Joseph von Lauff
Der Prediger von Aldekerk
Joseph von Lauff

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Zwölftes Kapitel

Vom fröstelnden Herbst in den kalten Winter hinein. Der bekehrte Herr Knörke und sein Brautpoem. Sankt Thomasabend dämmert herauf. Zurück von der Hochzeitsreise. Lehrreiche Unterredung zwischen Madam und Nelly. Unbarmherzige Verurteilung der ›aphrosinischen‹ Äpfel, weshalb Mordje Tulpenstiel sich veranlaßt sieht, spornstreichs in die Stadt seiner Väter zu traben. Von einem süßen Dämmerstündchen, und warum Benjamin Seraphikus Rückert einen andalusischen Steinesel nicht für voll nehmen konnte. Nochmals das verführerische Bild in einem einfachen Rahmen.

Der erste Schnee!

Die junge Kälte grapste die letzten Blätter von den kahlen Bäumen herunter, und Herr Knörke, der neue Magister und Kantor, der aus einem Saulus ein Paulus geworden, saß bei seinem Kanonenöfchen, das eifrigst harte Steinkohlen knackte, und dichtete ein Brautpoem, ein langes und feines, zu Ehren der hochwohllöblichen Jungfrau Johanna Christine Banning und des gleichfalls hochwohllöblichen Jünglings Benjamin Seraphikus Rückert, mit rhetorischem Spitzenwerk verbrämt und preislich zu lesen.

»Mea culpa, mea culpa! und jetzt diese Erlösung!«

Seine umstürzlerischen Ideen waren von ihm genommen. Sie lagen am Boden wie ein Hasenfell, das eine gesinnungstüchtige Köchin abgestreift hatte. Er, der in dem Poeten aus der Bolkerstraße in Düsseldorf allzeit seinen Abgott gefunden, höhnte jetzt dessen Worte herunter: »Lafayette, die dreifarbige Fahne, die Marseillaise – fort ist meine Sehnsucht und Ruhe! Hoho! ich bin der Sohn der Revolution und greife wieder zu den gefeierten Waffen, worüber meine Mutter ihren Zaubersegen ausgesprochen. Blumen, Blumen! Ich will mein Haupt bekränzen zum Todeskampf. Ich bin ganz Freude und Gesang, ganz Schwert und Flamme.«

Er wieherte über die dröhnenden Sätze.

»Männlein, dich möchte ich sehen, mit den gefeiten Waffen am Leibe: in Leinengamaschen, die Patrontasche um und die Muskete übergeschultert! Beim ersten Flintenschuß – dieses Hasenpanier! Lasse dich auslachen, Barde! Aber das mit der ›Flamme‹ – es soll dir werden, mein Junge,« und das Büchlein, aus dem er gelesen, plusterte sich, glumste und gloste in dem mutigen Steinkohlenfeuer . . . und in dieses Glumsen und Glosen hinein deklamierte er mit hallender Stimme:

»Pfui Teufel! futsch ist unser Ruhm,
Versumpft das weite Reich;
Im eklen Revoluzertum
Ersoff der Zapfenstreich.

Uns rettet nur die Schwerenot
Und Flinte, Kraut und Blei,
Nach banger Nacht das Morgenrot
Und sonst noch mancherlei . . .

Wie Schellenbaum und Musici,
Gesetz und Korporal,
Fridricus rex und Sanssouci,
Von Leuthen der Choral.

Jetzt liegt uns alles grau in grau,
Das Herz ist uns vergällt.
Wann strahlt uns wieder königsblau
Die weite Gotteswelt?!«

Bravo! auch der alte Magister freute sich dessen. Er freute sich über den glücklichen Wandel und Wechsel, über die Predigt, die solches bewirkte, über die Brautschaft in seinem Hause und das liebliche Glitzern in den Lohhecken, und des zum Zeichen beehrte er den ›Goldenen Anker‹, um sich dort in Gemeinschaft mit dem Bekehrten einen illuminierten Affen zu kaufen.

»Zum Wohl, Herr Kollege!«

»Zum Wohl, Herr Magister!« –

Seit der hohen Feier im Kirchlein zu Aldekerk waren Wochen vergangen.

Die Kälte hielt an. Immer nachhaltiger pendelten die lichten Flöckchen von dem grauen Himmel herunter, wirkten die Gegend ein, legten weiße Streifen über totes Land und Kartoffelmieten und streiften wollige Puderperücken über die frierenden Bäume.

Sinter Klaas war gewesen.

Sankt Thomasabend dämmerte herauf, frostig, geheimnisvoll, mit dem dunstigen Mantel des Sagen- und Rätselhaften umkleidet. Mit schneeblauen Augen sah er in die Häuser hinein, in die Herzen der Menschen. Liebevoll rückte er diese Menschen enger zusammen, erinnerte sie an die Zeit ihrer Jugend, an Jesum von Nazareth, an den Stern von Bethlehem, den unerforschlichen, und flüsterte ihnen zu: »Harret und hoffet! Der heilige Christ wird euch baldigst bescheren,« und da wurden sie der Botschaft froh, knackten Haselnüsse und sahen mit erstaunten Blicken in den Schein der zirpenden Lampe, als dränge aus ihm die langersehnte Verheißung: »Ehre sei Gott in der Höhe!« . . . und die vom Niederrhein nickten sich zu und fühlten bei diesem Nicken: sie waren wieder zu Kindern geworden, zu reinen und schuldlosen Kindern.

