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6

Die Tage vergingen.

Über den Feldern, die den Hof von allen Seiten umrahmten, stand eine glutheiße Sonne. Sie schaffte gleich einem Feuerofen, leckte aus den Pfützen die stehenden Wässerchen, machte das Laubwerk der Bäume schlaff und verdrossen und schien eine unbändige Freude daran zu haben, tiefe Risse durch die lehmigen Wege zu drillen.

Vom frühen Morgen bis in die atlasfarbige Dämmerung hinein, währte dieses Sengen und Brennen, dieses blutwarme Atmen. Die Gräser verloren dabei ihr Wispern, die Heimchen ihr rätselhaftes Wetzen. Dafür arbeiteten die Sensen um so emsiger über den knochentrockenen Boden, flimmerte die Luft, sanken die Halme mit leisem Sirren nebeneinander, reihten sich Garben an Garben. Die meisten Roggenschläge waren bereits niedergelegt. Es duftete nach frischem Brot und welken Blumen, nach Kronenwicken und Kornraden.

Wagen fuhren ab und zu. Unter der Fülle des eingeheimsten Segens knarrten die Felgen, ächzten die Leiterbäume.

Auf den abgeernteten Parzellen ließ Strückerjans seine wolligen Schwadronen weiden. Mit seinem Marschallstab regierte er die vielhundertköpfige Herde, führte die gewagtesten Evolutionen aus und trieb geruhsam weiter, langsam den Schnittern und Binderinnen folgend, die freie Bahn für ihn machten. Gleichgültig sah er auf die braungerösteten halbnackten Weiber. Die Kruppen hoch, die vollen Brüste am Boden, rafften sie die Ähren zusammen. Ihr gebückter Gang ähnelte dem von brünstigen Tieren. Strückerjans stierte über sie fort. Was sollten sie ihm? Seine Tage waren gewesen, seine Sinne ausgebrannt, die Arme nicht mehr gelenkig genug, eine Dirne zu schwenken und ihr die Stunde vergnüglich zu machen. Nur noch die ›Blüten und Perlen christkatholischer Andacht‹, der Herr Kaplan, der an Gottes Statt die Kinder belehrte, die Traktätlein des ›Klever Volksgenossen‹ und seine Rambouilletböcke hatten ihm etwas zu sagen, nicht mehr die Weibsbilder. Die waren tot für ihn, nur Asche und Schlacken.

Die Sonne stand scheitelrecht über seinem breitrandigen Strohhut.

Das züngelnde Firmament tat ihm wohl, kräftigte ihn, ließ ihn größer und freier erscheinen.

Von Zeit zu Zeit wedelte es über den Rheindamm, säuselte in die Pappeln hinein, die den Knollenkamp umstanden, und raschelte die müden Blätter lind gegeneinander.

Dann zog ein angenehmes Lüftchen herauf.

Knechte und Mägde hatten eine kurze Pause gemacht, um sich zu verschnaufen und den tropfenden Schweiß von der Stirne zu wischen.

Auch die Gespanne verholten sich im Schatten der Geschirrkammern und Tennen.

Es war um die dritte Nachmittagsstunde.

Anna Donsbrügge stand am Fenster und sah über den Hof fort.

In ihrem schwarzen Kleid, das nur das Weiße ihres Nackens und ihrer Hände hervorschimmern ließ, das braunrote Haar auf dem Hinterkopf zu einem schweren Knoten vernestelt, in ihrer hohen Gestalt und dem Ebenmaß ihrer Glieder sah sie einer Priesterin ähnlich.

Sie hielt ein zerknittertes Schreiben zwischen den Händen, dessen Inhalt sie erregt haben mußte.

Ihre junge Brust atmete schwer.

Die nunmehrige Gutsherrin war nicht allein in der Stube.

Hinter ihr erhob sich von Zeit zu Zeit ein unwilliges Scharren und Räuspern.

Sie achtete nicht darauf, schien vielmehr diese aufdringlichen Zeichen überhören zu wollen.

Das währte so einige Minuten hindurch.

Da hob es sich knorrig und entschlossen aus dem benachbarten Lehnstuhl. Mit harten Schritten trat es hinter sie, räusperte sich nochmals, wobei die Hand Jan-Ohmes etliche Male auf die Tischplatte klopfte.

