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9

Es tröpfelte weiter. Die Luft blieb dunstig und diesig, verstattete keine Fernsicht und machte den Eindruck eines armseligen Strumpfwirkers, der alle bunten Garne ausgegeben hatte und sich nur noch mit rauhen, mißfarbigen Wollsträhnen einrichten konnte. Nur ab und zu geisterten Blinklichter auf, um wieder jäh zu verschwinden.

Zwei Tage später war das Wetter bedrohlich geworden.

Der Wind setzte um. Steif und stur blies er von Nordwesten herüber.

Die unerschöpflichen Niederschläge ließen die Rinnsale gurgeln, den Strom wachsen, die angestaute Trift gegen die Kaimauern stöhnen. Mit gelben Augen stierte sie über das lehmige Wasser.

Die alten Pappeln, die den Rheindamm auf der Binnenflanke von Hönnepel bis auf die Höhe von Emmerich begleiteten, ächzten in ihrem Sparrwerk, rüttelten sich und stöberten ihre überständigen Blätter weit über den Strom hin.

Auch auf dem Knollenkamp rauschten die Bäume, und weiter nach Grieth zu war ein Orgeln und Sausen, als ließen Tubabläser ihre mächtige Stimme vernehmen.

Die kleine Stadt lag in Baumwolle.

Unwillig, störrisch, mit schaumigen Rändern schlingerte der aufgewühlte Rhein an den schmutzigen Giebeln vorüber und machte Anstalten, in die niedriggelegenen Straßen zu treten. Menschen liefen ab und zu, die Kellerfenster in Schotten zu legen, die Türen mit Mist zu verstauen. Auf dem Strom lärmten ohrbetäubende Sirenen. Breitbauchige Schlepper kamen von Holland. Stumpfnasig, düsterrote Rauchfahnen hinter sich herziehend, prusteten und stampften sie weiter. Ketten rasselten. Verlorene Kommandorufe dröhnten von Bord her.

Das gegenüberliegende Ufer war kaum zu erkennen. Nur wenn die Blinkfeuer die Gegend aufklärten, zeigten sich vereinzelte Gehöfte, Koppeln und Wallhecken. Darüber hinaus wuchs die Mühle von Grietherorth aus dem Boden, die mit eingeholten Windsegeln gegen den sturen Nordwest ankämpfte.

Nur für eine kurze Spanne zeigte sich alles in Heller Beleuchtung, um gleich darauf wieder in ein graufaseriges Gespinst zu versinken.

Es mochte auf drei gehen.

Ein untersetzter Mann, kurzbeinig, die Otterfellmütze tief über die Ohren gezogen, arbeitete sich durch die untere Gasse dem Rhein zu.

Dort angekommen, verhielt er den Schritt und suchte den Hafen ab, der scharf unter Wind lag.

Ein Gewirr von schaukelnden Masten und Tauen machte ihn unsicher. Schwere Stürzkarren versperrten den Weg und erschwerten die Umsicht.

»Holla, heda!« rief er eine vorüberkommende Teerjacke an, »bloß einen Momang nur.«

»Aber ich bitte Ihnen ... bei diesem Wetter, Herr Baumann!«

»Je, alter Knabe, Geschäfte! und da muß ich ausspekulieren ...«

»Kann's mir denken: Geschäfte, die sich mit der Bouteille befassen. Et es gut för kalde Füt en ook gut för de Piere. Wenn doch unsereins so was könnte!«

Jan-Ohme lachte.

»Warum nicht? Ein Kastemännchen gefällig?«

»Wäre mir äußerst bekömmlich, Herr Baumann.«

»Na, denn hier,« und eine abgeschliffene Münze glitt in die harte Hand des Erstaunten.«

»Merci, Herr Baumann; Gott segne die Landwirtschaft!«

»So! und nu möchte ich fragen: wo ist dem Kaptän Rennings sein Bootje zu finden?«

»Gleich links am Kohlen-Steamer vorbei, dann rechts um die Ecke. Beim großen Kranen da liegt es. Die Herren warten schon alle. Vier oder fünfe.«

»Merci für freundliche Auskunft.«

»Nichts zu danken und gute Verrichtung, Herr Baumann.«

»Wollen's besorgen.«

Jan-Ohme stakelte wieder über das glitschige Pflaster, erst links am Steamer vorbei, dann um die Ecke herum und dann nach dem großen Kranen dahinten ... und als die dritte Nachmittagsstunde schwer durch den Nebel lärmte, tauchte er unter im dunkeln Rumpf des geräumigen Schiffes.

