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Achtes Kapitel

Rosalie Perlchen wird erhöht und erhoben. Die gemeinsamen Mahlzeiten gestalten sich zu Symposien der Freude und des stillen Genießens. Nur Stina Prußt, die Schabbesgoi, denkt anders darüber. Sie geht zu ihrem Vater. Warum der Bocken-Dores in äußerster Not ist und seine Kunden abfällig werden. Komm' benne! Das Wort hat seine Zugkraft verloren. Vater und Tochter intrigieren gegen Elias und Maier. Adjüs denn!

Wandel und Wechsel!

Maier hatte ein Machtwort gesprochen.

Es fiel auf fruchtbares Erdreich, grünte und trug Grannen über Nacht, bis es am anderen Morgen sagte: »Ich bin spruchreif geworden.«

Was Blümchen Flesch wohl erträumt und ersehnt, aber zeit ihres langen und getreulichen Dienens niemals verwirklicht hatte, bildete sich in ihrer Nachfahrin zum Ereignis aus.

Seit dem Tage des letzten Synagogenganges dinierte Rosalie nicht mehr in der Küche mit Stina Prußt, der Schabbesgoi, zusammen. Sie wurde erhöht und erhoben, und es geschah ihr, was der schönen Esther geschah, als der König Ahasveros ihre stillen Tugenden und Verdienste erkannte, was um so mehr wunder nahm, als Esther die angenommene Tochter Mardachais war, eines reichen Mannes in Susan, des Sohnes Jairs, des Sohnes Simei, des Sohnes Kis, des Sohnes Jemini, Rosalie aber nur das schlichte Kind des bescheidenen Gemeindedieners und Schächters Moses Perlchen in Kranenburg: es war ihr verstattet worden, von nun an an der gemeinsamen Tafel der Gebrüder zu speisen, vorzulegen, in die Unterhaltung einzugreifen und das Ansehen des Tisches zu wahren.

So saß sie denn mittags und abends im Kreise der Firma, sauber gekleidet, gleich dem feinsten Aurikelchen auf einer Frühjahrsrabatte, mit offenem Enkörchen, eine siebenfältige Granatschnur um den weißen Hals und die großen mandelförmigen Augen voll von Zuversicht und Dankbarkeit.

Sie machte kein Wesens aus sich, hatte keine Ambitionen, blieb immer gleich bescheiden und zuvorkommend, ohne die Neigung, ihre Augen brillieren zu lassen, obgleich Elias und Maier sie preislich fanden und Sigismund sich nicht genug darin tun konnte, die schönsten Sprüche und Lebensweisheiten vor ihr auszustreuen, als wäre er einer der subtilsten Schüler der Prager Talmudschule gewesen. So sprachkundig war er geworden, so vielseitig und wechselreich setzte er seine niedlichen Thesen und Antithesen nebeneinander, daß die Gebrüder Spier von einer Verwunderung in die andere fielen, dabei um tausend Gotteswillen nicht wußten, wo ihr Nevö all diese krausen Ideen ausgekramt hatte. Sie verstanden ihn nicht. Aber sie bewunderten ihn.

Rosalie jedoch verstand ihn, beobachtete indessen die Vorsicht, es nicht merken zu lassen. Sie war ein verschleiertes Bild, ein versiegelter Born, das Weib Coriolans, das ›holde Stillschweigen‹, wie der große Brite sie nannte. Sie ähnelte der schönen Ninon de Lenclos, wenn auch nur einer Ninon in Duodez-Ausgabe, die aber ebensogut wie jene hätte antworten können: »Mein Herr, maßen die Königin die Güte hat, mir die Wahl des Klosters anheim zu stellen, so werde ich mich in das der Kapuziner begeben, um meine Seele zu läutern.« Nur dann und wann nahm sie die Gelegenheit wahr, sich wie das sanfte Walten der Klopfgeister in einer spiritistischen Sitzung bemerkbar zu machen, den Herrn Kommis mit dem Knie zu berühren und ihren weichen Schuh mit einem wisperwindartigen Seufzer auf den seinen zu stellen, eine sinnige Darbringung unausgesprochener Gefühle, die auch ihn veranlaßten, ähnlich zu seufzen und gleich einem Schnepfenhahn um Okuli zu meckern – von Frühlingsahnungen umschauert, lenzesfroh und den lieben Abendstern weit in der Ferne. O unwiederbringliche Stunden! Stunden, von denen man sagen konnte, sie sind zu schön, um sie in ihrer ganzen Reinheit und Fülle begreifen und verstehen zu können.