In diesen Tagen geschah es, daß der Herr von Klabasterboompjes mit Nelly von der Hochzeitsreise zurückkehrte, freudig von Rinse van Bommel und allen empfangen, die dem Hause innig verpflichtet und zugetan waren. Selbst Jean Pierre Knipping setzte ein Sonntagsgesicht auf, indem er geruhte, um jede Mundecke ein gekräuseltes Fältchen zu drehen, das heißt, kaum merklich, nur andeutungsweise, wie es große Künstler zu tun pflegen, wenn sie gesonnen sind, irgendeine grandiose Idee auf dem Papier zu verkörpern. Auch Madam, die sich inzwischen heimisch gemacht und die Penaten des Schlosses behütet hatte, war eitel Mutterliebe und Mutterstolz, eitel Verlangen und Zuvorkommenheit, als die beiden in den Frieden von Aldekerk eintriumphierten. Sie betrachtete denn auch Nelly von oben bis unten, klingelte ihr mit den Pendellöckchen einen freudigen Willkomm entgegen und führte sie bald darauf in eine verschwiegene Ecke des Herrenzimmers, um sie dort mit quirlender Lebhaftigkeit an ihr übervolles Herz zu ziehen und mit einem vielsagenden Schmelz in der Stimme zu fragen: »Nun, Nelly, wie war es?«

Nelly nippte an einem Gläschen Chartreuse und stellte es mit einem verhaltenen Kichern wieder beiseite.

»Nun?« fragte die Alte zum andern, indem sie ihre beringten Finger über den mächtigen Pompadour kreuzte.

»Gott, Mamachen, wie die Dinge so sind! Die Tuilerien waren charmant.«

»Aber Nelly . . .! und sonst?«

»Oh! und die Kirchen, Mamachen! Von einer zur andern. Madeleine und Notre-Dame de Lorette! Sie mahnen zur Einkehr . . . und weiter: das Louvre, die Cafés chantants und wie so die anderen Sächelchen heißen – gleichfalls charmant.«

»Aber Nelly, ich meine . . .

»Was meinst du, Mamachen!«

»Ich möchte nur wissen: wie läßt es sich leben mit diesem Chevalier sans peur et sans reproche

»O lala!« fiel ihr Nelly lachend ins Wort, »er ist leicht zu behandeln.«

»Was verstehst du darunter?«

»Eigentlich alles. Seine Kravatte weiß er noch eben so elegant in einen Knoten zu schlagen wie einst und ehedem. Keine Launen und Überraschungen bei ihm. Immer die gleiche Kourtoisie. Er könnte getrost den Angelus Silesius lesen. Und seine Großmut erst! Nichts versagt er mir: keine Spitzen, keine Juwelen. Immer dieses freundliche Bejahen wie ein Meißener Püppchen auf preziösem Konsölchen – und solche Männer sind leicht zu behandeln.«

Madam ärgerte sich.

»Ich ersuche dich, Kontenance zu bewahren und ernsthaft zu bleiben.«

»Tu' ich. Mamachen.«

»Dann, bitte . . .«

»Aber wie meinst du?« und Nelly ließ ernst und feierlich ihre dunklen Wimpern herunter. »Was soll ich noch sagen? Die Pariser Tage gingen mir wie ein Traum dahin. Bunte Gestalten, wechselnde Spiele. Esprit und übertünchte Gräber. Dann wieder Albernheiten, die auf Stelzen einhergingen, und Dirk Negels van Klabasterboompjes, Erbherr auf Aldekerk, mitten dazwischen, voller Galanterie und mit rosigen Kinderbäckchen.«

»Und weiter?«

Die dunklen Schleier hoben sich wieder.

Nellys blaugeäderte Hand machte eine liebenswürdige Geste.

»Ich selber befinde mich in bester Verfassung, bin beschwipst vor lauter Einfalt und Glückseligkeit. Und als wir Orleans aufsuchten: das Mädchen von Domremy la Pucelle machte mein Herz lauter pochen. Keine Ninon de Lenclos, keine Dubarry. Ich erschauderte vor dieser schuldlosen Reinheit. Das ganze naive Frankreich der Lilien und ich sahen sich in dieser Jungfrau verkörpert.«

»So! und er – er machte dir während all dieser Zeit keine Andeutungen über das spätere Erbe . . . ich meine . . .«

Nelly zuckte schmunzelnd die Achseln.

»Niente!«

Die Alte fuhr auf.

Ihre Erregung teilte sich dem Pompadour mit. Die Stahlsplitterchen stießen sich wechselseitig an, hart und unwillig.

»Unerhört!« sagte sie gallig. »Maximinian Lerche von Kalander, Ritter und Kreuzfahrer, würde sich darüber, falls er noch lebte, zweifelsohne entsetzen, dieses Zögern niemals begreifen. So was lastet schwer auf der Seele. Aber ich denke daran: Blut ist dicker als Wasser, und das derer von Kalander besonders. Ich lasse nicht locker. Treue um Treue und Handschlag um Handschlag. Er hat seinerzeit meine Bedenken gewürdigt. Ich stellte ihm vor: das Papier ist geduldig. Durch die Hinterhältigkeit des Fiskus könnte uns manches zwischen den Händen zerscherbeln. Seine Antwort verpflichtete. Den Ehrenmann hat man immer in Rechnung zu stellen. Dabei muß gesagt sein: Konvenienzehen nötigen, sind ein Mittelding zwischen Geben und Nehmen, zwischen Fordern und Zubilligen. Jedereins hat sich damit nach bestem Ermessen abzufinden. So auch du und dein Gatte. Wechselseitiges Vertrauen, wechselseitiges Entgegenkommen. Das ist es. Das ist wie Schmetterlingsflügel. Aber nur allzuleicht sehen sich diese Flügel ihres schönsten Schmelzes beraubt, werden fadenscheinig und unansehnlich. Und das wäre traurig. Du verstehst mich doch, Kind?«