Zwei Masten auf Deck.

In den Wanten und Segelstangen orgelte es mit Brummstimmen. Die aufgesetzten Wimpel flogen im Wind. Silberne Möwen hatten niedrigen Flug, ließen sich noch tiefer herunter und senkten ihre Schwingenspitzen in den lehmigen Gischt, der mit lautem Schnalzen und Schmatzen die Planken des neuen Rumpfes umschwaderte.

Dieser Schiffsbau – allerhand Achtung! Da lag er. Mit seinen Aufklotzungen und Tothölzern, dem Vorder- und Hintersteven, seinen mächtigen Schwertern und den schmucken Aufbauten auf Back und Kampanje machte er eine prächtige Figur und hatte eine sichtliche Freude daran, sich auf der hochgewühlten Tiefe zu schaukeln. Doortje schütterte. Sie schien Freiheitsgelüste zu haben. Los von Bollanden und Anker! Sie zerrte an Ketten und Trossen und knatterte mit ihren Tops herausfordernd von der Höhe herunter. Hei, wie pfiff es da oben! Der Wind war straffer, die Trift grimmiger und gelber geworden. Regenfäden zischelten über Deck, peitschten die Rahen. Ein Wetter, die Toten zu beneiden! Aber so bös es auch war und so unaufhörlich immer neue Stöße von der Luvseite kamen, in der geräumigen Kajüte rumorte eine listige Verschlagenheit, eine ungestüme Lust am Dasein.

Hier hatte Rennings seine Freunde versammelt, um in Gemeinschaft mit ihnen nach aufgehobener Tafel seinem Bootje die erforderliche Taufe zu geben.

Nichts fehlte. Es duftete nach starken Getränken und Rheinwasser.

Der bequeme Tisch war festlich gespreitet.

Der Baas präsidierte.

Ihm zur Linken saß Arnt, der Deich- und Schleusenmeister, zur Rechten Klaas-Welm, ihm schräg gegenüber der alte They Kistemaker, zukünftiger Schwiegervater und Doortjes Erzeuger, Seite an Seite mit Jan-Ohme und Ewert, während Phöns met de Fleut die eine Schmalseite innehatte, um, wie der Kapitän und Gastgeber meinte, Ellbogenfreiheit zu haben und ausgiebiger mit der Ziehharmonika hantieren zu können.

Ein vierschrötiger Matrose, allgemein die ›Teerbox‹ geheißen, machte den Steward.

Die ganze Aufmachung hätte selbst vor den kritischen Blicken Jülleckes Gnade gefunden.

Rennings putzte seine Blindmolläugelchen und fragte über den Tisch hin: » All right?!«

» All right, Kaptän!« sagte die Teerbox.

»Dann aber schleunigst. Auf, Matrosen, die Anker gelichtet!«

Das Fest konnte losgehen, und es ging los mit der Wucht und Weihe einer echten und strammen niederrheinischen Pläsierlichkeit.

»Mynheers ...!«

Der Baas erhob sich im Schmuck seiner stolzen Montierung, dazu angetan mit schweinfurtergrünen Plüschpantoffeln, die er für besonders geeignet hielt, sie bei derartigen Festivitäten zu tragen. Im offiziellen Dienst, bei Tal- und Bergfahrten – natürlich in Transtiefeln, aber in besonderen Fällen ... da hatte er seine eigenen Ansichten über solenne Aufmachungen und Feierlichkeiten. Ohne die ›Spinatgrünen‹ tat er es nicht, nicht ums Verrecken, und hätte der Landrat des Kreises sich in höchsteigener Person die Ehre gegeben, auch ihm wäre er in diesem Fußschmuck entgegengetreten, fest überzeugt, mit dem zeremoniellen Spürsinn eines gewiegten Hofmarschalles verfahren zu haben. Also, der Kapitän und Kohlenhändler erhob sich, langte mit gekrümmtem Zeigefinger sein Priemchen hinter der Backe hervor, praktizierte es in die linke Westentasche hinein, spuckte scharf unter den Tisch und sagte: »Mynheers, meine lieben Freunde und Festgenossen! In diesem erhabenen Momang will ich keine Rede verzapfen. Die soll später erst kommen. Ich wollte bloß dartun, daß ich mich mordsmäßig freue, so 'ne noble Gesellschaft unter Deck und auf meinen Planken zu wissen. Sonder Komplimente, Mynheers, aber jeder von euch ist proper und blank vom obersten Top bis zur Wasserlinie hinunter. Blexem und Donnder! das wollte ich sagen, und nu: Teerbox, 'ran mit die Pullen, denn alles, was ich proponiere, muß schwimmen. Per primus!« und er stellte den zölligen Daumen strack und stramm in die Höhe, »Kieler Rollmöpse mit Griether Schalotten.«

»Hört, hört!«

»Zum andern!« und der dicke Zeigefinger richtete sich auf, »eingelegter Maifisch mit Sülze, Zitronen und Eistich.«

Händeklatschen und begeisterte Zurufe.