Elias und Maier mochten ihrerseits kongenial denken. Auch sie standen im Bann dieses rätselhaften Wesens, und wäre ihnen Shakespeares Cymbeline kein Buch mit sieben Siegeln gewesen, sie hätten mit Jachimo gesprochen:

»Wie hold schmückst du dein Lager! Frische Lilie,
Weiß wie dies Tuch, o könnt' ich dich berühren!
Nur küssen! – einen Kuß nur!
Rubinen sondergleichen, o wie zart
Muß euer Kuß sein! Ist's ihr Odem doch,
Der diese Kammer so erfüllt mit Duft.
Des Lichtes Flamme neigt sich gegen sie
Und guckte gern ihr unters Augenlid,
Die dort verschloss'nen Sterne zu erschau'n.«

Aber sie kannten Shakespeare nicht, hatten somit auch nicht seine Cymbeline gelesen. Sie mußten sich anderweitig behelfen. Das taten sie auch, griffen das Zunächstliegende auf und berauschten sich an den feinen Redensarten ihres poetischen Neffen. Damit ward allen geholfen.

Keiner hatte zu klagen, weder die Chefs, noch Rosalie Perlchen, und so wurden ihnen die gemeinsamen Mahlzeiten zu Rosenfesten, zu Symposien der Freude und des stillen Genießens.

Nur Stina Prußt, die Schabbesgoi, verhielt sich skeptisch. Sie wollte von diesen Symposien, die sie Verbrüderungsessen benamste, nichts wissen. Sie schienen ihr unangebracht, verächtlich, unter aller Kanaille. Zu Blümchens Zeiten hatte sie eine gewisse Rolle gespielt, hatte sich betätigen können, war mehr oder weniger eine treibende Kraft im Hauswesen der Gebrüder gewesen. Jetzt fühlte sie sich zurückgesetzt, vereinsamt, aus dem Sattel gehoben. Früher: Stinchen hier, Stinchen da! wenngleich sie auch keine Markklößchen anfertigen konnte – sah sie jetzt nur noch in abgekehrte Gesichter, die willens schienen, alle Freudigkeit ihr gegenüber aus den Pupillen zu wischen. Warum das? War sie nicht besser als dieses zugelaufene Perlhuhn? Hatte sie nicht die gleichen Kompläsanzen, dieselbe Fülle, das gleiche Benehmen? um nun so über die Achseln angesehen und in die Ecke geschoben zu werden! Sie dankte dafür, sie war doch auch nicht aus dem Spülichtwasser gezogen und konnte ebensogut wie die jüdische Mamsell aus Kranenburg ihre Rechtstitel beanspruchen. Aber was taten die Herren? Nichts, rein nichts ihr gegenüber, aber auch nicht das geringste, während die andere bevorzugt und erhoben wurde, als hätte sie zeit ihres Lebens mit der Königin von Saba chinesischen Tee aus chinesischen Tassen getrunken. Da stimmte was nicht. Das war doch sonnenklar und an den fünf Fingern herunterzuzählen. Und was das Frauenzimmer fortwährend für Augäpfel machte! Und so 'ne Waden hatte das Weibsbild. Pfui, Kuckuck noch mal! Sie repräsentierte 'ne christkatholische Jungfrau, war Marienkind und eingeschriebenes Mitglied der Gesellschaft von der ewigen Anbetung. Dem war Rechnung zu tragen. So ging das nicht weiter. Der Superkargo eines überseeischen Kauffahrteifahrers, der zu viel Ballast an Bord hatte, mochte ihr ähneln. Die überschüssige Fracht mußte ins Meer, mußte ihr vom Herzen und von der Seele herunter. Sich lediglich als Schabbesgoi verschleißen zu lassen, um dem zugelaufenen Weibsbild als Schemel zu dienen: sie dachte nicht dran ... es stand ihr bis an den Hals ... bis über den Scheitel hinaus. Es war ja, um grüne Seife und Wäschebläue zu fressen ... zum Auswachsen ...

