Joseph von Lauff
Der Prediger von Aldekerk
Joseph von Lauff

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Fünfzehntes Kapitel

Ein Land ohne Lachen unter der grauen Sichel des Ramadan-Mondes. Von einem zürnenden Cherub vor dem Hause des Magisters, einer einsamen Winterfliege und einem fetten Bauklötzchen mit Troddelmützchen, das sich vergeblich bemühte, diese Fliege von einem Bierfilz zu haschen. Schwere Katastrophe im Honoratiorenzimmer des ›Goldenen Ankers‹. Rückblicke und Aussichten, getragen von der Erklärung Rinse van Bommels.

Das Bohnenfest und der heilige Dreikönigenabend waren wie eine Spiegelung der Fee Morgana vorübergegangen. Kein Schillern, kein violettes Farbenspiel mehr, kein pfauenblaues Fließen zwischen Turritellen und perlmutternden Sanddünen, die sich bemüht hatten, immergrüne Weiden und paradiesische Gefilde vorzutäuschen. Nur langsam dahinschreitende Kamele auf ausgedörrten Myrrhenhügeln, mit schwarzen Fransen umtroddelt . . . und hoch in der Höhe die dunstige Sichel des Ramadan-Mondes.

Benjamin sah sich umgeben von einem Land ohne Lachen . . . und doch keine Reue, keine Regung in den tiefsten Masern und Fasern.

Einen Traum nimmt man hin, wie man eben ein köstliches Träumen hinnimmt, ohne sich dabei von der grauen Hand des Gewissens warnen zu lassen.

Unter der dunstigen Sichel des Mondes zerstrählten alle Bedenken in orientalischer Feinheit.

Wieland stellte sich weniger auf Aldekerk ein. Das leichtlebige Völkchen seiner Muse verstäubte nicht mehr so oft seinen Silberpuder durch die galanten Räume, woselbst noch immer Nellys Lachen perlte, ihr Krinolinchen wippte, just wie einst und ehedem, und der nüchterne Herr mit dem Gesicht eines Präsidenten des königlichen Finanzministeriums am Eingang des Saales die Tafel behütete.

Und dann geschah es: die klaren Wasserfäden im arkadischen Hain nahmen zusehends ab, gluckerten nicht mehr so heiter und rieselten immer spärlicher.

Ja, es war anders geworden.

Bei Benjamin nicht . . . aber Nelly klagte zuweilen über Migräne, litt häufiger unter Zufällen und gefiel sich darin, weniger ernsthaft den Darlegungen des jungen Klerikers zu lauschen.

Er selber merkte kaum diesen Wandel und Wechsel.

»In nubibus!« flüsterte es ihm zu, und er fand ein inniges Genießen darin, das Erinnern in anmutigen Versen noch freier klingen zu lassen. Hierzu genügte Wieland nicht mehr. Aber ein andrer genügte. In den römischen Elegien fand er dieses Klingen und Weiterspinnen und sagte mit klassischem Wohllaut:

»Vielfach wirken die Pfeile des Amor: einige ritzen,
Und vom schleichenden Gift kranket auf Jahre das Herz.
Aber mächtig befiedert, mit frisch geschliffener Schärfe,
Dringen die andern ins Mark, zünden behende das Blut.
Glaubst du, es habe sich lange die Göttin der Liebe besonnen,
Als im Idäischen Hain einst ihr Anchises gefiel?«

So Benjamin in diesem Land ohne Lachen, in seiner Selbstbetörung, in seinem Straucheln zwischen Gut und Böse . . . ein süßer Betrug, eine Verschmelzung des irdischen mit einem anderen Leben . . . und doch kam zuweilen ein Sehnen und Suchen über ihn, das ihn Verlorenem nachjagen ließ, ein hartes Mahnen, hart und entschlossen wie der Schritt und die Musik preußischer Grenadiere . . . und als ihm eines Tages der junge Lehrer und Kantor begegnete, ausgewechselt und strahlend in seiner Einkehr, nicht mehr Schwert und Flamme, nicht mehr Freude und Gesang für demagogische Umtriebe . . . als dieser nun seine Hände ergriff und mit glücklichen Worten sagte: »Reverende, ich danke. Sie haben mir die Binde von den Augen genommen. Das Licht der Unvernunft stolperte vom Leuchter herunter und das der Vernunft erhebt seine Fackel . . .« da hatte Benjamin wieder das Gesicht, das ihm schon einmal in dem schmalen Kirchlein geworden: ein Schatten wandelte hoch durch die Wolken . . . wesenlos, blutlos . . . verkörperte sich . . . wurde zu einem Mächtigen in schwarzem Eisen . . . die ragende Lanze übergenommen . . . unter dem Helmsturz stahlblaue Augen . . .. ein Warner und Mahner . . . umleuchtet von des Ewigen Strahlen.

O dieses Gesicht!

Hand lag in Hand.

Ein großes Verstehen, das wechselseitig verpflichtete.

