Joseph von Lauff
Der Prediger von Aldekerk
Joseph von Lauff

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Siebenzehntes Kapitel

Ein Wiedersehen nach Tagen und Wochen und ein endliches Finden unter dem Bildstock des Gekreuzigten. »Laß gut sein, laß gut sein!« Eine stille Feier im weißen Kirchlein, der eine weltliche im ›Goldenen Anker‹ folgt, reichlich gespickt mit trefflichen Reden unter Klavizimbelbegleitung. Ende gut, alles gut! wobei Herr Kasimir Bärendonk, als neue Erscheinung, Mordje Tulpenstiel und Rinse van Bommel in Eintracht sich finden. Den Liebenden aber ziehen die Sterne herauf, schlägt eine Nachtigall aus der Ferne herüber, bringt Herr Knörke eine Serenade mit Gittarenbegleitung.

Was die Seele Benjamins in dieser halben Minute bewegte, bestimmte die erhobene Rechte. Mit dem Fallen des Knöchels ließ er die Vergangenheit hinter sich, mußte ihm die Gegenwart zu einer zuckenden Helle oder zu einem toten Lichtstumpf werden.

Aber er suchte die Helle, die zuckende Helle, und da drinnen wartete die, der es vergönnt war, ihm diese strahlende Garbe mit reinen Händen zu bieten. Mit ihr in das Leben hinein, in das lachende Osterfest, in das verlorene Säuseln der Fichten, wenn sie ihre Brautnacht feierten, ganz erfüllt von Blüten und Sporen, trunken im wechselseitigen Geben und Nehmen, ein einziger Schauer des Sichfindens und gemeinsamer Liebe . . . und über die schweigenden Wipfel, durch die atemlose Stille des Waldes, durch das Gewirr von erschauernden Nadeln und Zweigen mußte ein fruchtbarer Maienregen voll köstlichen Goldstaubes dahinziehen.

Das bewegte ihn in dieser Minute, gebot ihm, den Knöchel fallen zu lassen und die Hand auf die Klinke zu legen.

»Gott helf' mir!«

Und der Knöchel fiel nieder.

Es war dasselbe Zimmer von früher, das nämliche Zimmer, das ihm allzeit zugeflüstert hatte: »Hier ist es gut sein, hier laßt uns Hütten bauen.« Auch in dieser Stunde die beseligenden Worte: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.«

Evangelium Johannis, das erste Kapitel.

Nur eine matte Lichtquelle erhellte die Stube.

Seine Sinne suchten; aber erst allmählich schälten sie aus der Dämmerung heraus, was sie mit heißer Seele erhofften: Johanna.

Da stand sie . . . im dunklen Kleid . . . in ihrer ebenmäßigen und kirchenstillen Ruhe . . . neben dem Sofa . . . die rechte Hand auf der Tischplatte . . . die linke schlaff am Leibe herunter.

Ihr schmales Gesicht schimmerte weiß durch die armselige Helle, war von einer traurigen Anmut.

Auch sie hatte geduldet und maßlos gelitten. An ihr waren die bitteren Tage und Wochen nicht spurlos vorüber gegangen. Auch sie war nahe daran gewesen, ihr Ringlein abzustreifen und das Vergessen zu finden, denn was nach Levkojen und Reseden duftet, soll man absterben lassen. Die innigste Neigung verdurstet, gefällt es der Vorsehung, ihr die Wohltat einer spendenden Quelle zu nehmen.

Und diese Ruhe in ihr, diese qualvolle Ruhe!

Er hielt's nicht mehr aus.

Er hatte das Tönen einer Freudenglocke erhofft und wähnte nun, den dumpfen Ruf einer Totenglocke zu hören.

Wo nur war das Säuseln der Fichten im Frühlingswalde geblieben, der fruchtbare Maienregen voll köstlichen Goldstaubes? Wo nur das trunkene Geben und Nehmen, der einzige Schauer des Sichfindens und der Liebe?

Ein heiliger Name wurde ihm vom Munde gerissen.

»Johanna . . .

Er taumelte vor . . . lag zu ihren Füßen . . . umschlang sie . . . preßte die laute Stirn in die Falten ihres Schoßes . . .

»Johanna, Johanna . . .

Sie beugte sich nieder.

»Laß gut sein, laß gut sein!«

Eine weiche Hand fuhr ihm sacht über den Scheitel.

»Ich bin gegangen und bin wieder gekommen. Die kleine Stadt da drüben! immer die gleiche. Die niedrigen Häuser wie Grabsteine. Der Tag wanderte herum, als hätte er mir nichts mehr zu bieten. Kaum noch, daß ich der Zukunft gedachte. Wenn ich durch die Straßen ging, ging ich wie durch graue Klostermauern. Sollte ich mich lediglich mit dem bescheiden, was ich habe? Das wäre furchtbar. Eher möchte ich dem Tod verfallen . . . und liebte doch . . . liebte . . . und glaubte, die Tür würde sich auftun zu einer ewigen Freude, die keine Worte mehr findet, die stumm ist. Es wäre schon die richtige Freude gewesen.«

Sie atmete tief: »Und jetzt? Alles ist leer um mich, ohne Versöhnung, und ich weiß nicht: was soll nun werden aus uns. Etwas Bitteres liegt zwischen dir und mir, etwas Wehes und Unausgesprochenes, von dem ich befürchte, es wird sich immer weiter verlieren. Ich suchte das Licht und habe nur Schatten gefunden, und war doch alles dazu angetan, uns ein Leben voller Andacht und Weihe zu geben. O du, du . . .

Ihre Worte versandeten.