»Zum dritten!« und den beiden gesellte sich der Mittelfinger, auf dem ein schwerer Siegelring protzte, »bloß so als kleine Aufmunterung zwischen das Essen: Schleckerschnittchens mit Schweden-Sardellen.«

»Hurra und lang soll er leben!«

»Zum letzten!« und alle Finger der rechten Hand stießen begeistert an die Kajütendecke, »gemästete Flundern und Spickaal. Musieke!« und Phöns met de Fleut intonierte die Weise: »Herr Bruder, sei heut' kreuzfidel, sauf' dich kartaunenvoll ...« und als sie verklungen war, ließ sich der alte Kistemaker, ein Spinnwebmännchen mit verklärten Augen und dem ruhigen Gesicht eines katholischen Küsters, vernehmen: »Mein Komplimang! Rennings, du hast edelmannsmäßig gesprochen. So was ist nicht alle Tage auf dem Rheinwasser zu haben. Das flutschte man so wie aus 'ner Häringstonne heraus. Gib mir 'nen Kuß, denn du bist wert und würdig, meine Tochter aus ihrem jetzigen Zustand in den ehelichen Hafen zu steuern. Viel Glück bei der Navigierung und auf fröhliche Tage!«

»Ich unterzeichne die Sache,« rief Jan-Ohme dazwischen. »Mir ganz aus der Seele verfertigt. Dunnerwetter, das muß unsereins sagen: Rennings, du verstehst schon, dem Appetit auf den Geschmack zu verhelfen.«

»Dann langt man zu, aber kräftig! Teerbox, allong!« und der vierschrötige Herr setzte sich wieder, gab seinem Adlatus Befehl, die Kieler Rollmöpse mit Griether Schalotten zirkulieren zu lassen, und legte alsdann, nachdem er allen zugeprostet hatte, seinem Gegenüber die kräftige Hand auf die Flosse.

»Jan-Ohme, dir noch meine besondere Wertschätzung, weil du es möglich machtest, mein Deck zu beehren. Ich meine: du wolltest doch erst nicht. Natürlich, sonder Hinterhältigkeiten, mein Junge. Aber ich bitte dich innigst, was war denn in Bänken?«

»I!« sagte der Alte und brachte seine Haarsardellen in Ordnung, »du weißt ja: ich bin gern unter pläsierliche Leute; meinerseits jedoch hätte ich drüben sein müssen ... auf der andern Kant ... jenseits des Rheines, um pro Gloria und Vaterland nach dem Rechten zu sehen.«

»Sind mir polnische Dörfer.«

»Kann's mir denken, denn Grietherorth hat seine tiefen Mirakel. In Sachen Donsbrügge. Hilfe war nötig. Aber das wollte ja nicht. Wie die Jugend so ist. Immer großartig und mit allen Ventilen. Ich habe das Blaue vom Himmel herunter gebetet und mich selber erboten, dem Geometer auf die Finger zu kucken. Jawoll und prosit die Mahlzeit! Die Augen und die stolze Turnüre! Kurz und gut, dieses Mal mußte sie die Geschichte selber besorgen.«

»Na, wer denn?«

»I, meine Nichte.«

»Was denn selber besorgen?«

Jan-Ohme legte den Kopf auf die Seite.

