Joseph von Lauff
Der Prediger von Aldekerk
Joseph von Lauff

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Letztes Kapitel

Im Predigerhaus werden die Emigranten von Pfalzbayern noch einmal aufgerufen. Die Unruhe wächst, bis es vom protestantischen Kirchlein Mitternacht wimmert. Da kommt es daher mit befreiender Allgewalt. Unter dem tönenden Liede ›Gott ist der Christen Hilf und Macht‹ von Johann Michael Moscherosch nimmt die seltsame Erzählung des ›Predigers von Aldekerk‹ ein erfreuliches Ende.

Während dessen . . .

Unruhig trottete der Magister über die Dielen, wie einer, der die Quadratur des Zirkels zu ergründen versuchte, durchmaß das Zimmer nach Länge und Breite, umkreiste den Tisch, lauschte auf den Hausflur hinaus, trat wieder zurück, um mit verdoppelter Hast sein vollgemessenes Bündel Erregung von einem Ende der Stube bis an das andere zu tragen.

»Kriegst du die Motten!«

Dann hielt er aufs neue den Fuß an, warf sich in irgendeinen Sessel hinein, griff nach dem Stock, stellte ihn zwischen die Beine und legte die Hände über die Krücke.

»Das dauert ja ewig und ewig. Die Zeit gähnt einen an wie ein gelangweilter Presbyterianer. Bei so was sieht man weiße Mäuse herumlaufen und ähnliches Geziefer. Wollen uns was erzählen, Johanna,« und nun begann er wieder damit, von seinen Vorfahren und dem Häuflein protestantischer Emigranten zu berichten, da sie durch jesuitische Unduldsamkeit geplackt und geplagt, von Karl Theodor von Pfalzbayern und seinem Beichtvater, dem fanatischen Pfaffen und Zeloten Frank, bis aufs Blut geschunden und zermartert, sich gezwungen sahen, rheinabwärts zu treiben.

Das kannte Johanna schon alles, bis ins Tipfel hinein, aber heute wiederholte er es mit erbittertem Ingrimm, denn die jetzigen Zeiten waren so recht dazu angetan, alte Geschichten, des Exempels wegen, nicht verrotten und verquiemen zu lassen, denn der priesterliche Hochmut legte sich abermals ins Zeug, die tote Faust auf alles zu stempeln, was der Lehre des großen Reformators zugetan war und unter dem Schutze des preußischen Königshauses atmete und erntete. Die Quertreibereien des Kölner Oberhirten und Kardinals waren schlimmer denn einst und ehedem. Auch für die kleine protestantische Enklave im Klevischen hieß es die Ohren gespitzt und die Nase gegen den Wind gedreht, denn es blies verteufelt herüber. Das hatte er noch heute beim Morgenkaffee im Kreisanzeiger gelesen. Und dann noch diese Wühler und Graber! Wo das Volk in Not war, da kamen sie an. Immer dort, wo Verwesung sich zeigte, da tafelten die Nichtstuer, die Maden und das arbeitsscheue Gesindel. Auch die, die kein Vaterland haben wollten, aber sich mästeten mit dem billigen Brot des Umsturzes. Aber das Bitterste blieb doch der Jammer und das Elend aus vergangenen Tagen.

Exempla trahunt! und so erzählte er denn, wie die aus der Pfalz ihr Schifflein bestiegen, bei Reeser Schanz an Land gingen, mit hohlen Augen, verarmt und verhärmt, nichts bei sich, als das, was sie am Leibe trugen, nur ihren Gott und ihr Evangelium als Labsal und Wegzehrung. O Jesus, meine Zuversicht . . .! Wie sie drüben auf der sandigen Hügellehne, zwischen Xanten und Nymwegen, propter reverentiam et securitatis causa, unter dem Hohnlachen der Andersgläubigen den Ginster rupften, die Dornen rodeten, die Heide umbrachen, harten Buchweizen säten, um wenigstens wie die armseligen Tiere leben zu können. Viele kränkelten, viele starben eines traurigen Todes, ausgenommen eine kleine Scharwacht, die den Kopf oben behielt und schließlich sagen mochte: »Wäre nicht der König von Preußen gewesen, auch wir wären dahingegangen wie Ratten und Schermäuse an vergifteten Brocken. So aber haben wir obgesiegt durch die Gnade Gottes und die Friedrichs des Einzigen.«