Nichts ließ sich hören, als nur die schweren Atemzüge der beiden, als nur ein leises Singen des Kanarienvogels, der gleichsam im Traume anhub, einen silbernen Faden zu spinnen, und durch dieses Schweigen eine verwundete Stimme: »Die Schuld ist mein; aber einer soll dem andern doch helfen, ihm die Stunde leichter zu machen. So hilf mir doch, hilf mir doch, auf daß ich mein Elend verwinde. Nimm mir das Wundmal hinweg. Oder willst du: dein Fuß soll über mich gehen? Soll es ein Abschiednehmen werden für immer?«

Er tastete nach ihrer Hand, ergriff sie, küßte sie mit Fieberlippen.

Heiß tropfte es auf sie nieder.

»Diese Angst, diese furchtbare Angst! Ich fürchte um dich und mich, und ich weiß, was du mir antworten wirst. Du wirst mir sagen: Herzeleide.«

Und wieder das Schweigen von eben.

Es gibt viele Stillen auf Erden, große und seltsame Stillen, aber wenn die des Niederrheins heraufzieht, das graue Weib mit den seherischen Augen, die weder Glanz noch Metall haben und doch so gütig sind, so gütig und allversöhnlich, dann ist dem Menschen wie in Gottesnähe, wie in Reichweite des Altarsakramentes. Sie wohnt an den Altwassern des ewigen Stromes, im Dämmergrau der Wiesen und Weiden, sie ist in den Korngassen, wenn keine Ähre es wagt, ihr Köpfchen an das der andern zu lehnen und heimlich zu wispern – und dort, wo zwei Herzen in Not sind, zwei bekümmerte Herzen, da ist sie, von dem innigen Wunsche beseelt, ihnen den Frieden zu geben.

Und heißer tropfte es nieder.

»Du, keine Tränen,« sprach es ihm zu. »Sie würden das Verfehlte doch nicht hinwegnehmen, das Vergangene nicht freundlicher machen.«

Ein Stöhnen aus tiefster Brust.

»Johanna, Johanna . . .

Seine Arme rangen sich aufwärts.

»Wenn du es kannst, so hebe die Hand wider mich auf . . . ich will es ertragen um deinetwillen . . . um der Gerechtigkeit willen, denn ich armer, sündiger Tor, bekenne vor Gott und den Menschen . . .«

»Laß gut sein, laß gut sein,« rief sie gefaßt und mit aller Bestimmtheit, »und was ich dir sage, mußt du hinnehmen, wie es gemeint ist, selbst wenn es dich schmerzlich berühren sollte. Ich kann es nicht ändern. Ich kann so vieles nicht ändern, auch das nicht, als ich unbewußt fühlte, er gleitet dir immer mehr aus den Armen. Mit der Sehergabe, die im Weibe schlummert, sah ich das kommen. Beweise fehlen, und ich will keine haben. Sie würden mich nur noch tiefer verletzen. Aber du hattest Pflichten mir gegenüber, und diese Pflichten waren unveräußerlich. Sie vertrugen nicht den Staub des Alltages, noch weniger den Glanz aus verführerischen Frauenaugen. Ja, du – durch das Weib hast du das Weib in mir auf das schwerste getroffen, mir das genommen, was ich so heilig nahm, wie einst dein Gelöbnis . . . damals im Kirchlein . . . als wir niederknieten . . . die Hände vereinigt und den ›Choral von Leuthen‹ auf den Lippen . . .«

»So hilf mir doch! Habe doch Erbarmen mit mir! oder willst du, daß ich auf die Kanzel trete, um von dort hinauszuschreien: Das Unabänderliche geht seinen Gang . . . läßt sich nicht aufhalten . . . will sein Opfer haben . . . und hier steht der Mann, der seine Treue aufgab und alles veräußerte – aber auch alles . . .?!«

Sie beugte sich tiefer.

»Du irrst dich. Berufe die Stunde nicht mehr. Warum davon sprechen? Ich will kein Geständnis. Das würde dich demütigen, dich dir selber entfremden, mir das Schmerzliche noch schmerzhafter machen . . . und das darf ich nicht wollen.«

»Und du kannst mir vergeben . . .

Sie ließ von ihm ab.

Ihre Augen erschlossen sich . . . und sie stand nun wieder genau so, wie sie bei seinem Eintritt gestanden hatte: im dunklen Kleid . . . in ihrer ebenmäßigen und kirchenstillen Ruhe . . . neben dem Sofa . . . die rechte Hand auf der Tischplatte . . . die linke schlaff am Leibe herunter.

Ihr schmales Gesicht schimmerte weiß durch die armselige Helle.

Aber sie lächelte.

»Benjamin,« sagte sie mit wachsender Stimme, »ich habe keine Antwort darauf, kann und will mich nicht in das Amt eines Richters versetzen. Ich weiß nur: du warst nahe daran, dich für immer in fremde Arme zu sehnen . . . und was du erlebtest, war süß wie die heiße Sünde und bitter wie Wermut. Aber ich weiß auch: das Fieber ist von dir genommen. Es ist viel des Guten und Reichen in dir. Du fandest den Weg zurück in das Tal der Tränen und in das der Erkenntnis. Laß gut sein, laß gut sein! Ich klage nicht an. Auch schuldige Herzen finden den Weg zurück. Vergangenem soll man nicht nachgehen. Es muß in sich selber verwelken und absterben, sonst – unser Lebensleid würde noch entsetzlicher werden. Was gestern ernüchtert am Boden lag, mag sich in dieser Stunde wieder freudig emporringen, denn die Reue ist in dir. Ich will bei dir sein ohne Beschämung, ohne des Früheren in Härte zu gedenken. Nein du – die Wunde blutet nicht mehr. Und so sage ich denn: ich freue mich deiner. Du bist mir wiedergegeben, und alles ist gut so.«

»Johanna, Johanna . . .

