Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16.

Im Jahre 1866 verließen wir Aspinwall und segelten mit einem uns bekannten Kapitän Neuyork zu. Es war eine ominöse, schlimme Fahrt. Als wir zwei Tage auf der See waren, erkrankte der Kapitän am Chagres-Fieber und lag besinnungslos darnieder. Einige Tage später erkrankten die beiden Steuermänner und sechs Matrosen, zuletzt der Koch und der Proviantmeister. Außer drei Passagieren blieben nur zwei Matrosen auf den Füßen. Ich mußte kochen, Anna übernahm die Krankenpflege und Trautmann nahm sich der Leitung des Schiffes an. Wir befanden uns in einer schrecklichen Lage; denn wir wußten nicht, ob wir den richtigen oder einen falschen Kurs einschlugen, und die Patienten brachen in die wildesten Phantasien aus.

Der arme Kapitän schleppte sich, sobald er die Besinnung wieder erlangt hatte, aufs Deck, um nachzusehen, ob das Schiff richtig geleitet wurde, kroch aber bald wieder in seine Koye hinunter, weil er sich nicht aufrecht erhalten konnte.

Eines Tages stürzte plötzlich einer der gesund gebliebenen Matrosen in die Kajüte des Kapitäns und rief mit verstörtem, blassem Gesicht: »Kommt schnell um Gottes willen herauf, sonst gehen wir zu Grunde! Eine Wasserhose steht über uns.«

In Fieberhitze und wirr im Kopfe eilt der kranke Kapitän aufs Deck; ihm folgten einige andere Kranke der Mannschaft. Durch einen heftigen Ruck und durch den Druck aller schleunigst aufgesetzten Segel gelang es, das Schiff eine Strecke von der gefährlichen Stelle fortzubringen. Kaum war dies geschehen, so entlud sich die Wasserhose auf der Stelle, die wir eben verlassen hatten. Ohne die Energie des Kapitäns wären wir rettungslos verloren gewesen, denn ehe die kranken Leute die Rettungsboote hätten lösen und aussetzen können, wären wir mit dem Schiffe untergegangen.

In der dritten Woche unserer Reise fingen die Patienten wieder an, das Bett zu verlassen. Medizin hatten wir reichlich an Bord. Diese und die bessere Luft trugen dazu bei, daß sich alle Kranken schnell erholten.

Am 22. Tage gelangten wir in den Außenhafen Neuyorks.

Hier wird vom Hafenkapitän und einem Arzte der Gesundheitszustand der ankommenden Reisenden auf jedem Schiffe genau untersucht, weil hier Fahrzeuge aus allen Weltteilen zusammentreffen und die Passagiere zuweilen die bösartigsten Seuchen mitbringen.

Unsere Leute nahmen sich zwar möglichst zusammen, kräftig und gesund zu erscheinen; es gelang ihnen jedoch nicht ganz, die Spuren der schweren, überstandenen Krankheit unsichtbar werden zu lassen. Wir mußten daher vier Tage in Quarantäne liegen bleiben.

Bisher hatten wir auf der ganzen Fahrt guten Wind gehabt, hier aber vor Anker erhob sich ein furchtbarer Sturm. Unsere Angst war um so größer, da der Kapitän und der Steuermann das Schiff verlassen hatten, um ihren Geschäften in der Stadt nachzugehen. Das Schiff wurde von heftigen Stößen erschüttert und wir fürchteten, jeden Augenblick vom Anker losgerissen zu werden und angesichts des Hafens untergehen zu müssen.

Unsere Befürchtung erfüllte sich jedoch nicht; der Sturm legte sich und nach vier Tagen kamen wir in den ersehnten, wirklichen Hafen.

An einem herrlichen Tage hatten wir Muße, die prächtige Einfahrt in Neuyork zu bewundern. Es ist ein unbeschreiblich schöner und großartiger Anblick, den der Welthafen mit seinem Mastenwald und seinen Tausenden von Fahrzeugen dem Auge darbietet. Zur Linken liegt die berühmte Riesenstadt, rechts das neue, prächtige Broklin. Keine Feder vermag den einzig großartigen Eindruck zu schildern, den die Schönheit der Natur und die Werke der Menschen auf den Einwanderer beim ersten Anblick machen.