»Nur einer nicht,« erzählte er weiter, »einer der Besten und Frommsten nicht, Philipp Tersteegen mit Namen. War ein Vorfahr von mir und hatte Bärenkräfte und Augen wie Lichter. Des Rücken krümmte sich unter dem heidenmäßigen Scharwerk. Ihm zerrissen die Hände, die Seele, die einst so klaren Gedanken. Ihm starb das Weib hinweg, ihm starben die Kinder dahin wie die Fliegen, ihm setzte ein Katholischer zu . . . und da wurde er denkerisch und simulierte tags und nachts darüber nach, ob es besser wäre, erst die vorderen Stöpsel am Kuheuter abzuzapfen oder zuvor die Hinteren in die Finger zu nehmen . . . wesmaßen er über die Heide zog, Nachfrage hielt bei Bauern und Pächtern, selbst beim Landratsamt und der Düsseldorfer Regierung vorstellig wurde und schließlich erklärte: erst die vorderen Stöpsel zu melken, wäre wider Gottes Gebot und für den Satan ein Fressen. Darüber ist er sinnig und katholisch geworden. Die anderen aber verharrten in ihrem protestantischen Glauben . . . und sind es bis heute . . . und so möge es bleiben, allewiglich.«

Und sein Stock hämmerte auf.

»Allewiglich!«

Stunde um Stunde verrann.

Es war bereits spät unter dem Himmel geworden.

In den verstreut liegenden Pachthöfen und den Giebelkammern der kleinern Niederungsbauern erloschen allmählich die Lichter.

Nur da drüben im Schloß und den zur ebenen Erde und rechts von der Haustür gelegenen Zimmern des Predigers standen die Fenster noch immer unter warmem Lampenschein.

Es schlug elf von dem benachbarten protestantischen Kirchlein, die letzten Gäste verließen den ›Goldenen Anker‹, Dores van Bebber schloß mit vielem Geräusch die Tür zu, aber die blütenweißen Gardinen gegenüber verharrten in ihrer lichten Helle und Schönheit. Ab und zu trat ein Schatten hinzu, raffte den Vorhang auseinander und spähte ins Dunkel hinein.

Nur huschende Sternchen da draußen und leises Geriesel – sonst gar nichts. Kein Mensch ließ sich sehen, nicht die leisesten Schritte kamen die verwehte Straße herauf, die vom Schloß aus zum Hause des Predigers führte, kein daherpilgerndes Laternchen brachte Wandel und Wechsel in diese monotone Einsamkeit.

»Nichts, reineweg gar nichts!«

Da trat Kosman Theophil Banning aus der Fensternische zurück und nahm wieder seinen rastlosen Schritt auf.

Die Hände unter den braunen Rockschößen geborgen, mit harten Schuhen, immer auf und nieder wie eben, als sei ihm geboten worden, die Quadratur des Zirkels zu ergründen, ab und zu etwas Unverständliches vor sich hin murmelnd, durchmaß er das Zimmer nach Länge und Breite, umkreiste den Tisch, hinter dem die junge Frau bei einer Handarbeit saß, stocherte den Lampendocht aus, trat an den warmen Ofen und schurfelte erregt seine derben Hände gegeneinander.

»Man sollte sich Schröpfköpfe setzen lassen vor eitel Unrast,« grummelte es von der Feuerstelle daher. »Erst dieser katholische Priester mit seiner methodischen Störung der protestantischen Sache und des preußischen Staates, und jetzt noch dieses Hangen und Bangen, dieses Sichzerquälen nach dem Geschick eines Verlorenen. Es geht schon über den Standpunkt aller Begriffe, über die Kraft und Widerstandsfähigkeit eines einzelnen Mannes. Im Fegefeuer muß sich Ähnliches begeben. So stell' ich mir vor, denn da ist eine Langwierigkeit ohne Anfang und Ende. Nur Sprühteufelchen und Seelenpeiniger. Wäre nur ein Klavizimbelum da. Durch ein musikalisches Thema von Johann Sebastian Bach, sorglich in Variationen zergliedert, würde mir das Ungewisse schon ferner gerückt, könnte ich das weitere in Muße erwarten. Da es mir aber an einem Klavizimbelum mangelt . . . und jetzt, so denke ich, ist es bereits ein Viertel nach elfe, und noch immer herrscht da draußen das Schweigen der Ewigkeit.«