Ein Schrei wie aus gelösten Todesbanden heraus . . . und der nunmehr Befreite tastete sich an ihrem Leibe empor, erhob sich, umgriff ihre Schultern, riß sie an sich wie ein Heiligtum, das er schon verloren glaubte.

Das ganze Zimmer erfüllte sich mit seiner Kraft und Herrlichkeit.

Sie ketten sich fest aneinander.

Aus dem weißen Gesicht blüht ihm ihr Mund wie eine rote Wunde entgegen. Er spürt den Hauch des zauberischen Bündelchens, das er zwischen ihren Brüsten weiß, er atmet ihn und jauchzt und jubelt: »Johanna, willst du mein Weib sein . . .?!«

Nur ein Stammeln, ein wehes und wirres. Aber fast gleichzeitig haben sie das erlösende ›Endlich!‹ gefunden.

»Johanna, mein Weib – du . . .

Ihre Augen lächeln, gewähren . . .

Er kennt sich nicht mehr.

Und wieder springt ein Schrei durch das Zimmer.

Mit stummer Gewalt hebt er sie auf . . . er trägt sie . . . er trägt sie einige Schritte über die Dielen . . . weiter zur Linken . . . er trägt sie seinem Heil und seinem Erlöser entgegen.

Dort, wo ein beinernes Kruzifix von der Wand herabgrüßt, hält er den Fuß an.

Seine Blicke sind wie glühende Eisen.

Sie sind auf den Dulder gerichtet, dem er Rechenschaft schuldig, vor dem er durch Sünde gegangen.

Das kleine Haus des Magisters wird zum Bethaus, zum Tempel der Reue und Zerknirschung.

»Herr, du mein Gott . . .

Sein Wort flackert auf.

»Gekreuzigter – du, führe mich nicht in Versuchung, vergib mir, wie auch ich meinen Schuldigern vergebe . . . Gekreuzigter – du, segne mein Weib und lasse mich würdig werden ihrer Liebe und Zuneigung, auf daß es geschehe nach deiner Verheißung, durch deine Wundmale und dein bitteres Leiden . . . Herr, du mein Gott, ich schwöre dir zu, ihr die Treue zu halten, sie zu ehren wie ein Gefäß, das aus deinen Händen gekommen. Ich will bei ihr sein all meine Tage hindurch. Die Hände unter ihre Füße legen – das will ich. Ich will ihr erzählen – dieses und jenes, aus meiner Kinderzeit, aus meinen späteren Jahren, von meinem Kämpfen und Irregehen, ihr nichts verhehlen – nichts an Freude und Leid, bis zu uns kommt der Abend, der der dunkelste ist unter den Abenden, aber auch der reichste an Schönheit. O du, ich ersticke unter der Fülle des Glückes. Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie ein Siegel auf deinen Arm; denn meine Liebe ist stark wie der Tod. Und wäre es nicht so« – und seine Stimme rollte düster gegen den Gekreuzigten an – »dein Zorn komme über mich wie eine entsetzliche Plage, dein Zorn verwehre mir den Eingang . . .«

»Nicht weiter, nicht weiter!«

Sie war ihm entglitten.

Hochaufatmend stand sie neben ihm, gebietend, in ihrer ganzen Hoheit und Reinheit.

»Auf daß es geschehe,« sagte sie glücklich, und ihr keuscher Mund legte sich still und heiß auf den seinen, während er anhub zu jubeln und eine zarte Kanarienrolle das Zimmer belebte, als wäre schon ein strahlender, zukunftsfreudiger Ostermorgen gekommen.

* * *

In diesem Jubel lag eine Welt der Reue und Freude, ein Gelöbnis für jetzt und immerdar. Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie ein Siegel auf deinen Arm; denn meine Liebe ist stark wie der Tod. Meine Liebe kennt keine Grenzen. Sie ist unendlich wie die Zahl der Ähren und unerfaßlich wie ein Sternenmeer. Sie begehrt nicht der edlen Steine, noch des Prunkes der Großen im Lande. Sie begnügt sich mit einem einfachen Dach, mit einer ärmlichen Feuerstätte, aber sie spendet dreißigfältige Frucht und rankt sich um die Haustür wie ein fruchtbarer Weinstock, der einen nicht dursten läßt und allzeit die Seele erheitert . . . und dieser Jubel lief durch die Tage hindurch, zupfte die Grashälmchen aus dem warmen Erdreich, ließ die Hecken grünen und die jungen Buchenspitzen sich glänzender bräunen. An den Uferrändern der Rinnsale und Wässerchen war es blau von Veilchen geworden. Auf den Wiesen lächelten die Himmelschlüsselchen, die ersten Schwalben kehrten zurück, und als die Nachtigall schlug und ein stilles und zartes Maienleuchten die Wälder von Aldekerk durchsonnte, hielten sie Hochzeit in dem weißen Kirchlein, dem sie so vieles zu danken hatten.

Der Altar war umkränzt, der Estrich durch Kalmus und Buchsbaumzweiglein in einen bunten Teppich verwandelt.

Warmes Sonnenlicht flutete durch die niedrigen Fenster, als das Brautpaar sich dem Tische des Herrn nahte.

Nelly hatte es sich nicht nehmen lassen, das Kirchlein reizvoll zu schmücken.

Es duftete nach Azaleen und seltenen Blumen.

Auch der Jonkheer van Klabasterboompjes und Madam waren erschienen und viele, viele, die sich des Glückes der jungen Leutchen erfreuten.

Ein Konfrater aus der Nachbargemeinde, ein Mann mit einem Schwärmerkopf und Augen, die nicht von dieser Welt waren, gab sie zusammen. Dabei redete er mit den Zungen eines göttlichen Sendlings.

Als das Büchlein klappte und eine weiße Hand sich segnend herabließ, zuckte es in Nelly auf.