»Königstreue, Bundestreue!«

Beiden trat dieses Wort auf die Lippen . . . und für Benjamin wurden die Indischen Flöten immer dünner und feiner, verloren sich, just so, wie sich die klaren Wasserfäden zwischen den Taxushecken in dem verwunschenen Haine verloren.

Aber was nun?

Johanna hatte er nicht mehr gesehen, war ihm nicht mehr begegnet. Dunkle, einsilbige Gerüchte machten die Runde. Aus ihnen schälte er heraus: auf Geheiß des Vaters und wider bessere Einsicht hatte sie sich weiter rheinaufwärts zu Verwandten begeben, um dort in einem malvenfarbigen Häuschen mit grünen Läden, vor dem drei Linden standen, das Vergessen zu finden. Ganz in Schwarz gekleidet, ein goldenes Kreuzlein auf der Brust, war sie ausgezogen, duldsam und mit einem Gesicht, als wären Kirschenblüten darüber gefallen, so weiß sah es aus, so von Gott und aller Welt verlassen.

Da tasteten sich seine wehen Gedanken an das verödete Anwesen des Magisters heran . . . und eines Abends schlich er diesen Gedanken nach . . . fand er sich vor dem abgeschlossenen Gärtchen . . .

Aber wie erschauerte er!

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes . . .«

Er sah einen hellen Schein, der das ganze Häuschen umzüngelte. Mächtige Garben trieben aus diesem Leuchten hervor und machten es zu einer Mandorla.

Aus ihr wuchs eine hohe Gestalt . . . überirdisch . . . mit feurigen Haaren . . . das Schwert eine einzige Flamme. Das hob sich empor, ihm den Eingang zu wehren.

»Johanna . . .

Er fuhr zusammen, wie von der Schärfe dieses Schwertes getroffen, wandte sich und taumelte gegen alle Gewohnheit dem »Goldenen Anker« zu, um hier seine Not zu ertränken.

Ein Troddelmützchen wehte ihn an, der matte Dunst einer Hängelampe fiel über ihn her, vier nackte Wände, nur mit dem Nötigsten bestellt, schlossen ihn ein . . . und Dores van Bebber, der Schankwirt, ein fettes Bauklötzchen, das seine zweihundert und dreißig Pfund klevischen Gewichtes auf grünen Plüschpantoffeln zu tragen hatte und just dabei war, eine überständige Winterfliege von einem Bierfilz zu haschen, trat ihm pläsierlich entgegen: »Ah, Herr Pastor, ich bitte hierneben. As't üh belieft, 'ne Bouteille Burdo?! Et es gut för kalde Füt en kann ook niet schage. Also – ich bitte.«

Das devote Troddelmützchen berührte den Boden, und als er nun, von Dores van Bebber eskortiert, dem Honoratiorenzimmer zuschritt, erhob sich ein gütiges Männchen mit rötlichem Haar und einem von Sommersprossen übertüpfelten Nazarenergesicht aus einer verschlagenen Ecke: »Wahrhaftigen Gott, der Herr Prediger selber! Nein, diese Ehre! aber meine ›aphrosinischen‹ Äpfel, Herr Paster . . .

Der Angerufene hörte über ihn fort.

Da drückte sich Mordje Tulpenstiel betrübt hinter sein Schnapsgläschen zurück.

»Gott, diese geistlichen Herren!«

Das Bauklötzchen stand steif an der Türe, das Bammelmützchen noch immer zwischen den Fingern.

»Ich bitte – angtree!«

Beim Eintritt schlug dem Kandidaten eine lärmende Stimme entgegen.

Er sah den Magister, der mit heftiger Gebärde auf Rinse van Bommel einredete, die Faust auf dem Tisch und das kantige Gesicht mit der kurfürstlichen Nase rot überlaufen: »Nein, mein Verehrter, unter keiner Bedingung . . .«

»Ei, sieh da,« rief der Rentmeister, »rare Gäste, willkommene Gäste! Hier finden Sie noch Platz, Herr Adjunktus; treten Sie näher,« ein Willkomm, dem sich Benjamin nicht zu entziehen vermochte und der ihn nach kurzem Gruß den beiden gesellte.

Der Magister ließ sich nicht stören. Mit einem schiefen Blick auf Benjamin, lärmte er weiter; auch dann noch, als van Bebber den Bordeaux präsentierte und mit wehendem Mützentröddelchen sich wieder entfernte.

»Nein, mein Verehrter, unter keiner Bedingung. Ich kann mir nicht helfen, denn wenn einem das Wasser bis an den Hals strudelt, hat man alle Veranlassung, sich dagegen zu wehren.«

»Ich weiß, ich weiß!«

»Nein, Sie wissen es nicht, und wenn es propter reverentiam erlaubt ist, zu reden . . . 'nen Hund tut es jammern . . .«

»Ich möchte submissest anheimgeben . . .«

»Ich aber nicht. Weshalb soll es verboten sein, das Kind beim richtigen Namen zu nennen? oder glauben Sie etwa, bei einem Verfehlen meinerseits, Anno dazumalen, als ich noch in schulmeisterlichen Angelegenheiten mitreden konnte . . . glauben Sie da, die staatliche Oberbehörde wäre mir dabei sänftiglich entgegengekommen? I . . .prosit die Mahlzeit! Mit 'ner regulären Pferdskartätsche hätte sie mir den armen Kadaver zerstriegelt und noch dazu den Lillibollero gepfiffen . . . fundatim, fundatim! und das von Rechts wegen, sub poena, mein Lieber.«

»Und was wird hiermit bewiesen?« fragte Rinse mit dem Gesicht einer Spitzmaus, indem er eine widerspenstige Sardelle über die andere klebte.