»Und ob!« meinte Nelly und geckerte dazu wie ein schweifendes Kuckucksweibchen im jungen Birkenwald. »Deine Sophistik ist zwingend.«

»Mein Gott, was tut man nicht alles für sein Höchstes und Liebstes! Aber jetzt komm' nur; der Tee ist serviert. In diesen Räumen kichert es aus allen Ecken und Enden,« und Madam legte ihren weichen Arm in den ihrer Tochter, drückte ihn an sich und sagte im Weitergehen: »Wir finden noch Zeit in Hülle und Fülle über eine ersprießliche Ehe zu plaudern. Nüchtern denkende Menschen, wie wir sind, haben mit Traummenschen keine Gemeinschaft. Fragliches Erbe bleibt greifbar, selbst dann, wenn es in Nirgendheim oder bei den Nönnchen zur ewigen Anbetung läge.«

»Also greifen wir zu,« scherzte Nelly in übermütiger Laune, raffte ihre Krinoline zusammen und tänzelte ihrer Mutter voraus in das chinesische Zimmer, über und über bestellt mit seltenen Bronzen, raren Porzellanen und bizarren Pagoden aus verschiedenen Dynastien, die nackten Bäuche vergoldet, die Wackelköpfe mit einer leuchtenden Glasur übersponnen.

Ein Kammerkätzchen machte sich an einem bläulichen Spiritusflämmchen zu schaffen.

»Der Herr Baron werden gleich kommen,« meldete sie.

»Schön,« nickte die Alte, »und Jean Pierre . . .

»Haben noch Orders vom gnädigen Herrn empfangen.«

»Also setzen wir uns,« und während der Wasserkessel zu sumsen begann und allerhand närrische Geschichten erzählte, stand Jean Pierre Knipping vor dem hohen Portal, die rechte Handfläche abwehrend und kühl gegen Mordje Tulpenstiel aus Geldern gerichtet. Ein unverfrorener Faulenzer und würdeloser Rentenempfänger der Neuzeit konnte sich nicht tyrannischer und selbstgefälliger geben als dieser Undurchdringliche in schwarzen Seidenstrümpfen und silbernen Schuhschnallen.

Das letzte Scheinen des Tages zerrieselte bereits jenseits der großen Eichenbestände.

Das Schneetreiben hatte nachgelassen.

Nur noch vereinzelte Flöckchen tanzten durch den Adventabend.

Trotz der vorgestreckten entsetzlichen Hand verlor sich die weite Umgebung in einer weichen Lautlosigkeit, und hätten Mordjes Hunde nicht zuweilen gebelfert und an den Strängen gezerrt, die Dämmerung wäre von einem seligen Gottesfrieden eingelullt worden.

Das aber ließ der jüdische Geschäftsmann aus Geldern nicht zu.

Nach einigem Zögern unterbrach er die Stille, wenn auch freundlich und mit der stoischen Ergebenheit seines vielfach zermarterten und gequälten Volkes.

»Herr Kammergerichtsrat, ich bitte ergebenst: in der Renteikommischon hab' ich keine Erhörung gefunden. Die Herren Schreiber sind unkulante Vertreter. Glitschige Aale sind's, un da sollten Sie immer bedenken . . .«

Die furchtbare Hand rückte näher.

»Es bleibt dabei, Mordje.«

Das gesprenkelte Nazarenergesicht des Abgefertigten legte sich betrübt auf die Seite.

»Auch dann, Herr Kammergerichtsrat, wo ich gemacht habe nach Nymwegen hin un wieder retour . . . wo ich eingekauft habe bei's große Haus Simon Löwenthaler un Söhne, in Firma Philipp Mendel am Valkhof . . . un dann noch die Auslagen un die übrigen Spesen . . .

»Es bleibt dabei, Mordje.«

»Wo ich gewandert bin Stunde um Stunde durch Schnee und Bereifung . . . ohne Verköstigung . . . ohne ein Schälchen mit erwärmendem Kaffee . . .

»Soll uns egal sein.«

»Herr Kammergerichtsrat,« und die Stimme Mordjes nahm einen festeren Ton an, »ich kann meinen Auftrag beweisen. Fällig Ende Dezember. Fünf Kisten à hundert. Meine Perdukte sind wie Teeblüten. Der Herr Baron haben mir Order gegeben, desgleichen der Herr Rinse van Bommel.«

Jean Pierre Knipping zuckte die Achseln. Die scharfen Messerchen in seinen unergründlichen Augen stachen empfindlich.

»Mordje – das tut nichts.«

»Was – tut nichts? wo ich von dem Herrn Baron die schriftlichen Papiere besitze?«

Die entsetzliche Hand machte einen unerbittlichen Strich durch die Schneeluft.