»Anna, ich bitte mir aus ... ich bin weder gekommen, die Müßigen zusammen zu treiben, noch Mäuse zu fangen, sondern um ganze und schiere Arbeit zu leisten, wenn auch unter Beobachtung der äußersten Ruhe. Ich kann mir nicht helfen, aber offen gestanden: es stinkt zwischen den Fichten; das kann und darf nicht so bleiben. Was der Alte mit seinem unbarmherzigen Bakel durcheinander wirbelte, ist wieder stetig und nüchtern zu machen. Da hilft kein Sichsperren. Wer im Glanze Jerusalems stehen will, muß auch trompeten. Ohne dieses gibt es keine richtige Erleuchtung auf Sion. Gottverdammich nochmal!« – und Jan-Ohme zupfte seine Vatermörder bis zu den Hasenpfötchen hoch und pflasterte seine Sardellen enger zusammen – »entweder du willst aus der Predullig heraus, dann sag's man, und Ohm Baumann deichselt dir das verfahrenste Gespann wieder auf die blanke Chaussee, ohne dabei größere Molesten zu haben; o kontrollör ziehe ich Leine, kutschiere ab und beseh' mir den Knollenkamp von der anderen Seite.«

Sie fuhr hastig herum. Ihre Augen begehrten auf.

»Ich will ja.«

»Dann bitte.«

Er machte eine einladende Bewegung. »Nimm Platz und lies das Testament noch einmal von oben bis unten. Wenn es auch weh tut: zwei Pillen hintereinander geschluckt, geben erst die wahre Besinnung, sonst kann unsereins nicht die Schnirkel und Schnörkel verdauen, noch herausdividieren, was der Alte eigentlich mit dem fatalen Brimborium bezweckte. Der Notarius schreibt, was der sture Bauer ihm hersagt; aber so'n Bauer wirft oft Schnitzel und Späne in so 'nen Schriftsatz hinein, die keine zehn ausgemisteten Ochsen zu fressen vermögen. Also nochmals von vorne,« und Jan-Ohme nahm wieder seinen früheren Platz ein und schlug, nachdem sich auch Anna niedergelassen, seine kurzen Beinchen übereinander, kraute sich den niederrheinischen Schädel und sagte: »Nu aber flott von der Leber herunter. Nicht der Verhältnisse halber, sondern der näheren Umstände wegen – ich höre. Noch eins! Hast du schon früher von der hundsmiserablen Testierung Kenntnis genommen?«

»Nein.«

»Also dann erst, als er in Kraft seiner Großmogulei damit drohte, alles wie Kraut und Rüben zusammen zu kloppen – nur aus dem Grunde heraus, sich wie 'ne Bulldogge auf 'ne falsche Idee und 'ne konfuse Sache zu werfen?«

»Ja, dann erst.«

»Natürlich! König und Königsfahne, die kannte der Mann nicht, keine große Andacht, nicht den Schwung nach Höherem. Von Gottes Gnade König – das paßte ihm nicht. Aber von Gottes Gnade Papst und Bischof, Pastor und Vikarius – das lag ihm. Und was sagte Christus? Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes. Wo blieb das? Das Beste hatte ihm das Demokratentum aus der Seele gefressen. Ohne Königsfahne ist der Mensch ein Schwarbelkopf, der nichts prestiert in der Welt, sich höchstens vor eigener Wichtigtuerei selbst überkugelt. Doch jetzt man vorwärts! Ich warte.«

Er nahm seinen Stock, stellte ihn zwischen die übergeschlagenen Schenkel, stützte Hände und Kinn auf die Krücke und sah erwartungsvoll, dabei mit kriegerischem Behagen auf seine Nichte.

Diese begann langsam zu lesen: »Heute, da man schrieb nach der Geburt unseres Herrn ... erschien vor Notar und Zeugen der vom Knollenkamp, seines Namens Stephan Donsbrügge, aller Geisteskräfte mächtig, und diktierte dem instrumentierenden Beamten seinen letzten Willen von Todeswegen also in die Feder: Ich Stephan Donsbrügge, domiziliert auf dem Knollenkamp, zu Bylerward und im Kreise Kleve gelegen, Bevollmächtigter, Schöffe und Großgrundbesitzer, bestimme und verfüge hiermit, daß hinsichtlich meines Nachlasses, bestehend in Häusern, Katen, Scheunen, Schuppen und Ställen, in Ländereien, Wiesen, Hutungen und Schleusenwerken, in Grundzinsen, Renten und Pachtgeldern mitsamt dem ganzen lebenden und toten Inventar, es wie nachstehend gehalten sein soll.

