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Viertes Kapitel

Langsames Eindämmern der kleinen niederrheinischen Stadt. Maiers Betrachtungen. Warum er hätte Offizier werden können, um zu schießen, mit die Lazzeruntasch und die gefährlichen Füsiliere von hinten. Seine bedeutende Stellung innerhalb des gefeierten Hauses, in Firma Gebrüder Spier, Elias und Maier. Wie der Bocken-Dores erscheint, die Handlung einsetzt und Maier nach Hause geht, um in Gemeinschaft mit seinem älteren Bruder auf Rosalie Perlchen zu warten.

Wie alles so groß war, so hehr und unendlich!

Der Himmel nahm einen resedafarbigen Ton an, verlor an Feuer und dachte bereits daran, sein einfaches Gewand mit flinzenden Sternchen zu mustern. Aber das hatte noch Zeit, denn der Turmhelm von Sankt Nikolai stand noch in rosigem Schaum, glimmte und gloste und tat sein Bestes, die letzte Fackel des Tages in den weichen und warmen Äther zu heben. In der Tiefe jedoch mehrten sich die bläulichen Schatten. Das Leben auf den angrenzenden Straßen ebbte zurück. Nur ab und zu ließ sich ein gedämpftes Klappern von Holzschuhen vernehmen, ein Ketschen von Billardkugeln, das zeitweilig aus der Wirtschaft ›Zum goldenen Anker‹ herübertönte. Die spanischen Giebel, die den geräumigen Marktplatz umgaben, reihten sich wie Lemuren nebeneinander. Selbst die Harzer Kanarienvögel hinter den Fenstervorsetzern hatten ihre Kantilenen und Wasserrollen vergessen, ach! und wo war die ehrsame Juffer Petronell van der Grinten geblieben, wo der Meister Kogeleboom, wo der Herr Ladendiener Nöllecke Baumann? Nichts mehr, reineweg nichts mehr! Sie waren auf und davon, als wären sie von der zunehmenden Dämmerung eingeschluckt worden. Immer mehr vereinsamte die weite Umgebung. Bald mußte der ›Engel des Herrn‹ von Sankt Nikolai ertönen.

Lediglich Herr Maier Spier unter dem stattlichen Baum, um den bereits Anno Domini 1490 der vielehrsame Brauer und Schöffenmeister Jodokus ter Linden mit der schönen Herzogin Mechthild einen ›Kleinen‹ zu riskieren gedachte ... lediglich er allein war auf weiter Flur, ein Hüter der großen Einsamkeit und ein Wächter des Friedens.

Was für ein Mann, was für ein Mann!

Mit frommem Behagen schmauste er rotwangige Herzkirschen aus einer knallblauen Tüte, praktizierte jeden Kern zwischen Daumen und Zeigefinger und unterhielt damit ein wohlgezieltes Einzelfeuer auf eine Spatzenrotte, die sich noch verspätet bei einer trefflich gehäufelten Roßäpfelpyramide herumamüsierte.

Fast jedes Steinchen knallte gegen einen vorlauten Schnabel, und wenn es geschah, wollte sich Maier schütteln vor Lachen.

Gott, was für ein Mann, was für ein bedeutsamer Mann!

Maier Spier konnte Ansprüche machen. Er war drei Jahre jünger als sein Bruder Elias und stieß mit seinem eisengrauen Kopf erst durch die Mitte der sechziger. Er war großzügig veranlagt, edeldenkend und tapfer, wenn auch ab und zu der Quadratlakel aus allen Knopflöchern herausvigilierte. Er dünkte sich höher denn seine Brüder und Standesgenossen, und als bei Gelegenheit einer Königsgeburtstagsfeier in der Wirtschaft ›Zum goldenen Anker‹ der emeritierte Steuerempfänger Friedrich Wilhelm Pastores sich rühmte, als Feldwebel bei den Maikäfern in Berlin gedient zu haben und dabei auf das fünfundzwanzigjährige Dienstkreuz am veilchenblauen Bande hinwies, behauptete Maier frischweg von der Leber herunter: »Nichts für ungut, Herr Steuerempfänger, aber ich hätte auch werden können Offizier oder Feldwebel oder so 'ne ähnliche bedeutsame Sache, um zu schießen mit die Lazzeruntasch un die gefährlichen Füsiliere von hinten. Darauf will ich 'ne Flasche Schepagner verzehren. Aber warum sollte ich werden Offizier? Ich hab's nicht nötig gehabt. Ich hab's nicht gewollt. Der Vieh- und Produktenhandel ernährt auch seinen Mann un ist mir bekömmlich gewesen bis zum heutigen Tage, un darum wollen wir auch trinken 'ne gemeinschaftliche Flasche Schepagner zusammen. Ein angenehmes Pröstchen, Herr Steuerempfänger.«