»Alles!« dröhnte es mit der Gewalt eines englischen Flügelhornes zurück, »alles und jedes, denn ich stehe nicht an, mich entschlossen vor meine Überzeugung zu stellen und Schäden aufzudecken, die zu den schlimmsten gehören. Kurzum: die drakonischen Maßnahmen des Barons seinem Sprößling gegenüber kann ich nicht billigen.«

»Ich nehme an, Sie sprechen von meinem Baron?«

»Ja, von Ihrem Baron.«

»Und zielen auf seinen Sohn hin?«

»Just, wie Sie sagen.«

»Halt!« sagte Rinse. »Bevor Sie Anklage erheben, sollten Sie immer bedenken . . .«

»Bedenken, bedenken?! Es gibt kein Bedenken! Wenn ich den Bakel ziehe, muß er auch dem Buckel seine Visite abstatten, sonst geht aller Respekt zum Teufel, und ich bin kein lepus timidus, kein Mann, auf halbem Wege stehen zu bleiben. Rinse« – und der Alte zog das eckige Kinn in die Vatermörder zurück – »ich meine natürlich sub rosa, aber das Bild bleibt bestehen, denn ich kann mir nicht helfen: diese rigorosen Maßnahmen sind erzieherisch nicht zu begreifen.«

»Sie liegen unter notariellem Siegel, Magister.«

»Und lägen sie unter dem Siegel des Königs von Preußen« – und er salutierte mit seinem Pfeifenrohr wie mit einem Sponton – »ich denke anders darüber, gesitteter, milder, humaner, zu welchem Behufe ich Sie auf den verlorenen Sohn in der Bibel verweise. Betrachten wir dessen Curriculum vitae. Zweifelsohne nicht sauber. Ein verkehrter Lebenswind warf ihn in eine falsche Furche hinein, und würde man ihm in seinem Zeugnis das Prädikat ungenügend zudiktieren, es wäre noch übergnädig bewertet. Besagtes Exemplum nun hat auch noch heutigen Tages nicht an Kraft verloren. Selbst nachdem der junge Mann bei fahrenden Weibern und Champagner seine Friedrichsdore verpraßt und mit den Schweinen die Treber gegessen – selbst dann wurde ihm bei reumütiger Rückkehr ein Kalb geschlachtet, ihm im Hause des Vaters eine Stätte bereitet . . . und da sollte man annehmen . . .«

»Ich bin derselben Ansicht,« warf Benjamin schüchtern ein, »denn vom Standpunkt eines Seelenhirten aus gesehen, ist alles auf dieser Erde der Verzeihung unterworfen.«

Der Alte warf ihm einen Blick zu, als hätte er unversehens auf ein Körnchen Teufelsdreck gebissen.

»Nicht alles, Herr ordinierter Adjunktus. Ihr Wort in Ehren, aber wenn Sie Ihr eigenes Gewissen erforschen, so werden Sie Ihre aufgestellte Prämisse als voreilig hinnehmen müssen.«

»Herr Magister, ich bin Theologe.«

»Wird gar nicht bestritten. Nur möchte ich die Ansicht vertreten: es mangelt einem solchen vielfach an Propädeutik – nicht immer, aber meistens, um es bündig zu sagen. Ein Pädagoge hingegen sieht tiefer, handelt entschlossener und folgerichtiger, gesetzter, zugreifender, besonders im alltäglichen Leben.«