Zum ersten: Um Gotteswillen und um in der Todesstunde ein mildes Sterben zu haben: die Flurparzelle in der Gansward, nebst anhaftenden Gerechtsamen, der Kirche von Wissel. Alljährlich ist dafür ein Seelenamt am Altar zu den sieben Schmerzen Mariä zu halten.«

Jan-Ohme meckerte: »Kuck' einer mal an! Das Geistliche ist doch sein besonderer Kasus gewesen. Hat sich 'nen Heiligenschein zugelegt wie 'n Kaplänchen! Kann man verstehen, und ist nichts dagegen zu sagen. Man weiter.«

»Zum andern: Der ehrsamen Jungfer Katharina van Meerwick in Winnental dreitausend Kronentaler. Die ihr bis jetzt alljährlich zugebilligten drei Malter Gerste sind weiter zu liefern.«

Der alte Herr zuckte auf wie von einer Tarantel gestochen.

»Kriegst du die Motten! Nu wart 'mal! Wenn ich nicht irre und mich nicht im Datum versehe ... Richtig, ganz richtig! Die war's ja ... um derentwillen ist deine selige Mutter ... So'n Gestell und solche Waden hatte das Fraumensch ...« und der ungehaltene Gutsbesitzer stellte die gewölbten zehn Finger gegeneinander, als müsse er damit eine zehnpfündige Runkelrübe umgreifen.

»Aber Jan-Ohme ...!«

»Auch gut! nicht der Verhältnisse halber, sondern der einfachen Umstände wegen ... doch immer man weiter.«

Er schüttelte bedenklich den Kopf, räusperte sich und stützte Hände und Kinn wieder auf die beinerne Krücke.

»Zum letzten,« und Anna Donsbrügge las mit freier und offener Stirne: »Als präsumtive Haupterbin, die gehalten ist, die oben angeführten Legate nach bestem Wissen und Wollen, dazu auf Heller und Pfennig, in die zustehenden Hände zu legen, wird hiermit meine ehelich erzeugte Tochter, überhaupt mein einziges Kind, in aller Feier und Form und wie Rechtens bestellt, auf daß es ihr wohlergehe und sie noch lange lebe auf Erden.«

»Bravo!«

»Doch mit dem Vorbehalt,« las die vom Knollenkamp weiter, »daß sie ihr Magdtum höchstens auf drei Jahre befristet und sich binnen dieser Zeit nach einem Hochzeiter umsieht.«

»Halt!« fiel Jan-Ohme heftig dazwischen. »Was heißt das?«

Er stieß einen Pfiff durch die Zähne und sagte: »Was ich vor 'nem Momang schon behauptete, das wird nochmals munter: es beginnt zwischen den Fichten zu stinken. Den Passus von neuem. Die Stelle muß man doppelt und dreifach genießen, 'ne gute Bohne kann öfters die Kaffeemühle passieren. Also ...?«

Er öffnete den Mund und drückte die rechte Ohrmuschel vor, um besser hören zu können.

»Doch mit dem Vorbehalt,« klang es ihm zu, »daß sie ihr Magdtum höchstens auf drei Jahre befristet und sich binnen dieser Zeit nach einem Hochzeiter umsieht, denn ich will mein Anwesen zum mindesten gesichert wissen im Blut meiner Enkel. Kurzum gesagt: Cornelis ten Berg, den ich ihr zugedacht hatte, hat sie von sich gewiesen, auch nach anderen Standesgemäßen keine Umschau gehalten. Ich sehe mich daher gezwungen, meine letztwillige Verfügung noch präziser zu geben. Ich bestimme somit: Bleibt sie bei ihrem unqualifizierbaren Benehmen, also mit Willen in der Jungfernschaft sitzen, ist sie nach drei Jahren des Hofes verlustig und hat sich mit dem zufrieden zu geben, was ihr der Code civil im äußersten Notfall zugesteht. Hingegen: sollte sie sich doch noch wider Erwarten und um meiner Seele Seligkeit willen mit Cornelis ten Berg verbinden ...«

»Nanu!«

Jan-Ohme war erregt an ihre Seite getreten.