»Vielleicht,« redete ihm Johanna zu, »wird ein abermaliges Vaterunser dir helfen.«

»Was – Vaterunser?! Satt und genug davon. Ein stetiger Appell an den Himmel verliert an seinem inneren Wert und seiner inneren Stärke. Allzu häufiges Melken gibt Blut. Ich habe viel und inbrünstiglich in meinem langen Leben gebetet. Selbst den Angelus Silesius und den Thomas von Kempen. Ich kann jetzt nicht mehr. Ich bin kein Pietist, keine Totbeterin. Gott sei Dank – nein. Die mehrstündige Reservestellung zermürbt mich. Wenn ich nur wüßte, wie sich da drüben die Dinge gestalten. Mir würde schon besser,« und wiederum ging er lauten Fußes über die Dielen, stocherte am Ofen herum, suchte den Hausflur auf, trat wieder zurück, um dicht vor der jungen Frau stehen zu bleiben.

»Johanna, wie denkst du über Benjamin und seine Mission?«

»Gedulde dich nur. Mit Gottes Hilfe wird er seine Pflicht schon erfüllen.«

»Kein Zweifel. Ganz meine Ansicht. Was er betreibt, rüttelt ja nicht an des Ewigen Gesetz und Ordnung. Entspricht lediglich dem charitativen Erfordernis und der werktätigen Liebe. Er ist wie der heilige Paulus. Geht für ein heiliges Ziel mit der Promptheit eines preußischen Militärs durch Feuer und Kanonendonner, wenn auch nur im Kleid eines Predigers. Aber er tut es. Er tut es mit offener Stirn und Hintansetzung seiner eigenen Person. Sein Wort außerdem sub sigillo et fide pastorali dürfte ihm als Triarier dienen. Mit Harke und Forke werden die Äcker umbrochen, mit Geist und Lauterkeit die Herzen der Menschen. Natürlich! er wird es schon leisten, denn er ist dessen mächtig wie kaum ein Konfrater im Lande. Sein Ingenium und ferner sein Einfluß im Schlosse verbürgen den Erfolg. Allein ich fürchte, er hat 'ne harte Walnuß zu brechen: die jetzige Mutter, mit ihren Ambitionen, der getätigte Wille des Barons auf Leben und Sterben . . .«

»Das müssen wir schon ihm überlassen,« unterbrach ihn die Tochter.

»Gewißlich, gewißlich! aber da ist noch ein härteres Nüßlein: das Kind . . . und hinter dieses Geschöpflein möchte ich doch ein bedeutsames Fragezeichen vermerken.«

Johanna erbleichte.

Der Alte machte eine grandiose Bewegung.

»Denn wenn es erlaubt ist, zu reden . . . er in seinen traurigen Jahren und sie in ihrer blühenden Jugend . . . Es hat schon Exempel gegeben . . . sowohl in der Legende wie auf dem ernsten Pfad der Geschichte . . . aber hier – alles in allem genommen: das wäre doch ein kurioses und seltsames Wunder. Indessen jedoch: darüber mag der Herrgott selber entscheiden, ich nicht, und ich habe nur die Frage zu stellen: Wird besagtes Geschöpflein nicht ein wesentlicher Hinderungsgrund sein, der angebahnten und aufrichtig herbeigewünschten Versöhnung . . . Ich meine . . .«

Er hielt plötzlich inne und lauschte hinaus.

»Ich glaube, Johanna . . . und wenn meine Sinne nicht täuschen . . .«

Er trat wieder ans Fenster.

Draußen wimmerte es Mitternacht vom protestantischen Kirchlein herunter . . . segelte es wie auf Daunen aus der Ferne herüber . . . Aber das, was Kosman Theophil Banning zu hören wähnte, hatte nichts mit seinem Schwiegersohn zu schaffen, war vielmehr das sanfte Dahingleiten eines eiligen Schlittens, dessen Kufe den Arzt aus der benachbarten Kreisstadt zu irgendeinem Gebrestigen oder gar einem Sterbenden führte . . . obgleich . . . ja, obgleich . . .

Fast gleichzeitig trat ein hochgewachsener Mann aus dem Schloßportal. Jean Pierre begleitete ihn noch einige Schritte, jetzt wie ausgewechselt und mit dem wohlwollenden Lächeln eines Zuckerbäckers.

