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22

»Ich will.«

Bald lag der Hof hinter ihr mit seinen regenfeuchten Gärten, seinen glänzenden Dächern und seiner Abendruhe.

Der letzte Gruß des scheidenden Tages hing in den noch immer tropfenden Ästen und Zweigen, aber das Land klärte auf, hatte sich satt getrunken und begann wieder zu lächeln.

In den Rinnsalen und den ausgefahrenen Gleisen standen blanke Wässerchen; andere gurgelten geschäftig durch die langen Ackerfurchen.

Niemand begegnete ihr auf dem weiten Weg, den sie zurücklegen mußte; höchstens, daß verspätete Schwalben ihre Pfade kreuzten oder sie bei ihrem niedrigen Flug fast mit den geschäftigen Schwingen berührten.

Neben ihr flüsterte das schnittreife Korn. Die nassen Halme netzten ihr leichtes Gewand, die Gräser ihre hastigen Sohlen.

An vielen Stellen lag der Winterroggen schon am Boden, während Hafer und Weizen sich noch immer in bernsteinfarbigen Velarien gegen den tiefen Horizont wellten.

Bald darauf kam sie an Parzellen vorbei, die bereits unter dem Pflug lagen, umbrochen und die aufgeworfenen Schollen feinsäuberlich nebeneinander.

Immer emsiger nahm sie den Weg auf.

Er kam ihr vor wie der dornige Pfad, der ins Tal der Tränen führte oder zum Berge des Ärgernisses, nur, daß sie nicht an den einzelnen Stationen verweilte, sondern sie achtlos beiseite ließ, um nur weiter zu kommen. Ihr war alles verschattet, als hätten Dohlenschwärme den Himmel verdunkelt.

Sie sah nicht die verwaschene Ferne, nicht die seltsamen Gebilde, die sich zwischen Firmament und Erde bewegten, nicht die reiche Ernte ihres stolzen Besitzes. Durch die halbgeschlossenen Lider spürte sie nur das Dasein eines unendlichen Raumes. Nichts interessierte sie mehr. Das weite Anwesen bot ihr nur wenig, und war doch sonst der Puls ihres Lebens, ihrer Werktätigkeit und ihre hohe Freude gewesen. Sie hätte den Äckern, Hutungen und dem ganzen liegenden Eigen zurufen mögen: »Ich bin jetzt im reinen mit mir. Laßt mich zufrieden! Mein Sehnen reift doch nicht seiner Erfüllung entgegen. Ihr macht mich nur krank. Indem ich euch lasse, hoffe ich Genesung zu finden.«

Dann verwarf sie wieder die Folgerungen aus diesen wehen Gedanken.

Die schattenlose Stille machte sie schaudern.

Eine starke Hand, eine innere Gewalt führte sie, trieb sie vorwärts und gebot ihr, nicht mehr rückwärts zu schauen.

»Ich will,« kam es ihr von den weißen Lippen.

Aber was wollte sie eigentlich?

Ihm ihre Liebe gestehen? Ihm gebieten: Öffne die Arme; ich will eins mit dir werden? Ihm zuflüstern: Mache Licht in der verschwiegenen Kammer; du weißt noch nicht, wie schön ich bin, aber du sollst es jetzt wissen ... war das der Zweck ihres seltsamen Handelns?

Sie lachte bitter auf: »Und wenn es so wäre, wenn ich mich auch verzehrte nach ihm – das Weib hat seine Schroffen und Kanten, seinen Eigenwillen und sein mimosenhaftes Versagen ... und da sich vergeben?! Nein, ich zähle nicht zu den Rückfälligen im Geiste, nicht zu denen, von welchen die Schriften verkünden; aber vor ihm stehen und zwar Auge in Auge – das will ... ihm sagen: Werden heilige Pakte mit Füßen getreten, werden sie gleich Scheiten trockenen Holzes übers Knie gebrochen und ins Feuer geworfen? Ist mein die Schuld oder fällt sie auf deine Seele zurück?« Eine jähe Erregung und ein aufspringender Haß warfen sich an sie, machten sie ungerecht gegen den, den sie liebte, wie sie den Gekreuzigten liebte, der auf Golgatha starb, begraben wurde, um am dritten Tage aufzuerstehen und bald darauf gen Himmel zu fahren.

Als sie die Schwaterskat erreichte, senkten sich die Dämmerungen tiefer, hatten die niedrigen Fenster bereits ihre Wimpern herunter gelassen.

Noch zögerte sie.

Dann aber trat sie entschlossen, wenn auch klopfenden Herzens, durch das gepflegte Vorgärtchen auf das einsame Haus zu. Die Stockrosen begannen schon ihre vielfarbigen Blütentrauben aneinander zu reihen.

Gleich darauf hob sie den Klopfer.

Dumpf fiel er nieder.

Der Ruf irrte weithin durch den laulichen Sommerabend.

Auf ihr Anpochen öffnete ein flachsköpfiges Ding, das an bestimmten Tagen der Woche beisprang, hilfreiche Hand bot und werktätig wurde.