Seit diesem Tage stand er in gewaltigem Ansehen. Viele hörten die Botschaft und glaubten, und als eines Morgens der Landrat des Kreises vorsprach und ihm für den besten ausgestellten Bullen die landwirtschaftliche Prämie in Gestalt einer blanken Medaille überreichte, Maier sein Haus auch beflaggte und die ihm behandele Auszeichnung gewissermaßen wie einen Orden herumtrug, hieß es in der kleinen niederrheinischen Stadt und deren weiterem Bering: »Maier Spier hat den königlich preußischen Schwarzen Adler-Orden erhalten. Hurra und Vivat!«

Ja, er konnte Ansprüche machen. Er hätte Offizier werden können. Wenn auch kein regelrecht preußischer, so doch ein römischer. Vielleicht als Major oder Obrist-Wachtmeister in der Legio victrix. Zum Tribunen langte es wohl nicht. Oder langte es doch?! Ja, es langte auch dieses. Aber die Säbelbeine?! Auch gut. Er wäre ein respektabeler Tribun mit Säbelbeinen geworden, denn er hatte zweifellos ein martialisches Aussehen. Der eisengraue Kopf imponierte. Das stets sauber rasierte Cäsarengesicht mit den kurz geschnittenen Hasenpfötchen stand ihm vortrefflich, und die geschwungene Mundecke, durch die eine Goldplombe funkelte, gab ihm den Stempel des Herrischen und Überlegenen. Dazu knackte er, wenn die Herzkirschen aufgegessen waren, andalusische Mandeln. Beweis dafür, wie er es versucht hatte, sich den Gepflogenheiten eines Tribunen anzupassen, denn es stand einwandfrei fest, daß diese in bedenklichen Augenblicken zu Krachmandeln griffen, um der kritischen Situation wieder eine bessere Note zu geben. Aber wie schon gesagt: er wollte ja gar nicht. Er hatte keine Lust, Offizier zu werden und zu schießen mit die Lazzeruntasch un die gefährlichen Füsiliere von hinten. Warum auch? Er lebte ausschließlich seinem rentabelen Vieh- und Produktengeschäft, besuchte die Jahrmärkte, sprach bei den Bauern vor, besichtigte deren Roggenspeicher, machte sich in deren Ställen und Wohnungen zu schaffen, und wenn das Jahr zur Neige ging, so um Martini herum, trat er vor den Senior-Chef, spielte mit den Schaken seiner schwergoldenen Kette und sagte: »Eli, mach's Buch zu. Es stimmt. Nach meiner Überschlagung müssen wir gemacht haben dreitausendfünfhundertsiebenzig netto, un wenn's mit die Richtigkeit zuginge, müßten wir werden, du un ich, Kommerzialrat in Preußen.«

»Müßten wir,« sagte Elias und tat, was ihm sein Bruder geheißen: er klappte das Buch zu.

Im auswärtigen Handel war Maier unermüdlich und nicht zu ersetzen. Schon von weitem sprach er die halbreifen Buchweizen- und Haferparzellen auf ihre Ertragsfähigkeit an. Jedes Stück Rindvieh schätzte er sachgemäß ein, ohne es gesehen zu haben, nur aus dem puren Gebrüll heraus, nur aus den breiten Fladen, die es hingeklatscht hatte. Seine Handelsaktionen florierten, standen in der ganzen Umgebung in berechtigter Reputation. Fast tagtäglich suchte er seine Klientel in den benachbarten Ortschaften auf, um mit lohnendem Profit wieder nach Hause zu pilgern.

