingeln ihrer Ohrgehänge und dem sanften Leuchten ihrer rötlichen Äugelchen, hatte gesorgt und geschaffen und alles getan, der Firma ein behagliches Leben zu verstatten.

Nun war alles dahin wie ein schwindsüchtiges Lichtlein, wie ein Aschenflöckchen vor dem Hauch des Windes.

Die Trauer um sie kannte keine Grenzen.

Elias und Maier ähnelten verstörten Hühnern, die den gestrigen Tag suchten und den gestrigen Tag nicht mehr zu finden vermochten, und als sie Blümchen Flesch auf dem jüdischen Friedhof, der an das stille Wasser grenzte, wo die kanadischen Pappeln so eigenartig säuselten, bestattet hatten, da sagte Elias: »Ihre Seele sei eingebunden in dem Büchlein der Lebendigen.«

»Amen, Sela!« respondierte sein Bruder, hob und senkte seinen Zylinder und drückte sich das seidene Taschentuch gegen die Augen.

Zu Hause angekommen, fühlten sie erst so recht die Größe des Unheils, das sie heimgesucht hatte.

Sie rangen die Hände.

»Blümchen, wo bist du?«

Keine Antwort erfolgte.

»Angtree! Ich bitte dich, Blümchen.«

Aber nichts ließ sich hören. Ein verrosteter Sargnagel wäre ein Doctor eloquentiae im Vergleich zu diesem grauenhaften Schweigen gewesen.

Nein, sie war nicht mehr da. Ihre sänftiglich waltende Hand fehlte an allen Ecken und Kanten, in der Vorratskammer, beim Herdfeuer, an der Anrichte, bei Töpfen und Tellern, beim Morgen- und Abendgebet, beim Schabbes und an gewöhnlichen Werkeltagen.

Wo war Blümchen Flesch nur geblieben?

»Dort oben,« sagte schließlich Elias. Er deutete mit der zitterigen Rechten zur Decke, fügte aber schmerzlich hinzu: »Wer wird nu unsere Leibesnotdurft besorgen? Die Schabbesgoi, dem Bocken-Dores die seine, vermag's nicht, denn sie ist unbewußt un kann keine Rosinensauce nicht machen.«

»Nein!« bestätigte Maier, »die kann sie nicht machen. Auch keine Klößchens mit Marks nicht. Wir haben Blümchen verspielt un müssen entrieren 'ne geschäftliche Niederkunft mit 'nem anderen Blümchen.«

»Recht wirst du haben; aber die Richtige finden.«

»Ich wüßte schon eine, 'ne pompöse und feine.«

»Sigismund – du?!«

Er hatte während der ganzen Unterhaltung am Türspalt des Nebenzimmers gelauscht und war just im passenden Augenblick zu den beiden getreten.

»Woher weißt du?« fragte Elias.

»Gott, wie man die Sachen so hört! Per Zufall. Vom Herrn Polizeidiener Brill. Er ist ein gelernter Mann un ein besonnener Mann, der Herr Polizeidiener Brill, kennt er doch die Gegend von hier bis nach Rotterdam, un noch weiter hinzu. Er weiß eine in Kranenburg, 'ne pompöse un feine. In vier Wochen kann sie mobil sein.«

»Schön,« sagte der Senior-Chef. »Wie soll sie denn heißen?«

»Rosalie Perlchen. Sie ist dem verstorbenen Schächter Moses Perlchen sein hinterlassenes Erbstück. Ein erhabener Mann. Gott habe ihn selig!«

»Aber wird sie auch kommen?« fragte Elias. »Ich meine ...«

Der Bruder fiel ihm ins Wort: »Wie heißt: wird sie auch kommen? Zu's reiche Haus Spier, in Firma Gebrüder Elias un Maier, kommen alle mit Kußhand.«

Er sprach es mit saftigen Gutturallauten, mit einer gemessenen Würde und Selbstüberhebung, wobei er verloren mit den Schaken seiner schwergoldenen Kette spielte.

»Aber Sigismund, noch 'ne Frage. Wie ist's mit dem Fräulein? Prestiert sie was in der Welt, un kann sie in die noble Gesellschaft bestehen?«

»Sie macht sich rar,« versetzte die Piepmösch, »un was sich rar macht, macht sich beliebt, denn wie schön sagt der Dichter:

Willst du beliebt sein, mach' dich rar,
Hausiere nicht mit feilen Wippchen;
Du weißt: man schätzt den Kaviar,
Nicht Sauerkohl mit Schweinerippchen.«

Der alte Chef nickte.

Auch Maier schien befriedigt zu sein, denn er hielt sehr auf gesetztes Wesen und Anstand.