»Ich bedarf Ihrer nicht weiter,« kam es von herben Lippen, und den Kopf im Triumphe gehoben, den Hut in der Rechten, die offene, freie Stirn dem kalten Hauch der Dezembernacht preisgegeben, durchschritt Benjamin die Schloßfreiheit, trat er in die weiße Finsternis des weiten Parkes, gewann er nach scharfem Dahingehen die offene Landstraße.

Jetzt empfand er wieder, was ihm zum ersten Male während seiner großen Predigt und nach ihr in dem stillen Kirchlein geworden. Aus dem Todesschweigen ringsum begann das Leben zu sprechen. Aus aller Weite klang es ihm zu, von Lissa her, über das Schweidnitzer Wasser: preußische Feldmusik, Schellenbaum und Musici . . . erst kaum zu vernehmen, dann immer voller und stärker . . . ja, ihm war so, als höben die abstrapazierten Grenadiere wiederum an, den ›Choral von Leuthen‹ zu singen, den Sieg in ihren glorreichen Fahnen und Feldzeichen, die Treue für ihren angestammten Herrn und König zwischen den Rippen.

Und war er nicht selber ein Sieger, nicht selber ein Kämpfer und Ringer? Trug er nicht selber die Treue für seinen angestammten König und Herrn als etwas Unveräußerliches und Heiliges bei sich? Hatte ihm diese Königstreue, diese eiserne preußische Pflicht, diese Nächstenliebe nicht die Viktoria in sein Fahnentuch gerauscht, ihn nicht gestählt gegen alle Anfechtungen des Lebens?

Ein befreites Atmen hob seine Brust.

»Ich werfe Panier auf!«

Und er hatte Panier aufgeworfen.

Eine kochende, brandende, brodelnde Erregung durchfährt ihn vom Scheitel bis zu den Sohlen herunter.

Ja, er ist Sieger geblieben.

Er wirft den Kopf in den Nacken.

Er hält den Fuß an.

Da sieht er – just wie damals: ein Schatten wandelt hoch durch die Lüfte . . . wesenlos, blutlos . . . verkörpert sich . . . wird zu einem Mächtigen in schwarzem Eisen . . . die ragende Lanze übergeworfen . . . unter dem Helmsturz stahlblaue Augen . . . ein Warner und Mahner für Zeit und Ewigkeit . . . umleuchtet von des Allmächtigen Strahlen.

»Königstreue! Pflichterfüllung! Kein Zagen und Bangen vor Gott und den Menschen. In ihnen leben wir, arbeiten wir, müssen wir sterben.«

Und wiederum klingende Musik: Pfeifen und Kesselpauken, der eiserne Schritt von preußischen Bataillonen: die Lebensbedingungen und die Kraft unseres Volkes.

Er nimmt wieder den Pfad auf.

Seine Augen glänzen. Sein Gang ist wie der eines Helden und Überwinders.

So kommt er seines Weges daher, um sein Haus zu erreichen, als er noch Licht bei dem jungen Lehrer und Kantor gewahrt, gleich neben dem Kirchlein.

Eine große Eingebung erfüllt ihn.

Er tritt näher heran und sieht: Herr Knörke und sein Freund, ein Angestellter beim Rentamt, sitzen noch einträchtlich bei einer Bouteille Bier und karten eine Partie ›Schafskopp‹ oder ›Sechsundsechzig‹ zusammen.

Er pocht gegen die Scheiben.

»Heda, Herr Knörke!«

»Potz Wetter, wer klopft da?!«

Ein Flügel geht auf: »Ah! Hochwürden, so spät noch?!«

»Sie – würden Sie mir einen Gefallen erweisen?«

»Aber natürlich! immer zu Diensten.«

»So hören Sie denn. Meine Bitte ist seltsam. Eine Laune vielleicht. Aber hinsichtlich der obwaltenden Umstände für mich ein Herzensbedürfnis.«

»Ich ersterbe, Hochwürden.«

»So bitte ich denn, die Orgel, unter gütiger Assistenz Ihres Freundes in jetziger Stunde zu spielen.«

»Aber sofort. Schlüssel und Wachsstock sind da. Bloß fünf Minuten Ausstand – und ich leiste die Sache. Große Ehre für mich. Aber die Tonstücke . . .