»Baas, du kennst doch die verfluchte Testierung?«

»Ich hörte davon.«

»Ja, wenn es das nur beträfe! Indessen, da befindet sich noch so'n infamiger Zettel ... von meinem Schwager selbst unterfertigt ... nicht recht proper die Sache. Gras ist drüber gewachsen, und man soll kein Kamel sein, das anrückt, die Narbe vom Boden zu knabbern. Ich werde mich hüten. Jedem das Seine, und nu kommt Cornelis mit dem schandmäßigen Schriftstück und will zwanzig Morgen prima Klee- und Weizenboden auf der Priesterkoppel verzehren.«

»Was?!« trumpfte der Baas auf, »und darum und deshalb ...?«

»Steht heute Termin an.«

»Da drüben?«

»Ganz richtig.«

»Und da wolltest du mittun?«

»Gewiß, um dem niederträchtigen Hundsfott bei der Vermessung auf die schmutzige Visage zu achten.«

»Nichts dagegen zu sagen,« erklärte Rennings gelassen. »Aber bei dem Hundewetter da draußen! Sei froh, daß du hier bist. Ich bin keine Bangbox, indessen, wenn die da von drüben retour machen, die werden 'ne malefizmäßige Überfahrt haben. Nordwest und Hochwasserzeiten. Da hört bloß ...!« und er deutete mit seinem breiten Daumen über die Schulter, durch das Kajütenfenster hindurch, auf das schäumige Wasser, auf die verschwommenen Umrisse des jenseitigen Ufers, wo schwere Nebelfetzen auf dem Bauch lagen und sich nicht frei machen konnten.

Alle spitzten die Ohren und lauschten.

Über ihnen sauste es in den Spieren und Rahen, schwaderten die Stricke, seufzten die Flaschenzüge. Rings um die Planken lief es mit dem Belfern und Janken bissiger Hunde. Dazwischen ein kurzes Bellen und Kläffen.

»Soll mir egal sein!« rief Jan-Ohme sich selber Mut und Entschlossenheit zu. »Ich denke: sie wird es schon leisten. Aber es bleibt doch immer 'ne gottsträfliche Sache, sie mit dem nichtswürdigen Kerl so Auge in Auge da drüben zu wissen, denn so'n dreimal durchdestillierter frommer Halunke ist immer kumpabel, ihr über die Ohren zu hauen und ihr, abgesehen von den zwanzig holländischen Morgen, noch sonstwie an die Kehle zu fahren.«

Er schnappte nach Luft, um gediegener weitersprechen zu können.

Aber da stand schon Phöns met de Fleut. Nicht der fidele Phöns met de Fleut, sondern Phöns als Traueransager, Phöns als Prophet, der aus seinem dunkeln Prophetentum heraus die Arme erhob und lärmte: »Was ich immer schon sagte: ich benenne mich Alphons Desiderius Kersken und nehm's auf die Gabel. Er tut's, und so wahr mir Gott helfe: der Kerl macht mobil und schluckt sie und den ganzen Knollenkamp schlankweg hinunter.«

»Oder auch nicht!«

Arnt Schwaters streckte sich hoch.

»Herrgott, wenn ich könnte ...!«

Er und seine Brüder fühlten sich eins.

Ruhig und besonnen waren die drei der Unterredung gefolgt, nur mit ihren Gedanken beschäftigt, das Herz bedrückt und die Seele voller Kümmernis. Nur dann und wann: ihre Blicke flogen durch die Bullaugen das graue Land an, das mit seiner Priesterkoppel bis dicht an das Ufer herantrat, und hielten es mit Adlerfängen umklammert. Immer bedrohlicher ließ es sich an ... und dann noch Phöns met de Fleut ... Das peitschte sie hoch und klemmte ihnen einen Fluch zwischen die Zähne.

Arnt war ihr Sprecher geworden.

»Es ist schon, um mit dem Kopf durch die Wände zu stoßen«, trumpfte er auf. »Sie da drüben ... allein ... den Bedrücker auf dem Halse ... und ich habe kein Recht, ihre Interessen zu wahren. Gut, mag sie tun, was sie will, aber sie selber: ihr Leib und ihr Erbe ... und da frag' ich mich immer, ist denn keine Menschenmöglichkeit da, diesem Schleicher das Handwerk zu legen?!«

»Natürlich!« rief ihm Jan-Ohme zu. »Ihr könnt es, denn Eure zwei Fäuste ...«

»Allerdings, aber wer gibt mir Lizenz, diese Fäuste zu brauchen?«

»Ich!« schrie der Alte, »denn ich bin der nächste dazu und habe immer gepredigt: Kerle wie ihr seid! Erinnert euch ... damals ... Hab' ich da nicht lauthals geschrien: Greift zu! einer von euch wird doch die Kurasch besitzen? Klaas-Welm, immer man heran an die Ramme. Oder Ewert, du! Die grüne Farbe ist doch sonst auf die Weiber versessen. Na, und wenn ihr beide nicht wollt: Arnt, wer mit's Wasser Bescheid weiß und ihm zuzeiten die Kandare ins Maul setzt, daß es aufbrüllt wie 'ne dressierte Bestie, der kann auch wohl so'n stolzes Frauenzimmer regieren. Aber hat's was geholfen? Nichts hat's geholfen! – und war doch so niedlich, das mit der Königin ... und wäret ihr von heute gewesen: nicht sie – aber einer von euch hätte sich in diesem Augenblick auf der Priesterkoppel befunden, um dem Pitisten vom Emmericher Eiland dusemang, aber feste in Mistus und Moratze zu setzen – um ihretwillen und um der Gerechtigkeit wegen.«