»Schön, Sigismund, schön! Reis' zum bewußten Termin, sonst geraten wir noch in die fitalsten Begebenheiten mit's Essen un Trinken. Spann's Schimmelpferdchen ein un fahr' mit's Korbwägelchen auf Kranenburg zu. Persuadier' sie, ins reiche Haus von die Gebrüder zu kommen. Monatlich drei Taler Salär. Gott, was sag' ich! Was bedeuten drei Taler? Sagen wir vier Speziestaler un 'ne gute Behandlung. Immer nobel, also spricht auch der Herr Baron Steengracht zu Moyland, un ich meine daher: Eli, soll es so stimmen?«

»Es stimmt.«

»Also abgemacht. Trinken wir darauf ein gefälliges Schnäpschen, denn alles muß seine Besiegelung haben.«

Damit waren die Präliminarien erledigt, die zunächst liegenden Dinge erörtert und die zukünftigen dem nunmehrigen Sachwalter anvertraut worden.

Vor der Hand blieb nichts weiter zu tun. Der Termin, an dem Rosalie frei wurde und über sich verfügen konnte, mußte abgepaßt werden ... und also geschah es.

Am zehnten Juni, dem Tage somit, wo diese Geschichte anhebt, machte Sigismund Mendel sich fertig.

Bereits in Gottes erster Morgenfrühe hielt er mit seinem Schimmelpferdchen und dem lustigen Korbwägelchen vor dem Spierschen Anwesen.

Ohm Maier, die Hand am Spritzleder, ermahnte ihn nochmals, nur eine erstklassige Bedienung ins Haus zu bringen, sich nicht düpieren und übervorteilen zu lassen. Er befinde sich am Ende seiner Kräfte und sei persönlich nicht mehr imstande, die Markklößchen der Schabbesgoi vertragen zu können. Auch Elias wäre nur noch ein armseliger Schatten, ein beklagenswertes Gefäß, ohne Bekömmnis und Inhalt.

»Die Sache hat Eile,« fügte er hinzu, »sonst können wir uns wie Blümchen einbinden lassen ins Bündlein der Lebendigen. Amen, Sela. Ich bin jung gewesen, un ich bin alt geworden, aber ich möchte noch den großen Tag der Versöhnung, 'nen richtigen Lebensabend genießen.«

Bewegt drückte er sich sein Taschentuch gegen die Augen.

»Was gemacht werden kann, wird gemacht,« sagte Sigismund vom Bocksitz herunter. »Ich werde sie persuadieren, ins Haus der Gebrüder zu kommen.«

»Ins reiche!« rief Maier ihm nach, als das Schimmelpferdchen auf- und davontrabte.

Den aufgebügelten Hartmann etwas über die linke Kopfseite geschoben, mit 'nem richtigen Judenbengelgesicht, lässig die Zügel führend, die Beine gespreizt und den rechten Arm in die Hüfte gestemmt, karriolte Sigismund über Moyland, Hasselt und Kleve nach Kranenburg zu, durch blühende Roggenfelder, an bunten Wiesen vorüber, über sich einen leuchtenden Himmel und die winzigen Pünktchen singender Lerchen.

Alles grünte um ihn, alles duftete um ihn. Ab und zu flötete eine Merle am Straßenrain.

»Wie schön und wie liebreich!« sagte er glücklich.

Er dachte dabei an Rosalie Perlchen.

Sinngemäß genehmigte er sich ein frisches Stückchen Kaneel, um ihr doch angenehm unter die Augen zu treten.

So fuhr er dahin, immer weiter und weiter, stolz auf seine Mission und eine große Andacht im Herzen.

In drei Stunden konnte er an Ort und Stelle und gegen Abend retour sein.

Gern hätte er auch unter der Linde gesessen, um dort zu träumen und seinen Gedanken nachzugehen. Aber wie sollte er können?! Sein Auftrag war dringlich und mußte ausgeführt werden. Zudem hatte ihm der Herr Polizeidiener Brill soviel des Wunderbaren, des Mysteriösen und Prickelnden von Rosalie Perlchen verkündet, daß er nicht umhin konnte, sich unter die Palmen von Beth-El zu versetzen und Rosalie die Worte Heines in den Mund zu legen, die da lauten:

»Lecho Daudi Likras Kalle –
Komm', Geliebter, deiner harret
Schon die Braut, die dir entschleiert
Ihr verschämtes Angesicht!«

So fuhr er denn weiter, immer weiter und weiter, von numerierten Chausseesteinen begleitet, durch heitere Fluren, lachende Dörfer, an stillen Grachten und verschwiegenen Wassern vorüber, stets die Worte fummelnd: »Lecho Daudi Likras Kalle,« während ein andrer ... ja, während ein andrer, viel später und so ums Schummrigwerden herum, seinen Lieblingsplatz unter der rahmweißen Linde eingenommen hatte, die Beine streckte, rotbackige Herzkirschen aus einer blauen Tüte verzehrte und zusah, wie der lauliche Junitag gemächlich in einen sanften Abend hineintrödelte.

Ach, und die burgundische Prinzessin! Sie wußte die Ehre zu schätzen, säuselte mit ihren Schleiern und Spitzen, raunte und plauderte und hüllte den Einsamen in eine Wolke von Weihrauch.

Maier Spier sah bewegt zu ihr auf, winkte ihr zu und dankte gerührt für getätigten Zuspruch.


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