Am Ziele angelangt, behielten wir unser Quartier auf dem Schiffe, das auf der Werft lag. Wir frühstückten an Bord, gingen dann in die Stadt, um ihre Sehenswürdigkeiten zu betrachten, speisten in irgend einer Restauration und hielten nachträglich unsere Siesta an Bord. Gegen Abend gingen wir abermals in die Stadt, besuchten das Theater oder ein Konzert und nahmen den Tee vor der Nacht in unserem Standquartiere ein.

Es dauerte lange, ehe wir nach Galveston in Texas befördert werden konnten. Wir bekamen daher das Hasten und Drängen, das Leben und Treiben Neuyorks herzlich satt. Anna wurde infolge dieses ruhelosen Lebens sogar krank, und wir dankten Gott, als endlich unsere Sachen ins Schiff gebracht waren und wir abreisten. Auf dem Schiffe fanden wir einen freundlichen, guten Kapitän und eine angenehme Reisegesellschaft, so daß uns die drei Wochen dauernde Fahrt nach Galveston nicht lang dünkte.

Das Schiff war groß, die Kajüte bequem, die Beköstigung ausgezeichnet und die Bedienung vortrefflich. Es wurde viel musiziert. Trautmann hatte seine Flöte, wie immer, zur Hand; auch eine Drehorgel war auf dem Schiffe, bei deren Spiel die Jugend gern abends ein Tänzchen veranstaltete. Die älteren Passagiere spielten Karten oder plauderten. Der Kapitän war sehr zufrieden mit seinen Fahrgästen wie diese mit ihm. Glücklich in Galveston angekommen, sagten wir ihm alle beim Abschiede herzlichen Dank. Er aber bedauerte, daß er uns nicht wieder mit nach Neuyork zurücknehmen konnte.

Fast die ganze Reisegesellschaft, nur einige Kaufleute aus Galveston ausgenommen, fuhr mit uns per Flußdampfer der Buffalobay nach Houston.

Diese kleinen Dampfer sind höchst luxuriös ausgestattet. Sobald um sechs Uhr die Sonne untergegangen ist, wird das ganze Schiff, besonders der große Speisesaal, brillant erleuchtet. Eine lange Tafel ist zum Souper serviert, das höchst vorzüglich und in jeder Hinsicht aufs geschmackvollste eingerichtet ist. Die Bedienung wird von kohlschwarzen Kellnern in schneeweißem Anzuge besorgt. Die Neger sind ausgezeichnete Bäcker und können vortrefflich kochen, so daß die feinsten Delikatessen und Backwaren, sowie die reizendsten Konfitüren nicht fehlten. Freilich ist die Passage teuer; aber man speist nur einmal, da die Tour schon am nächsten Morgen beendet wird.

Wir ließen uns die auserlesenen Speisen köstlich munden. Nach der Mahlzeit wurde die Tafel sofort, wie mit einem Zauberschlage, abgeräumt. Man brachte kleine Tische, und wer Lust hatte, setzte sich hin, um Domino, Schach oder mit Karten zu spielen. Die anderen plauderten gemütlich, und um zehn Uhr begaben sich alle zur Ruhe in die Kojen. Auch diese waren höchst sauber und elegant. Leider spürte ich keine Neigung zum Schlafe. Es überkam mich eine Angst und Besorgnis, die mich in so hohem Grade beunruhigten, daß mir die Koje zu eng wurde. Ich ging in den Salon zurück, um mich dort auf ein Sofa zu legen, fand diese aber sämtlich von schwarzen Kellnern besetzt. Nun begab ich mich aufs Deck.

Mein Mann und andere, denen ich meine innere Unruhe entdeckte, lachten mich aus; nur Anna teilte meine Besorgnis und kam auf das Deck, um die eigentümliche Fahrt zu beobachten. Der von mächtigen Bäumen überschattete Fluß wand sich schneckenförmig unter dem Kiele dahin. Das Schiff war schwer belastet und stieß öfters an Wurzeln und Baumstämme, die weit in den Fluß hineinragten, so daß es ächzte und stöhnte. Die Maschine arbeitete schwer und die Nacht war pechfinster, unheimlich und schauerlich.