»Ist Juffer Nakatenus zu sprechen?«

Das untersetzte Mädchen glättete verlegen die Schürze und barg ihre Hände.

»Nein,« sagte sie schließlich. »Für drei Tage ist sie auf Gennep zu, ganz alleine, und ich habe für diese Zeit nach dem Rechten zu kucken und das Haus zu bewahren.«

»Und weißt du, was sie im Holländischen macht?«

»Nein, Madam, das ist mir verborgen geblieben.«

»So! und wann, glaubst du, kann sie zurück sein?«

»Noch heute. Mit der acht Uhrer Post. Von Kleve Schlag sieben. Von Huisberden aus hat sie dann noch 'ne kleine halbe Stunde zu gehen.«

Anna Donsbrügge überlegte.

»Also mit der Klever Post! Jetzt ist es ein Viertel auf sieben. Gut, ich will somit warten.«

»Madam, ich bitte angtree,« und die Kleine komplimentierte sie über den Hausflur in die Diele hinein, fuhr geschäftig über den Sitz eines breitausgelegten Lehnstuhles, als wenn sich daselbst auch nur die Spur eines Stäubchens befände, und sagte: »So ist's kommoder bis dahin. Es wartet sich besser.«

»Merci,« und das zermarterte Weib ließ sich nieder und hörte auf den harten Schlag des Perpendikels, der sich langsam in der hohen Standuhr bewegte, während sich die aufmerksame Dirne an der Lampe zu schaffen machte, sie anzündete und sich dann mit leisem Hüsteln auf Zehenspitzen hinausschleichen wollte.

Anna Donsbrügge rief sie an.

»Kathje, ist sonst niemand zu Hause?«

»Niemand, Madam. Der Herr Deichgräf sollte schon da sein. So hieß es. Aber wie das die Geschworenen- und Deichschöffensitzungen so in der Gewohnheit besitzen – die können nie ein richtiges Ende nicht finden. Die läppern sich immer so hin, von wegen der Gelehrsamkeiten, die die Herren dort haben. Es kann immer noch dauern. Aber ich denke: so'n Viertelstündchen oder so zwanzig Minütchen werden's schon machen.«

»So?!«

»Ganz bestimmt ... und dann kommt er immer müde von's mächtige Schaffen nach Hause. Sitzt aber noch lange. Manchmal die ganze Nacht hindurch, um über seine Arbeit sinnig zu werden ... und wenn er dann bei seinem Rübsenöllämpchen ...«

Kathje, die jetzt Oberwasser bekommen hatte und darin herumsuhlte wie eine Trauerente, holte tief Atem, um sich für eine lange Auseinandersetzung vorzubereiten.

»Ja, Madam, dann sagt Fräulein Jüllecke immer: Kathje, so kann das sich mit dem Herrn nicht weiter begeben. Selbst dem Stärksten müssen dabei die Kräfte mal ausgehen, denn es bedeutet übermenschliches Treiben ... und dann geht sie hin, schüttelt mit dem Kopp und weint still in 'ne Ecke ... und wenn ich mich selber darüber aussprechen dürfte ...«

Die Gutsherrin machte eine stumme Bewegung.

»Es ist gut,« sagte sie leise.

»Ganz mein Standpunkt, Madam, denn wenn unsereins sich darüber aussprechen tun täte, könnte schon was ganz Sonderbares passieren. Und das hat man nicht gern, schon nicht der Scharnierlichkeit wegen und weil man sich sagt: So was kann kein gutes Ende nicht nehmen, tut seinen Krebsgang, quält sich noch so'n bißchen herum, martert sich ab wie der Herr Jesus auf'm kalten Stein in der Kirche zu Wissel, um schließlich mit Gottes Beistand und 'ner Hand voll Kirchhofserde in das ewige Leben zu treten. Das ist ja alles recht schön, aber es paßt nicht für alle, weil jedereins anders gebaut ist und seine eigene Ansicht verwaltet. Ich zum Exempel weise das von mir, weil ich allzeit für die Pläsierlichkeit bin und mich nicht gerne mit's Weinen befasse. Für gewöhnlich ist mir gar nichts zu viel, mit's Aufwaschen, mit's Reinemachen und so, aber sonntags will ich meine Tanzmusik haben.«