»Ich bitte darum, dieses beweisen zu wollen.«

»Hören Sie zu. Noch vor einigen Jahren. Sie befanden sich noch im Seminar und dachten noch nicht daran, als homo novus hier zu amtieren. Ein Gewitter stieg auf . . . kam über den Reichswald . . . schlug mit Gepolter in unser Kirchlein hinein, um ein im Dachstuhl lagerndes Flachsbündel zu entzünden. Gefahr im Verzuge! Der alte Pastor und ich also hinaus, hatten aber vergessen, 'nen Eimer Wasser mit hinauf zu nehmen. Der Flachs glumste und gloste bereits, und das Feuerlein machte Anstalten, auf die Sparren und Strohpuppen überzuspringen. Feurio! Der geistliche Herr stand entgeistert, fassungslos, hilflos. Ich weniger, und es fragte sich nun: darf man in besonderen Fällen Unschickliches treiben, vornehmlich dann, wenn es gilt, hierdurch ein größeres Unheil abzuwenden? Quare non? sagte ich mir und handelte dementsprechend, denn ich hatte ›Gullivers Reisen‹ gelesen, besonders die Stelle, die vom Brande des Schlosses der Liliputaner viel des Beherzigenswerten erzählt. Der Zufall wollte es nun: ich hatte am Abend vorher sehr reichlich Dünnbier genossen – und da, um mit den Worten des ehrenwerten Jonathan Swift zu sprechen: ich fing nun an, das genossene Dünnbier in solcher Fülle auszuleeren und wußte dabei so geschickt die richtige Stelle zu treffen, daß in drei Minuten die totale Brunst und Lohe gelöscht war und das christliche Kirchlein, der Aufenthalt frommer und gläubiger Menschen, der Zerstörung entrissen wurde: pro fide, rege et lege. Das, Herr ordinierter Adjunktus, ist Beweis für meine aufgestellte Behauptung. Nehmen Sie sich solches ad notam. Es dürfte nicht schaden.«

Diese Maßregelung, öffentlich und im ›Goldenen Anker‹ dargetan, erregte Benjamin höchlichst, in Anbetracht seiner Verdienste und seiner heiligsten Überzeugung sowohl, als auch im Hinblick auf sein Amt und seine geistliche Kleidung. Am liebsten hätte er den Besserwisser auf den Altenteil seiner Pädagogik und Propädeutik verwiesen, wäre ihm gerne mit einem Cocoethes loquendi gekommen, aber er bewahrte seine äußerste Ruhe und Würde, zumal da der Alte wieder zu lärmen anfing und sagte: »Nein, Herr Adjunktus, nicht alles auf dieser Erde ist der Verzeihung unterworfen . . . in diesem Falle jedoch: man muß ein Auge zudrücken und Ausnahmen machen. Selbst bei fleischlichen Sünden und solchen, die den Säckel des Vaters in bedenklicher Weise erleichtern, darf man das ›Absolve te‹ nicht völlig hintansetzen. Gewißlich: der junge Mann hat viel auf dem Kerbholz. Genau so wie in der biblischen Legende: auch er verpraßte Hab und Gut bei den Weibern, suhlte sich in Morast und Unflat, aß mit den Schweinen die Treber . . . aber ihn so von Haus und Hof zu vertreiben . . .! Apage satana! Höchst voreilig, unklug und mit Stumpf und Stiel zu verwerfen. Der Baron sollte bedenken: Propagation ist nötig, liegt in der Weltordnung und im Willen Gottes begründet. Mit der Enterbung und der Verfemung des Sohnes jedoch, dieses armen Schwalbenfängers, legt er die Axt an seinen eigenen Stammbaum, verlischt der Name Klabasterboompjes für immer.«

Um seinen Worten eine besondere Note zu geben, tutete Kosman Theophil Banning so energisch in sein Taschentuch hinein, daß Dores van Bebber vorsprach, des Glaubens, eine frische Bouteille würde gewünscht, sich aber wieder entfernte, als er lediglich den blauroten Kopf, die erregte kurfürstliche Nase und das Schnupftuch des Alten bemerkte.

Rinse sah ernst und gediegen auf den Moralprediger, schüttelte das Haupt und strählte seine Sardellen, obgleich sie so sorgfältig geordnet wie auf einer Brotschnitte lagen, in eine andere Reihenfolge. Dieses Mal in nicht glücklicher Weise. Drei von ihnen standen steil auf dem etwas entwaldeten Schädel.

»Wer will darüber urteilen?« meinte er pfiffig. »Ich nicht und Sie nicht, denn keiner von uns beiden hat dabei die Kerze gehalten,« um dann mit fester Betonung und Überzeugung zu sagen: »Herr Magister, wir hoffen auf Nachwuchs.«

Benjamin stöberte auf.

»Auf Nachwuchs?« fragte er haltlos, gleichsam von einer bissigen Geißel getroffen.

Auch den Alten packte es bis in die innersten Nieren.

Mit beiden Händen die Tischkanten umgriffen, vorgebeugt und mit Stielaugen donnerte er den Rentmeister an: »Rinse, auf Nachwuchs?!«

Dann ein ohrenbetäubendes Lachen, daß davon die losen Kalkpartikelchen von den Wänden rieselten.

»Auf Nachwuchs . . .?!«

Während der Lachsalve hatte sich ein freundliches Gesicht mit einem rötlichen Bärtchen durch den Türspalt geschoben.

»Um Verzeihung, die Herrens! Bei diesem Glücksfall ersuche ich dringend um prompte Begleichung. Der Herr Baron stehen noch immer zu Buch mit vier Talers netto . . . ich bitte ergebenst . . .«

In dem allgemeinen Trubel war Mordje Tulpenstiel lediglich eine Erscheinung, ein Gefäß ohne Inhalt geblieben. Auch seine Worte waren zu dünn und lieblich gegeben, um Eindruck zu machen.

Der Magister strudelte über sie fort.