Verweinten Auges, stumpf und teilnahmslos für die Umwelt, verließ sie das Kirchlein. Sie sah weder rechts noch links, noch hatte sie Anteil an all dem Grünen und Blühen in der Natur, die, selbst eine Braut, die Stunde der Erfüllung herbeisehnte. Ach, Nelly! Nun lag alles hinter ihr. Sie hatte das Opfer gebracht, wie eine Sterbende vom Leben Abschied genommen. Sie wußte: das war ihr letztes Träumen gewesen.

Eine einfache Nachfeier war im ›Goldenen Anker‹ vorgesehen, einfach, aber gediegen.

Das Honoratiorenzimmer ließ Raum genug für die aufgebotenen Gäste.

Außer Rinse van Bommel und dem jungen Lehrer und Kantor, waren noch einige Pächtersleute und Ohm Kasimir Bärendonk nebst Frau Gemahlin geladen, nahe Verwandte weiter rheinaufwärts, in deren malvenfarbigem Häuschen mit grünen Läden und den drei Linden vor der Türe Johanna Zuflucht gefunden und schmerzensreiche Tage gesehen hatte.

Ohm Bärendonk, ein würdiger, selbstgefälliger Herr, Schwager des Magisters und ein auf Ruhegehalt gesetzter Steuerempfänger, konnte sich sehen lassen. In seinem preußischblauen Leibrock, der weißen Halsbinde, den roten Adlerorden vierter Klasse im Knopfloch, das dreifältige, glattrasierte Kinn zwischen blütenweißen Vatermördern gebettet, repräsentierte er in jeder Beziehung den kernigen Beamten unter dem Zepter des schweigsamen Königs. Unerbittlich und streng gegen sich selbst, äußerste Zurückhaltung in Bezug auf die Umwelt, das war seine Maxime. Eher hätte er sich zu Karbonade zerhacken lassen, als daß er ihr untreu geworden wäre. Im preußischen Beamten sah er die Krone der Schöpfung, das Fundament aller gesetzlichen Ordnung, die Palisade und das Hornwerk gegen Demagogentum und Umstürzlerei. Palisade und Hornwerk – das war es! Vor diesem Trutz und Schutz mußte jede Revoluzerflinte einrosten und untätig werden. Im übrigen – Ihr ergebenster Diener. Seine Stimme, wenn auch wie aus einer Gießkanne tönend, befleißigte sich, ruhsam zu sein: die Einschätzung seiner selbst und die der Mitglieder seiner weitverzweigten Familie grenzte an Heldenverehrung. Neben ihm erschien die Lebensgefährtin verwässert, unscheinbar, befangen und allverzeihend – eine überständige Landhenne, die sich vergebens bemüht hatte, Eier zu legen und auch nur ein einziges Küchelchen um ihre Krinoline trippeln zu lassen.

Um so stolzer und gediegener krähte Herr Bärendonk von seinem Miste in gehobener Stellung herunter.

Beim Einzug dienerte das fette Bauklötzchen vor dem ›Goldenen Anker‹, das Troddelmützchen am Boden, ein genußliches Tröpfchen auf den schmalzigen Lippen.

»Ich bitte – angtree! Nur keinen Scharnier nich. Mein Lakai wird sich freuen.«

Unter den Klängen eines Klavizimbels betrat man das Honoratiorenzimmer.

Der junge Lehrer intonierte die Weise ›Tochter Sions, freue dich‹, um nach einigen gewagten Schnörkeln und Variationen in den ›Hohenfriedberger‹ überzugehen, eine sinnige Aufmerksamkeit von seiten Benjamins, dem auf Ruhegehalt gesetzten Steuerempfänger eine kleine Freude zu machen.

Sie fiel denn auch auf fruchtbaren Boden.

Herr Kasimir Bärendonk drückte den Roten vierter heraus.

»Sehr obligiert,« nickte er dem Bräutigam zu, »man sieht doch sofort, wenn man es mit einem gebildeten Mann zu tun hat,« um sich gleich darauf an den eifrigen Lehrer zu wenden.

»Nur weiter so, junger Mann, und Sie können es noch zum königlichen Musikus bringen: Tambourmajor im Bataillon Garde, bei dem ich die Ehre hatte, meine dreijährige Dienstpflicht zu leisten.«

Die überständige Henne pflichtete Beifall.

»Mein Mann versteht sich darauf. Man kann von ihm lernen. Umsonst hat er nicht den hohen Orden empfangen.«

»Ad tabulam!« rief der Magister herüber, ließ sich nieder, ersuchte die anderen Platz zu nehmen, sprach ein kurzes Gebet und rüstete sich zu weiteren Taten, indem er die Serviette aufnahm und sie wie ein Barbiertüchlein über Vorhemd und Weste spreitete.

»Gesegnete Mahlzeit!«

Gabel und Messer traten in Aktion.

Wenn auch die Speisenfolge keine Lachsforellen, Rebhühner und getrüffelte Fasanenpastetchen aufweisen konnte, so war sie doch reichlich und den Verhältnissen angemessen.

»Kalbsragout, mit Mürbeteigplätzchen garniert!« meldete das fette Bauklötzchen hinter der Anrichte her.

Herr Bärendonk strahlte.

»Mein Lieblingsgericht! und wenn es so mundet wie das, was meine Frau mir vorsetzte, als mein Herr und König mir für meine restlos ersprießliche Amtstätigkeit die hohe Auszeichnung zu verleihen geruhte, da kann ich nur sagen: ich gratuliere, Herr Schwager.«

»Wird schon, wird schon!« gab der Magister zurück, löffelte sich eine gehörige Portion auf den Teller, langte zu und mußte gestehen: das Kalbsragout war über jede Beschreibung.