»Kathje, hast du nichts mehr zu schaffen im Hause?«

»Gott sei gedankt, eigentlich – nein. Es ist jedes behoben. Mamsell Jüllecke kann immerzu kommen. Meine Arbeit kann sich anpräsentieren. Alles befindet sich in seiner richtigen Aufmachung, an seiner entsprechenden Stelle. Ich bin das gewöhnt von zu Hause. Außer mir sind noch sechse vorhanden, aber noch unbewußt und nicht griffig mit's Werken. Bloß kleines Gemüse, Jungens und Mädchens. Da hab' ich denn meine zugemessene Portion in die Finger. Mutter kann's nicht mehr leisten. Die hat ja wohl so 'ne Art von Überfahrung bekommen. Und Vater erst recht nicht. Er lernte auf Stellmacher, aber man schwach, und da tut er sich lieber mit die Gelehrsamkeit und mit's Feine befassen, weil er so 'nen simulierenden Kopp hat. Immerzu ist er ans Ausklamüsieren und weiß auch, warum wir dieses Jahr den barbarisch heißen Sommer besitzen. Ganz extraordinär, wie er sagt, und das hakt mit dem Martius zusammen, der sich nu als Kometenschwanz am Himmel befindet. Der soll ja unsere Erde ganz besonders erwärmen. Und dann noch der Goldstrom. Statt sich auf Amerika mit seinen heißen Quellen zu dirigieren, hat er sich auf Preußen geworfen und macht jetzt für viere. Aber was die Hauptsache ist: die Erde dreht sich verkehrt herum, immer nach rechts zu ... und wenn ich auch hier mich darüber aussprechen dürfte ... ich meine ...«

»Kathje, es wäre schon besser, du gingest Fräulein Nakatenus ein bißchen entgegen.«

»Ganz meine Ansicht. Hab' ich auch schon gedacht, denn wer so aus dem Holländischen kommt, mit die Klever Post ankutschiert und noch so 'nen halbstündigen Landweg von Huisberden bis auf sein Eigenes hat, so ganz mit sich alleine beschäftigt, der kann schon so'n Quentchen Beistand gebrauchen. Besonders Jüllecke in ihrer Schmerzhaftigkeit und schwülen Verfassung, denn immerzu weint sie, immerzu denkt sie an die beiden, die sich nicht mehr in ihrer Nähe befinden, und immerzu macht sie sich Gedanken darüber: was soll aus dem Jüngsten jetzt werden? Und wenn ich den Herrn Deichhauptmann so in seiner männlichen Forsche und erhabenen Anmut betrachte, wie jedermann ihm sein Honnör und seine Estimierung übermittelt, wie alle ihm nur was Gutes verehren ... und wenn ich dann denke: unser Herr Jesus Christus auf dem kalten Stein in Wissel hat's besser ... und möglicherweise: 'ne Hand voll Kirchhofserde ...«

»Kathje ...!«

Die Stimme klang unwillig.

»Madam, ich verstehe. Aber alles ist ja nur aus purer Liebe gegeben.«

»Kathje, das weiß ich.«

»Nichts für ungut, Madam, und 'ne schöne Verholung. Ich komme bald wieder,« und da ging Kathje hin und nahm den Weg auf, der sie durch den warmen Sommerabend nach Huisberden führte.

Anna Donsbrügge verfolgte die eiligen Schritte, bis sie jenseits des Gärtchens zergingen. Jetzt mußte sie am Vorwerk sein, jetzt bei der großen Wehle da hinten. Kein Ton mehr. Aber noch immer lauschte sie in das ungewisse Schweigen hinein. Auf jedes hörte sie, auf das Flüstern der Bäume da draußen, auf das Knistern des offenen Feuers, das aus der Küche herüberplauderte, auf das Fallen der Kalkpartikelchen, die irgendwo niederrieselten. Neben ihr war ein feines Bohren und Schaben. Der Wurm arbeitete im Holz; auch wähnte sie, zeitweilig den sehnsüchtigen Strich eines Geigenbogens in den verlassenen Räumen zu hören. Todesgedanken drängten sich an sie heran. O, diese langsamen Minuten, diese trägen Viertelstunden! Der Perpendikel schien abgestorben zu sein. Die Zeiger kamen nicht weiter. Jetzt lernte sie kennen, wie es dem ums Herz sein mußte, der gezwungen war, atemlos hin und her wechselnden Schattenbildern auf erhellten Gardinen zu folgen, verlorenen Schritten nachzugehen, auf die kaum wahrnehmbaren Zeichen von heimlichen Klingeln zu lauschen. Sie war zermürbt bis zur Qual, bis zum Weinen. Sie kam sich unwürdig vor, verächtlich, sich eingeschlichen zu haben, hier zu sitzen, zu warten. Auf wen denn? War es nicht eine Entweihung des Weibes in ihr, eine Bloßstellung ihres eigenen Leibes? Was konnte sie ändern, wie ihrem Geschick eine andere Wendung verschaffen? Nichts davon; nur einmal noch: Auge um Auge, ihm sagen: So werden Eide gebrochen ... erbärmlich! aber dieses war letzten Endes auch nur ein Nichts in der Flucht der Erscheinungen.

Schon wollte sie aufstehen, diese Stätte verlassen.

Da glaubte sie Schritte zu hören.

Wie eine Statue saß sie im Sessel.

Abgestorbene Blumen fielen über sie her.

Sie atmete ihren welken Geruch.

Mit weißen Händen die Lehnen umfaßt, waren ihre Blicke weit auf den Eingang gerichtet.

Als er eintrat, fuhr er zurück.