»Und wenn Sie darunter noch sein Siegel besäßen . . .«

»Hab' ich, hab' ich, Herr Kammergerichtsrat!«

»Macht alles nichts. Der Herr Baron dankt für die Ware.«

»Was tut er?«

»Sich vielmals bedanken.«

»Gott der Gerechte!« und Mordje ereiferte sich, als habe er unversehens in ein schweinernes Saucischen gebissen. »Was heißt sich bedanken? Geschäft ist Geschäft! Dran kann auch ein Herr van Klabasterboompjes nichts ändern. Herr Kammergerichtsrat« – und Mordje trat näher – »meine ›aphrosinischen‹ Früchte . . . ich beziehe sie nur von die nobelsten Häuser . . . überseeisch un von die Vereinigten Staaten . . .«

Er verstummte jedoch, wie Zacharias am Brandaltar des Herrn verstummte.

Die entsetzliche Hand stand wieder leichenfarbig und regungslos zwischen Himmel und Erde.

»Das ist es ja eben. Für Ihre nichtsnutzigen Artikel kein Fettmännchen!«

»Maimemmelochem! wo sie doch sind 'ne wahre Bekömmnis un 'ne liebliche Freude zu's Essen. Schon David mit's Harfenspiel speiste davon; auch die beiden Herren mit die Hängelöckchen, als sie die schöne Susanne unter Beurteilung nahmen. Dito desgleichen der Herr Ökonom Christ van de Linde vom Hinteren Vorwerk. Der Mann ist nicht wieder zu kennen in seiner herrlichen Bewußtlosigkeit.«

Jean Pierre Knipping straffte sich vom pomadisierten Scheitel bis zu den silbernen Schnallen herunter.

»Es bleibt dabei, Mordje. Der Herr Baron pfeifen auf Ihr Schundzeug.«

»Waih geschrien!« und Mordje erstarrte. Ihm war so, als würde Porzellan auf den Estrich verschüttet. Und das war sein eigenes Porzellan: ein halbes Dutzend Tassen, einschließlich Milchnäpfchen, Zuckerschale und der vergoldeten Kaffeekanne mit dem appetitlichen Löwenschnäuzchen. Er sah bereits den Bankerott seines sonst so schön fundierten Geschäftes vor Augen. Die weitverzweigten Interessen seines Großmagazins für alle Delikatessen der Neuzeit verkrümelten ihm zwischen den Fingern. Er kam sich vor wie der krummbeinige Pharisäer und Handelsmann Schikmi, dem nichts anderes übrig blieb, als den Gebetriemen zu nehmen und sich auf dem Blutacker Hakeldama begraben zu lassen. Da aber kam die Wut über ihn, die Wut seines Volkes.

»Herr!« schrie er auf, »for was nehmen Sie mich? For was taxieren Sie mir in meine höchsten Gefühle? Bin ich ein schofeler Mann? Habe ich die Trebers gegessen mit die amerikanischen Schweine? Herr Kammergerichtsrat, schweigen Sie still per sofort. Sie besitzen keine Delikatesse. Meine Papiere sind richtig. Zahlung will ich for angelieferte Ware. Sonst: ich habe Prokura bei die hohen Gerichte, un sagen will ich for die Assisen in Kleve: das Haus van Klabasterboompjes ist ein mises Haus . . . un . . . un . . . un . . .«

Er streckte die Faust vor und lärmte über den Schloßhof: »Gott der Gerechte, ihr seid alle 'ne verfluchte Mischpoke! auf daß die Erde verfault un alles kapores geht vor dem Zorne des Herrn . . .« und in dieses Gelärme hinein heulten die beiden Betriebsköter, knurrten die Schloßhunde aus der Ferne herüber, liefen Knechte und Mägde herbei, wurden Türen geschlagen, öffnete sich über dem Portal ein Fenster, rief eine Stimme herunter: »Jagt doch den infamen Juden zum Teufel!« . . . erschien der Herr van Klabasterboompjes in dem geöffneten Rahmen.

»O, Herr Baron . . .!« und Mordje Tulpenstiel streckte die Arme, »Herr Baron, meine Ehre, meine geschäftliche Ehre . . .

»Fort da vom Schloßhof!«

»Herr Baron, meine ›aphrosinischen‹ Äpfel . . .

»Unsinn – verfluchter!«

»Herr Baron, un meine vorgelegten Unkösten . . . un dann noch die übrigen Spesen!«

»Friß sie hinunter!«

»Herr Baron, Sie sind ein gewalttätiger Mann. Sie sind ein grausiger Mann. Ich werd's an die königlichen Assisen vermelden. Sie sind ein Kalef, Sie sind ein Beheme!«

»Jean Pierre, schieß dem Kerl 'ne Portion Schrot in den Hintern!«

»Wird gemacht!« grinste Knipping.

Das war zu viel für einen einzelnen Erdenpilger.

Dazu noch die entsetzliche, glitschige, kalkfarbige Hand, die sich wieder emporhob.

Dem braven Mordje kam die Erkenntnis: hier ist nichts mehr zu holen. Drei Karren voll Eselsmist konnten gegen diesen jonkheerlichen Unflat und den seines Kammerbeflissenen nicht anstinken. Geschäft, Auslagen und die getätigte Mühewaltung – alles perduto. »Herr meiner Väter!« und dann noch die sirrenden Schrote . . . ihm grauste, und die Hand am Hosenboden, als hätten dort die angedrohten Rehposten schon ihren Eingang gefunden, noch ganz verbaselt von dem soeben Durchlebten, machte er kehrt und trabte mit seinem Hundegespann, seinem ächzenden Wägelchen über den Schloßhof, durch die winterliche Allee der großen Landstraße zu, die durch vereinsamte Strecken nach Geldern führte, verfolgt von den hämischen Blicken des geruhsamen Jean Pierre, die wie kleine, vergiftete Dolche hinter ihm her waren.