»Na, wartet ihr Kerle! da muß mein Vater dahinter, und wenn's mit 'nem Ochsenziemer wäre, denn ich hab' auch mein Honnör und meinen reputierlichen Standpunkt,« und damit hatte sie eines Tages, so um Maria Empfängnis herum, sich ein Tüchlein umgeworfen, war auswärts gegangen, um ein dringliches Wörtchen mit ihrem Erzeuger zu reden.

Sie hatte nicht lange zu gehen, nur über den Marktplatz fort, an der katholischen Kirche vorbei, dann um die Ecke, in die Grabenstraße hinein, und dort, wo ein verwahrlostes Gärtchen und ein ebenso verwahrlostes Häuschen sich wechselseitig ergänzten und zueinander sagen konnten: »Du Dreckspatz«, war das Ziel ihrer Reise, wo alles ihr zuflüsterte: »Mehret euch wie die Flöhe in den Dielenritzen, auf daß die Euter voll werden und die Melkeimer überträufen von der Fülle des Segens.«

Dahin lenkte Stina Prußt ihre Schritte.

Schon aus der Ferne schlug ihr ein warmer Duft nach Geißenstall und Bockmist entgegen.

Mit dem Taschentuch vor Mund und Nase, ganz durcheinander, noch von der Ungerechtigkeit zehrend, die sie von ihren Brotherren zu erdulden hatte, trat sie über die Schwelle der väterlichen Penaten.

Gleich hinter der ersten Tür links verlebte Dores seine wechselreichen und verantwortlichen Tage. Von hier aus lenkte er die Fäden des weitverzweigten Unternehmens, stets darauf bedacht, sein Renommee zu wahren und die Nachzucht durch sachgemäße Kreuzungsversuche ertragreich zu machen.

In dieser Beziehung war er bei Charles Darwin in die Lehre gegangen. Ein Könner und Beobachter von Gottes Gnaden, in der ganzen Umgegend seiner Verdienste wegen in bedeutsamem Rufe stehend, fehlten ihm leider die Mittel, seine reiche Erfahrung bis auf das letzte Titelchen auszumünzen.

Der Bocken-Dores hatte zu kämpfen.

Bei diesem seltsamen Manne klopfte Stina mit weichem Knöchel an.

»Komm' benne!« klang es ihr wohltönend zu.

Gleich darauf standen sich Vater und Tochter hart gegenüber.

Dores Prußt hatte heute seinen übelsten Tag.

Es war schlechtes Wetter bei ihm, denn die Geschäfte flauten merklich ab, verkrümelten offensichtlich und waren seit dem letzten Begegnen mit Maier Spier immer mehr auf den Holzweg geraten.

Heute nun mußte er sich eingestehen: »Geht's weiter so, dann kann ich mir in drei Monaten 'nen Bettelstab schneiden.«

Seine sechs Helden, die er im Stall hatte, waren abgewirtschaftet und nicht imstande, ausgiebig ihre Pflicht zu erfüllen. Alle Versuche, den jüdischen Handelsmann auf andere Gedanken zu bringen, ihn umzustimmen und für seine Zwecke gefügig zu machen, mußte er als gescheitert hinnehmen.