»Wirklich vortrefflich!« konstatierte der Steuergewaltige und rief über den Tisch fort: »Nicht wahr, Herr Rentmeister, wir als Beamte und zu Rittern geschlagene Männer, können das in Beurteilung nehmen. Herr Kollege, zum Wohlsein!«

Rinse van Bommel tat ihm Bescheid, nicht ohne dabei auch seinerseits den niederländischen Löwen am blauen Bande mit der Devise: maintiendrai in die Erscheinung treten zu lassen und nachdrücklichst auf seine hohe Bedeutung hinzuweisen.

Adler und Löwe hatten sich in Freundschaft gefunden.

Nicht Rauentaler Ausbruch und Romanée-Conti wurden gereicht, aber der Rotspon war gut.

Seine belebende Wirkung machte die Herzen fröhlicher pochen.

In dem heiteren Stimmengewirr fühlten sich Bräutigam und Braut wie Tauber und Täubchen. Sie sahen weder Rinse van Bommel noch Ohm Bärendonk, weder den niederländischen Leuen noch den preußischen Kuckuck; sie sahen nur sich, hörten nur sich und wußten nicht, was sie gegessen hatten, ob Kalbsragout mit Mürbeteigplätzchen oder ein anderes Gericht, das sie nicht einmal dem Namen nach kannten . . . und sie wären in ihrer Weltabgeschiedenheit noch weiter geschwommen, hätte nicht irgendwoher ein energisches Messer an ein helles Gläschen geklingelt.

Kosman Theophil Banning stand zur Rede bereit.

»Hochverehrte Festgenossen, meine Damen und Herren, Freunde und Gönner! wenn es erlaubt ist, am Hochzeitstage meiner einzigen Tochter zu reden, ihm und ihr das erforderliche Sprüchlein mit auf den Weg zu geben, so möchte ich dartun . . .« und nun faßte er alles zusammen, was er auf dem Herzen hatte, unter Hinweis auf die vergangenen, die gegenwärtigen und die noch kommenden Tage. Dabei spickte er jeden Tropus so kunstfertig mit rhetorischem Beiwerk wie eine Köchin einen abgelederten Löffelmann mit Speckwürfeln. Vom Generellen ging er mit seltener Geschicklichkeit und Ausdauer auf das Spezielle über und wußte durch manuelle Bewegungen seine Rede so anschaulich zu illustrieren, daß die ganze Tafelrunde erstaunte. Gleichsam im Bilde zeigte er einen Lilienstengel herum, als Gleichnis für die Reinheit Johannas, dann wieder einen handfesten Bakel, um hierdurch die Energie und Tatkraft Benjamins in die richtige Beleuchtung zu rücken, unterstützt durch sein biegsames Magisterorgan, das bald wie ein Flügelhorn in verlorenen Waidesgründen, bald wie eine siderische Orgel aus unermeßlichen Lichtfernen ertönte. Nur auf das knarzende Brandleder im abstrapazierten Schuh eines Landbriefträgers verzichtete er dieses Mal, denn was er zu sagen hatte, mußte in Schönheit leben, in Schönheit verklingen . . . und so sprach er denn von der verflossenen Kindheit Johannas, von ihrer Liebe und Untertänigkeit gegen Vater und Mutter und wie sie ein Kleinod im Herzen trage, reicher als alle Preziosen der Welt, bekömmlicher denn alle gefüllten Tresore einer fürstlichen Mitgift: Reinheit der Seele und eine gute Erziehung, wobei der Lilienstengel herumgereicht wurde wie ein Symbol und sinnfälliges Gleichnis. Hierauf ließ er seinen Schwiegersohn in bengalischer Beleuchtung erstrahlen, unter Feuerrädern, singenden Raketen und allen pyrotechnischen Kunststücken und Errungenschaften der Neuzeit. Er wies auf seine harte Jugend hin, auf sein Studium, auf sein theologisches Wissen, von dem er behauptete, ihm hinsichtlich der Tiefe und Gründlichkeit nichts an die Seite stellen zu können. Leichthin wurde auch die Gräfin Kolbe von Wartenberg gestreift, leichthin Wieland abgetan und die Versuchung des Fleisches, um wieder im Bilde den derben Bakel kreisen zu lassen und die Selbstknechtung, die fabelhafte Gesinnungstüchtigkeit, die kernige Gottesgelehrtheit des jungen Klerikers auf den Schild zu heben, jegliches mit makkaronischem Latein gewürzt und mit raren Sentenzen gespickt, die Ohm Bärendonk zur Bewunderung hinrissen. »Ja, meine Lieben,« also segelte er allmählich dem Schluß zu, »amor ac deliciae generis humani, die Liebe und die Wonne des Menschengeschlechtes sind heute versammelt, dem jungen Paar ihre Ovationen zu bringen, und wenn es auch heißt, niemand ist vor seinem Tode glücklich zu nennen, so hoffen wir doch: Gott möge es fügen zu einem ersprießlichen Ende, auf daß sich das Sprüchwort erfülle: In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus autem caritas, oder wenn es erlaubt ist, zu sagen: In notwendigen Dingen Einheit, in zweifelhaften Freiheit, in allen aber schöne und werktätige Liebe . . . und daß es geschehe: Hoch sollen sie leben . . .

Und »hoch!« ging das durch den Saal und nochmals »hoch!« und zum drittenmal »hoch!«, bei welcher Gelegenheit Herr Bärendonk vor eitel Heldenverehrung sich blähte wie ein kalkuttischer Hahn und der junge Lehrer ans Klavizimbalum huschte, um diesem Hoch durch kräftige Akkorde einen Resonanzboden zu verleihen, der nicht zu den gewöhnlichen zählte.