Über ihm wisperten die dunklen, schneeumfransten Bäume: »Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn und die ›aphrosinischen‹ Äpfel?!« Neben ihm erhoben sich bedrohliche Schatten, hinter ihm aber heulten die Schloßhunde wie die Hunde des Jehu, als sie die geschminkte Isebel fraßen auf dem Acker von Jesreel.

Gott der Gerechte, es war zum Davonlaufen!

Das tat denn auch Mordje über die Maßen. Die große Armee, als sie in Rußland ausgeräuchert wurde, konnte es nicht eiliger haben. Nur fort aus diesem Hexenkessel, aus dem Bereich dieser entsetzlichen Füsiliere. Durch Dunst und Dämmerung karrte er weiter, immer schlankweg der großen Chaussee nach, an stummen Gehöften vorbei, an lautlosen Mergelgruben vorüber, bis er nach dreiviertelstündigem Marsch endlich wieder Ruhe fand und aufatmen konnte.

Friedliche Lichter lagen tief in der Niederung. Sie winkten ihm zu, sie begrüßten ihn mit den Augen von frommen Gazellen.

Drüben lag Geldern, die Stadt seiner Väter.

* * *

Fünf Stunden später lag Schloß Aldekerk unter zarten Eiderdaunen gebettet. Um die halbe Mitternacht setzten abermals die Schneewehen ein. Flöckchen bei Flöckchen, Sternchen bei Sternchen! und sie blieben auch dann noch geschäftig, als der neue Morgen kam und der weiße Tag sich anschickte, in einen ebenso weißen Abend zu gleiten.

Noch war nicht aller Glanz von der Erde genommen.

Ein mattes Schneewittchenleuchten sah in die Magisterstube hinein, woselbst die Brautleutchen sich ihres Glückes erfreuten. Innig aneinander geschmiegt, gedachten sie der raschelnden Totenkränze und des ›Chorals von Leuthen‹ in dem verschwiegenen Kirchlein, gedachten sie der jetzigen Stunde und der kommenden Tage, glossiert von dem altmodischen Sofa, das sinnfällig dazwischen plauderte und immer wieder die ewigalten und ewigjungen Liebesgeschichten erzählte.

Es war so traulich, so unsagbar schön und verwunschen in der umdüsterten Stube.

Draußen das stetige Hin- und Wiederschleiern, das zarteste Rieseln gegen die Scheiben und hier das Summeln im Ofen, nur unterbrochen von dem Musizieren eines einsiedlerischen Heimchens, das zeitweilig aus der nahegelegenen Küche herüberklimperte.

Benjamin fühlte sich wie ein Buchfink im Hanfsamen.

O diese seraphische Ruhe, diese Ruhe ohne Anfang und Ende! und während ihn diese Ruhe erquickte, vergegenwärtigte er sich die seligen Augenblicke, während welcher der Herr ihm gebot, sein Weib in die Kammer zu führen und ihr den Gürtel zu lösen; Augenblicke so unermeßlich geschmückt und vergoldet, so durchzittert von der Hoheit des Unerforschlichen, um nur von überirdischen Sinnen begriffen zu werden. O, so ein schönes und tugendsam Weib! Es ist wie die helle Lampe in einer Gebetnische. Es ist ein Geheimnis vom Schöpfer dargebracht und gegeben . . . und nun hielt er dieses Geheimnis am Herzen, still und gefügig, ohne Arglist und Sondergedanken, hingebend und spielerisch wie ein frommes Kind, das seinen heiligen Christ erwartet . . . und wiederum trat ihm jenes Bild vor die Seele, das er hatte, als sie sich für den Sonntag pflegte und schmückte, ihr Haar strählte und dann zu einem mächtigen Knoten zusammennestelte. Nicht ein einziges Bild nur. Viele reihten sich nebeneinander, eigenartig wie dunkle Nachtviolen, wie zarte Mimosen, die sich nur unter dem Einfluß eines geheimnisvollen Maienregens zu erschließen vermögen . . . und noch einmal durchlief er im Geiste die Stellen des Hohen Liedes, die ihn besonders angeregt hatten: »Du bist schön, meine Freundin. Deine Lippen sind wie eine rosinfarbene Schnur, und deine Rede ist lieblich.«

Verloren glitt seine Hand über ihr angeschmiegtes Haupt: »Und dein Haar ist wie der Mantel des Königs, in Falten gebunden. Ja, du bist schön, meine Freundin, lieblich wie Jerusalem, schrecklich wie Lanzenspitzen . . .« und es war ihm, als tränke er aus der Verjüngungsschale der Fee Kristalline.