Noch gestern hatte er ein Letztes versucht und nochmals die bekannten vierzehn Taler geboten, um in den Besitz des berühmten Angora-Bockes zu kommen.

»Fünfunzwanzig!« hielt ihm Maier unerbittlich entgegen.

»Ich biete fünfzehn zum letzten.«

»Fünfunzwanzig, oder ich will zeit meines Lebens mit die Schweine nur noch Treber verzehren.«

»Dann sechzehn.«

»Ausgeschlossen.«

Dores krümmte sich wie ein Mehlwurm.

»Dann siebzehn.«

Damit hatte er seine letzte Patrone verschossen. Mehr konnte er beim besten Willen nicht geben, und als Maier auf seinem Schein bestand, den Überrock zuknöpfte und unter keinen Umständen Hals geben wollte, schlug er die Tür hinter sich zu, wünschte dem Unverbesserlichen die gesamten ägyptischen Plagen auf den Leib und torkelte grimmig nach Hause.

Es kam noch hinzu ...

Die Geschichte mit dem Angora-Bock war ruchbar geworden, hatte sich gleichsam zu einem Phänomen erster Ordnung verdichtet, und nun kaprizierten sich alle Stallbesitzer darauf, ihre Ziegen nur noch von diesem Wundertier decken zu lassen, auf die Gefahr hin, sich anderweitig umzutun und die Konkurrenz im benachbarten Appeldorn und Wissel in Anspruch zu nehmen.

Das schlug dem Faß den Boden aus.

Während des Tages hatte er wenigstens schon sechs- bis siebenmal »Komm' benne!« gerufen, aber alle die erschienen, versteiften sich eigensinnig auf den gefeierten Pascha. Ohne diesen keine Abmachung. Nur ihn wollten sie haben, und da Dores damit nicht aufwarten konnte, verwehte das Geschäft wie Spreu vor dem Winde.

Das waren zuviel der Ängste und Drangsale für den ruinierten Eigenbrötler.

»So'n Jud, so'n infamer, so'n dreimal durchdestillierter!«

Er war rein aus dem Häuschen.

Das linke Bein über die Lehne seines Binsensessels geschlenkert, ein Priemchen hinter der Backe, ab und zu einen scharfen Spritzer von sich gebend, strählte er seinen Patriarchenbart, wie die Propheten des Alten Testamentes es an sich hatten, wenn sie Schwefel und Feuer, Pestilenzen, Krieg, Hungersnot und andere bedrohlichen Dinge vom Himmel heranriefen, um ein gottloses, vertiertes, undankbares Volk vor dem Angesichte des Herrn zu tilgen, mit Kind und Kegel, mit Weib und Ingesind, mit Schaben und Wanzen, von jetzt an bis in alle Ewigkeit, Amen.

Der sonst so gutmütige Mann, der Schüler Darwins, der Hochmeister aus dem Märchenland der schweren Euterträgerinnen, der ihre Seelen kannte wie kein zweiter in der ganzen Umgebung, war geschlagen wie Hiob, wie der alte Tobias, als eine unvorsichtige Schwalbe ihm die Augen zukleisterte ... und sein Herz sann auf Rache.

Himmel, Herrgott und kein seliges Ende! und nun war noch seine Tochter erschienen, verweint und das Taschentuch vor Nase und Augen.

»Stina, was los denn?«

Sie erzählte ihm alles.

Das brachte Wasser auf seine stumpfsinnige Mühle, zumal da die Schwerheimgesuchte durchblicken ließ, sie habe noch ein Hühnchen mit der Herrschaft zu pflücken. Unter Blümchen Flesch sei ihre Stellung ein Dorado gewesen. Da habe sie noch was prestiert in der Firma, gewissermaßen mitreden können, um jetzt so verschandelt zu werden.