So auch heute.

Er war in Hanselaer und Hönnepel gewesen, in Kaldenhoven und auf dem Fingerhutshof. Er hatte ausnahmsweise die in diesen Gemarkungen gelegenen Kleeäcker gemustert, vornehmlich solche, die mit der köstlichen Esparsette angesät waren. Er konstatierte: sie hatten noch nichts Lohnendes an sich.

Hierauf war er nach Hochend gegangen.

Er wußte: beim Strückerjans stand eine schwarzweiße Kuh zum Verkauf aus.

Der Mann selber war auswärts beschäftigt.

Die Bäuerin, eine stattliche Frau mit Roggenstrohhaaren und Waden gleich Melkeimern, führte ihn daher selbst in den Stall.

Ein warmer Brodem schlug ihm entgegen.

Als er des Stücks Vieh ansichtig wurde, rümpfte er sofort bedenklich die Nase, schüttelte abweisend den Kopf und machte eine verächtliche Handbewegung, als sei er genötigt, eine Portion treferen Fleisches über die Schulter zu werfen, obgleich er sofort erkannt hatte: eine schönere Kuh ist nicht mehr zu finden.

»Was soll sie kosten?«

»Zweihundertundfünfzig.«

»Was, Taler?«

»Maier, was sonst denn?«

Er streckte die Hände zur Decke, wo etliche Rauchschwalben ab- und zuflogen, legte sie wieder ergeben auf seiner Samtweste zusammen, zog sein Kinn in die Vatermörder zurück und sah die Frau an, als wäre sie übersinnig geworden: »Frau Strückerjans, bin ich meschugge? Wofür halten Sie mich? Bin ich der reiche Benno von's große Haus Löwenthaler in Kleve?! Kann ich springen lassen die Talers wie Flöhe?! Hab' ich getanzt ums goldene Kalb mit meinen Glaubensgenossen?! Oh! Oh!« und mit gieriger Hand begann er die Kuh zu betasten. Er glitt an der Kruppe herunter, hob den Schwanz in die Höhe, riß nachdenklich das Maul auf, untersuchte die Zähne, befühlte den Bauch, fingerte an dem schweren Euter herum und sagte schließlich mit einem Seufzer, als sei er genötigt, Bankrutt anzumelden: »Nu, weil's Sie sind: einhundertunfünfzig preußische Speziestaler.«

»Zweihundertundfünfzig,« versetzte die Bäuerin mit unerschütterlicher Ruhe.

Er tat wie versteinert, rückte seine seidene Mütze schief in den Nacken und lächelte bittersüß.

»Grüßen Sie mir den Gemahl,« sagte er gütig. »Er soll auch mal kommen, mir zu besuchen, um zu trinken in meinem Hause ein gefälliges Schnäpschen. Es sollte mich freuen.«

Damit schüttelte er nochmals den Kopf, besah sich die Kuh, als wäre sie mit Trommelsucht und Klauenseuche behaftet, gerierte sich, als würde hiermit die Angelegenheit für immer und ewig in den Schornstein geschrieben, bedauerte lebhaft und begab sich ins Freie, kam aber zurück und schwor bei den großen Propheten und dann bei den kleinen, von Hesekiel über Joël und Nahum bis auf Maleachi herunter, daß sie scheinbar willens sei, ihn und sein Haus an den Bettelstab zu bringen und völlig elend zu machen.

Dann aber – und er warf nochmals eine gehörige Portion treferen Fleisches über die Schulter – klopfte er der Frau sacht auf die Schulter und meinte: »Um nicht die Stiefel umsünst verschlissen zu haben: zweihundert Speziestaler.«

»Und zwanzig,« bestätigte die Bäuerin wie aus Eisen gegossen.