In der unbestimmten Helle der Lampe sah er nur etwas Graues, Verschwommenes, nichts Greifbares neben der Kastenuhr sitzen, regungslos, mit dem stummen Gehaben einer Schwester von der ewigen Anbetung.

Er warf seinen Filz über den Holzpflock, trat näher heran.

Dann sah er.

Mit einem Sprung war er bei ihr.

In ihm rauschte es, brauste es wie in einem Schleusenwehr, in einem kreisenden Tobel.

Alles, was ihn viele Monde gequält, was ihn zermartert mit der unmenschlichen Laune eines spitzfindigen Seelenpeinigers: dies Grauen in ihm, diese Erinnerungen, diese Öde ohne Anfang und Ende, sie nahmen Gestalt an, drückten ihm das Gesicht in den Nacken. Und sie, die da vor ihm saß, gleich einer Beterin in der Kapelle des Heiligen Blutes, in der Selbstverständlichkeit ihres frostigen Schweigens – zu Boden hatte er sie schlagen können, sie erwürgen mögen mit eigenen Fäusten – dieses Weib, diese Begehrende, diese Unersättliche, nur darauf bedacht, sich an zerrissenen, blutenden Männerherzen zu werden.

Nur Lüge um ihn, nur Vereinsamung und grenzenlose Leere.

»Du,« fuhr er auf, »warum bist du gekommen?«

Er stand dicht neben ihr.

Sie rührte sich nicht. Ohne ihn anzuschauen, fragte sie tonlos: »Wen meint Ihr?«

»Ich meine die,« versetzte er hart, »die auf dem Knollenkamp wohnt.«

»Wenn Ihr die meint, so bin ich die rechte.«

»Du – und was willst du in meinen vier Pfählen?«

»Dich sprechen.«

»Warum das?«

Sie stellte sich auf.

Die Hände auf der wogenden Brust, den Kopf erhoben, gerüttelt wie ein Baum in der Sturmnacht, durchdrungen von der Heiligkeit ihres flammenden Zornes, nicht eine Flehende, keine Bittende, sondern Klägerin und Richterin in einer Person, sah sie ihr Ziel fest umschrieben, wußte sie, warum sie diese Schwelle betreten hatte.

»Warum das?« sagte sie ruhig. »Weil es mein Recht ist, mein ureigenes Recht, und weil ich nicht will, daß man mit Fingern auf mich deutet, meinen Namen verunehrt, mich zu denen verweist, die nicht wert sind, an der Kirchentüre zu stehen; weil ich nicht will, daß man heilige Verträge verwirft, sie für null und nichtig erklärt und sie mißachtet, als wären sie aus dem Spülicht gezogen.«

»Wer tut das?«

Das Blut sang ihm in den Ohren wie eine brausende Flamme.

»Das letztere – du! Denke an den Sankt Nikolaus- Abend.«

»Was soll mir der Abend?«

»Erinnere dich. Es war der Tag der Geschenke ... und ich hatte ein Geschenk zu vergeben. Noch klingen meine eigenen Worte mir nach: Ich brauche das Testament meines seligen Vaters nicht des weiteren auseinander zu legen. Ihr kennt es. Herbe Anschauungen, Vorurteile und Eingebungen ließen ihn Ungereimtes diktieren, machten ihn unbillig gegen mich und seine eigenen Äcker. Die Erde verkümmert. Eine tote Hand liegt darauf. Sie ist tot und dennoch lebendig. Sie ist wie die tote Hand der Kirche. Unbarmherzig, gefühllos, immer bedrohlich. Sie greift in die kommenden Tage hinein und zeigt auf das Ende, das ich zu gewärtigen habe, wenn die Schatten des Alleinseins über mich fallen. Warum es noch leugnen: auf dem Knollenkamp ist eine Herrenfaust nötig, ein Wille zur Macht, zur ersprießlichen Führung. Aber das nicht allein. Ohne leiblichen Erben zerrieselt mir alles wie Sand zwischen den Fingern. Aber ich kämpfe darum bis zum letzten, selbst dann noch, wenn ein brutales Geschick sich unterfangen sollte, es mir aus den Händen zu brechen, und weil ich es tue, mag vieles an mir seltsam und befremdlich erscheinen. Ich muß es ertragen um der Gerechtigkeit willen. So redete ich. Jedes Wort liegt mir noch auf der Zunge, als hätte ich es heute gesprochen. Und weiter ...«

Er unterbrach sie.

Sie wehrte ihn ab. Ihre zitternden Nasenflügel waren ruhig geworden.