»I, den Zackerzucker noch mal!«

»Ja, die Herren tun man bloß so, um sich lieb Kind bei Rosalie Perlchen zu machen.«

Der Alte merkte auf.

Was war das?

Das kam ihm gelegen.

Er runzelte die Brauen.

Woher sie das wisse?

Sie habe zwei Augen, bemerkte sie eilfertig, dito desgleichen: ihre beiden Ohren seien auch nicht so ohne.

Wer denn von ihnen der Bevorzugte wäre?

Sie glaube Herr Maier.

»Haha!« und wie sich der Chef in der ganzen Affäre benähme? Ob vielleicht auch Elias so'n bißchen herumnase und verliebte Äugelchen mache?

Das könne sie nicht mit aller Bestimmtheit behaupten.

Na, und die Piepmösch! ob die nicht in Frage käme? ob die nicht etwas Dreck am Stengel besitze?

Darüber habe sie noch nicht so richtig nachgedacht, aber es sei immer schon möglich. Herr Maier jedoch ...

»So so, also dieser! Immer dieser verfluchte Maier. Bei ihm ist also der fragliche Kasus zu suchen?«

Ja, sie verträte die Meinung. Darüber ließe sich reden.

»So! und hast du noch sonst was bemorken?«

Nein, das wäre wohl alles, obgleich sie das Gefühl habe, als liege da noch manches verborgen.

Der Alte nickte befriedigt.

Jetzt hatte er wenigstens einige Anhaltspunkte, die ihn befähigten, dem ›kragen Hond‹ eins über den Bregen zu pfeffern, und das von Rechts wegen, denn er fühlte sich in zweierlei Hinsicht gekränkt, erstens in seiner Eigenschaft als Geschäftsmann und zweitens in seiner Würde als Vater.

Darin war Wandel zu schaffen.

Mit einem Wuppdich war Dores auf die Ständer gefahren und stellte sich jetzt in seiner Patriarchenherrlichkeit vor Stina: ein Priemchen in der linken Mundecke, eine steile, drohende Falte zwischen den Augenbrauen und im Schmuck seines fließenden Bartes. Und diesen fließenden Bart strählte er langsam, legte ihn in zwei mächtige Hälften, reckte sich und wetterte los: »Stina, man muß diese Firma unter Bevormundung halten. Besonders den Maier. Er ist aufs Visierkorn zu nehmen. Aber mit allen Schikanen. Der Kerl hat mich in Not und Ängste getrieben, und nun kann's passieren, daß ich ihn in eigner Person splinterfasernackt zur Ausstellung bringe. Präliminiert soll er werden. Und daher und deshalb ...«

Er kam nicht weiter.

Ein munterer Klopfer hatte ihm das Wort vom Munde genommen.

»Komm' benne!« rief er den sprechenden Finger an, nicht ohne dabei eine gewisse Beklemmung zu spüren, denn es war heute wenigstens das achtemal, daß er ohne Erfolg »Komm' benne!« gerufen hatte – und siehe: die Tür tat sich auf, und ein zieres, zimperliches und vornehm tuendes Dienstmädchen war ins Zimmer getreten, in die schlichte Behausung des geschlagenen Mannes.

Dores strählte zum andern seinen fließenden Bart und teilte ihn nochmals in zwei mächtige Hälften.

»Jüllecke, was verschafft mir die Ehre?«

»'ne schöne Bestellung von Mamsell van der Grinten,« hob sie in ihrer wohlgesetzten Redeweise an, »und Mamsell van der Grinten läßt fragen, ob Sie jetzt den feinen Bock von Herrn Maier haben tun täten. Wenn Sie ihn haben tun täten, käme die Ziege; wenn Sie ihn aber nicht haben tun täten, müßten sich die Geiß und Mamsell van der Grinten vielmals bedanken.«

»Was müßten die beiden?«

»Sich vielmals bedanken.«

Um Jesu Christi und der Barmherzigkeit willen! Dores hatte Feuer und Fett vor den Augen, Fliegen und sich kreisende Räder.