»Zuerst präludieren Sie nur, bis ich daheim bin. Ich harre der Dinge. Dann mit vollen Registern: die ›Schildwach‹ von Moscherosch, alle Strophen hindurch.«

»Hochwürden, ha! ein Konzert in der Adventnacht! Großartig! sage ich Ihnen: Gott ist der Christen Hilf und Macht . . .«

»Also bis morgen. Dann soll Ihnen des Rätsels Lösung werden.«

»Ich danke, Hochwürden . . .« und über ein kleines: vom Kirchlein her – Labial- und Zungenpfeifen begannen zu tönen. Aus den Pedalstimmen wuchsen Äoline und vox humana heraus, sang es mit Engelschören . . . Cherubim und Seraphim . . . Quinternen und Harfen . . . rauschte und brauste es mit der Stimme Jehovas.

Kosman Theophil Banning zuckte am Fenster zusammen.

»Johanna . . .! da wird noch die Orgel gespielt . . . Wunderhände, Geisterhände . . .

Gleichzeitig: draußen ein Stampfen, ein Öffnen und Schlagen der Türe – dann eine Stimme, heilig und groß, die die erste Strophe des gewaltigen Liedes die ›Schildwach‹ von Johann Michael Moscherosch, auch Philander von Sittewald geheißen, Fiskal der Stadt Straßburg, in der Weise des Doktors Martinus ›Eine feste Burg ist unser Gott‹, intonierte.

Also singend, einen überirdischen Glanz auf der Stirne, noch übersprüht von den Kristallen und Diamanten des Himmels, trat der Prediger ins Zimmer und erfüllte mit seliger Inbrunst die Herzen der Menschen:

»Gott ist der Christen Hilf und Macht,
Ist feste Zitadelle;
Er wacht und schildert Tag und Nacht,
Tut Rond und Sentinelle.
Jesus ist das Wort,
Brustwehr, Weg und Port,
Der rechte Korporal,
Hauptmann und General,
Quartier und Corps de Garde.«

»Benjamin, Benjamin . . .

Das junge Weib flog in seine Arme hinein, umhalste ihn, streichelte ihn, weinte und lachte.

»Nun, mein lieber Herr Schwiegersohn, wenn es erlaubt ist, zu fragen, propter reverentiam et securitatis causa . . .«

Der Alte mußte sich halten, um nicht vor Erregung niederzubrechen.

»Geliebte! was möglich war, wurde erreicht. Ein neues Samenkorn wurde in die Scholle gelegt. Es wird aufwachsen und Frucht tragen. Auferstehen und neues Leben in Gott. Das ist es, was ich zeitigen konnte. Das weitere morgen . . . nur das noch: dem verlorenen Sohn wurde im Hause seines Vaters eine Stätte bereitet . . .«

So Benjamin, und er legte den Arm um den gesegneten Leib seines Weibes und sagte: »Nun ist mir auch das Letzte und Schwerste vom Herzen gefallen. Meine Schuld ist dahin, mir lächelt das Licht, wie es mir niemals zulächelte. Lobsingen wir deshalb dem Herrn . . .« und die Orgel brauste und rauschte wieder herüber, und die letzte Strophe des tapferen Liedes frohlockte aus glücklichen, erlösten und befreiten niederrheinischen Menschenkindern:

»Gott Ehr und Preis, der uns zu gut
Den Feind mit Furcht tut schlagen
Und über uns hat treue Hut
Auf seinem Feuerwagen.
Sein ganzes himmlisch Heer,
Es rondet um uns her.
Lobsingt, lobsinget ihm,
Seraphim, Cherubim:
Ehre sei Gott in der Höhe!«

Und Johanna drängte sich an ihn, sah ihm tief in die Augen, gab ihm das Bündlein zwischen ihren Brüsten zu kosten und sagte: »Die größte Mission deines Predigeramtes hast du heute erfüllet. Ja du, ich weiß es: du wandelst im Lichte. Durch dich – wir wandeln gleichfalls im Lichte. Möge es so weiter geschehen bis an das Ende der Tage.«

»Geliebte . . .!« und nicht mehr vernehmbar erstarben die Worte des Predigers am Herzen des hoffenden Weibes.

»Gott segne uns alle!« sagte der alte Magister.

Und Friede war unter ihnen.

Im Kirchlein nebenan verstummte die Orgel. Die Schneesternchen aber fielen noch immer vom Himmel . . . und bei ihrem lautlosen Fallen verklingt meine seltsame Geschichte, leise und sänftiglich.

 

Ende

 


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