»Erinnere dich ferner. Es war ebenfalls am Tag der Geschenke ... und ich hatte ein Geschenk zu vergeben. Ich dachte an furchtbare Augenblicke, an jene Minute, wo mir im letzten Ringen die Trosse entglitt und eine wütige Sturzwelle mich in starke Arme hineintrieb. Und daher: vernimm, was ich sagte. Ich bin euch allen verpflichtet, und ihr habt mir Bedenkzeit gegeben. Die Bedenkzeit ist um, ich kann nicht mehr warten, denn wer mich aus dem Bann des Todes gerettet ... und dem meine Hand, der mir das Erbe sichert und mir die Gewißheit bietet: du bist gebenedeit unter den Weibern. – Nein, Arnt, unterbrich mich nicht! Ich bin noch nicht fertig. Ich fühle es: ich habe dein Gedächtnis zu stärken. – Es war an dem nämlichen Abend und hier an der nämlichen Stätte. Ich übergab euch ein Schreiben. Lest es! Aber öffnen sollt ihr es erst am Sankt Thomas-Abend ... nicht früher ... nicht später ... Was dann geschieht, muß ich euch überlassen, und ich habe nur noch zu fragen: Wollt ihr? dann sagt es. Wenn nicht, übergebt es dem Feuer. Nur, gedenket meiner, wie ich euer gedenke in Liebe und Dankbarkeit. Und eure Antwort darauf? Du kennst sie. Mit ehernem Griffel wurde sie mir ins Gedächtnis geschrieben. Mit feurigen Lettern. Die stehen für ewig ... und nun ...«

Ihr Wort brach zusammen, und was sie noch sagte, tropfte ihr wie geschmolzenes Blei von den Lippen herunter.

»Und nun ...? So werden Verträge und feinnervige Pflichten hintangesetzt und schmachvoll gebrochen. Das ist das Ende. Und diesen Bruch habe ich dir vor die Stirne zu hämmern. Drum bin ich hier. Aus keinem anderen Grunde; denn glaube nur ja nicht, ich stünde als Bettelnde auf deinem Grund und Boden, hätte als Bettlerin mein Herz und meine Liebe über deine Schwelle getragen. Nein du, eine Donsbrügge ist doch anders geartet. Sie wandelt durch Reinheit, nicht durch Lust und Begierde. Nichts ist zu hoch für sie, nicht das Höchste im Himmel. Sie mag seltsame Wege beschreiten, aber diesen Wegen haftet kein Schmutz an. Eine Donsbrügge kann bis zur Verzweiflung lieben, aber auch bis zur Verzweiflung hassen. Auch fürchtet sie keinen, und weil sie nicht fürchtet, macht sie sich kein Gewissen daraus, den zur Rede zu stellen, der sie aufs tiefste kränkte und aufs schwerste verletzte.«

Es tobte in ihm.

»Anna Donsbrügge,« keuchte er heiser, »du drehst mir den Verstand aus den Fugen. Was willst du von mir?«

»Nur noch dieses dir sagen: Durch dich wurde das Stillste und Lauterste in mir vergewaltigt, beleidigt ... und so etwas kann ein Weib nicht vergessen.«

Ihre Stimme erhob sich, wurde drohend.

»Frage bei der Juninacht an. Sie steht wider dich auf. Sie ruft dir deine Pflicht ins Gewissen. Vergiß diese Nacht nicht. Ich habe gewartet in dieser Nacht wie eine Verdurstende nach lauterem Wasser. Aber du hast mir dieses Wasser verweigert. In dieser Nacht war die Auferstehungsstunde für mich. Du konntest sie meistern. Du tatest es nicht und stießest mich zurück in die Finsternis des Grabes; denn ich ruhte im Grabe und harrte des Rufes. Diese Nacht hatte Blut auf der Zunge, und von ihrem Herzen sickerte es mit Blutstropfen. Und dieses Blut fiel über mich hin und besudelte mich. Vergiß diese Nacht nicht! Sie steht wider dich auf, sie haftet sich an deine Sohlen, sie wird dein Schatten für immer, denn in dieser Nacht bist du mir gegenüber zum Verbrecher geworden.«

»Was?! ich dir gegenüber? und du: meine Brüder?!«

»Nichts von den Brüdern! und wären sie hier: als Zeugen gegen dich würden sie die Schwurhand erheben.«

»Herrgott im Himmel! Wo sind sie? Ich finde sie nicht. Um deinetwillen sind sie auf der Strecke liegen geblieben ... um deinetwillen ...«

»Höre mich an – du!«

Aber er wollte nicht hören. Weshalb auch? Nur Anklagen, nur Sirenengesänge. Sie bezwangen ihn nicht, sie lockten ihn nicht. Er war von diesem Weibe gesundet. Und wäre sie dreißigmal schöner, und wären ihr die Stimmen des Himmels gegeben, und wäre sie ihm in der Güte und Barmherzigkeit der gnadenreichen Jungfrau erschienen, im Sternenkleid, die weiße Sichel des Mondes unter den Füßen – alles das nahm ihre Schuld nicht hinweg, entsühnte sie nicht, brachte ihm die Sehnsucht nicht wieder, das heiße Verlangen, in ihren Armen das Vergessen zu finden.

Er umgriff ihr Handgelenk.

Sein Gesicht stand dem ihren hart gegenüber.