Das war der achte Bote, der ihm sein ehrsames Geschäft ruinierte. Der achte bereits! Der achte, der achte!

»Mamsell van der Grinten hole der Satan!«

Er war nicht Herr seiner selbst mehr. Das Halszäpfchen erstarrte ihm. Der Boden gab nach unter seinen Füßen. Er trudelte mit, ins Leere hinein, ins Unermeßliche. Er war gezwungen, Karussell zu fahren, immer rundum, ohne aufzuhören, unter Orgelbegleitung, unter dem Geschrei einer lärmenden Kindertrompete. Stühle, Tische, der zersprungene Wandspiegel, die beschmutzten Tapeten, die Dielen, der wackelige Ofen mit den glühenden Backen – alles drehte sich um ihn und mit ihm. Ein Tobel von Ungeheuerlichkeiten, von Spinnengelenken und Kielkröpfen! Er streckte die Hand aus. Er wollte irgendeinen Gegenstand erwischen, um ihn dem naseweisen Ding, dieser Vergewaltigerin seiner Geschäftsehre, um die Ohren zu klatschen. Er suchte vergebens. Nicht das geringste wollte ihm zwischen die Finger geraten. Er fand nichts, absolut gar nichts. Nur ein Wort trat ihm zwischen die Zähne, und dieses Wort schleuderte er mit dem Brustton der Überzeugung, aus tiefster Ankerstelle gegen die Überbringerin dieses neuen nichtsnutzigen Unheils.

»'naus!«

Die Scheiben klirrten, der Kalk bröckelte von den schadhaften Wänden, die sechs minderwertigen Genossen meckerten ängstlich in den benachbarten Ställen, als dieser Befehl wie mit Paukenschlägen gegen die nichtsahnende Jungfer loshämmerte.

Mehr tot als lebendig legte sie schleunigst die Tür zwischen sich und diesen Berserker, krebste zurück, suchte mit der größten Eilfertigkeit aus dem Bereich dieses Anarchisten und Sansculotten zu kommen, um sich erst jenseits der Grabenstraße wieder als Mensch unter Menschen zu fühlen.

Auch Dores bezwang sich mittlerweile.

Das erlösende Wort, das endlich nach dem achtmalig gerufenen ›Komm' benne‹ gefallen war, brachte ihm das Gleichgewicht des Körpers und der Seele zurück.

Das Karussellfahren verlor sich, die sich drehenden Tische, Stühle, Tapeten, Spiegel und Dielen hielten mit ihrer wahnwitzigen Polka Mazurka inne, das Lärmen der Kindertrompete versandete, die Spinnengelenke und Kielkröpfe schrumpfelten ein, denn alles und jedes fügter sich aufs neue in den Kreis des Bestehens und den der Erwägungen.

Hier galt es anderweitig zu handeln, aus dem Gröbsten herauszukommen, um mit sublimer Vorsicht, aber aller Bestimmtheit, vor das gefährdete Glück seines Hauses und das seines einzigen Kindes zu treten.

Wut- und Verzweiflungsanfälle brachten nicht weiter, förderten nicht, waren nicht imstande, helfend einzugreifen: nur kühle und behutsame Maßnahmen gaben die Möglichkeit, aus diesem circulus vitiosus zu treten.

Dores warf das Furiose beiseite.

Langsam, feierlich zog der dunkle Vorhang an ihm vorüber.

Ein freundliches Licht blinkte ihm zu.

Er war wieder zum Patriarchen, zum Apostel geworden.

Etwa zum heiligen Paulus?

Nein, zu diesem nicht, denn Paulus besaß ein zu eckiges Gesicht, zu drohende, schwarze Äugelchen, einen zu struwweligen Knasterbart.