»Also auf Nachwuchs?! Das wäre denn doch, um mit Paracelsus zu sprechen, ein Extraphänomen unter den stolzesten Phänomenen. Hören Sie, Rinse,« und seine Stimme legte sich eine joviale Klangfarbe zu, »ich hatte die Ehre, an der Tafel der jungen Baronin zu sitzen. Potz Wetter! und ich habe gesehen. Viel des Schönen und viel des die Sinne Einnehmenden. Allerhand Achtung! in ihr verkörpert sich schon die edle Phiole einer fruchtbaren Ehe. Indessen – ich habe ferner die Ehre gehabt, auch an der Seite des Herrn van Klabasterboompjes zu speisen, und da muß ich sagen: der Mann hat seine Meriten, aber schwerlich wird sich bei ihm das Wunder mit den alten Patriarchen, die in ihren Methusalemstagen neue Knospen ansetzten, noch einmal begeben. Ich bin ein gläubiger Christ, ein Bekenner von lauterstem Wasser, in diesem Kasus jedoch« – und seine Hand legte sich schwer auf den Tisch – unmöglich, unmöglich!«

Das gesprenkelte Nazarenergesichtlein erschien wieder im Türspalt.

»Nu, meine Herrens, warum nicht? Wenn der Baron es nicht tut, wird die gnädige Dame doch gewiß meine ›aphrosinische‹ Nota begleichen. Schon der Herr Christ van de Linde vom hinteren Vorwerk . . . ich bitte um Zahlung . . .«

Rinse warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

»Machen Sie, daß Sie fortkommen, Mordje!«

»Aber ich bitte ergebenst.«

»Sie Schwindler, infamer!«

»Der Gott Abrahams beschütze Sie, aber ich bitte um Begleichung des Kontos.«

»Mordje, kein Dittchen.«

»So werde ich mich an die Gerichte begeben. Das große Haus Simon Löwenthaler un Söhne, in Firma Philipp Mendel am Valkhof, wird mich vertreten . . . un da wollen wir sehen, wo ich doch vom Herrn Baron die schriftlichen Papiere besitze . . . Auch den Herrn Jean Pierre lasse ich protokollieren von wegen die mörderische un gefährliche Flinte . . .«

»'naus mit dem Juden!«

Der Magister polterte mit der Gewalt einer Schwadronstrompete gegen die Tür an, daß diese sich schloß und Mordje Tulpenstiel abermals ganz zerdrückt bei seinem Schnapsgläschen niedersackte: »Gott, diese Herrens!«

»Bleiben wir doch bei den natürlichen Vorgängen, im Bereich des Möglichen, mein lieber Herr Rinse. Wir sind keine Kinder! und da wäre es für den Stamm der Klabasterboompjes schon zutunlicher, wenn der Herr Baron sich entschließen könnte, mit seinem Sohn einen ehrlichen Frieden zu tätigen.«

Rinse machte eine wehe Kopfbewegung.

»Unmöglich!«

»Nichts ist unmöglich. Das Wort steht nicht in meinem Katechismus verzeichnet.«

»Ich bemerke submissest: dieser Sohn ist verfault bis in den Wurzelstock, totaliter verfault und verrottet.«

»Das dürfte sich geben. Er ist mir kein Unbekannter. Gute Anlagen sind ihm nicht abzustreiten . . . nur die Zuchtrute fehlte . . . und falls man noch jetzt den Versuch machen könnte . . .«

»Es würde nichts fruchten. Wir sind bis zur Selbstverleugnung gegangen. Ein Darüberhinaus wäre identisch mit Narrenkappe und Tollhaus. Also Schluß mit der Sache. Die Rutschbahn läßt ihn nicht los, und wir wissen zurzeit nicht, was er noch alles aufstellt, um einen neuen Nagel für den Sarg seines Vaters zu stellen.«

»Er büßt,« knarzte der Alte.

»Was tut er?«

»Büßen, und hören sollen Sie, Rinse: am Dreikönigentag, wo wir zum Abend den Adjunkten erwarteten . . .«

»Mich?« fragte einer aus dumpfer Bedrückung heraus.

»Ja, Sie! Wen denn anders, mein Lieber?«

Benjamin schaute gottergeben zur Decke.

»Nach dem, was mir von Ihnen angetan wurde – ich wüßte nicht, wie ich zu dieser Ehre gekommen wäre,« meinte er traurig.