»Nein – du ... um deinetwillen wurden sie ihres Willens und ihrer Kraft verlustig ... wurden sie ins Wirre getrieben ... verloren sie die Ruhe in der eigenen Heimat ... wurde der Drei-Königsfriede wie ein Fetzen Papier auseinandergerissen ... sollte auch ich ... gedachtest du auch, mir das Zeichen in der gegebenen Nacht auf die Stirne zu brennen, das Zeichen einer unersättlichen Laune ...«

»Und kamst nicht,« versetzte sie bitter.

»Nein, ich wollte nicht kommen, denn ein solches Zeichen rechnet nicht zu den heiligen Münzen.«

Seine Augen zeigten die blitzende Härte des Stahls.

»Du ...!«

Sie war zögernd, fieberhaft in ihrer Bewegung. Langsam hob sie die Hände, preßte sie gegen die Schläfen und sah ihn an, als hätte ihn das Irrenhaus entlassen.

»Verkehre die Dinge nicht,« sagte sie mit schneidender Ruhe, »und wolle nicht zum Richter werden, wo es dir lediglich zusteht, dich mit der Rolle des Angeklagten zufrieden zu geben. Nicht um Haaresbreite verschiebt sich das Bild, das ich dir noch soeben entworfen habe. Pflicht gegen Pflicht und Treue um Treue. Eine heilige Satzung wird nicht mit Füßen getreten. Mein unauslöschlicher Dank gegen euch fand keine Grenzen, und willens war ich, diesen Dank mit meinem Herzblut ausströmen zu lassen. Nur – Verbindlichkeit und Liebe hatten miteinander auf Tod und Leben zu kämpfen. Du weißt es. Auch die Scholle gebot mir. Die Erde, der ich entstamme, ließ mich nicht los und wollte mich haben. Wenn das eine Schuld ist, gut, so bin ich schuldig gewesen. Ich darf nicht deutlicher werden, nicht noch weiter die geheimsten Regungen des Weibes dartun, um nicht in mir die Scham zu verletzen. Aber ich löste mein Wort ein. Die Weihnacht kam, und mit ihr begann die Qual meiner Tage. Ich hatte sie anders erwartet, ich glaubte sie anders zu feiern. Nur der Dank gegen euch und die Sehnsucht nach Mutterschaft hielten mich aufrecht. Und gilt dir mein Wort nicht, frage bei Ewert an, er wird für mich zeugen. Unsere Lippen fanden sich, aber nicht unsere Seelen. Und dennoch ... auch ohne Neigung zu ihm, auch ohne in ihm den Traum meiner Nächte zu sehen – ich hätte ihm mein Magdtum gegeben und wäre doch die Unbefleckte und Reine geblieben, denn meine Sinne trugen keinen Makel, lehnten es ab, den Schmuck der Lauterkeit preiszugeben.«

Ein verzweifeltes Lachen.

»Die Unbefleckte und Reine ...?! das weiß ich. Der Stein wollte nicht brechen, das Eis nicht zerschmelzen, gleichviel, ob darüber ein Gezeichneter in das Grauen hineinstieren mußte. Nach mir die Sintflut. Ein neues Opfer war fällig. Das Weib hat Nerven wie Stricke. Ohne Besinnen, das Skapulier zwischen den Brüsten, geht es still seines Weges, um anderen Tages dasselbe Abenteuer in Worten, dieselbe Szene, das nämliche Schauspiel zu bieten. Für dich begannen die Osterfeuer zu brennen. Und du ... dein schamloses Licht entweihte die Gegend, die Nacht der Auferstehung. Ich sah es leuchten, als der Rhein unruhig wurde, ich sah es locken und winken, als die Menschen um einen paradiesischen Frieden beteten ... und war nahe daran, an Gottes Dasein zu zweifeln.«

»Schweige! Verkehre auch hier die Dinge nicht, zeige auch hier keine falsche Medaille! Nichts änderte sich, und nenne nicht Opfer, was diesen Namen nicht trägt, nicht tragen konnte und durfte. Ein Opfer ist anders. Ich erbat und brauchte kein solches. Wer zu opfern hatte, war allein ich, war das geknechtete Muß einer stillen Entsagung. Er hatte zu nehmen, und es lag nicht in meinem Ermessen, nicht in meinem Willen und Wollen ... Auch hier: ich fühle mich schuldlos, frei von Sünde und Anfechtungen. Es war eben anders beschlossen. Vielleicht zum Guten beschlossen. Ohne Groll im Herzen schieden wir ... und wenn du noch mehr willst ...«

Sie verstummte. Ihre Augen glänzten wie Florentiner Steine.

Sie konnte nicht weiter.

Sie sah die Lampe nicht mehr, nicht den milden Glanz, der von ihr ausging und alles vergoldete, was sie mit ihren zarten Schleiern erreichte. Was weiter noch? Sie hatte nichts mehr zu sagen. Ihre Mission war zu Ende ... und sie wäre gegangen, hätte sie nicht eine Hand auf ihrem Arm gespürt und nicht die bittere Frage vernommen: »Also ohne Groll im Herzen seid ihr geschieden?«

»Ja – du, ohne Groll und Entfremdung im Herzen.«

»Und ich ...?!«

Das pochte bei ihr an mit eisernen Fäusten.