Um elf Uhr begab ich mich zur Ruhe; auch Anna suchte ihre Koje auf, die über der meinigen lag, und ich hörte sie bereits schlafen, während ich noch wach lag und den Stößen lauschte, die das Fahrzeug erzittern machten. Diesen Stößen folgte auch nicht selten ein sonderbares Knirschen, das mir sehr verdächtig vorkam. Da – eben hat die Uhr zwei geschlagen – ein Ruck, ein fürchterliches Brechen und Krachen! Anna fällt aus ihrer Koje herab auf einen Marmortisch und von da auf den Boden, der bereits mit Wasser bedeckt ist. Das Schiff lag ganz seitwärts. Es krachte fort und fort. Alles floh in wilder Hast nach dem Salon. Der stand aber in hellen Flammen, von den herabgestürzten Petroleumlampen entzündet. Man schrie in Angst und Verzweiflung, raufte sich das Haar, und draußen war stockfinstere Nacht. Viele stürmten hinaus, setzten sich auf die Maschinenräder, fielen ins Wasser und waren in Gefahr, von den Alligatoren verschlungen zu werden. Andere kletterten auf dem Wrack herum. Es herrschte eine grenzenlose Verwirrung.

Trautmann hatte entfernt von uns geschlafen. Als er uns fand, riß er uns mit sich fort nach dem Ausgange hin; weil aber das Schiff total auf der Seite lag, so fielen wir immer wieder zu Boden.

Nach großer Anstrengung gelang es, das Feuer zu löschen, und der Kapitän stellte endlich Ordnung auf dem Schiffe her. »Damen und Kinder in die Boote, Herren bleiben alle zurück, bis jene am Land sind,« rief er, und so geschah es auch. Nur Anna und ich blieben zurück, und es gelang dem Kapitän nicht, uns zur schleunigsten Flucht zu bereden. Er stellte uns vor, das Schiff sei mitten geborsten und könne jede Minute sinken. Ich aber erklärte, daß ich lieber mit Gustav und unserer Habe untergehen, als meinen Mann verlassen wolle. Es prasselte und krachte fortwährend und schwankend legte sich das Wrack auf die andere Seite, so daß wir uns kaum aufrecht erhalten konnten.

Bei Tagesanbruch sahen wir unsere Sachen, Kisten, Möbel und daß große Piano-Melodium auf dem Wasser schwimmen; einzelne Gegenstände waren vom Flusse schon fortgetrieben. Was noch erreichbar war, fischten wir auf und brachten es an Bord. Dann nahmen wir ein Boot von den sogenannten »Landhaifischen« – Männern, von denen viele herangekommen waren, um zu stehlen – luden die geretteten Sachen hinein und fuhren den fortgeschwommenen nach. Mein Mann entdeckte diese nach kurzer Fahrt leider schon in den Händen der Strandräuber, die damit beschäftigt waren, die erbrochenen Kisten zu plündern. Die Beute wurde ihnen zwar abgejagt, aber das Wasser war in die Kisten und Sachen gedrungen. Die geretteten Gegenstände nahmen wir mit ans Land und begaben uns einige Meilen von dem Flusse entfernt nach Häresburg, wo wir in einem Hotel Unterkunft fanden.

Es war jammervoll, unsere einst so hübschen Sachen anzusehen. Eine kleine Leihbibliothek, das Piano, Kleider, Wäsche, Vorräte an Lebensmitteln – alles war durchnäßt, aufgeweicht, und vieles lag noch auf dem Grunde des Flusses. Deshalb wandten wir uns an einen Taucher, und ließen manche Gegenstände aus dem Wasser herauf holen. Leider war das meiste schon völlig verdorben, z. B. ein Sack mit 200 Pfund feinem Kosta-Rica-Kaffee, der schon fingerlange Keime hatte.

Um die Sachen, die sämtlich beschädigt waren, zu trocknen, mußten wir in dem Hotel einen achttägigen Aufenthalt nehmen, der sehr kostspielig war. Dann setzten wir unsere Reise nach dem Innern des Landes per Eisenbahn fort und kamen nach einer langen Tagesfahrt an den kleinen Ort Brenham, wo wir Rast hielten. Ich begab mich mit Anna für einige Zeit in ein Kosthaus, während Trautmann in die Gegend weiterzog, die wir vor siebzehn Jahren verlassen hatten.