»Schön denn, um Ihnen un dem Hause Spier ein Pläsiervergnügen zu machen.«

Maier schlug ein, zählte das Geld in neuen Kassenscheinen auf eine Futterkiste, bedankte sich vielmals und geleitete die Schwarz-Weiße, die Kuh mit dem vollen Euter und dem prächtigen Gangwerk, triumphierend der nicht weit gelegenen Stadt zu.

Das Geschäft war getätigt.

Jetzt saß er, sich des lukrativen Handels erfreuend, unter den leise sich schaukelnden Blütenzweigen, verzehrte knappige Herzkirschen und machte sich eine ergiebige Freude daraus, den herumvagabundierenden Spatzen gegen die Schnäbel zu flitzen.

Dabei ging ihm noch vieles andere durch den Sinn, Vergangenes und Kommendes. Er dachte an die Reise seines Nevös, an Rosalie Perlchen, ob sie Blümchen Flesch zu ersetzen vermöge, ob sie überhaupt kommen würde und imstande wäre, Markklößchen und Sauerbraten mit Rosinensauce zu machen. Denn ohne dieses seien alle Tafelfreuden nur ein tönendes Erz und eine klingende Schelle.

Das Kirschendeputat war verspeist, die blaue Tüte zusammengelegt und in die Seitentasche geschoben.

Immer wieder trat ihm Rosalie Perlchen vor die geschäftige Seele. Schön mußte sie sein, schön wie Abigail oder Abisag aus Sunem, die geladen war, dem alternden König, der in jungen Jahren die Harfe geschlagen und vor der Bundeslade getanzet, die etwas steifen Gliedmaßen wieder gelenkig zu machen. Und schön war sie, ausnehmend schön. Dessen war Sigismund Zeuge, und Sigismund hatte es gehört vom Herrn Polizeidiener Brill, der ein wahrheitsliebender und gediegener Mann war. Meimemmelochem! und vorsprechen würde sie auch, denn ins reiche Haus Spier, in Firma Elias und Maier, kamen sie alle gern und willig. Judenmenschen und Christenmenschen: selbst Kakerlaken und Wanzen, die er nur mit knapper Not und unter werktätiger Beihilfe des gefeierten Kammerjägers Beulwitz in Kleve hatte austreiben können.

Also warum nicht?

Sie würde sich schon einstellen. Gewißlich und mit aller Bestimmtheit.

Er streckte die Beine, zupfte an seinen Vatermördern herum, bei welcher Gelegenheit er sehr interessiert seine Plüschpantoffeln betrachtete, die, giftig wie Schweinfurter Grün, in die immer stärker werdende Dämmerung hineingespensterten.

Das rosige Schaumgold war vom Turmhelm gewichen, hatte sich unauffällig in den warmen Äther verflüchtigt. Die alte Linde begann stärker zu rauschen, die weißen Blüten fielen lebhafter von den Zweigen herunter. Der ›Engel des Herrn‹ schlug an, zog herzerhebend über die Stadt hin, glitt auf heiligen Schuhen über Gärten und Wiesen, um dort niederzusinken und unter Blumen zu sterben.

Die Umwelt verlor an Farben und Tönen, blieb aber sichtig genug, alles Gegenständliche deutlich erkennen zu können.

Hier und da hellten bereits die Fenster auf, so bei Mamsell van der Grinten und dem Herrn Notarius Lenz, der nebenan das stattliche Haus mit der Schnirkeltreppe bewohnte. Vor dieser Treppe stand in grün angestrichenen Kübeln eine Reihe von fünf Oleanderbäumen, die jetzt so prächtig dufteten, als müßten sie dem Herrn Notarius ein Dankopfer darbringen, obgleich er ein Schalk war und die Gepflogenheit hatte, den Bauern und seiner sonstigen Klientel die Taler mehr als nötig aus der Tasche zu ziehen, im Namen des Königs und von Rechts wegen. Actum ut supra. Damit war die Sache erledigt, und der Herr Notarius Lenz lachte ins Fäustchen. Und weiter ... auch neben dem Posthaus, in einem altersgrauen Giebel, standen plötzlich zwei hohe Fenster in voller Beleuchtung.