Aber die Ereignisse drängten sich. Neue Genüsse wölkten sich in das Honoratiorenzimmer hinein: ein Duft nach Schweinernem, der den gewichtigen Steuerempfänger sofort aus seiner Ekstase auf epikureischen Boden verpflanzte.

Das gemästete Bauklötzchen hinter der Anrichte meldete an: »Gebratene Mettwürste auf Klabasterboompjesche Art, Sauerkraut mit Kartöffelchen und Erbsenpüree à la van Bebber!«

Potztausend noch mal! und als diese wirklich schwelgerische Darbietung ihr Ende erreicht hatte, gefüllte Täubchen erschienen, von denen der Herr hinter der Theke feierlichst darlegte, sie seien in Hönnepeler Butter gebacken und fett wie er selber, auch des weiteren erörterte, sie würden nicht lange auf den Assietten ausharren, sondern baldmöglichst ein unsichtbares Taubenhäuschen aufsuchen, solches auch eintrat, da hielt es den auf Ruhegehalt gesetzten Steuerempfänger nicht mehr länger, ausschließlich den passiven Festgenossen und Repräsentanten der auswärtigen Familie abzugeben.

Die von seinem Schwager eingeheimsten rhetorischen Lorbeeren geboten auch ihm, sich einen solchen Kranz zu verdienen. So sprach er denn etliche geheime Worte mit Herrn Knörke, was diesen veranlaßte, sich ganz unauffällig ans Klavier zu begeben. Er selber jedoch straffte sich in seiner respektablen Würde, setzte die Knöchel auf das Tafeltuch und steuerte das dreifältig gewulstete Kinn tiefer in die Vatermörder zurück.

Hierauf blinzelte er den Bräutigam an, dann das Bräutchen, dann seinen Schwager, bis jeder der löblichen Korona sein Äugelchen hatte, eine alte Gewohnheit von ihm, auf das Herzhafte und zugleich Joviale seiner immer bedeutsamen Rede vorzubereiten.

Der Magister legte seine Serviette beiseite.

»Jetzt kommt's,« flüsterte er seiner Nachbarin zu. »Ich kenn' ihn. Hohe Begabung . . . ich bitte um Ruhe dahinten.«

»Hohe Festgenossen!« also klang es tief und voll aus der Gießkanne heraus. »Wenn zwei sich verheiraten tun, so haben sie auch den begründeten Wunsch, eine gesegnete Ehe zu führen. Wie solches zu bewerkstelligen, wurde bereits in glänzender Weise erörtert. Noch heute abend, wenn die Sterne am lieblichsten scheinen, werden sie im verschwiegenen Kämmerlein hiermit beginnen, auf daß sich das Wort der Liebe erfülle. Musik!« und neckisch begann es zu klimpern: »Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten, einer reichen Erbin von dem Rhein . . .«

»Hohe Festgenossen! Wir haben Kalbsragout mit Mürbeteigplätzchen gegessen, wir wurden mit gebratenen Mettwürsten und gefüllten Täubchen traktiert, alles vom obersten Ende, aber das Höchste hat doch wohl mein Schwager in seiner unerreichbaren Rede geleistet. Selbst ein Landrat konnte sich ein Beispiel dran nehmen. Kosman, und erst dein Latein! Ein Lavement gelehrter Eingebungen! Das war Heldentum, preußische Festigkeit, preußische Knappheit. Kurz, du hast wie ein königlich preußischer Beamter in gehobener Stellung gesprochen, und ich sehe mich direkt vor ein Rätsel gestellt, daß dir bis jetzt keine landesherrliche Auszeichnung wurde. Ich habe sie, der Herr Rentmeister hat sie, aber du stehst noch aus. Da kann nur ein unverzeihlicher Irrtum vorliegen. Aber ich werde Fürsorge treffen. Videant consules! Dir muß ein Ordensband werden, wenn auch nicht die nämliche Klasse. So will es der König, so will es gute Gesinnung. Aber nur im Herrendienst, im Königsdienst werden solche Insignien errungen, nicht in der Eigenschaft von Proleten und Bürstenbindern . . . Musik!« und der junge Magister trommelte los: »Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte . . .«

»Und Sie, junger Mann,« und Ohm Bärendonk, der joviale Ohm Bärendonk, der gewaltige Ohm Bärendonk, wandte sich direkt an Benjamin Seraphikus Rückert und sagte rund und voll und mit dem Brustton der Überzeugung aus seiner getüpfelten Samtweste heraus, »und Sie, junger Mann, Sie scheinen noch gar nicht zu wissen, in was für eine respektable und gefeierte Familie Sie eingeheiratet haben. Das machen Sie sich klar, junger Mann; dessen seien Sie eingedenk zu Wasser und zu Land, auf der Kanzel und wo nur immer es sein mag. Die Bärendonks und die Bannings sind nicht Leute gewöhnlichen Schlages. Wo ist solcher Mistus an den Füßen zu finden, wo solches Honneur unter der Weste? Hier dieser Orden« – und seine Hand legte sich schwer auf das gepriesene Kreuzlein – »und dort Ihr Herr Schwiegervater« – und dieselbe Hand deutete nachdrücklich auf den alten Magister – »sind die lebendigen Zeugen meiner aufgestellten Behauptung. Honny soit, qui mal y pense! Wir, die Bärendonks, und gleichfalls die Bannings sind mit dem alten niederrheinischen Adel auf ein und dieselbe Stufe zu setzen, verkörpern sie doch gute Gewohnheit, Seßhaftigkeit, Beamtentum, Liebe zum angestammten Königshause und Heldenverehrung. Junger Mann, das beherzigen Sie, dem tragen Sie die Standarte voran, auf daß Sie sich würdig und wert dieser Einheirat machen. Und nun, um dem Gesagten einen kernigen Beamtentakt zu verleihen« – und Ohm Bärendonk, der joviale Ohm Bärendonk, der gewaltige Ohm Bärendonk blinzelte abermals jeden einzelnen an – »kein Hoch, aber ein preußisches Hurra den beiden Familien Bärendonk-Banning. Musik!« und unter den frischen Klängen des ›Torgauer Marsches‹ knallte ein dreifaches »Hurra!« so knapp und gesinnungstüchtig durch den ›Goldenen Anker‹, als würde bei irgendeinem pratriotischen Bankett die Schlacht von Waterloo oder die an der Katzbach gefeiert.