»Johannistag! Da war ich an die Reihe gekommen ... sollte auch ich deine Reize bewundern ... an ihnen ersticken ... sollte auch ich den duftigen Hauch deines Haares genießen ... den Schlag deines Herzens verspüren ... in deinen Armen erschauern ... die gestammelten Laute vernehmen: Das alles will ich dir geben ... um dann wie ein welkes Blatt vom Baume zu taumeln.«

Sie mußte sich halten.

»Arnt, das ist furchtbar.«

»Wäre es das nur! Aber ich sehe tiefer, viel tiefer ...« und seine Stimme war wie die eines Gehetzten: »Meine Kraft ist verzehrt. Du hast mein Dasein vergiftet. Weib, wo steckt deine Liebe? Weib, du entsetzliches, wo nimmst du die Stirn her, so mit Herzen zu spielen, so Manneswert und Mannessehnsucht mit Füßen zu treten? Aber so seid ihr. Kaum, daß ihr euch fühlt, kaum, daß eure Brüste zu reifen beginnen, kaum, daß ihr wißt, welche Macht in euch wohnt, welche Verheißung ihr ausbüschelt, saugt ihr einem das Blut aus den Adern, stellt ihr uns den Fuß auf den Nacken, schön wie ihr seid, begehrenswert bis zur letzten Maser und Faser ... nur aus der widernatürlichen Sucht heraus, euch an unseren Qualen zu weiden. Aber ich danke meinem Herrn und Schöpfer: dieser Kelch ist an mir vorübergegangen. Noch bin ich nicht der Knecht meines Blutes ... und dürfte ich dein Höchstes zerstören, es hinnehmen unter dem Vorbehalt, dem Hof einen Erben zu geben, deine wahnwitzige Gier nach Scholle und Besitz zu stützen, sie zu verwirklichen – ich weigerte mich, ich wiese dich ab, denn die Erkenntnis ist mir schon lange geworden: unter diesem Geheiß – meine Liebe zu dir wäre in deinen Armen gestorben. Geh' nur! Was willst du noch hier? Warte nicht länger! Du und ich, wir haben keine Gemeinschaft zusammen. Ein Gletscherweib ist wärmer, als du bist.«

Sie zuckte auf wie unter dem Hieb einer Peitsche.

»Das mir, wo meine Seele dich suchte?!«

»Du hast es so gewollt.«

Ein verzweifelter Aufschrei.

Sie streckte die Hände.

»Ich sehe ...! Du – was ist über deinen Scheitel gefallen?«

»Schnee und Rauhreif, von der Osternacht her.«

»O du, erbarme dich meiner! Um meinetwillen – diese Farbe des Leides?! Arnt, Arnt, Arnt! verdamme mich oder sprich mich selig. Es ist in deine Hände gegeben. Erwürge mich oder führe mich in das Land der Verheißung. Tu, was du willst. Ich habe nichts zu verlieren. Aber ich bitte dich: quäle mich nicht, glaube mir doch. Habe Mitleid mit mir. Ich halt's nicht mehr aus. Du weißt ja nicht ... und kannst es nicht wissen ... und mußt es doch hören ... denn siehe ...«

Sie schwankte.

Mit aller Gewalt versuchte sie es, sich aufrecht zu halten.

»Und du – du mußt es doch hören ...«

Sie tastete um sich.

»Arnt, dieses Dunkel ...!«

Da sprang er zu, um sie vor dem Fallen zu hüten ... und sie, die er so bitterlich haßte, so bitterlich kränkte und dennoch so bitterlich liebte, war jetzt in seine Arme gegeben, hilflos wie damals, als er die Hand des weißen Todes zurückschlug ... mors imperator ...! Genau so wie in jener furchtbaren Stunde: sie erstarrte an seiner Brust, um sich mit einer jähen Bewegung rücklings zu werfen. Sie stemmte sich gegen ihn an, ihre Lippen zuckten, stammelten, flehten: »Ach du, hättest du den Weg doch gefunden ... in jener Nacht, die dem Täufer geweiht ist ... Wärest du doch gekommen ... in Liebe zu mir ... in Vertrauen zu mir ... Arnt, Arnt, du wärest nie mehr gegangen ... nie mehr im Leben ... Kein Licht sollte uns scheinen ... kein Stern uns leuchten ... in selbiger Nacht – die Flammen unserer Herzen sollten uns leiten, uns führen ... ewig und immer ... eins geworden bis an das Ende der Tage.«

Ihr Haupt sank vornüber.

»Das ist nun dahin. Ich sehe das Ende. Arnt, lebe wohl!«

»Du bleibst!«

Himmel, was war das? Zerriß die Finsternis? Sprach es aus ihr mit Engelszungen heraus? Offenbarte sich ihm die Frauenseele in ihrer schrankenlosen Schönheit und Selbstverleugnung? War es das Licht, das ihm leuchtete wie das Licht der Gewißheit?