Wohl fand mein Gustav noch alte Bekannte, alles war aber sehr verändert. Luxus herrschte auf der einen Seite, bittere Armut auf der anderen. Durch den vierjährigen Befreiungskrieg der Sklaven war Texas verarmt; denn die Farmer verloren mit der Befreiung ihrer Sklaven ihre Arbeitskräfte und ihre Wohlhabenheit. Was nützte ihnen das viele Land, da sie keine Arbeiter hatten, dieses zu bebauen? Mancher Farmer, der tausend Acres besaß und hundert bis zweihundert Neger unterhielt, von denen jeder 800 bis 1000 Dollar kostete, verlor diese samt deren herangezogenen Kindern plötzlich, ohne jede Entschädigung. Das war ein harter Schlag für den Süden, der nur langsam überwunden werden konnte und tiefen Groll gegen den Norden zurückließ. Die Südländer, an Bequemlichkeit gewöhnt, mußten nun selbst Haus und Feld bestellen. Die Neger arbeiteten zwar, um sich den nötigen Lebensunterhalt zu erwerben, aber sie sind von Natur aus träg; sie wußten keinen Gebrauch von ihrer Freiheit zu machen, und es fehlte ihnen der innere Trieb, sich ihr Los besser zu gestalten. Ohne äußere Anregung arbeiten sie nicht.

Trautmann kaufte in der uns bekannten Gegend eine Farm mit vollständigem Inventar von einem Amerikaner und kam mit zwei schönen Pferden für mich und Anna an, um uns auf die neue Farm abzuholen.

Unterwegs erkrankte ich derartig, daß ich bei guten Bekannten um Aufnahme ersuchen mußte. Das veränderte Klima, die ungewohnte Kost, das anstrengende Reiten und die heftigen Gemütserschütterungen wirkten so auf mich ein, daß ich mich aller Kräfte bar fühlte. Hier erfuhr ich auch, daß mein Bruder Eduard, der von uns vor siebzehn Jahren zurückgelassen worden war, daselbst gestorben sei.

Gustav und Anna mußten mit dem Gepäckwagen die Reise fortsetzen. Die guten Bekannten pflegten mich treulich.

Der ehemalige Besitzer der neuen Farm beabsichtigte, nach Brasilien auszuwandern und wohnte noch auf seiner früheren Besitzung. Trautmann nahm daher einstweilen Wohnung in einem unfern gelegenen Städtchen. Infolge der Sorgen und Anstrengungen wurde auch er jetzt krank. Ganz gelähmt konnte er nicht einmal gehen. Glücklicherweise hatte ich mich inzwischen soweit erholt, daß ich zu ihm gebracht werden konnte. Anna allein blieb tätig und munter.

Für uns erhob sich nun eine neue Schwierigkeit, indem unser Geld aus Gouvernement-Bons bestand, die der Amerikaner als Südländer nicht annehmen wollte. Da er bares Geld verlangte, so kamen wir in große Verlegenheit. War doch die nächste Stadt Houston, wo sich eine Bank befand, hundert Meilen von unserer Farm entfernt. Gustav wollte dahin reiten, doch wurde ihm geraten, mit der Eisenbahn zu fahren. Diese Art zu reisen schien ihm weniger sicher, Er bestieg also wirklich das Pferd, um nach Houston zu reiten und die Bons dort in bares Geld umzusetzen. Binnen zehn Tagen konnte er zurückgekehrt sein. Es vergingen vierzehn Tage und mein Mann war noch nicht zurückgekommen.

Der Amerikaner wartete mit Ungeduld auf das Geld; denn er wäre gern abgereist nach Brasilien. Täglich kam er zu uns und fragte, ob mein Mann immer noch nicht zurückgekommen sei.

Das lange Ausbleiben meines Gustav machte mir Kummer. Im November war er fortgeritten und Ende dieses Monats zeigte sich zuweilen schon der gefürchtete Nordsturm. Wenn also Trautmann diesem Sturme, Tag und Nacht unter freiem Himmel, auf der Prärie ausgesetzt war, was sollte dann aus ihm werden? Dazu kam, daß er an das rauhere Klima gar nicht mehr gewöhnt und daß seine Gesundheit bereits gebrochen war.