Nur allmählich wagte er es, das tiefe Schweigen zu brechen, ihr das spätere Dasein fein säuberlichst auszumalen . . . wo er als angestellter Prediger verpflichtet und berufen sei, mit ihr die Ringe zu wechseln und sie als Weib hoch und in Ehren zu halten. Und weiter dann . . . keine großen Anforderungen für des Leibes Notdurft und Bequemlichkeit! Gewiß nicht. Aber so eine nette Hausfreudigkeit mußte dabei sein, so ein properes, wohlgepflegtes Gärtchen mit 'ner Laube darin, schön umrankt mit Geißblatt oder türkischen Feuerbohnen, daneben eine Hühnerställchen, mit 'nem gesinnungstüchtigen Hahn und zehn bis fünfzehn Hennen besetzt. Selbstverständlich nur beste Leger: Dorkinghühner, Spanier oder bergische Kräher. Das kannte er, das hatte er schon bei den englischen Schreibern, bei Fielding und Tobias Smollet, gelesen, in ihren Romanen und lustigen Geschichten. »Ja und dann,« fuhr er eindringlicher fort, »und ist endlich die Stunde gekommen: dein Herz wirst du auftun, auf daß unsere Arbeit bei Tage gedeihe, die Lampe wirst du tragen in unser bescheidenes Gemach, auf daß sie unserm Abendwerk leuchte und uns beselige mit dem Licht ihrer Zukunftsfreudigkeit.«

»Ja, du« – und sie drückte sich an ihn »und dann das Schaffen und Walten in deinem Priestergärtchen . . . im Ställchen nebenan . . . du und ich . . . wenn die Erbsen Schoten ansetzen . . . und die Rosen blühen . . . Rosen und Nelken . . .«

»Und ihr Duft in den Abend hineingeht wie eine große Erfüllung.« warf er dazwischen, »denn wisse: mit Rosen im Haare . . .« und er begann wieder in den Worten des Hohen Liedes zu sprechen, bis er gewahrte, daß vor dem Paradiese ihres Zusammenseins sich etwas rumpelnd bewegte und derbe Schuhe abgeklopft wurden.

Dann ein lautes Gepolter.

»Hallo, heda, ihr beiden!« und der alte Magister war mit brennendem Wachsstock ins Zimmer getreten.

Seine Stimme dröhnte: »Rühmet euch nicht des morgigen Tages, da ihr nicht wissen möget, was euch noch heute begegnet!«

Den brennenden Wachsstock hielt er herausfordernd zwischen Dielen und Decke.

»Per bacco!« fuhr er unwillig auf, »was muß ich hier sehen? Was muß ich hier hören? Liebeleien und Seufzer auf einem ächzenden Sofa! Schwerebrett und kein seliges Ende! Mein geruhsames Heim ist weder ein Haus der Freude, noch ein Tempel exaltierter Betätigungen. Nein, nein, Herr ordinierter Adjunktus, die angenehmen Spitzfindigkeiten der Liebe werden erst verkostet, wenn Sie realen Boden unter den Füßen haben. Da es aber bis dato an diesem Fundamento noch mangelt . . .«

Ungestüm pflasterte er den Lichtstock auf ein nebenan stehendes Glasspind.

»Da es aber bis dato . . . bis dato . . .«

Schwer fielen ihm die einzelnen Worte von der Zunge herunter, denn er war geradeswegs vom ›Goldenen Anker‹ gekommen, woselbst er mit Rinse van Bommel einige Stunden beim Dämmerschoppen verbracht hatte.

»Bis dato . . . bis dato . . .«

Er riß sich zusammen.

»Da es aber bis dato,« fuhr er gesammelter fort, »an dem diesbezüglichen Fundamento gefehlt hat, so habe ich in Punkto Punkti meine schwersten Bedenken – aber die äußersten, Herr ordinierter Adjunktus.«

Die beiden auf dem Sofa waren auseinander gefahren – entrüstet und wie mit Blut übergossen.

Johanna reckte sich auf und trat ihrem Vater frank entgegen.

»Was meinst du damit? Es ist doch alles in Ehren geschehen.«

»So heißt es allzeit und immer auf Erden, wenn zwei sich zusammenfinden.«

Ihre dunkelbraunen, mit Goldpunkten übersäten Augen flammten ihn an.

»Du solltest immer bedenken: ich bin deine Tochter.«

»Alles schon richtig, aber der Herr da . . . ich meine . . .«

»Hochverehrter Herr Banning, ich muß Sie ernstlich ersuchen, Ihre Worte mehr auf die Schale zu legen, sich zu mäßigen und in meiner Person das Amt zu würdigen,« und der in seiner geistlichen Ehre Verletzte trat energisch auf die Seite Johannas.

»Herr Schwiegersohn – Sie?«

»Ja, ich, Herr Magister. So etwas ist mir noch niemals widerfahren.«

»Glaube ich schon.«

»So bin ich genötigt, Sie auf Jesus Sirach zu verweisen, 20. Kapitel, 7. Vers: Ein weiser Mann schweigt, bis daß er seine Zeit ersiehet; aber ein jäher Mensch kann die Zeit nicht erharren.«

»Oho!« rief der Alte, und seine Stimme tönte wie ein englisches Flügelhorn, wenn auch eine Oktave zu hoch und etwas mißfarbig. »Oho! kommen Sie mir auf diesem fahlen Pferde getrappelt? Auf diesem fahlen Pferde ohne Hufeisen und Kandare, Herr Schwiegersohn? Wenn ja, dann muß ich mich eines ähnlichen Rosses bedienen. Merken Sie auf. Jesus Sirach, 18. Kapitel, 30. Vers: Folge nicht deinen bösen Lüsten, sondern brich deinen Willen.«

Benjamin glaubte nicht richtig gehört zu haben.