»Herr Baumann, bloß Worte!« hielt Arnt ihm entgegen. »Indessen – Ihr solltet uns kennen. Ihr malt uns Bilder an die Wand, die in den schönsten Farben brillieren; Ihr setzt uns goldene Schüsseln vor mit den köstlichsten Früchten ... und wenn wir zugreifen würden ...«

Er lachte bitter auf.

»Herr Baumann, wir sind keine Narren. Unser Weg geht geradeaus und nicht in utopische Länder hinein. Laßt uns zufrieden! Wir bauen Schiffe, hegen und pflegen den Wald und gebieten dem Wasser: Bis hierher und nicht weiter! Dabei ist gut Schaffen, denn wißt: alles, was auf der Emmericher Helling lebendig und flott wird, hat höchste Bewertung, und was im Klever Reichswald in Bast und Borke geht, dran hat selbst der liebe Gott seine Freude, und was mich selber anbetrifft: ich dreh' mir nicht persönlich die Luft ab, denn bloß die Lumpen haben keine Estimierung für ihr eigenes Können. Die Schöffen parieren mir wie gelehrige Hunde. Die Deiche kennen mich, und ich kenne die Deiche, und wenn ich mir den Südwester ins Genick drücke und den Ölrock überstreife, dann wollen wir sehen, ob die Hochflut noch den Mut hat, über die Dämme zu stieren, im Binnenland die Äcker zu brechen. Das mußte ich sagen. Das ist unser Verdienst und unsere Bemessung. Drin sind wir Meister, aber es steht uns nicht an, uns ungerufen zu stellen, auf der Priesterkoppel zu sein, um für Recht und Gerechtigkeit eine Lanze zu brechen. Und wenn Ihr es glaubt: kraft wessen Vollmacht sollten wir uns auf der andern Seite befinden?«

»Mensch!« rief Jan-Ohme, »Mensch, durch die Liebe, denn hätte einer von euch ihre Liebe gefunden, ihm wäre die Macht geworden, Hof und Haus, Testament und den ganzen Knollenkamp von Strunt und Unrat zu säubern.«

»Herr Baumann, laßt das! Sollen wir uns selber anbieten? Wir wären ja Tollhäusler. Knechtsnaturen liegen uns fern. Hier sitzt noch Stolz unter der Jacke. Das könnte sie wissen. Sie ist die Herrin, die Mächtige, und wenn sie was will: wir sind immer zu finden.«

»Auch eine Ansicht, aber ich sollte doch meinen: der Mann fordert und das Weib hat zu geben.«

»Nein,« sagte Arnt, und seine Augen begannen zu leuchten, »die vom Knollenkamp nicht. Bei diesem Weib ist es anders. Die muß man verdienen, durch Kraft und Arbeit und durch eine gottwohlgefällige Tat aufhorchen machen, auf daß sie gesteht: Den oder keinen, und aufschreit nach ihm wie die durstige Erde nach Wasser. Dann erst die Arme geöffnet, die mächtigen Arme, auf daß sie finde, was ihr zukommt, kraft ihres Blutes und im Namen Gottes ...« und er warf sich herrisch herum und sah seine Brüder an, jeden einzelnen, lange und seltsam, und sagte: »Genau so wie ich, so denkt auch Klaas-Welm, so Ewert, so denken wir alle. Bitte, gebt Antwort! Ist das, was ich dartat, in euerm Sinne gewesen?«

Da reichten sie ihm die Hände über den Tisch hin und sagten: »Bleibt so. Ja – es ist in unserm Sinne gewesen.«

»Dann laßt euch einbalsamieren, euch alle miteinander,« rief Jan-Ohme und schlug sich überzeugungstreu auf die Weste. »Ich vertrete 'nen andern Ressort, und hätte ich mich in eurer Assiette befunden ...«

»Herr Baumann ...!«

»Ach was! wo ist euer Schwung und eure Bravour geblieben?!«

»Das müßt Ihr schon uns überlassen.«

»Wenn auch! aber es ist doch, um schieren Häcksel zu fressen.«

Unwillig knallte er die Faust auf die Tischplatte.