Während ich in grenzenloser Angst schwebte, besucht mich eines Tages ein Kaufmann unseres einstweiligen Wohnortes, der in Houston gewesen war und bringt mir die Schreckenskunde, mein armer Mann sei am 6. Dezember in Houston gestorben und an dem nämlichen Tage begraben worden. Darauf teilte er mir mit, mein Geld liege dort zur Abholung bereit; seien viele Rechnungen vom Hotel, für ärztliche Behandlung, Pflege und Beerdigung zu bezahlen.

Der Schmerz, den ich bei dieser traurigen Nachricht empfand und der Kummer, der mich beängstigte, lassen sich nicht beschreiben. Mit Anna stand ich allein da ohne Beschützer in dem fremden Lande.

Sobald der Amerikaner hörte, daß mein Mann gestorben sei, zeigte er sich teilnehmend gegen mich und erklärte, er wolle den Kauf als nicht geschehen ansehen; denn sein Gewissen gestattete es ihm nicht, einer hilflosen Frau, die nicht die Autorität des Farmers besitze, die schwere und drückende Last aufzubürden. Der Kauf blieb ungültig, und ich war dem Manne innig dankbar, daß er nicht auf seinem Rechte bestand.

In tiefstem Herzensleid reiste ich nach Houston, um die traurigen Geschäfte zu erledigen und Näheres von dem Schicksale und Ende meines Mannes zu erfahren. Allein unter Fremden, fern von den Seinen war er gestorben, und drei Stunden nach seinem Tode war er beerdigt worden. Der Totengräber war sein einziger Begleiter gewesen.

Von der Hotelwirtin, der Trautmann seine traurige Geschichte kurz vor seinem Tode erzählt hatte, erfuhr ich folgendes:

Die ersten zwei Tage und Nächte erging es Gustav auf der Reise ganz gut; er fühlte sich stark und gesund. Am dritten Reisetage trat auf der großen Houston-Prärie der gefürchtete Nordwind ein. Gustav konnte nicht weiterreiten, machte Feuer an, koppelte in gewohnter Weise das Pferd und ließ es in seiner Nähe werden. Bald löschte jedoch der Regen das Feuer aus, und mein Mann legte sich, in seine wollene Decke gehüllt, ins nasse Gras.

Das Pferd, dem die Kälte nicht behagte, zerriß leider das Koppel und jagte von dannen. Trautmann lief ihm nach, es einzufangen. Oft, als er es beinahe erreicht hatte, sprang es in großen Sätzen davon und galoppierte weiter. Das Laufen und Jagen, das Erhitzen und Erkälten dauerte drei volle Tage. Endlich gelang es Gustav, den Flüchtling wieder in seine Hand zu bekommen.

Der Nordwind war vorüber, aber Trautmann konnte die Reise nicht fortsetzen. Er blieb krank und verlassen, ohne Hilfe, ohne einen Trunk Wasser drei Tage und drei Nächte unter freiem Himmel in der Prärie liegen. Nur sein Pferd blieb ruhig bei ihm, aber es nützte ihm nichts.

Endlich kam, wie von Gott gesandt, eine Amerikanerin auf einem kleinen Wagen durch die Prärie gefahren. Sie sah den kranken Mann im Grase liegen; neben ihm weidete sein Pferd. Mitleidig wie der barmherzige Samariter nahm sich die Frau des Kranken an, lud ihn auf ihr kleines Gefährt, band das Pferd an den Wagen und brachte meinen Gustav nach ihrer ziemlich entlegenen Farm.

Dort lag er einige Tage ohne ärztliche Hilfe. Der Zustand wurde immer bedenklicher, so daß die gute Frau den Schwerkranken, gut in Betten verpackt, nach Houston fahren ließ, damit er dort von einem Arzte behandelt und gehörig verpflegt werde. Allein es war zu spät.