Mit ihm hatte er in gegenwärtiger Stunde keine Berührungspunkte. Seine Augen erinnerten vielmehr an Myrrhenscheiben, hinter denen Molken schwammen. Sein Bart war seidenfarbig wie Mohairgarn, sein Antlitz von gewinnender Güte.

Er gemahnte in seiner ganzen Aufmachung an den denkenden und grüblerischen Jünger Andreas. Er nahm seinen majestätischen Bart, schlug einen Knoten hinein und löste ihn wieder. Genau so mochte es der Apostel getan haben, als er auf dem kantigen Basalt in Sinope saß, um seine Heilswahrheiten an das verstockte Herz der Skythen diesseits und jenseits des Schwarzen Meeres zu legen.

»Stina,« begann er, »wir sitzen mittenmang in der Mistfinkerei drin. Mein Geschäft macht retour, und mein Honnör als Bockhaltereibesitzer ist mit der Kränke behaftet. Du bist in der nämlichen Verfassung, denn was Rosalie Perlchen prestiert, mußt du in der gleichen Art bei Maier und Elias prestieren, sonst befindet sich keine Gerechtigkeit in der Welt und Gottes Wort ist erlogen. Sapristi! bluten sollen sie im Punktus des sechsten Gebotes. Da hapert's. Da sind sie zu fassen. Aber mit allen Kulören. Das ist hier per primus zu sagen. Auch den Bock muß ich haben. Ohne diesen ist mein Betrieb nicht in Schwung und Schwänke zu kriegen, bist du nicht reputierlich zu machen, wird uns beiden die Totenglocke geläutet.«

Er weinte.

»Du verstehst mir doch, Stina?«

Er schrieb mit der Hand eine Arabeske durch die Luft.

Ja, Stina hatte verstanden. Sie nickte und fand wieder ein freundliches Lächeln.

»Ha! und aus diesem triftigen Grunde« – und er begann tiefsinnig mit seinen Molkenaugen zu leuchten – »halte Beobachtung, morgens und abends und sonstwie, und wenn du die richtigen Indiziums findest, ich meine solche, die sich mit die Gebrüder und die Piepmösch befassen, dann scheniere dich gar nicht, erstatte mir Meldung, und ich werde sie niederbügeln, daß man die Lappen so fliegen. Aber nicht aus purem Handgelenk, sondern aus dem Koppe heraus, mit's Prickeln und's Stochern und mit's Vorhalten ihrer eigenen Sünden. Vexiert und tribuliert sollen sie werden. Der unmoralistischen Dreckigkeit werde ich den Kopf zertreten, sie wie 'ne Eule annageln an meine vorderste Scheune. Ha!« – und der gütige Mann geriet noch einmal in Wallung – »unsere Sonne ist untergegangen. Nacht und Nebel ringsum – und Biesternis. Wir frieren. Aber das sag' ich dir, Stina: sie wird sich wieder erheben – die Sonne, das Licht unserer Tage, so wahr sie mich Bocken-Dores benennen und ich mich selbst unterfertige als Theodor Prußt, wohnhaft auf der Grabenstraße im hiesigen Kirchspiel. Das wäre geleistet. Nun geh' man nach Hause. Mit Gott denn, und tue mir kund und zu wissen, wenn die Indiziums da sind.«

Und Stina empfahl sich für heute, eine rechte und gerechte Bewunderung in Beziehung auf ihren weisen Vater im Herzen.

»Adjüs denn!«

»Adjüs, Stina, du Leidensreiche, du Gefäß meiner Schmerzen, du Gesicht der guten Vorbedeutung, und komme bald wieder!«

Er stierte ihr nach mit offenen, regungslosen Pupillen und sagte: »Ein fettes Rebhuhn ist nichts gegen ihr. Sie ist wohlbeleibt wie 'ne Dächsin um Martini herum und fromm wie 'ne katholische Agnes und der Trost meiner Tage. Adjüs denn.«


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