Sein Kopf glühte.

»Und du ...?« fragte er hastig.

»Ich habe keine Antwort darauf,« sagte sie eisig.

»Merci. Ganz meine Ansicht. Avanti!«

Er setzte sich wieder.

»Hingegen: sollte sie sich doch wider Erwarten und um meiner Seele Seligkeit willen mit Cornelis ten Berg verbinden, bleibt alles beim alten, auch dann, wenn sie sich einem anderen Standesgemäßen ankopuliert und mit diesem in den nächsten fünf Jahren leibliche Kinder erzeugt. Wenn dieses nicht zutrifft ...«

Anna Donsbrügge verstummte.

Mit einem schweren Seufzer ließ sie das Schriftstück herunter.

»Gib her,« gebot Jan-Ohme, nahm ihr das Testament aus den Händen und las mit gerunzelter Braue: »Wenn dieses nicht zutrifft, sie also mit Letzterem keine Nachkommen erzielt, fällt das totale Gewese nach besagter Frist, ohne mit einem Sparren und Halm auf sie und ihren Mann überzugehen, dem Cornelis ten Berg zu Emmericher Eiland erb- und besitztümlich zu eigen. Warum das geschieht, darüber zu reden, bin ich keinem verpflichtet. Ich nehme es mit mir und werde mit Gott drüber sprechen.«

Er knüllte den Schriftsatz zusammen.

»Wa ... wa ... wa ... was?!«

Alles kreiste um ihn: die Stühle, das blanke Porzellan und die polierten Messingkannen, die auf der Anrichte standen.

»Wa ... was?!«

Mit benebeltem Kopf streckte er sich, legte seine Sardellen zurecht und donnerte den Schlußsatz herunter: »So geschehen in der Amtsstube des instrumentierenden Notars und am Tage, wie eingangs gemeldet.«

Er schnappte nach Luft.

»Also am Tage, wie eingangs gemeldet! Brav so! Gar nicht übel! Aber diesen Tag soll der Hund frikassieren. – Respekt vor dem Toten! Indessen, wenn einer so'n Machwerk verfertigt ... Herr Jeses! das dir, dem einzigen Kind meiner seligen Schwester, im Namen des Königs?! Der König bedankt sich dafür, und du mußt dich gleichfalls bedanken. So herausgeschmissen zu werden aus seinem Leben und Eigen, so von 'nem Grund und Boden herunter, der dir angehört, als hätte dich der liebe Gott aus dem Lehm der eigenen Mergelgrube geknetet! Das sollte ihm passen, dem da vom Emmericher Eiland. Das ist ja, um aus dem Tempel des leibhaftigen Gottes zu fahren! Aber man sachte ...«

Die beinerne Krücke fuhr krachend auf die Tischplatte.

»Ha!« legte er los, »da haben wir jetzt die erwartete Stunde. Lange genug hat sie schon auf der Lauer gelegen, bevor sie die Kurasch fand, Parade zu machen. Nu steht sie vor uns, in Transtiefeln, mit aufgekrempelten Ärmeln. Sie will was, sie läßt sich nicht abweisen. Sie ist stur wie'n Sägbock. Das kann ich verstehen ...« und seine Stimme geriet aus der bösen Trift und gelangte in ruhiges Fahrwasser. Aber auch dieses Fahrwasser hatte seine Untiefen, seine Nucken und Naupen, seine zugemessene Portion verbissenen Ingrimms ... »Wir haben uns mit ihr abzufinden und ins Einvernehmen zu setzen. Aber man bloß dusemang und fortepiano. Ich meine, wie soll das nun mit dem Hof und deinem Mägdetum werden? Da hilft kein Mundspitzen. Durchkalendern müssen wir uns. Mit's Nachsimulieren wird keine Fundamentierung geschaffen. Das Testament verlangt Butter bei die Fisch' und neue Kartoffeln. Sonst können wir uns als saure Heringe einmachen lassen. Was hier zwischen den Zeilen steht, ist mit Knüppeln geschrieben. Mit Knüppeln müssen wir auch dagegen anoperieren. Heraus aus dem Modder und Mistus! und ich habe bloß die Frage zu stellen: Wie denkst du darüber? Was hast du, mir, deinem Ohm, dem Bruder deiner seligen Mutter, zu offerieren, damit wir ins reine gelangen? Ich warte auf Antwort.«

Ruhig begegnete sie seinen kalten Blicken.