»Auch das wissen Sie nicht? Seltsam und äußerst befremdlich, und wenn es erlaubt ist, zu reden . . . zum Henker noch eins . . .«

»Herr Magister, Sie sind immer so heftig, um nicht ausfallend zu sagen.«

»Was heftig, was ausfallend? Donnerwetter noch mal! ich bin nie heftig, niemals ausfallend im Leben gewesen und liebe es nicht, wie Boreas über die kahlen Stoppeln zu bellen. Immer nur korrekt und sachlich und von einer diplomatischen Ruhe. Das brachte schon mein Beruf als Lehrer mit sich, wurde mir angeboren, war mein Erbteil von Kindesbeinen an. Aber Sie belieben es stets, das Ei am verkehrten Ende aufzubrechen, immer das spitze, während die übrige Welt sich allzeit bestrebt, das stumpfe zu öffnen, und falls Sie noch hundert Jahre leben sollten, gleich den Liliputanern werden Sie auch dann noch sich bemüßigt sehen, und zwar wider alle Satzung und Ordnung, Ihr Löffelchen gegen das spitze Ende eines Hühnereis zu richten . . . kurzum,« und Kosman Theophil Banning zupfte erregt an seiner dicken Unterlippe, »wir hatten Sie am Dreikönigenabend erwartet; wer aber nicht kam, sondern es vorzog, sich auf das Schloß zu begeben . . .«

»Mein Gott, Herr Magister, Sie verkehren die Dinge und bringen mich in Ungelegenheiten und schwere Gewissensangst.«

»Basta! ich habe nichts weiter zu sagen. Nur das noch: sprechen Sie aufs neue vor, wenn Sie sich hinsichtlich des Hühnereis eines besseren besonnen haben . . . ich aber, um wieder auf den verfaulten Wurzelstock zu kommen, ich sah mich gezwungen, noch in fraglicher Stunde einen kleinen Spaziergang zu machen. Der Abend war still, das Schloß erleuchtet und die Nacht voller Sterne . . . und als ich so bedrückt meines Weges dahinzog, die Parkwege entlang, die Schnirkelgänge hindurch, und bis an das starre Wasser gelangte, verschneit und umkrustet, ja, meine Herren, wen mußte die Vorsehung Gottes mir da so ganz unvermittelt aus dem Boden heraus stampfen? Nun, eben den, von dem hier die Rede ist. Rinse, der Anblick! Verwetzt und haltlos stierte er zum Schloßportal hin, woselbst Jean Pierre Knipping wie ein Schandarm den Eingang bewachte. Auch waren die Hunde mobil. Mir krampfte sich das Herz im Leibe zusammen. Einfach zum Teufel gejagt. Mea virtute me involvo . . .! so dachte ich erst; aber dann arbeitete sich das Erbarmen hindurch und fragte: Was betreiben Sie hier, junger Baron? und wenn ich Ihnen dienlich sein kann . . . Er indessen schrie auf wie ein verwundetes Tier: Ich habe Gott und meine Seele verloren! und zerrieselte mir wie ein Phantom zwischen den Händen . . . und war der Abend doch so still, das Schloß erleuchtet, die Nacht voller Sterne. Rinse, das war es! und aus diesem Erbarmen heraus möchte ich Sie dringend ersuchen, bei Ihrem Herrn vorstellig zu werden und den gütigen Vermittler abzugeben, selbstverständlich, wenn es in der Menschenmöglichkeit liegt . . . falls sich eben eine Gelegenheit böte . . .«

Er verstummte vor der wehen Handbewegung des Rentmeisters.

»Mein lieber Magister, es bleibt alles beim alten. Das Edikt wurde getätigt, der Notaris verständigt, die Testierung vollzogen. Kommen wir daher auf ein leidlicheres Thema. Alles andere ist überflüssig. Wir würden doch nur einen steinichten Acker umbrechen.«

»Also nichts mehr zu machen?«

»Nichts,« sagte Rinse.

»So, so!« und Kosman Theophil Banning legte sich breit über den Tisch hin, das Pfeifenrohr zwischen den Beinen und die Hände gefaltet, »und doch spricht die Bibel von einem geschlachteten Kalb und einer verstatteten Rückkehr, wie nur mit großer Erhebung des Gemütes zu lesen. Hier aber, während eine reumütige und hungrige Seele Einlaß begehrte, wurde, horrible dictu« – und der Alte warf einen mißbilligenden Blick auf den Amtskandidaten – »ja, da wurde an dem nämlichen Abend im Schlosse, bei vollbesetzter Tafel und brennenden Kerzen, Christoph Martin Wieland gelesen, ungeachtet der traurigen Augen, die ihren Herrn und Vater suchten, ohne ihn finden zu können. Herr, und die Hunde . . .

Rinse zuckte die Schultern.

Es war mittlerweile still und dumpfig geworden.

Nur die letzte Winterfliege summelte noch um den Lampenzylinder, dieselbe Fliege, die Dores van Böbber vom Bierfilz zu haschen versuchte, die jedoch die Geistesgegenwart hatte, sich in das Honoratiorenstübchen zu retten.

»Ha!« durchbrach es plötzlich die unfreiwillige Stille, dieses Atmen des Grabes, dieses Todesschweigen, »preislich, sehr preislich, die ernsten Klassiker auf sich wirken zu lassen! aber bei vollbesetzter Tafel und brennenden Kerzen, Christoph Martin Wieland zu lesen – das, meine Herren, bedeutet soviel, wie Beelzebub als üppiges Weibsbild und mit fliegenden Röcken tanzen zu lassen, denn Wieland ist Babel, die verkörperte Libertinage, kurz, alles in allem . . .«

Er warf sich plötzlich herum.