»Nu wird's Zeit. Eli will's Abendbrot haben.«

Der Insichgekehrte erhob sich, als sich ihm unversehens eine schwere Hand auf die Schulter legte.

»Herr Prußt?!«

»Ich habe die Ehre, Herr Maier.«

Ein hoher Mann, ein Patriarch, ein Mensch wie aus der Bibel genommen, stand vor ihm, einer von den Stillen im Lande, mit weichem, fließendem Bart, dessen Enden ihm bis an den zweiten Hosenknopf reichten. Eine angenehme Fuselatmosphäre umgab ihn, aber nur angedeutet, wie hingehaucht, ähnlich dem unnachahmlichen Schmelz von Schmetterlingsflügeln ... und dieser Mann ...

Er war bekannt in der Gegend, im ganzen Kreis Kleve, bis weit ins Geldrische hinein: patronisierte er doch eine Bockhalterei, die beanspruchen konnte, von allen Ziegenhaltern geschätzt und bewertet zu werden.

Theodor Prußt, allgemein der Bocken-Dores geheißen, hatte Allüren, die nicht zu den gewöhnlichen zählten.

Er gab sich mit Würde.

Gravitätisch glitt er über den seidenfadigen Bart hin, teilte ihn in zwei mächtige Hälften und fragte: »Nun, Herr Maier, wie steht es?«

»Es geht ja – un Ihnen?«

»Ich danke der Nachfrage. Man muß sich benehmen, und ich wollte bloß hören: wie sind Sie mit meiner Stina zufrieden?«

»Als Schabbesgoi primissima Klasse. Nur, sie kann noch keine Rosinensauce un keine Marksklößchen machen. Aber was tut es?! Blümchen Flesch ist zufrieden gewesen mit ihr, warum sollen daher wir, die Gebrüder, nicht sein zufrieden mit ihr, tut sie doch alles, um dem Hause Spier zu dienen mit Freude un Liebe.«

»Ist mir angenehm zu hören, Herr Maier, denn so'n eingeborener Vater hat auch sein Honnör im Leibe von wegen der Tochter. Indessen jedoch, um auf 'nen anderen Turnus zu kommen: Sie haben ja wohl 'nen präliminierten Deckbock im Stalle?«

Maier schnalzte fett aus der linken Mundecke heraus.

»Herr Prußt, 'nen pompösen.«

»Je, das behauptet ihr Juden man immer.«

»Herr Prußt, ich will mich nicht ehrlich benennen, ich will hingehen zu meine Glaubensgenossen un vorstellig werden ... Nein, ich werde nicht hingehen. Warum soll ich auch hingehen zu meine Glaubensgenossen? Bleibe ich doch lieber hier, um Ihnen zu sagen: er ist ein Gewaltiger, ein König, ein Pascha ...«

Er streckte den Arm aus.

»Ein Emir unter den Böcken.«

»Immer man sachte,« fiel ihm Dores ins Wort, wobei er die Bartenden zu einer Lanzenspitze ausdrillte, »über dem Lipperfurtsberg fort wohnen auch Leute. Wo soll er denn herstammen?«

»Nu, woher soll er stammen? Aus Angora, Herr Prußt, wo sie tragen 'nen Kaftan mit Edelsteinklunker, ah! un wo sich die Pyramiden befinden un die Schwarzen un die feuerspuckenden Berge – wohl hundert Stunden hinter Afrika fort, un denn noch weiter, um die Ecke herum, auf Indien zu, wo sie verbrennen bei lebendigem Leibe die eigenen Frauen, so aus purem Handgelenk heraus, um zu kommen in den indianischen Himmel, wo sie sitzen werden splitterfasernackt zwischen Blumen un Pomeranzen, aber von einer ewigen Sonne umleuchtet.«

»Dunnerkiel nochmal!« sagte Dores und rollte seinen Bart wie 'ne Serviette zusammen, um ihn gleich darauf wieder talwärts gleiten zu lassen, »das wäre denn doch ...!«