Dann machte sie eine abwehrende Handbewegung, als wenn sie sagen wollte: »Jetzt nicht, in diesem Augenblick nicht. Was ich zu tun gedenke, darüber habe ich mir noch keine Ansicht gebildet. Lasse mir Zeit, um mich in aller Ruhe zu sammeln.«

Langsam wandte sie den Kopf mit der stolzen Flechtenkrone.

Das heiße Sonnenlicht fiel über sie her und ließ das braunrote Haar in Glorie aufleuchten.

Draußen hatten Knechte und Mägde die Arbeit wieder aufgenommen. Der Hof knackte in allen Fugen und Gelenken. Leiterwagen, mit doppelten Gespannen belegt, fuhren abermals zu. Von der nahegelegenen Wegscheide drang das Prusten und Fauchen der Dreschmaschine herüber. Der warme Duft nach frischgeworfenen Garben legte sich schwer über Scheunen und Kornspeicher. Überall das Geben und Spenden der fruchtbaren Erde, das Darbieten einer gesegneten Mutterschaft. Ach, wie hatte diese Erde sich beblümt und geschmückt, als sie in lauen Frühlingsnächten das Empfangen vorbereitete! eine üppige Frau in der Fülle der Schönheit, vom Regen genäßt, von der Sonne gestrählt, in köstlichen Sommernächten vom Sternenfeuer überglitzert, während von den Altwassern des Rheines her die Rohrdrosseln und Schilfsänger ihre Liebesrufe herüberjubelten. Bald darauf war eine heiße Welle gekommen, hatte ihre braunen Glieder gestreichelt, sich erfreut an dem Ebenmaß und dem Wohlergehen ihres gesegneten Leibes. Nun war sie Spenderin geworden, Gebärerin, allgütige Darbringerin, Mutter unter dem geheimnisvollen Klingen der Sensen und dem Niedergleiten von Myriaden säuselnder Halme und Ähren, um glücklich zu lächeln und wiederum dem heiligen Mysterium des Empfangens entgegenzuharren. Und sie, Anna Donsbrügge, sah das alles und fühlte das alles. Sie fühlte sich eins mit dem hingestreckten Ackerland, ohne des Empfangens und der Befruchtung teilhaftig zu werden. In diesen Augenblicken doppelt und dreifach. Sie sah sich durch die endlose Weite schreiten. Die Felder rauchten. Die Erde atmete schwül. Überall flüsterten selige Stimmen, die Stimmen des Erschauerns und der Liebe. Ein Seufzen und Lallen, die Luft erfüllt von Blütensporen und Keimen. Sie hätte die Arme breiten mögen und rufen: »Hier bin ich! Nimm mich, Geliebter! Wo du hingehst, da will auch ich hingehen, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Stille meinen Durst, meine verzehrende Sehnsucht! Mich friert. Nimm dieses Frieren hinweg. In deinen Armen will ich gesunden. Führe mich meiner Bestimmung entgegen. Halte mich, liebe mich, mache mich des großen Wunders teilhaftig ... und gebenedeit sei die Frucht meines Leibes.« So sah sie sich schreiten, so hörte sie ihre eigene Stimme, so vernahm sie den Schlag ihres Herzens, das Rauschen ihres empörten Blutes – genau so wie heute ... und stand doch wie angewurzelt, erstarrt, regungslos und blickte mit weitgeöffneten Augen ins Nichts, über den Hof hin, dessen Söller und Speicher nicht Raum genug hatten, den Segen der Erde zu bergen.

»Ich warte auf Antwort.«

Sie wurde aus ihren Träumen gerissen.

»Du,« klang es ihr frostig entgegen, »ich habe noch weiter zu machen. Die Meinen warten am Aukamp. Ich bitte daher um deine unmaßgebliche Meinung, wenn du nicht willst, daß ich mich sonstwie benehme.«

Sie sah ihn fassungslos an.

»Jan-Ohme, was soll ich da sagen? Ich habe gar nichts zu sagen.«

»Aber ich,« funkte er los, und der untersetzte Niederungsbauer pflanzte sich auf, als hätte der Herr ihm geboten, sich als Balkenrost rammen zu lassen. »Ich, dein rechtmäßiger Ohm, habe dir etwas zu sagen, und ich sage dir hiermit: Um dir den Knollenkamp, dein leibhaftiges Erbe, für alle Zeiten zu sichern und dem niederträchtigen Testament eins über den Bregen zu hauen – heiraten mußt du.«

Sie war bleich wie ein Wachsbild geworden. Ihre Brust stürmte.