»Herr Kandidat, Sie sind heute so komisch.«

»Mein Gott, wie sollte ich nicht?! Die Stunde erregt mich. Das Ungewisse meiner jetzigen Lage . . .«

»Warum haben Sie denn an dem betreffenden Abend bei uns nicht angerufen, wo wir Sie sehnlichst erwarteten?«

»Sie wissen ja selber: ich war aufs Schloß geladen.«

»Ach was! Keine Ausflüchte. Thomasius hätte seine Früchte getragen. Wir lesen ihn gerade. Das Ungewisse Ihrer jetzigen Lage konnten Sie in unserer Gesellschaft leichter verwinden als bei üppiger Schwelgerei und irreführenden Redensarten; denn Ihnen war in meinem Hause eine Stätte bereitet.«

»Ich wußte es nicht.«

»Hätten es aber wissen können, mein Lieber, wären Ihre Besuche in letzter Zeit nicht mit Beinbruch behaftet gewesen. Das befremdete und mußte befremden und trieb Johanna dazu, sich anderweitig Ruhe zu suchen. Statt dessen . . . Ich rekapituliere: gewiß, Sie erschienen, versuchten es, einzudringen. Aber fertigten Sie mich nicht ab an meiner eigenen Türe? Mir steht es vor Augen, als wäre es heute geschehen. Und ferner: wollen Sie es leugnen, den liederlichen Poeten, diesen Ausbund verlotterter Grazien und Schürzenjäger, mit Emphase interpretiert und erläutert zu haben? Schämen müßten Sie sich wie ein ertappter Jüngling am Honigtopf, falls Sie es täten . . . und wenn ich auch zugeben will, daß gewisse Imponderabilien Sie mit dem Herrenhause verbinden, so gibt es noch andere Dinge, die Sie höher und tiefer, ja, bis auf die Knochen verpflichten. Hä! habe ich recht oder unrecht?«

Das Brandleder arbeitete wieder.

Benjamin lief es kalt und heiß über den Rücken. Schuldlos und trotzdem schuldig zu sein! Ein brausendes Chaos stürzte über ihn hin. In seinem wilden Gewissenszwang, in seiner jähen Angst und Bedrängnis hätte er aufschreien mögen.

Sein Stolz bäumte sich hoch.

»Ja, Herr Magister,« rief er mit zuckenden und bleichen Lippen, »ja, ich bin ein Sünder und Schächer, und ich hoffe zu Gott, er wird mich nicht in das graue Tal von Josaphat führen, um mich dort steinigen zu lassen. Doch ist er anderen Sinnes, ich nehme auch das hin. Ich scheue mich nicht und bekenne es offen: ja, ich bin ein Schächer und Sünder . . .«

»Na, also . . .

»Aber nicht in Ihrem Sinn, Herr Banning. Das nicht, so wahr ich hier stehe. Wessen ich mich anklage, weigert sich, vor Ihr Forum zu treten. Sie sind mein Richter nicht, haben kein Anrecht darauf. Mittelbar sind Sie so schuldig wie ich, kann es auch Ihnen passieren, daß der Herr seine Milde vergißt und seinen Knechten gebietet: Nehmt hin, führet ihn in das graue Tal und vollzieht das Urteil.«

»Das wäre denn doch!«

»Just so, wie mir es zustoßen könnte, denn meine Schuld verknüpft sich eng mit der Ihren, wurde durch die Ihre gefördert. Oder wissen Sie nicht . . . hat Ihre brutale These mich nicht von Ihrer Schwelle getrieben? wurde ich durch Sie nicht in meiner Ehre gekränkt und halbwegs zum Fahnenflüchtigen gestempelt? Doch dieses nur in Parenthese gesprochen . . . und habe ich eine Schuld zu bekennen, nicht Ihnen, sondern Johanna gilt meine Sühne und Buße . . . und nochmals gesagt« – und sein ehernes Gesicht wurde noch eherner – »wessen Sie mich bezichtigen, weise ich mit Entrüstung zurück, trete es unter den Tisch, denn nur Sie allein haben Johanna in die Fremde gehetzt, ein Bündnis gefährdet und mir es unmöglich gemacht, Ihr Haus zu besuchen – was nicht ausschließt, daß ich mich als Sünder und Schächer bekenne.«

»Diese Sophistik!« tobte der Alte. »Das ist's! Also da will's hinaus?! Hinc illae lacrimae! und zu guter Letzt habe ich noch den Büßer oder den Wilden Mann vor der Jahrmarktsbude, vor der Tente, zu spielen. Satt und genug, und wenn es erlaubt ist, zu reden: ich schätze Sie höchlichst, ich estimiere Ihr geistiges Können, sowohl in philosophicis wie in theologicis . . . aber desungeachtet, nicht viel weniger bin ich stolz auf meine Person und die meiner Tochter. Nein, nein, nein, nein, Reverende« – und er zog das ›nein‹ so lang und zähfadig aus, als sei er gesonnen, mit diesem ›nein‹ die verwahrloste Straße zwischen Kevelaer und Geldern aufs neue zu pflastern – »nein, Reverende, vor der Hochzeit gibt es keine Liebelei auf dem Sofa, überhaupt kein Tändeln und wechselseitiges Scharmuzieren, denn glauben Sie ja nicht, daß ich ein besonderes Interesse darin finde, ein vorzeitiges Kindbett unter meinen Sparren zu dulden. Glauben Sie ja nicht . . . Basta!«

Seine Faust krachte auf den Tisch.