»Nee, Kinnings ...« und der Baas, der bisher der aufgeregten Szene mit bedenklichem Kopfschütteln gefolgt war, legte sich jetzt energisch ins Mittel: »Nee, Kinnings, ich bitte mir aus: keinen Spermang hier. Teerbox, den Maifisch! Wir logieren hier unter Deck und nicht auf dem Knollenkamp oder auf der Priesterkoppel da drüben. Da müßt ihr euch schon anderweitig benehmen. Zweien Mynheers kann man nicht mit einem Mal dienen. Allerhand Achtung für Anna Donsbrügge und 'nen Verachtungsschluck für den Mucker vom Emmericher Eiland. Aber hier habe ich zu befehlen. Teerbox, frische Bouteillen! Nee, Kinnings, bloß keinen Kniest nicht. Hier wird toujours gefeiert und wieder gefeiert und nochmals gefeiert, und drum: Prosit die Herren! und nichts für ungut: ihr heiligen drei Könige bleibt dennoch die Kerle!«

»Soll denn ein Wort sein!« und als die Gläser zusammenklangen, schluchzte das Spinnwebmännchen laut vor sich hin, raffte sich hoch und segelte wie ein Häuflein wehleidigen Wetters auf seinen Schwiegersohn los: »Rennings, wo du die Worte nur her hast? Du gehörst in den preußischen Landtag. Du bist wie der heilige Sprecher auf der Evangelienseite. Du bist dem Landrat noch über. Nimm sie, sie wird dir für gratis geschunken – mein Doortje! und wenn du ihr in die Kissen hineindrückst: Glück auf! ich werde dir den Daumen schon halten.«

»Blexem und Donnder! soll mir angenehm sein ... und jetzt: Teerbox, den Maifisch ...!« und als dieser verzehrt war, der Spickaal und die fetten, geräucherten Flundern ihm folgten, als die Punschbowle anrückte, die steife Bowle mit dem strengen Duft und den schwimmenden Zitronenscheibchen, als die irdenen Pfeifen in Brand gesetzt waren und ein wohliger Geruch nach AB-Reuter die ganze Kajüte durchwölkte, stellte sich der Baas breitbeinig hin und sagte: »Mynheers und liebwerten Freunde!«

»Bravo!«

»Warum wir uns eigentlich hier zwischen meinen geteerten Planken befinden, das möchte ich dartun. Um aber richtig sprechen zu können: 'nen Stuhl auf den Tisch!« und als die Teerbox den Befehl ausgeführt und Baas Rennings sich wie 'n Kapitän von 'nem holländischen Orlogschiff niedergelassen hatte, steifnackig, das Punschglas in der Rechten, die Tonpfeife in der Linken, als sei er gewillt, unter Hornpipe- Begleitung eine alte schottische Ballade zu singen, um dann in seinen giftgrünen Pantoffeln 'ne getragene Polka-Mazurka um die Reste der Flundern und Spickaale zu tanzen, gebot er: »Musieke!« und Phöns met de Fleut legte los: »Alles schweige, jeder neige ernsten Tönen nun sein Ohr ...«

»Mynheers! diese Rede hat 'ne zweifache Bedeutung.«

»Bravo!«

»Sie gilt meinem Doortje und dem großen Erbauer!«

»Hurra! und soll ihnen bekommen.«

»Ja, ich, für meine Person, bin für alles Schöne zu haben.«

»Wissen wir, Baas. Immer nur weiter!«

»Und als ich schon vor zwanzig Jahren zwischen Duisburg-Ruhrort und Rotterdam navigierte, hatte ich als Junggesell 'ne propere Liebe, die sich Klaartje benannte. Ihr zu Ehren titulierte ich mein erstes Schiff ›Klaartje van Orsoy‹, denn selbige Liebe war in Orsoy gebürtig. So'n Gestell und Backen wie Paradiesäppel. Etwas völlig, aber brav auf die Füße.«

»Oh!« seufzte der alte Kistemaker hinter seinem Punschglase auf, »ich dachte, mein Doortje käme als Frischling in funkelnagelneue Federposen hinein, und nu muß ich hören ...«

Er weinte.