Er umschnürte sie fester.

»Du,« keuchte er auf, »das alles wolltest du geben?«

»Alles, alles!«

»Auch ohne den Schrei nach dem Kinde?«

»Ja, auch ohne den Schrei nach dem Kinde.«

»Und nur aus Liebe zum Manne, aus Liebe zu mir?«

»Ja du – nur aus Liebe zum Manne, aus Liebe zu dir.«

»Und hättest alles von dir getan, Hof und Haus und alles, was dein ist – um meinetwillen?«

»Ja – um deinetwillen, nur aus Neigung zu dir.«

»Und meine Brüder ...?«

»Ich suchte nur dich.«

»Himmel und Seligkeit ...!«

Die Fliesen erschütterten unter seinem Fall.

Ihr zu Füßen, die hämmernde Stirn in ihren Schoß gepreßt, die Arme um ihren stolzen Leib geschlungen, zurückgestoßen in sein eigenes qualvolles Nichts, gebrochen vor ihr, in Reue und Schuld schrie er ihr zu: »Kannst du vergeben?! Ich bete dich an. Selbst mit geopfertem Magdtum – du wärest die Unbefleckte geblieben, die Hohe, die Reine. Lerne vergessen! Küsse mich – du ... entsündige mich ... lege mir die Hände auf, auf daß ich gesunde ... Anna, Geliebte ...!«

Und sie legte ihm die Hände auf, die schuldlosen Hände.

Ein langer, verwunderter Blick irrte auf ihn nieder.

Ihr Haupt sank immer tiefer und tiefer, bis ihre heißen Lippen seinen Scheitel berührten.

»Sei still, mein Freund, auf daß ich die Sprache deines Blutes vernehme.«

»Du – und willst du mein Weib sein?«

Sie lächelte.

Verworrene Bilder drängten sich an sie: schöne und herbe.

»Frage die Brüder,« sagte sie in stiller Ergebung. »Da gibt es noch vieles zu sorgen. Auch ihrer müssen wir in dieser Stunde gedenken. Sie sind uns die nächsten. Das weißt du. Frage die Brüder. Ohne sie fehlte unserm Glücke die Weihe. Das wirst du nicht wollen. Heiße sie kommen, und ich will dein Weib sein, wenn sie dich zu mir geleiten, wenn sie mir sagen: Wir bringen dir den, den du suchtest mit der heiligen Inbrunst einer Schmerzensreichen, eines liebenden Weibes.«

Ihm war es wie Licht und Gesang.

Und dann kam Jüllecke ...

Und der Himmel öffnete sich.

 

Wer in den nächsten drei Tagen an den kleinen Gehöften vorbeiging, glaubte sein blitzblaues Wunder zu sehen. Die Schwaterskat prangte schon längst, aber jetzt prangten auch die Schleufers- und die Osterkat.

In den Gärtchen war das Unkraut gejätet, waren die Wege neu bekiest, standen die Rabatten in schönstem Sommerflor: Levkoien und Tausendschönchen.

Und wie alles so wohnlich erschien! Keine geblendeten Luken mehr. Gute Gesinnung und Sonne hatten freies Angtree, wie Jüllecke sagte. Hinter den Fenstern hingen frische Gardinen, und die blankgeputzten Scheiben sahen erwartungsfreudig und mit weitgeöffneten Augen in das ernteschwere Land hin.

Das ganze Sommerglück des Jahres ruhte auf Jülleckes Schultern. Etwas wie Schöpferfreude kam über sie.

In müheseliger Arbeit hatte sie zwei lange Briefe verfaßt, sie fünffach petschiert und dann eigenhändig auf das nächste Postamt getragen, mit der rührenden Bitte, sie ja nicht liegen zu lassen, sondern sie umgehend zu befördern.

»Mynheer Postmeister,« fügte sie heimlich hinzu, »der eine macht nach Hochporten hin, der andre nach Gennep. Hoffentlich passiert ihnen nichts, denn ich hab' so 'ne Bange.«

»Nur keine Sorge. Ich rekommandiere sie extra, und was in meinen Kräften steht ...«

»Mynheer, diese Güte!«

Am nächsten Tag fragte sie nach, ob sie besorgt worden wären.

»Schon längst über alle Berge,« lachte der Posthalter und ribbelte die Hände zusammen. »Nu wird die Sache schon werden, bei Euch und da drüben.«

»Wird sie, und meinen geneigtesten Ausdruck.«

Auch mit dem Baumannshof stand sie in reger Verbindung ... und als sie eines Vormittags von dort zurückkehrte, sah sie eine schneeweiße Taube über den Katen schweben.

In zierlichen Kehren und Wenden schraubte sie tiefer.

»Die Taube des Friedens,« schluchzte Jüllecke. »Gleich läßt sie das Ölzweiglein fallen.«

Freudigen Herzens sah sie auf das schneeweiße Wunder.


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