»Herr Magister,« sagte er ihm direkt vor die Stirne, »Johanna und ich befinden uns in einer Gott wohlgefälligen Brautschaft.«

»Ist mir bekannt, Herr ordinierter Adjunktus, und ich freue mich dessen. Doch wenn ich der schwächlichen Unterlage Ihrer Präsentation gedenke, so möchte ich mit dieser eine gewisse Skepsis verbinden.«

»Was soll es damit?«

»Carissime, später davon. Indessen in gegenwärtiger Stunde: ich freue mich Ihres Standes und Ihrer gewaltigen Predigt, nach der Sie Ihre Brautschaft entrierten. Das mit den Grenadiers, dem Schellenbaum und den Musicis war trefflich wiedergegeben. So was kann man in den heutigen Zeiten gebrauchen. Lobet Gott und ehret den König! Wenn es auch seit Wochen dahin ist, noch heute klingt es mir zu: Schellenbaum und Musici und der Choral aller Chorale. Auch daß Sie dem jungen Magister die Leviten gelesen – erschien mir wie eine krachende Salve. Bravo, bravissimo! Hingegen, um wieder auf die Brautschaft zu kommen . . . Wenn solche sich hinzögert, geht Satanas um, gewillt, ihr das Kränzlein zu zerpflücken. Solches habe ich in der Dämonologia des gefeierten Paracelsus gelesen. Die Dämmerung ist keines ehrlichen Menschen Freund, noch weniger ein einsames Sofa. Sie fiedern der Anstandswidrigkeit, der Lubrizität und der Libertinage die Bolzen. So Paracelsus. Vornehmlich gilt dieses für unkopulierte geistliche Herren. Sie haben hitziges Blut, selbst die besten, und bevor nicht die ehelichen Ringe gewechselt sind und das Buch in der Kirche geklappt hat, ersuche ich um retardierende Momente. Sonst kann es immer geschehen . . .«

»Was kann geschehen? Ich möchte Beweise.«

Kosman Theophil Banning, der offensichtlich zu viel des Guten im ›Goldenen Anker‹ geleistet, zu häufig an dem Dämmerschöppchen genippt hatte, knarzte wie das Brandleder im Schuh eines Landbriefträgers und sagte mit puterrotem Gesicht: »Beweise, Beweise?! Gut, also bringen wir die sotanen Beweise. Herr Kandidat,« und er stemmte alle zehn Knöchel auf die Tischplatte, »erinnern Sie sich der vor diversen Wochen zwischen uns stattgehabten Unterredung, damals, als ich Ihnen das Päckchen Half Canaster, Hermann Oldenkott en Zoonen te Amsterdam, übermittelte?«

»Gewiß, als wäre sie erst heute getätigt.«

»So! und würden Sie mir die damals gestellten Fragen auch jetzt noch beantworten?«

»Warum nicht?«

»Nun dann, wenn es erlaubt ist, zu fragen, soll es hiermit stattfinden. Herr Kandidat,« und seine Äugelchen kniffen sich ein, »schreiben Sie nicht an den Memoiren der Gräfin von Kolbe?«

Benjamin stutzte, sagte aber alsdann: »Allerdings, wenn auch nur, um ihre Reputation einigermaßen zu säubern. Audiatur et altera pars. Jegliches Ding ist mit zweien Seiten behaftet, und da sollte ich denken . . .«

»Tut nichts zur Sache . . . und ist diese Gräfin von Kolbe-Wartenberg nicht eine geborene Rückert aus Emmerich, also Ihres Blutes gewesen?«

»Auch dieses.«

»Und wurde diese Gräfin von Kolbe-Wartenberg, geborene Rückert, nicht zur Madam en titre, zur Favoritin erhoben?«

»Ich kann es nicht leugnen.«

»So, so! Wir kommen dem Karnickel schon sacht auf die Sprünge . . . und ließ man über dem Portal ihres Zimmers nicht ein Basrelief durch den großen Schlüter errichten, bedeutend: Venus auf einem schlafenden Löwen ruhend, des Herkules Keule führend, mit welcher der Liebesgott spielte?«

»Auch dieses, auch dieses!«

»Sie geben also zu, das Blut dieser Madam en titre in Ihren Adern zu wissen?«

»Herr, was bedeutet das alles? Was bezwecken Sie mit diesen verfänglichen Darlegungen?«

»Sie wollen Beweise? Hier sind sie.«

»Gewißlich, aber was Sie zu konstruieren gedenken . . . eitel Spitzfindigkeiten! Damals rechneten Sie mir diese Genealogie zum höchsten Verdienst an.«

»Ich tat es, aber nur dem Baron gegenüber, lediglich aus dem plausiblen Grunde heraus, Ihre Präsentation auf gesicherte Beine zu stellen. Im Hinblick auf meine Tochter jedoch, muß ich diese Blutsverwandtschaft unter eine schärfere Beurteilung nehmen«.

Johanna verfärbte sich, versuchte es aber, sich vermittelnd zwischen die beiden erregten Männer zu drängen.

Benjamin hielt sie zurück.

»Laß das, Johanna,« und dem Alten zugekehrt, fuhr er ihn an: »Herr Magister, Sie scheinen es darauf abgesehen zu haben, unserer Freundschaft einen energischen Stoß zu versetzen, wenn nicht gar ihr den Garaus zu machen.«

»Keineswegs, Herr ordinierter Adjunktus, aber wenn es erlaubt ist, zu reden: Besser schon, wir wollen es unter den obwaltenden Umständen bei einer sogenannten sanften, soliden und getragenen Lirumlarum-Brautschaft belassen.«

Benjamin horchte auf.

»Warum das?« fragte er hastig.