Trautmann besaß nur noch die Kraft, einen bekannten Kaufmann rufen zu lassen, dem er sein Geld anvertraute, das er bisher verborgen auf der Brust getragen hatte. Er bat den Kaufmann, ihm einen Arzt zu rufen und gute Pflege zu besorgen. Auch nannte er ihm unsern Namen und ersuchte ihn, uns von seinem traurigen Zustande Nachricht zu geben.

Den Kranken konnte niemand retten; nach drei Tagen war er tot. Mit Hilfe des Totengräbers fand ich sein Grab. Mit welchen Gefühlen ich an dem Grabe stand, das läßt sich nicht beschreiben.

Die übergroßen Forderungen für ärztliche Behandlung, Pflege usw. tilgte ich; nahm das Geld und das Pferd, die unschuldige Ursache so schweren Leides und sann nach, was ich nun beginnen solle. Ehe ich einen bestimmten Entschluß fassen konnte, erhielt ich die Kunde, daß ein Schiff mit mehreren neuen, landwirtschaftlichen Geräten, die wir für unsere Farm angekauft hatten, untergegangen sei. Das war ein Verlust von mehr als 200 Dollar für mich.

Zwei bekannte Familien rieten mir, nahe dem Städtchen Fayetteville ein sogenanntes Stadtlos zu erwerben und darauf ein Haus zu bauen. Ich befolgte den Rat, ließ ein Stück Land einhegen und mir ein hübsches Häuschen aus festem Zedernholz darauf bauen. Außen mit weißer Ölfarbe angestrichen und innen tapeziert bot es einen recht freundlichen Anblick dar. Unsere hübsche, beim Schiffbruch arg beschädigte Wohnungseinrichtung ließ ich, so gut es anging, reparieren, und wir wohnten ganz komfortabel. Im Garten bauten wir allerlei nützliche Gewächse, pflanzten dreißig Pfirsichbäume, ferner Maulbeerbäume und chinesische Schattenbäume. Am Hause entlang zogen wir schöne Blumen. Wir hielten uns viel Geflügel, zogen Schwarzvieh auf und lebten friedlich vom Ertrage dieser Besitzung vier Jahre.

Da kamen Briefe aus der Heimat, in denen ich mit Bitten bestürmt wurde, endlich wieder nach Deutschland zurückzukehren und in Ruhe bei den Meinigen das Dasein zu beschließen. Nach langem Widerstreben schenkte ich den wiederholten Bitten Gehör. Ich verkaufte meine Besitzung und zog mit Anna nach zweiundzwanzigjährigem Aufenthalt in Amerika wieder nach Europa.

Dieses sind die Hauptmomente meiner Erlebnisse in Amerika; vieles, sehr vieles ließe sich noch erzählen, aber ich bin müde, sterbensmüde und eile zum Schluß.

Zurückgekehrt in die alte Heimat, fand ich mich in meinen Erwartungen getäuscht. Fremd war ich geworden; fremd und kalt stand auch uns alles gegenüber. Mein Kind blieb mit Leib und Seele Amerikanerin. Anna sehnte sich zurück in ihr Adoptiv-Vaterland Amerika, suchte aber diese Sehnsucht vor mir zu verbergen. Überdies trafen mich neue Schicksalsschläge. Durch gewissenlose Freunde und ihrer schlimmen Ratschläge verlor ich den größten Teil meines sauer erworbenen Kapitals. Durch üble Anlage ging das Geld verloren, und wir mußten uns noch einmal nach einer Erwerbsquelle umsehen. Da traf mich der härteste aller Schicksalsschläge, den zu überleben ich kaum für möglich hielt: Gott nahm mein geliebtes Kind, die Stütze und den Trost meines Alters, die treue Gefährtin und Teilnehmerin meiner Prüfungen und Leiden, die brave, mutige und liebevolle Tochter zu sich.

Nun stehe ich in Wahrheit allein in der Welt da und hege nur den einen Wunsch, daß der gütige Gott mich bald zu sich rufe, um ausruhen zu dürfen an der Seite meiner Anna.


Das Gebet dieser vielgeprüften Frau wurde erhört. Wenige Wochen nach dem Tode ihrer Anna wurde sie von Gott in die Heimat abgerufen, wo sie die Ruhe gefunden hat, die ihr auf Erden nicht beschieden war.

.

Buchdruckerei A. Fuhrich, Breslau V.

 


 << zurück