»Ich lasse mir keine Vorschriften machen,« versetzte sie mit fliegendem Atem, »vornehmlich dann nicht, wenn es sich um Cornelis ten Berg handelt. Lieber in die Schwarze Lake dahinten.«

»Wer hat denn von Cornelis geredet?« unterbrach er sie heftig. »Ich nicht; weiß der Teufel, der Kerl ist mir nicht mal in 'ner Champagnerlaune auf die Pfanne geraten. Mit 'ner Fliegenklappe an die Tapete mit ihm! Das wäre so'n Fressen für mich. Gottverdorie! bis zum Halszäpfchen hat er mir immer gestanden und tut es heute noch. Und das mit der Schwarzen Lake: ganz meine Ansicht, denn ohne dieses wäre meine Estimierung zu dir schnurstracks aus der Angel gestolpert. Indessen jedoch: beim Heiraten bleibt es ... und wenn ich dich so richtig betrachte ... Anna, Anna!« und Jan-Ohme, der prächtige Jan-Ohme, der Mann mit dem Vaterunser in den Pupillen, dem Gemüt eines Kindes, der in seinem Draufgängertum, seiner rührenden Einfalt Berge versetzen konnte, Jan- Ohme, der Baumannshöfer, der Getreueste aller Getreuen, schlug einen anderen Ton an und rief mit feierlichem Pontakgesicht: »Ja du, wenn ich dich so richtig betrachte ... du gehörst zu den Stillen im Lande, zu denen, die eher an heißer Liebe verbluten, als um derentwillen eine Lippe riskieren. Du verbrennst ja von innen. Aber worauf wartest du noch? Den Teufel treibt man mit Beelzebub aus. Du hast einen Tapferen nötig, einen mit raschem Blut und unsinniger Leidenschaft, einen mit freier und herrischer Gewalt zwischen den Rippen, und wenn er an Halm und Är ein Bettelmann wäre, einer, der dich packte und hielt und deinen Schoß fruchtbar machte, ein Starker, der den Pflugsterz herumwürfe, als wenn es ein Kinderspiel wäre, der dein Hab und Eigen verwaltete, es in deinem Namen vermehrte: Haus und Hof, Scholle und Woijen, Großvieh und Kleinvieh ... das tut es! Ein solcher ... einer von denen ...«

Er trat auf sie zu.

Mit kräftigen Händen drückte er ihren Oberkörper zurück, daß ihre harten Brüste sich wie Schildbuckeln strafften: »Anna Donsbrügge, so'n Mannsmensch, der wäre der rechte ... so'n hoher und mächtiger ... Gäbe das eine Gemeinschaft ... ein Suchen und Finden in dunklen Nächten ... ein Kämpfen und Ringen! Ich kann es verantworten, wenn ich so was anpräsentiere, und weiß auch: du hast so einen schon im Schlafen und Wachen gesehen. Wie ist das? Habe ich recht oder unrecht? Bekenne! Mann und Weib, wie nicht mehr zu finden!«

Sie wandte sich ab.

»Jan-Ohme, das Herz tut mir weh.«

»Das ist keine richtige Antwort. Für meine Dispositionen und Überschläge kann ich's nicht in Rechnung stellen. Also ...?«

»Ja!« stöhnte sie auf.

»Und wohnt hier in der Nähe?«

Sie schwieg.

Er fragte eindringlicher.

»Du, ich meine: und wohnt hier in der Nähe?«

Und das stolze Weib sann und sah in die gelbe Erntelandschaft hinaus, über die Schober und Diemen fort, die sich erst fern bei den weichen Linien des Altrheins verloren. Dann legte sie den Kopf in den Nacken, schloß die Augen und sagte mit halboffenem Munde: »Ja, er wohnt hier in der Nähe.«

»In Bylerward, bei den drei Katen dahinten?«

»Ja, bei den drei Katen dahinten.«

»Was?!« lärmte er los, »und du hast noch nicht zugegriffen mit deinen zwei Fäusten, hast nicht geschrien: Von da kommt die Kraft und die Macht und die Herrlichkeit bis in Ewigkeit, Amen?!«