»Ja,« bestätigte Maier, »un was jung von ihm wird – ich meine vom Bock – bekommt Wolle am Leibe, was sie Mohairgarn benennen, un 'nen Pompadour zwischen die Beine, der dreimal soviel Milch gibt wie der von die sonstigen Ziegen. Un aus dem Garn kann man machen Kamelotte ... un aus dem Fell Damian- un Fabianleder ... un aus den Hörnern Trinkgeschirre von Buchsbaum ... Ja, un als Sprunggeld müssen Sie wenigstens vier Kastemännchen pro Kasus beziehen ... un überhaupt so ...«

»Das ist ja alles recht schön,« sagte Dores. »aber ...«

»Was ›aber‹? Entweder Sie haben ihn nötig, Herr Prußt, oder Sie haben ihn nicht nötig. Haben Sie ihn nötig – dann bitte.«

Maier pfiff sacht durch die Zähne.

»Gott, ich brauch' nur zu strecken meine fünf Finger, un er wird mir aus den Händen gerissen. Da sind schon sieben, die ihn wollen besitzen,« und er zählte vom Daumen herunter: »Da ist der Herr Ökonom Otten vom Oorth, der Herr Gastwirt Janssen zu Moyland, der Herr evangelische Paster in Kermesdal, nu, un da sind noch die übrigen Leute, die mir persuadieren wollen, ihnen die Okkasion zu belassen ... aber wenn sie Ihnen genehm wäre, um zu behalten Ihre Firma in Schwungkraft ...«

Er hielt ihm die Hand entgegen.

»Ich bin Ihr Freund. For Sie un Ihr Haus tu' ich alles. Oder wollen Sie nicht behalten Ihre Firma in Schwungkraft?«

Dores schrumpfelte die Brauen zusammen und meinte: »Warum nicht? Meine Helden sind abstrapeziert, und da könnte Ihr Bock mir schon passen. Aber Puttputt! Mit's Bezahlen – da hapert's. Ihr verfluchtigen Juden verlangt ja immer Geld zum Erbarmen.«

»Gott der Gerechte, welche Gefühle! Werde ich verlangen fast gar nichts. Ihnen zu Gefallen nur so viel, um meine Spesen zu decken, obgleich es der meine verdient, bei 'nem nobeln Baron in Stellung zu kommen, denn er hat 'nen Stammbaum wie dieser.«

»Maier, was soll er denn kosten?«

»Nu, Herr Prußt, was wollen Sie geben?«

»Je, Maier, das ist so 'ne Sache.«

»Warum denn 'ne Sache?«

»Bevor ich ein Angebot mache, muß ich seine Qualitäten erst kennen.«

»Qualitäten?! Die hat er. Qualitäten wie 'n indianischer Emir. Sie sollen ihn sehen. Sie werden seiner ansichtig werden. Wann wollen Sie ihm un mir erweisen die Ehre?«

»Sagen wir morgen um elfe.«

»Schön, also morgen um elfe.«

»Aber präzise.«

»Natürlich. Ich bin immer präzise. Wer will machen 'nen Handel, der muß sein immer präzise. Ohne Präzisität ist alles in den Abtritt geschmissen: Lujerdors un Besinnung. Ein solider Geschäftsmann wirft kein Geld in den Abtritt. Das Ihre erst recht nicht. Es wär' ein Greuel vor dem Herrn. Also morgen um elfe. Aber bringen Sie Geld mit. Bar oder in Kassenscheinen. Was dann noch ist zu besorgen, wird ausgemacht unter vornehmen Männern. Adjüs denn.«

Dores ließ seinen seidenen Bart wehen und sagte gleichfalls: »Adjüs denn.«

Hierauf trennten sie sich, die Brust gehoben und durchzittert von den Schwingungen eines trunkenen Sommerabends.

Ach! und da droben ...

Die ersten Bienchen des großen Zeidelmeisters kamen ins Schwärmen, verloren sich hierhin und dorthin. Die ersten silbernen Bienchen unter dem Himmelreich.


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