»Oh! ich meine nur so. Inniges Zusammensein auf einem Sofa, dazu um die Dämmerstunde herum und in Gemeinschaft mit einem ordinierten Adjunkten . . .«

»Schweigen Sie.«

»Fällt mir nicht ein. Ich habe Pflichten, heilige Pflichten. Auch Ihnen gegenüber. Wo denken Sie hin? Ich fürchte mich nicht, und wenn Sie so sturköpfig wie'n andalusischer Steinesel wären. Und ich muß leider gestehen: Sie sind es . . .«

Die Stimme lallte, brach ab, zerfaserte und kroch winselnd am Boden.

Johanna schrie auf: »Das ist ja entsetzlich!«

Verstört flüchtete sie an die Brust des Geliebten.

Noch ganz zerrissen von dem soeben Gehörten, die Arme um seine Lust und sein Leben geworfen, trumpfte Benjamin auf: »Herr, ich sehe: Sie sind im ›Goldenen Anker‹ gewesen.«

»Allerdings, allerdings! ich verneine es keineswegs,« und der vom Wein Besessene klopfte sich erregt auf sein blaugestärktes Schemisett und polterte los: »Oder wollen Sie mir auch dieses verbieten? Ja, Sie . . . mit Rinse van Bommel im ›Goldenen Anker‹ gewesen . . . meine Affäre . . . Rheinwein und Portwein . . . und Rinse ließ durchblicken: Ihre Präsentation habe noch ein gemächliches Hinziehen, besäße noch nicht das finis coronat opus bis zum letzten Schlußpunkt.«

»Wo mir der Baron selber gesagt hat, mir feierlichst gelobte . . .

»Hoho! was Barone so sagen! Jedenfalls, wie Rinse mir dartat, will der Jonkheer Sie noch länger studieren . . . Ihre Qualifikation ergründen . . . auch die gnädige Frau . . . und erst, wenn Sie ihr Wieland und ähnliche Poeten beigebracht hätten . . . Na, das wird wohl so'n Weilchen noch dauern, denn Wieland und Madam müssen sich erst aneinander gewöhnen, sich gegenseitig beschnüffeln, bis die Sache perfekt wird . . . und somit bleibt es vor der Hand bei einer sanften, soliden und getragenen Brautschaft.«

»Herr Magister . . .

»Bleibt dabei. Abgemacht fertig! Erst eichene Dielen unter den Füßen, und haben Sie diese gezimmert, mögen Sie sich auch in Gottesnamen mit Johanna auf dem Sofa benehmen. Bis dahin aber . . .« und Kosman Theophil Banning streckte gebieterisch die Hand über den Tisch, »bis dahin darf nur ein Zusammensein unter meinen eigenen Augen stattfinden, denn mein Haus ist ein Bethaus, ein patriotisches Haus, ein Anwesen wie das in Bethanien, aber beileibe kein Tempel für Liebesmarotten und nichtssagende Schäferstündchen. Salva venia. Mit Verlaub zu sagen. Ich liebe keine faulen Kompromisse. Sonst hätte ich Blätter vom giftigen Sumach gefuttert.«

Er warf sich auf einen Sessel.

»Nun kennen Sie mein Evangelium vom A bis zum Z herunter. Ohne Schnörkel und Devotionsstriche, und falls Sie mir darauf etwas zu erwidern haben, dann bitte.«

Der so Gemaßregelte erblaßte so jählings, daß sein weißes Gesicht wie das eines Geistes in dem nur matt erleuchteten Raum stand.

»Johanna bleibt mir,« sagte er tonlos, »aber das mit dem ›andalusischen Steinesel‹ und so manches noch – das, Herr Magister, wird Ihnen so leicht nicht vergessen. Ich konstatiere: man hat mir hier die Türe gewiesen.«

»Oho, Herr ordinierter Adjunktus!«

»So ist es.«

Ohne Gruß verließ er das Zimmer.

Als er hundert Schritte und mehr noch gegangen, schaute er nochmals zurück. Da lag nun das Haus, unter dessen Sparren seine Auserkorene weinte, die den gestrigen Tag suchte und ihn doch nicht mehr finden konnte, überdeckt von einem glitzernden Leilach, keusch und rein wie die Hand eines Priesters.

Auch seine Hände waren bis jetzt ebenso keusch und rein wie die eines Priesters geblieben. Nur seine Augen! Er erinnerte sich. Hatte er nicht mal eine Erscheinung gehabt, eine Offenbarung in schmucklosem Rahmen, die Sinne betörend, verklärt durch die Myrrhenscheibe eines schuldlosen und unbefangenen Sehens! Damals, vor Zeiten . . .!

»Ja,« trotzte er auf, »aber diese Offenbarung kam vom Himmelreich, aus der Hand meines Erlösers und Schöpfers,« und noch benommen von diesem hohen Gesicht, stammelte er mit trunkenen Lippen: »Heilig, heilig und ewiglich! Wenn die Rosen sterben, duften sie noch einmal so wundersam. Ja, du bist schön, meine Freundin, meine Braut, meine Lebensgefährtin, lieblich wie Jerusalem, schrecklich wie Lanzenspitzen . . . und auf deiner Brust hängt ein Bändlein von köstlichen Narden.«

Er war getröstet.

Nur noch etliche Kristalle flimmerten nieder.

Die Wolken teilten sich still auseinander.

Ein Stern wurde sichtbar.

Hell und klar, wenn auch fröstelnd, stand er am westlichen Himmel – ein Gruß aus der Ewigkeit.


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