»Wie sollte ich können? der Vater ...«

»Was, der ...?! der hätte nicht seinen Segen gegeben?«

»Nein, niemals!«

»Ja, so!« lachte er bitter auf, »die gehörten ja nicht zu seiner Sippschaft, nicht zu den Standesgemäßen – die dreie. Aber man Ruhe. Was besagt überhaupt so'ne Standesgemäßheit? Dein Vater natürlich, der Mann mit dem sturen Kopp und dem Groschengewissen, suchte sie in der Großmogulei, auf dem Emmericher Eiland. Mochte er suchen. Jeder blamiert sich nach seinem eigenen Gusto. Dran kann keiner ihn hindern. Ich auch nicht. Es wäre mir auch entgegen gewesen, ihn darüber belernen zu wollen. Für meine Person will ich bloß festgestellt wissen: so'ne echte, blaublütige Standesgemäßheit liegt tiefer, kann Ansprüche machen, schlägt unter dem einfachsten Kittel, wächst aus dem Honnör heraus wie'n großmächtiger König. Und die bei den Katen dahinten ... Her zu mir, Anna!« und Jan-Ohme riß die Schluchzende an sich: »Du, da sind drei von der nämlichen Sorte. Einer so gut wie der andere. Gleichwertig an Leib und Gewissen und Königstum. Wer ist es von ihnen?«

»Lasse mich – du! Ich darf es nicht sagen.«

»Auch gut. Ich will deine Geheimnisse nicht ausklamüsern, muß aber dartun: So wahr ich dein Bestes vom Himmel herunterbete – das Testament kriegen wir unter ... und den Richtigen finden wir auch ... und der Knollenkamp wird blühen durch dich und dein Blut von nun an bis ans Ende der Tage. Warte man ab. Immer bloß dusemang und fortepiano. Es wird alles schon werden.«

Damit hatte er seinen Stock ergriffen, die seidene Mütze übergezogen und das Zimmer verlassen.

Hinter ihm setzte das Klingelspiel der Kastenuhr ein und intonierte die Weise:

»Wilhelmus von Nassauen
Bin ich von teutschem Blut,
Dem Vaterland getreue
Bleib' ich bis in den Tod;
Ein Prinze von Oranien
Bin ich frei onerfehrt,
Den König von Hispanien
Hab' allzeit ich geehrt.«

Vier einzelne Schläge folgten.

Die Schritte des Baumannshöfer wanderten ab.

Anna Donsbrügge hörte sie in den langen Gängen verklingen.

Sie wurzelte an der nämlichen Stelle.

Ein heißes Rot überflog ihr Gesicht.

»Wenn er doch riefe, wenn er doch käme!«

Ein Brausen war um sie, das Brausen einer mächtigen Domorgel, und durch dieses Brausen und Rauschen hindurch – sie sah einen kommen. Er kam von weit her, über die gelben Stoppeln, er schritt durch das Heer der Schnitter und der bindenden Weiber hindurch, selbstherrlich, in der Kraft und Fülle der Mannesgewalt, er schritt auf den Hof zu, fest und zuversichtlich, als wenn er schon jetzt über das fruchtbare Land, über Wald und Feld und Schleusenwerke geböte.

»Wenn er doch käme!«

Das Herz schlug ihr bis in den Hals hinein.

Aber er kam nicht. An der großen Einfahrt hielt er den Fuß an und sah todestraurig über den Hof fort.

Da packte sie zu und riß das Kleid auf über den Brüsten, über den schneeweißen Brüsten mit den rosigen Kuppen.

»Hier bin ich! Lebe und liebe! Sieh das Weib in mir, das sehnende Weib, Hoffnung und Auferstehung. Mache mich zu einem fruchtbaren Acker, zu einem gesegneten Kornfeld, auf daß ich sagen kann: Ich bin gebenedeit unter den Weibern. Hier findest du alles ...« und ihre nackten Brüste wuchsen ihm wie köstliche Früchte entgegen.

Aber er kam nicht. Es war nur ein Spiegelbild ihrer erregten Sinne gewesen.

Sie hatte vergebens gerufen.

Da senkte sie das Haupt ... und schämte sich ... und verhüllte die weiße Schönheit ihres jungfräulichen Körpers.


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