»Herr Kandidat, Ohren aufgemacht und hören Sie zu. Ich bin kein Überstudierter, davor behüte mich der liebe Gott in Gnaden. Aber desungeachtet: auch ich kann Latein und sage Ihnen hiermit frei und frank von der Leber herunter: Hoc volo, sic jubeo; sit pro ratione voluntas!«

Benjamin mußte sich halten, um nicht niederzubrechen.

Wie ein Kalkfleck stand sein Gesicht in der Stube.

»Quitt, Herr Magister.«

Er grüßte und verließ langsam die Stube.

Draußen erhob sich der jüdische Mann hinter seinem Schnapsgläschen.

»Um Verzeihung, Hochwürden, es sind immer vier preußische Taler . . . un die Herren da drinnen mit ihrer Bewußtlosigkeit . . . un meine ›aphrosinischen‹ Äpfel . . .«

Mordje Tulpenstiel drehte seinen Hut verlegen zwischen den Fingern.

Sein Gesicht war wie das des Dulders auf Golgatha.

Da lächelte Benjamin in seinen Schmerz hinein, gütig und allbefreiend, und sagte: »Mordje, ich habe nicht viel . . . aber was ich besitze . . . einige Taler vielleicht . . . und wenn Sie eine Unterkunft wollen: kommen Sie mit mir.«

Auch das fette Bauklötzchen mit dem schmucken Troddelmützchen trat zu den beiden und meinte: »Betrachten Sie Ihren Verzehr für geschunken. Sie sind mir immer gefällig gewesen, Herr Mordje.«

Da dankte Mordje mit dem Dank seines Volkes.

Von Dores van Bebber bis zur Schwelle begleitet, verließen die beiden den ›Goldenen Anker‹.

Im Honoratiorenzimmer nebenan war es wieder so still geworden, daß man die Winterfliege summeln hörte, die in immer enger werdenden Ringen die Öllampe umkreiste – so still, so mausestill, wie unter einem eingefallenen Grabstein . . . und aus diesem eingefallenen Grabstein streckte sich eine derbe Faust, trompetete eine verrostete Stimme hinter dem längst Davongegangenen: »Also auch das noch! Dieser weltliche Hochmut! Diese Ambition unter dem abgewetzten Kandidatengewand, mich so mit 'nem paar Worten ins Tal Josaphat zu schicken . . . wo es noch fraglich ist, ob überhaupt die Präsentation des gnädigen Herrn . . .«

»Lassen Sie das.«

Eine geruhsame Hand legte sich ihm fest auf die Schulter.

»Herr Magister, alles mit Maßen. Wie konnten Sie nur? Wie konnten Sie sich in dieser Erregung so ausgeben? Gottverdorie, Sie sind doch sonst ein Mensch mit Einsicht und Kompläsanzen. Aber dieses Lamento kann Ihnen kein Heil und keinen Segen bringen. Sind Sie denn rein des Teufels, Magister! Erst die Jammerepistel für diesen verwahrlosten Sprößling und dann dieses Mord und Kaputt über einen treuherzigen, guten und biederen Menschen. Das stimmt nicht zusammen. Manches begreif' ich: heißes Blut muß eingedämmt oder abgezapft werden, aber Sie . . . in jeder Hinsicht haben Sie das Ziel weit überpfeffert, denn was die Präsentation anbetrifft . . .« und Rinse van Bommel, der nüchterne und klügelnde Mann mit dem scharfen Verstand eines Börsenmaklers, gefiel sich darin, seine spärlichen Haare zu glätten und sie sorgfältig nebeneinander zu striegeln, »um es submissest zu sagen: die Präsentation ist gesichert. Binnen Monatsfrist haben wir mit Benjamin Seraphikus Rückert als Paster zu rechnen.«

Der Alte fuhr auf.

Er stand wie vom Donner gerührt.

»Wa . . . wa . . . wa . . . was?!«

Die Maulsperre löste sich langsam.

»Rinse, und Sie sagten doch früher . . .«

»Die Ansichten ändern sich eben.«

»Rinse, und Sie hängen mir keinen Narren an?«

»Keineswegs, denn binnen Monatsfrist . . .«

»Hannibal ad portas!« stammelte Banning. »Da hätte ich ja was Dummes geredet.«

»Leider, leider, mein lieber Magister. Aber ich denke: es ist noch nicht aller Tage Abend geworden. Nicht alle Dummheiten sind dem Unheil verfallen. Sie werden sich einrenken lassen. Prosit!« und gemächlich trank er sein Glas aus.


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