Mit diesem ›Hurra‹ war der Höhepunkt des Festes erklommen. Frau Bärendonk weinte still vor sich hin, Kosman Theophil Banning stand gerüttelt voll heiliger Anerkennung neben seinem Schwager und drückte ihm die Hand, als gölte es, ihm Leib und Seele bis aus den letzten Rest zu verschreiben. Selbst Benjamin mußte es sich eingestehen: »Es ist eine gute Leistung gewesen, etwas anzüglich zwar, aber doch für einen kleinen Beamten nicht ohne.« Wollte man höher hinauf, noch einen stolzeren Gipfel ersteigen – ebensogut hätte man Eulen nach Athen tragen können, und trotzdem . . .

Als das ›Hurra‹ verebbte, das Klavizimbel ausgelärmt hatte, die laute und doch getragene Stimmung sich legte und das fette Bauklötzchen hinter der Anrichte die Meldung brachte: »Achtung, meine Herrschaften! Schlagsahnentorte mit 'nem Gläschen Champagner!« oh, siehe da . . .

Harmlos tat sich die Tür auf, um sich ebenso leise und harmlos zu schließen, und ein freundliches Männchen im Kaftan, das lächelnde Gesicht mit dem rötlichen Bärtchen auf die Seite gelegt, dazu ein verdecktes Binsenkörbchen im Arm, war mit stillen Augen und allseitig grüßend ins Zimmer getreten.

Die Runde verstummte.

Es war eine Stille wie vor einer großen Erwartung.

Aber Mordje ließ sich nicht irremachen.

Mit dem Gang seines Volkes und auf weichen Schuhen trat er vor die gespreitete Tafel, enthüllte sein Körbchen und sagte: »Nichts for ungut, die hohe Versammlung. Ich weiß es: ich bin nicht invitiert zu die heutige Festivität un die vornehme Speisung. Warum auch? Die Leute haben nicht gerne zu tun mit dem mosaischen Glauben. Sie sagen vielmehr: er ist schofel der mosaische Glaube, wenn auch mit Unrecht. Auch ich denke immer: du bist ein Has', hinter dem sich die lärmenden Hunde befinden. Nu, un ich hab' sie nicht gerne am hinteren Hosenboden. Aber im vorliegenden Falle – da kam es über mich wie 'ne prophetische Fügung, un da dachte ich mir: Mordje, mache keine Menkenke, geh' hin . . . un so bin ich dennoch gekommen.«

Er atmete tief.

»Die Herrens un Damens werden verstehen. Ich bin dem Herrn Prediger äußerst verbunden. Er hat mir offeriert ein nächtliches Lager, als ich bin abgewiesen worden mit meine ›aphrosinischen‹ Äpfel von die Paläste der Großen, als sie gerichtet haben auf mir die Flinten mit die tödlichen Rehposten. Er hat mich gewärmt un zu trinken gegeben ein Schälchen mit Kaffee, als ich hinaustreiben mußte in die frierende Kälte. Er hat mir mein Manko beglichen mit drei preußische Speziestaler, obgleich er sich selber ertränken wollte in seinem Elend un seinem armen Schlamassel . . . un ist dabei liebreich geblieben in seiner christlichen Einfalt. Meine Herrens un Damens, das ist es. Der Herr meiner Väter ist davon Zeuge gewesen. Er wird es belohnen. Ich bin nur ein kleiner Mann un ein jüdischer Händler, obgleich über meiner Tür geschrieben steht: Großmagazin for alle Delikatessen der Neuzeit von Mordje Tulpenstiel, Spezialist in andalusischen Früchten. Aber das tut nichts. So bin ich denn gekommen, ihm zu gratulieren zu seinem ehelichen Brautstand, ihm un seiner gnädigen Frau Gemahlin, auf daß der Gott Abrahams sie segne un sie sich bevölkern mögen wie die Halme des Feldes, wenn der Herr Ökonom hat lieblich gedüngt mit dem fruchtbaren Perdukt von die mistenden Kühe. Herr Prediger, gnädige Frau« – und in seinen Augen stand ein zärtliches Leuchten – »ich bitte, gestatten Sie den Gruß eines jüdischen Mannes, nehmen Sie an das Körbchen mit die ›aphrosinischen‹ Äpfel, weil sie überseeisch sind un magnesianische Kräfte besitzen. Sie sind gerne gegeben un werden Ihnen dienen bei Ihrem jetzigen Zustand, bis Ihre Seelen eingebunden stehen im Bündlein der Lebendigen. Zum Wohle bekomm' es, denn ich habe gesprochen.«

»Und wie!« hielt ihm der Ordensritter tönenden Mundes entgegen. »Wie ein Levit, wie ein vornehmes Mitglied der Familie Bärendonk-Banning. Bitte, Mordje, sich an meine Seite placieren zu wollen. Suum cuique! denn auch Sie haben Heldenverehrung. Holla, Markör, ein Gläschen Champagner für Mordje. Musik!« und aus den Tasten rauschte die Weise: »Es ging ein Jud spazieren, wohl in den Maientag . . .« während das Brautpaar sich herzlichst bedankte, Rinse und der alte Magister ihre Voreingenommenheit fallen ließen, die Plätze wieder besetzt wurden und alles sich anschickte, der Schlagsahnentorte die Ehre zu geben.