»Rennings, das durfte nicht kommen!«

»Warum nicht?! Ich fühle mich noch bei herrlichsten Kräften, als wär' ich erst heute geboren. Immer noch oben hinaus und in viver Verfassung, und wer wie ich noch zur richtigen Zeit das Ruder herumwarf, um besseren Kurs zu gewinnen, der läßt sich noch nicht als altes Wrackholz verschleißen. Blexem und Donnder, da seht bloß!« und er knallte mit hellem Lachen sein Glas zu Boden, daß es in tausend Splittern zerscherbte. »Wie dieses alle geworden, so ist auch ›Klaartje van Orsoy‹ zu ihren Vätern versammelt. Musieke!« und Phöns met de Fleut setzte ein: »Lott' ist tot, Lott' ist tot, Julchen liegt im Sterben ...«

»So ist es! Abgetakelt wird sie, zum alten Schrott und Gerümpel geschmissen, um ›Doortje van Grieth‹ unter Steuer und Kommando zu nehmen, denn dieses Frauenzimmer hat mir schon längst in die Nase gestochen, von wegen ihrer Heiteretei und ihrer schönen Bekömmnis. Musieke!« Und unter jubelndem Zuspruch, unter heißen und glücklichen Tränen des wieder versöhnten Schwiegervaters, unter lautem Getrampel und promptem Gläserklingen ließ Phöns sich vernehmen: »Von allen Mädchen so blink und so blank ...« »Ja, von allen Mädchen so blink und so blank ... Wer besitzt wie Doortje ein so rassiges Gangwerk? Niemand. Wer verfügt über so 'nen feinen Benimm? Keine menschliche Seele. Die hat Kielwasser unter den Schuhen und ordentlichen Wind in den Segeln. Außerdem begeht sie heut ihren Geburtstag. All right! und jetzt, meine Herren: das dicke Tau meiner Rede! Teerbox, ein Glas!« und als ihm dieses gereicht war, begann er aufs neue: »Mynheers, wir sind durchgängig unbedachtsame Menschen, und die sich als Ausnahme herausmustern, müssen wir als Raritäten von prima Sorte bezeichnen. Ich frage: Wo sind sie zu haben? und ich brauch' bloß zu sagen: Hier sind sie. Die heiligen drei Könige sind's, die sich in dieser Kajüte befinden: Klaas-Welm, Ewert und Arnt. Auserwählte wie riemige Planken. Kein brüchiges Totholz, sondern eichen und kantig, bestens kalfatert und mit 'ner Spiekerhaut versehen, die niemals nicht abgeht. Menschen, die meine ganze Estimierung, die des Wassers und des Binnenlandes besitzen, Menschen, als wären sie von 'ner superfeinen Mutter geboren, Kinder im Herzen, aber Männer vom Kopf bis zu den Füßen, brav, ehrlich und zupackend wie das barbarische Wetter ... und da einer von ihnen mein Doortje gebaut hat, rank und rassig wie das Weibsbild, das ich in Liebe umfange, so bin ich genötigt ...«

Ein gellender Pfiff, der plötzlich das ganze Schiff umzitterte, riß ihm das Wort von den Lippen. Aus der dicken Luft kam ein Brummen und Donnern. Ein Sturmstoß folgte, ein zweiter, ein dritter.

Hoch über Deck knatterte es in den Rahen und Wanten, als käme die ganze Takelage herunter.

»Blexem und Donnder!«

Mit häßlichen Augen stierte der Rhein durch die Bullaugen.

Allein der Baas ließ sich nicht irre machen.

Er rief gegen den Sturm an: »Ja, orgelt man weiter! So was ist lieblich zu hören. Der Herrgott selber bringt dem Erbauer ein Vivat. Ich tue dasselbe. 'nen besseren Kompagnon kann ich niemals besitzen. Es gilt, meine Herren! Mit Einschluß von Doortje – dies Glas meinem Freunde! Klaas-Welm und Doortje gemeinsam – hurra und vivat!« und als das Klingen verhallte, die Zurufe spärlicher wurden, streckte der Angeprostete dem Sprecher die Hand zu: »Baas, das war nicht meine Absicht, so was zu hören, wenn es auch wohltut, von so 'nem gottwohlgefälligen Rheingewaltigen mit Gunst und Worten traktiert zu werden. Aber Gott lohn's Euch! Was ich flott und prompt in Eure Dienste gestellt hab', ist mir gern und willig aus den Händen gegangen. Ehrliche Arbeit will keinen Brei um den Schnabel. Sie muß sich selber rekommandieren. Drum nehmt sie als solche. Für die mir gewidmeten Worte indessen: ich danke Euch, Rennings, ich nehme sie mit mir als treues Vermächtnis. Sie soll mich beglücken, bis der große Werkmeister sagt: Klaas-Welm, ich halte die Uhr an. Die Zeiger taugen nicht mehr. Ankerhemmung und Gang sind marode. Die Zimmermannsaxt muß ein anderer führen. Bis dahin aber – wir bleiben die alten.«