Hierauf erschien Edamer Käse, von dem delikate Salztränen sickerten: alsdann wurden Zigarren gereicht, Täßchen mit aromatischem Kaffee serviert, vielerlei Späßchen und Erinnerungen ausgetauscht, bis so ums Dunkelwerden herum die Kerzen aufhellten und der ›Goldene Anker‹ sich wie ein glänzender Pfauhahn brüstete.

Dores van Bebber schwenkte sein Troddelmützchen und erfreute sich dieses glänzenden Pfauhahns.

Da aber: »En avant! Stühle 'naus. Tische 'naus . . .

Der junge Lehrer setzte mit einer soliden Polka Mazurka ein, bei der Herr Bärendonk mit Johanna den Reigen eröffnete, Benjamin, aus Mangel an Tanzkunst, gewissenhaft zusah und Mordje Tulpenstiel so heißblütig mit einer dicken Pächtersfrau von einem Ende des Saales bis zum andern chassierte, sich so kavaliermäßig ihrer nicht gewöhnlichen Formen bediente, als wären ihm die feurigen Geigenstriche eines Zigeuner-Primas in die Zehenspitzen gefahren. Ein Rheinländer folgte, dann ein getragener Walzer mit verschiedenen Einlagen und Überraschungen . . . und immer so fort, bis eine gewisse Ruhe eintrat und drei glückliche Menschen sich in einer traulichen Ecke gefunden hatten: Rinse van Bommel, Herr Bärendonk und Mordje Tulpenstiel.

»Prosit und abermals prosit!«

Stolz in der Brust und Heldenverehrung!

»Rinse, wie wär' es? wir als zwei zu Rittern geschlagene Männer, wollen wir uns gegenseitig nicht die Ehre erweisen? denn gleiches gesellt sich immer zu gleichem. Brüderschaft in gehobener Stellung!«

So der Herr Steuerempfänger, und in seiner ganzen Aufmachung, als Beamter und Familienvertreter, stand er da mit gebreiteten Armen.

»Warum nicht, Herr Bärendonk?« und Brust lag an Brust, der niederländische Löwe dicht bei dem preußischen Adler. Ein gemeinsames Trinken folgte, ein Schmollis . . . und Mordje, voll des süßen Weines, sprang zu: »Ich bin auch noch da, meine Herrens,« und drückte beiden einen herzhaften Kuß auf, während Herr Knörke drauflospaukte: »Brüder, lagert euch im Kreise, nach der alten Väter Weise . . .«

»Gott, wo erhaben!« rief Mordje, »un wenn Sie meine ›aphrosinischen‹ Äpfel benötigen . . .«

»Her mit die Äppel . . .!« – und was dann weiter passierte . . .?!

Herr Bärendonk erklärte seinerseits, noch tapfer feiern zu wollen, auch Rinse, desgleichen die Pächtersleute; selbst der Herr Gastgeber war für eine gediegene Fortsetzung des animierten Abends, denn er habe nur eine einzige Tochter zu vergeben, nur einmal Gelegenheit, einen solchen Tag zu begehen, was einen allgemeinen Beifall auslöste und ihm die Ovation eintrug, dreimal bei klingendem Spiel um die Hochzeitstafel getragen zu werden, Mordje voran mit zwei lärmenden Topfdeckeln.

»Heureca! noli turbare circulos meos!«

Aber die jungen Eheleute . . .?!

Schon längst waren sie unauffällig gegangen, hatten sie das gesucht und gefunden, was sie heimlich ersehnten: das Endlichallein und die Stille des Abends.


Im alten Predigerhause standen sie Schulter an Schulter am geöffneten Fenster.

Über ihnen prangte der Himmel in goldenen Sternen. Die Bilder wechselten in ihrem ewigen Reigen. Ab und zu zuckte eine weiße Linie durch den unendlichen Weltenraum. Seltsam duftete der Faulbaum aus den benachbarten Gärten herüber. Die Erde atmete schwer. Ein warmer Brodem erhob sich aus den geworfenen Schollen, hüllte sie ein, gab ihnen das zukünftige Brot des Lebens zu kosten. Irgendwoher schluchzte eine Nachtigall . . . im Schloßpark vielleicht oder drüben am Vorwerk.

Immer enger zog er sie an sich, immer reizvoller duftete das Bündlein zwischen ihren Brüsten.

»O du, mir vom Himmel gegeben . . .

Sie preßte sich an ihn.

»Johanna!« rief er aus glücklichen Wonnen heraus, »nun ist unsere Stunde gekommen.«

Da warf sie ihre Arme um den Nacken eines von Liebe Trunkenen und sagte: »Laß gut sein, laß gut sein!« und alles war gut und schön wie am siebenten Tage und wie aus den Händen des Schöpfers empfangen.

Dann aber . . . viel später und in ihr Träumen hinein . . .

Draußen im Priestergärtlein stand Herr Knörke und sang ein preisliches Lied, das er selber verfaßt und gesetzt hatte, durch die Maiennacht. Und also klang es den Liebenden zu:

»Ich weiß euch ein Häuschen
Am Niederrhein;
Drin ruschelt ein Mäuschen
Tagaus und tagein.

Es schwänzelt ins Läubchen,
Von Rosen umflockt,
Wenn's Waldturteltäubchen
Vom Fichtenbaum lockt.

Und während es schwänzelt,
So gut, wie es kann,
Da kommt schon getänzelt
Ein zweites heran.

Bald funkeln im Kreise
Die Sterne zur Nacht;
Nach Mausemanns Weise
Wird Hochzeit gemacht.

Gott segne das Häuschen
Am Niederrhein,
Denn Häuschen und Mäuschen
Und Läubchen sind dein.«

Gute Nacht, gute Nacht!


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