»Bleiben wir, bleiben wir!« sagte der Baas und wischte sich über die Augen, »und da Ihr der Oberste seid ... Mynheers!« warf er sich hoch, »bei diesem Schlackerwetter ist kein Hund vor die Koje zu jagen ... Hurra die Enten! Tut aber nichts. Wir können auch hier unter Deck die heilige Taufe begehen. Teerbox, 'ne Bouteille Champagner! ... und da Ihr gerade dabei seid: Klaas-Welm, so erweist mir die Freude ... Holla, die Pulle!«

Und der Aufgerufene nickte, nahm die Flasche entgegen, trat vor die Schmalwand, den Blick nach Backbord gerichtet, und sagte: »Durch mich, Klaas-Welm Schwaters, auf der Emmericher Helling ehrlich gezimmert, durch Gottes Hilfe, Zutun und Allbarmherzigkeit auf Kiel und Wasser gebracht – fahren sollst du, mein Schiff, von nun an mit des Ewigen Hilfe, Zutun und Barmherzigkeit zu Tal und zu Berg, von Duisburg- Ruhrort bis Rotterdam und von Rotterdam wieder retour, blank und rank, sonder Not und Beschwernis, so daß alle Könner und Kenner sich freuen, wenn du vorbeikommst, bunkerst oder vor Anker gehst – dem Baas zum Segen, dem Erbauer zur Ehre. Rheinstern, dich grüße ich! In Gottes Schutz fahre hin, halte dein Tuch rein, und es wird dir nicht mangeln.«

Überall erhob sich ein verhaltenes Schluchzen.

Kein Auge war trocken geblieben.

Klaas-Welm redete weiter: »Schön ist die Liebe, schöner ein reines Herz, am schönsten ein Schiff unter Segel. Es ist wie 'ne weiße Seele, die in die Ewigkeit gleitet. Ja, Schiffe schreiten und Schiffe erzählen und Schiffe tragen die Geschicke der Menschen und haben somit einen Namen zu führen ... und da nun Doortje Kistemaker als Patin bestimmt ist, so taufe ich dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes ...«

Er hob die Bouteille, und während er unter atemloser Spannung zum Wurf ausholte ... da wieder ...

Da wieder ein Pfiff, ein Schrei, so wild und entsetzlich, als hätte der Klabautermann zwischen den Rahen geschrien und gepfiffen.

Mit Sturmgefieder rüttelte und schüttelte es an Ketten und Ringen.

»Was los denn?!«

Alle fuhren zusammen.

Das Deck hob und senkte sich.

Der Boden wankte.

In grauen Nebelschwaden dunstete es an den beschlagenen Luken vorüber.

Draußen Lärm und Hilferufe, das Getrampel zuströmender Menschen.

»Teerbox,« donnerte der Baas, »was hat's denn da draußen?!«

»Eck weet niet, Kaptän, aberst ich denke ...«

»Da soll doch ... das ist ja, um einem das schöne Fest zu verhageln ...!« als auch schon, wie von Geisterhänden getrieben, die Tür aufflog und ein heulender Windstoß die Schiffswache in die Kajüte hineindrückte.

Zwei stumpfe gläserne Augen ...

»Ein Unglück ...!«

Sie kam nicht weiter.

»Water! bös Water!« schrie es von draußen. »Menschen in Not!«

»Na denn ... alle Mann an Deck!« brüllte der Baas. »Vorwärts! Toujours en vedette! Auf mein Kommando hören!« und als sie hinauf kamen, da war es so, als suchte sich ›Doortje van Grieth‹ von Ketten und Anker zu reißen.

Schaum spritzte gegen sie an. Der Rhein wühlte sich hoch, und auf dem Wasser da drüben ...

Kaum eine Hand vor Augen zu sehen, so flockte und trieb der Gischt in die Höhe.

»Water! bös Water!«

Immer lauter, immer bedrohlicher wurden die Stimmen.

Stur und steif, aber scharf und sichtig, stierte Baas Rennings ins Wetter.


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